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Full text of "General-Bericht über den Gesundheitsdienst im Feldzuge gegen Dänemark 1864. [electronic resource]"

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General  -  Bericht 


über  den 


GESUNDHEITSDIENST 


im 


Feldzuge  gegen  Dänemark  1864. 


Von 

Dr.  F.  Lffiffler, 

Königlich  Preussischer  General-Arzt. 


Erster  Theil. 


Mit  20  Holzschnitten. 


Berlin,  1867. 

Verlag  von  August  Hirschwald. 

Unter  deu  Linden  No.  68. 


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Dem 


Königlichen  General-Stabsarzte  der  Armee 

und 

Chef  des  Militair-Medicinalwesens, 

HERRN  De  GRIMM 


aus  Dankbarkeit  und  Verehrung 


gewidmet. 


Inhalt  des  ersten  Theils. 


Sehe 

Einleitung   VJ 

Erster  Abschnitt:  Die  Verluste  der  preussischen  Feld- Armee  durch  Ver- 
wundung und  Krankheit,  Gesundheitszustand  und  Gesundheitspflege 

im  Allgemeinen   1 

Zweiter  Abschnitt:  Die  Verletzungen  durch  Kriegswaffen   o5 

I.    Säbelwunden   37 

IT.    Bajonnet-Wunden   39 

III.  Kolben-Stösse  und  Kolben-Schläge   41 

IV.  Schuss-Verletzungen   42 

Erstes  Capifel:   Die  Schussverletzungen  des  Kopfes   57 

1.  Schussverletzungen  des  Schädels    57 

2.  „              des  Gesichts    107 

Schussverletzungen  der  Kiefer  ,   119 

Schussfracturen  des  Oberkiefers   124 

Schussverletzungen  des  Unterkiefers   131 

Zweites  Caplteh    Die  Schussverletzungen  der  oberen  Glieder     .  135 

A.  Abreissungen  und  Zermalmungen  grösserer  Glied-Abtschuitte  139 

B.  Weichtheil-Schüsse    143 

C.  Weichtheil-Schüsse  mit  Verletzung  von  Nervenstämmen     .  149 

D.  „              mit  Verletzung  von  Gefässstämmen     .  151 

E.  Knochen-Schüsse  der  oberen  Extremitäten   160 

1.  Schussbrüche  der  Schulterknochen   1G2 

2.  Schussvorletzuugeu  des  Oberarmknochens    ....  174 

3.  „              der  Unterarmknochen     ....  195 

4.  Knochen-Schüsse  der  Hand   211 

F.  Gelenk-Schüsse. 

1.  Schuss Verletzungen  des  Handgelenks   218 

2.  „               »   Ellenbogengelenks     ....  226 

3.  ,>               »    Schultergeleoks   279 

Anhang.    1.  Liste  der  im* Feldzuge  1864  ausgeführten  Resectionen  des 

Ellenbogengelenks. 
2.      „    der  im  Feldzuge  1864  ausgeführten  Resectiooen  des 
Schultergelenks. 


Einleitung. 


as  Capital  von  Gesundheit  und  Kraft,  welches  der  Staat  in  der 
Armee  anlegt,  damit  es  bei  dem  Zusammenstosse  mit  einem  Feinde 
den  höchsten  Zins  trage,  möglichst  zu  wahren  und  Denjenigen, 
welche  im  Kampfe  für  Ehre  und  Heil  des  Vaterlandes  bluten  und 
leiden,  möglichst  wirksamen  Beistand  zu  sichern  —  ist  heutigen 
Tages  das  Ziel  eines  mehr  als  jemals  ernstgemeinten,  opferwilligen 
und  allgemeinen  Strebens.  Der  gestiegene  Werth  des  Individuums 
in  der  Armee,  die  anders  gewordene  Art  der  Kriegführung,  welche 
durch  Energie  und  Ausbeutung  des  Erfindungsgeistes  an  Zeit  spart, 
und  die  trotz  der  Kriege,  ja  zum  Theil  durch  dieselben  wachsende 
Civilisation  drängen  dazu. 

Diesem  Zwecke  soll  auch  das  in  den  folgenden  Blättern  nieder- 
gelegte Stück  feldärztlicher  Erfahrung  dienen.  Es  stammt 
aus  dem  deutsch-dänischen  Kriege  von  1864.  Die  Ereignisse  des 
Jahres  1866  haben  ihm  unerwartet  schnell  eine  Concurrenz  ge- 
schaffen; aber  es  wird  sehr  viel  Zeit  und  Mühe  kosten,  die  neue 
Erfahrungsquelle  so  zu  erschliessen  und  zu  läutern,  dass  ihre  Pro- 
ducte  allgemein  nutzbar  werden.  Ich  trage  kein  Bedenken,  diese 
Eigenschaft  den  Ergebnissen  der  Kriegserfahrung  von  1864  zuzu- 
schreiben, welche  zu  veröffentlichen  ich  im  Mai  1866  begann  und 
nach  der  durch  die  jüngste  Kriegsthätigkeit  bedingten  Pause  fort- 
fahre. Sind  sie  doch  das  Gemeingut  der  preussischen  Feld- 
ärzte von  1864,  mir  nur  anvertraut  zur  Verwaltung  und  Ver- 
werthung. 


VI 


Die  persönliche  Erfahrung,  welche  der  Einzelne  aus  einem 
Feldzuge  heimbringt,  ist,  selbst  wenn  er  als  klinisch  consultirender 
oder  dienstlich  leitender  Generalarzt  fungirte,  nicht  zugleich  viel- 
seitig und  speciell  genug,  die  künftige  Regel  zu  begründen, 
sei  es  für  die  Organisation,  sei  es  für  die  Technik  des  Kriegsheil- 
wesens. Dazu  ist  Sammlung,  Ordnung  und  Sichtung  der  in  den 
verschiedensten  Wirkungskreisen  gewonnenen  Einzelerfahrungen 
nothwendig  —  eine  Arbeit,  welche  viel  weniger  kurzweilig  ist, 
als  das  sprudelnde  Hinwerfen  scheinbar  oder  wirklich  neuer  Ein- 
fälle und  Vorschläge,  deren  sich  leicht  so  viel  häufen  lassen,  dass 
eine  ganze  Reihe  von  Kriegen  nicht  ausreicht,  die  practische  Probe 
darauf  zu  machen. 

Für  den  Feldzug  von  1864  wurde  jene  Arbeit  als  eine  der 
Aufgaben  des  „Armee- Arztes"  bezeichnet  —  nämlich  in  der  In- 
struction, welche  der  Chef  des  Militair-Medicinalwesens,  Herr  Ge- 
neral-Stabsarzt Dr.  Grimm  mir  ertheilte,  als  ich  zur  Oberleitung 
des  ärztlichen  Dienstes  in  der  Feldarmee  berufen  wurde. 

Behufs  ihrer  Lösung  musste  zunächst  den  Vertretern  der  ver- 
schiedensten feldärztlichen  Wirkungskreise  Anlass  gegeben  wer- 
den, ihre  Erfahrungen  in  Spezialberichten  niederzulegen.  Die 
Art  und  Weise,  wie  der  bezüglichen  armeeärztlichen  Requisition*) 
genügt  worden  ist,  entspricht  ganz  dem  Interesse  für  die  Armee, 
welches  die  preussischen  Feldärzte  vorher  im  practischen  Dienste 
mit  ebenso  viel  Aufopferung  als  Erfolg  bethätigt  hatten,  und  der 
hohen  Stufe  wissenschaftlicher  Durchbildung,  welche  sie  einnehmen. 

Vereint  mit  allen  den  während  des  Feldzuges  geführten  Rap- 
ports, Listen,  Monatsberichten  und  Journalen,  sowie  mit  den  an- 
derweitig bereits  veröffentlichten  Bruchstücken**)  stellen  die  Spe- 


*)  Dieselbe  ging  in  Form  besonderer  Circulare  an  die  Truppen-  und  Laza- 
reth-Aerzte  der  Feld-Armee  und  enthielt  Dispositionen  für  die  Berichterstattung, 
deren  gemeinsame  Benutzung  empfohlen  wurde.  Die  erforderlichen  Nachweise 
aus  den  heimischen  Reserve- Lazarethen  wurden  durch  die  Vermittelung  des 
Herrn  Chefs  zu  meiner  Verfügung  gestellt. 

**)  „Bruchstücke"  nenne  ich  diese  Arbeiten  nur  in  Bezug  auf  die  Gesammt- 
summe  der  im  Feldzuge  gewonnenen  Erfahrung.  Mehrere  sind  an  und  für  sich 
sehr  reichhaltig  und  für  einzelne  Themata  resp.  für  die  Beobachtungskreise 


YII 


cialberichte  für  den  Generalbericht  ein  Material  von  seltener 
Vollständigkeit  und  —  wenigstens  bei  Feldzugserfahrungen  —  un- 
gewöhnlicher Exactheit  zur  Verfügung.  Ich  fühle  mich  verpflichtet, 
Rechenschaft  davon  zu  geben,  wie  ich  dasselbe  zu  verwerthen  ver- 
sucht habe,  um  der  durch  das  Interesse  der  Armee  bestimmten 
Intention  der  vorgesetzten  Dienstbehörde  zu  entsprechen. 

Den  Vorwurf  der  Säumigkeit,  zu  welchem  die  späte  Veröf- 
fentlichung zu  berechtigen  scheint,  kann  ich  mit  gutem  Gewissen 
abweisen.  Gleich  nach  der  Heimkehr  vom  Kriegsschauplatze  Ende 
1864  ging  ich  an  die  Arbeit,  welcher  seitdem  so  ziemlich  alle  von 
den  currenten  Dienstgeschäften  bleibende  Müsse  gewidmet  wurde. 


ihrer  Verfasser  mehr  oder  weniger  erschöpfend.    Das  folgende  Verzeichniss 

macht  auf  Vollständigkeit  nicht  Anspruch. 
Dr.  A.  Ochwadt,  Ober-Stabsarzt:  Kriegschirurgische  Erfahrungen  auf  dem 
administrativen  und  technischen  Gebiete  während  des  Krieges  gegen  Däne- 
mark 1864.  Berlin  1865.  (Verfasser  war  Chefarzt  des  2.  schweren  Feld- 
Lazareths  III.  Armee-Corps). 
Dr.  A.  Lücke,  Professor  der  Chirurgie  in  Bern:  Kriegschirurgische  Aphoris- 
men aus  dem  zweiten  schleswig-holsteinschen  Kriege  im  Jahre  1864.  Berlin 
1865.  (Verfasser  war  Sectious- Stabsarzt  im  1.  schweren  Feld-Lazareth 
III.  Armee-Corps). 

Dr.  R.  Biefel,  Ober- Stabsarzt:  Tagebuch  und  Bemerkungen  aus  dem  Feld- 
zuge 1864.  Als  Manuscript  gedruckt.  (Verfasser  fungirte  als  Regiments- 
arzt des  3.  Garde-Grenadier-Regiments  Königin  Elisabeth). 

Dr.  J.  Res  sei:  Der  Johanniter -Orden  auf  dem  Kriegsschauplatze  des  däni- 
schen Feldzuges  1864.  Pless  1865.  (Verfasser  war  dirigirender  Arzt  der 
Kriegs-Hospitäler  des  Johanniter-Ordens  in  Flensburg). 

Derselbe:  Die  Kriegs  -  Hospitäler  des  St.  Johanniter-Ordens  im  dänischen 
Feldzuge  von  1864.  Ein  Beitrag  zur  Chirurgie  der  Schusswunden.  Breslau 
1866. 

Dr.  C.  Heine,  Docent  der  Chirurgie  in  Heidelberg:  Die  Schussverletzungen 
der  unteren  Extremitäten.  Nach  eigenen  Erfahrungen  im  letzten  schleswig- 
holsteinischen  Feldzuge.  Berlin  1866.  (Verfasser  wirkte  freiwillig  mit, 
ohne  eine  bestimmte  Dienststellung  zu  bekleiden). 

Dr.  B.  vonLangenbeck,  Generalarzt  etc.:  Ueber  Resection  des  Fussgelenks 
bei  Schussfracturen  desselben.  Berliner  klinische  Wochenschrift.  1865. 
No.  4.    (Verfasser  fungirte  als  klinisch-consultirender  Generalarzt). 

Dr.  E.  Gurlt,  Professor  in  Berlin:  Miiitair-chirurgische  Fragmente.  Berliner 
klinische  Wochenschrift  1864.  (Verfasser  besuchte  den  Kriegsschauplatz 
als  Commissarius  des  Preussischen  Central-Comites  des  Vereins  zur  Pflege 
im  Felde  verwundeter  und  erkrankter  Krieger). 


VITT 


Von  den  beiden  durch  den  practischen  Zweck  des  General- 
berichtes vorgezeichneten  Aufgaben  —  Prüfung  der  Zuläng- 
lichkeit und  Zweckmässigkeit  der  bestehenden  Orga- 
nisation des  Kriegsheil wesens  nach  Massgabe  der  vor- 
liegenden Thatsachen  und  Würdigung  der  feldärztlichen 
Praxis  auf  Grund  der  erzielten  Resultate  —  musste  die 
erstere  vorweg  in  Betracht  gezogen  werden,  weil  die  definitiven 
Kurresultate,  wie  die  Wissenschaft  sie  braucht  zum  Regelbau 
für  die  Praxis,  unmittelbar  nach  einem  Feldzuge  noch  gar  nicht 
feststehen. 

Mehrere  Umstände  trafen  zusammen,  den  Feldzugserfahrungen 
von  1864  eine  besondere  Bedeutung  für  die  Organisationsfrage 
zu  geben. 

Der  Feldzug  war  für  Preussen  seit  langen  Jahren  die  erste 
grössere  practische  Probe  nicht  bloss  auf  die  Zweckmässigkeit  der 
auf  Steigerung  der  Schlagfähigkeit  der  Armee  berechneten  und 
energisch  durchgeführten  Reformen,  sondern  auch  auf  die  Stich- 
haltigkeit der  Principien,  welche  der  Vervollkommnung  des  Mili- 
tair-Medicinalwesens  zu  Grunde  gelegt,  und  auf  die  Zulänglichkeit 
der  Einrichtungen,  welche  zu  deren  Verwirklichung  getroffen  wur- 
den. Beginnend  mit  der  Schöpfung  des  Institutes  der  Laza- 
rethgehülfen  (1832),  welche  die  Geltendmachung  des  Grund- 
satzes —  weniger  aber  nur  tüchtige  Arzte  von  vollkom- 
mener wissenschaftlicher  Durchbildung  —  vorbereitete, 
hat  diese  Reform  einen  sehr  bedächtigen  Gang  genommen.  Das 
hochherzige  Königswort,  welches  16  Jahre  später  die  Entwicke- 
lungsbahn  vorzeichnete,  indem  es  die  Sorge  für  den  kranken  und 
verwundeten  Soldaten  von  der  Bedeutung  einer  ökonomischen  An- 
gelegenheit zu  der  einer  Frage  der  Humanität  und  Wissenschaft 
erhob,  geht  langsam  aber  stetig  in  Erfüllung. 

Davon  zeugt  insbesondere  das„Reglemen.t  über  denDienst 
der  Krankenpflege  im  Felde",  welches,  durch  eine  zu  dem 
Zu  .cke  berufene  Commission  im  Winter  1860—1861  vorberathen, 
unter  dem  17.  April  1863  die  Königliche  Sanction  erhielt.  Na- 
mentlich das  Princip  der  einheitlichen  Befehligung  der  ein- 
zelnen Feld-Lazarethe  durch  Chef-Aerzte,  welches  — 


IX 


wenigstens  für  den  europäischen  Continent  neu  —  dadurch  inau- 
gurirt  wurde,  beweist,  wie  sehr  dem  Königlichen  Kriegsherrn  und 
der  obersten  Armeeverwaltungs-Behörde  das  Loos  des  verwundeten 
Soldaten  am  Herzen  liegt. 

Die  Organisation  der  Friedens-Lazarethe  blieb  dabei  unver- 
ändert und  gewährte  den  verschiedenen  Elementen,  welche  bei  der 
Mobilmachung  zum  Feldlazareth  -  Organismus  combinirt  werden, 
für  das  Zusammenwirken  nach  dem  neuen  Organisationsprincip 
keinerlei  Vorübung.  Um  so  mehr  Interesse  knüpft  sich  an  die 
erste  praktische  Probe  im  Feldzuge  1864;  denn  das  Princip  selbst 
muss  sehr  gesund  sein,  um  trotzdem  zu  befriedigenden  Ergebnis- 
sen zu  führen  —  und  es  hat  zu  solchen  geführt. 

Noch  schneller  als  auf  den  Erlass  jenes  Reglements  folgte  der 
Feldzug  auf  die  internationale  Conferenz  zu  Genf  (October 
1863).  Vorbereitet  durch  die  bewundernswerthen  Leistungen  einer 
Miss  Nigthingale  im  Krimmkriege  und  durch  das  segensreiche 
Beispiel,  welches  zur  selben  Zeit  in  Russland  die  Grossfürstin 
Helene  mit  der  Schöpfung  einer  besonderen  dem  Dienste  der 
Krankenpflege  im  Felde  gewidmeten  weiblichen  Genossenschaft 
(„Schwestern  zur  Erhöhung  des  Kreuzes")  gegeben  hat, 
eingeleitet  durch  die  „Erinnerung  an  Solferino",  welche 
H.  Dunant,  ein  Humanist  vom  ächten  Schlage,  ergreifend  genug 
zu  wecken  verstand,  fand  die  Idee,  dem  amtlichen  Factor 
der  Krankenpflege  im  Kriege  einen  gleichfalls  organi- 
sirten  privaten  Bundesgenossen  zu  schaffen  und  zu  dem 
Zwecke  dauernde  nationale  und  internationale  Asso- 
ciationen zu  bilden,  die  Herzen  offen  —  auf  dem  Throne 
wie  im  Volke. 

Der  Feldzug  von  1864  hat,  wenigstens  in  Europa,  die  erste 
Gelegenheit  geboten  zur  practischen  Prüfung,  ob  und  in  wie  weit 
es  sich  dabei  um  eine  Utopie  handele.  Die  Frage  war  im  Prin- 
cip bald  entschieden  —  besonders  durch  die  rührige  Initiative, 
welche  der  Johanniter-Orden  ergriff.  Nach  dem  Feldzuge  galt 
es,  auf  Grund  der  gesammelten  Erfahrung  die  Beziehungen  zwi- 
schen den  beiden  Factoren  —  dem  amtlichen  und  dem  privaten 


X 


—  zu  ordnen,  um  ein  gedeihliches  Zusammenwirken  derselben  für 
die  Zukunft  zu  sichern*). 

Genug  —  die  durch  den  Krieg  von  1864  gewonnene  Erfah- 
rung war  ganz  geeignet,  zunächst  für  den  administrativen 
Theil  des  Generalberichtes  das  Interesse  zu  fesseln.  Mit  ge- 
wissenhafter Würdigung  der  vorliegenden  Thatsachen  und  gebüh- 
render in  die  Details  eingehender  Ausführlichkeit  bearbeitet,  wurde 
derselbe  bereits  im  Mai  1865  der  vorgesetzten  Dienstbe- 
hörde überreicht.  Dies  war  noth wendig  nicht  blos  wegen  der 
den  Druck  amtlicher  Schriftstücke  betreffenden  Dienstvorschriften, 
sondern  auch  des  practischen  Zweckes  wegen.  Es  handelte  sich 
nicht  um  Vermehrung  der  kriegsärztlichen  Literatur  durch  ein 


*)  Der  jüngste  nordamerikanische  Unionskrieg  hat  diesseits  des  Oceans  in 
mehrfacher  Beziehung  Staunen  erregt,  namentlich  auch  durch  den  Erfolg,  mit 
welchem  trotz  der  colossalen  Dimensionen  des  Hülfebedürfnisses  für  die  Ver- 
wundeten und  Kranken  gesorgt  worden  ist.  Wie  die  Armee  selbst,  so  musste 
auch  für  das  Kriegsheilwesen  Organisation,  Personal  und  Material,  kurz  nicht 
weniger  als  Alles  erst  geschaffen  werden.  Denn  was  beim  Beginne  des  Krieges 
davon  existirte,  war  völlig  bedeutungslos  für  eine  Armee,  deren  Kopfstärke 
schon  im  zweiten  Kriegsjahre  an  eine  Million  reichte.  Mit  der  Noth,  welcher 
die  Verwundeten  und  Kranken  der  Armee  Anfangs  preisgegeben  waren,  stei- 
gerten sich  die  Anstrengungen,  ihrer  Herr  zu  werden.  Das  Zusammenwirken 
des  neugeschaffenen,  nach  grossen  und  ganz  durchgeführten  Grund- 
sätzen organisirten  Kriegsheilwesens  mit  der  ebenso  practisch  organi- 
sirten,  wie  grossartig  entwickelten  Privathülfe  hat  das  Wunder  zu  Stande  ge- 
bracht. Das  instructivste  Bild  des  ersteren  findet  sich  in  dem  Buche,  welches 
der  Kaiserl.  Russische  Geheimerath  und  General -Inspector  des  Sauitätswesens 
der  Kaiserl.  Marine  Dr.  II.  v.  Ilaurowitz  kürzlich  veröffentlicht  hat-  („Das 
Militairsanitätsweseu  der  vereinigten  Staaten  von  Nord- Amerika  "  etc.  Stutt- 
gart 1866).  Die  fraglichen  Principien  sind  darin  klar  und  scharf  formulirt 
(S.  43  und  44).  Sie  sind  diesseits  des  Oceans  nicht  neu  als  Ideale.  Das 
practische  England  hat  es  sogar  schon  früher  —  nach  dem  Krimmkriege  — 
gewagt,  dieselben  einer  Reform  des  Militair-Medicinalwesens  zu  Grunde  zu  legen. 
Aber  es  ist  jeden  Falles  von  Interesse,  nunmehr  durch  eine  grossartige  Kriegserfah- 
rung bewiesen  zu  wissen,  dass  die  Verwirklichung  jener  Ideale  nicht  zu  den 
Unmöglichkeiten  gehört,  und  was  dieselbe  im  Falle  der  Noth  zu  leisten  vermöge. 
Es  wäre  eine  Illusion,  zu  glauben,  irgend  ein  europäischer  Grossstaat  könne 
sich  dadurch  bestimmen  hissen,  ohne  Weiteres  tabula  rasa  zu  machen,  um  sein 
Kriegsheilwesen  nach  jenem  Modell  neu  aufzubauen.  Aber  man  wird  nicht 
umhin  können,  letzteres  bei  allen  Aenderungen  im  Auge  zu  behalten,  um  sich 
nicht  weiter  von  ihm  zu  entfernen. 


XI 


Buch,  sondern  um  Vervollkommnung  der  Hülfe  für  den  blutenden 
Soldaten  durch  Modifikationen  der  dazu  bestimmten  Einrichtungen, 
wie  sie  sich  als  nothwendig  oder  wünschenswerth  aus  der  Kriegs- 
praxis ergaben.  Prüfung  Seitens  der  obersten  Armeeverwaltungs- 
behörde war  natürlich  die  erste  und  wesentlichste  Bedingung  der 
Executive. 

Gleichwohl  ist  die  Veröffentlichung  derartiger  Berichte  heu- 
tigen Tages  an  und  für  sich  nützlich,  ja  nöthig  —  theils  wegen 
des  privaten  Hülfe-Factors,  welcher  dadurch  Anregung  und  Anhalts- 
punkte für  seine  Entwickelung  und  Thätigkeit  gewinnt,  theils  und 
besonders  wegen  des  internationalen  Characters,  welchen  die  Sorge 
für  den  verwundeten  Krieger  durch  die  Genfer  internationale 
Convention  vom  22.  August  1864*)  erhalten  hat.    Es  liegt 


*)  Herr  Dr  v.  Haurowitz  freilich  sieht  in  der  Convention  nur  ein  Pio- 
duct  „  doctrinärer  Illusion"  (s.  das  vorerwähnte  Buch  pag.  4  ff.)  Das 
klingt  nicht  schmeichelhaft  für  die  Regierungen,  welche  den  Vertrag  schlössen 
oder  ihm  später  beitraten;  aber  es  würde  zur  Rechtfertigung  Russlands,  des 
einzigen  noch  nicht  beigetretenen  europäischen  Grossstaates,  genügen,  wenn 
es  wahr  wäre.  —  Ist  es  so  leicht,  zu  vergessen,  was  geschah,  so  lange  die 
Convention  nicht  existirte,  und  was  noch  heute  geschieht,  wo  sie  nicht  gilt? 
Auch  Oesterreich  hat  sich  erst  nach  den  Erfahrungen  von  1866  zum  Beitritte 
entschlossen.  Wünscht  Herr  v.  H.  Auskunft  über  die  practische  Bedeutung  der 
Convention,  so  braucht  er  nur  die  20  österreichischen  Feldärzte  zu  fragen, 
welche  nach  dem  blutigen  Kampfe  bei  Gitschin  am  29.  Juni  1866  in  Gefangen- 
schaft geriethen.  Diese  Collegen  befanden  sich  —  zu  ihrer  Ehre  sei  es  ge- 
sagt —  in  Verzweiflung,  nicht  wegen  ihrer  persönlichen  Lage,  obwohl  sie  pein- 
lich genug  war,  sondern  wegen  der  Unmöglichkeit,  Zeit  und  Kräfte  zur  Abhülfe 
der  Noth,  der  sie  gegenüberstanden,  zu  verwerthen.  Die  grosse  Kaserne  der 
Stadt  war  vom  Hofe  bis  zum  Dache  überfüllt  mit  Verwundeten  ihrer  eigenen 
Armee.  Aber  als  während  des  Kampfes  der  Sieg  auf  die  preussischen  Seite 
neigte,  floh  die  —  nicht  von  einem  Chef- Arzte,  sondern  von  einem  militairi- 
schen  Commandanten  befehligte  —  österreichische  Ambülance.  Sie  Hess  die 
Verwundeten  nebst  den  Aerzten  im  Stiche,  indem  sie  alles  Hülfsmaterial  mit- 
fortnahm,  um  es  nicht  in  Feindes  Hand  fallen  zu  lassen.  Zur  Illustra- 
tion der  „doctrinären  Illusion"  eignen  sich  auch  die  verlassenen  österreichischen 
Verbandplätze  auf  dem  Schlachtterrain  des  3.  Juli  1866  und  die  Nachtbilder 
menschlichen  Elends,  welche  auf  einigen  sich  entwickeln  mussten,  ehe  sie  un- 
serer Seits  entdeckt  werden  konnten. 

Es  ist  nicht  zu  verwundern,  wenn  hie  und  da  vom  militairischen  Staud- 
punkte Bedenken  gegen  die  Convention  auftauchen,  und  der  Triumph,  welchen 
die  Humanität  durch  sie  feiert,  liegt  eben  darin,  dass  sie  trotz  solcher  zu  Stande 


XTI 


im  Interesse  der  Einzelstaaten,  gewisse  die  Kriegstüchtigkeit  und 
Schlagfähigkeit  steigernde  Eigentümlichkeiten  sich  zu  wahren; 
dagegen  können  sie  nur  wünschen ,  dass  alle  das  Kriegsheilwesen 
betreffenden  Erfahrungen  und  Fortschritte,  welche  sie  selber  machen, 
auch  von  den  übrigen  gekannt  und  benutzt  werden. 

kam.  Um  so  auffallender  ist  es,  dass  ein  Arzt  sich  berufen  fühlen  kann,  die- 
selbe zu  discreditiren. 

Seit  wann  hat  denn  die  Deckung  des  ersten  Hülfebedarfes  in  und  nach 
grossen  Schlachten  aufgehört,  die  allerschwerste  Aufgabe  des  Kriegsheilwesens 
zu  seiu?  Oder  beschränkt  etwa  die  neuere  Kriegschirurgie  ihren  Anspruch  auf 
Leistungen  in  den  ersten  48  Stunden  der  Art,  dass  sie  die  Hindernisse  ihrer 
Wirksamkeit,  die  üeberbäufung  mit  dringlichen  Arbeiten,  die  Hast  und  die 
Ueberstürzung,  welche  sich  an  das  Schwanken  des  Kampfresultates  knüpfen, 
nicht  mehr  zu  fürchten  hat?  In  der  Antwort  auf  diese  Fragen  liegt  der  Schlüssel 
zur  rechten  Würdigung  der  wesentlichsten  practischen  Bedeutung  der  inter- 
nationalen Convention.  Jene  schwerste  aller  Aufgaben  des  Kriegsheilwesens 
ist  ohne  sie  durchaus  unlösbar  und  würde  ohne  sie  unlösbar  bleiben,  wenn 
auch  alle  Staaten  Organisationen  nach  dem  amerikanischen  Muster  bei  sich 
einführten. 

Die  n  Land  -Monitors  "  a  la  Neudörfer  werden  so  bald  nicht  fertig  sein, 
den  Krieg  unmöglich  zu  machen,  und  der  Anlauf,  welchen  man  seit  dem  Tage 
von  Königsgrätz  überall  nimmt,  die  preussische  Zündnadel  zu  überbieten,  stellt 
wenigstens  keine  Minderung  des  Hülfebedarfes  für  die  Schlachten  der  Zukunft 
in  Aussicht.  Letzteren  so  zu  decken,  wie  Humanität  und  Wissenschaft  im 
Bunde  heutigen  Tages  es  fordern  dürfen  und  müssen,  wird  niemals  der  ein- 
seitigen Anstrengung  der  Hülfskräfte  der  siegenden  Armee  gelingen.  Dieselbeu 
werden  vernünftiger  Weise  nur  nach  dem  höchsten  Satze  des  erfahrungsgeraäss 
möglichen  eigenen  Bedarfes  vorbemessen  und  bereit  gehalten,  müssen  sich 
also  um  so  weniger  zulänglich  herausstellen,  je  grösser  die  Hülfsquote  aus- 
fällt, welche  zugleich  von  den  Verwundeten  der  geschlagenen  Armee  in  An- 
spruch genommen  wird.  Mögen  beide  Parteien  in  der  Vervollkommnung  ihres 
Kriegsheilwesens  im  vollsten  Masse  ihre  Schuldigkeit  gethan  haben  —  das 
Problem,  in  und  nach  grossen  Schlachten  den  berechtigten  Ansprüchen  der 
Kampfesopfer  auf  Hülfe  zu  genügen,  ist  nur  dadurch  zu  lösen,  dass  die  Hülfs- 
anstalten  beider  Parteien  nicht  blos  während  des  Kampfes  hüben  und  drübeu 
im  Retten  und  Helfen  wetteifern,  sondern  auch  nach  demselben,  unbeküm- 
mert um  den  Ausgang  des  Kampfes,  nebeneinander  ihre  Anstrengungen 
fortsetzen,  bis  der  erste  Bedarf  an  Hülfe  wirklich  gedeckt  ist. 

Die  geschlagene  Armee  kann  beim  Rückzüge  ihre  Hülfsanstalten  nicht 
zurück  und  in  Wirksamkeit  lassen  ohne  die  Bürgschaft,  dass  sie  dieselben  da- 
durch nur  auf  kurze  Zeit  verliere.  Die  Convention  stellt  diese  Bürgschaft, 
indem  sie  jene  Anstalten  als  neutrale  bezeichnet  und  den  Sieger  verpflichtet, 
sie  dem  Besiegten  zurückzugeben.  Unausführbar  kann  das  nur  erscheinen,  wo 
und  so  lauge  die  ebenso  unpractische  als  barbarische  Auffassung,  dass  es  dem 


XIII 


In  meinem  ursprünglichen  Plane  lag  es  denn  auch,  bei  der 
Publikation  des  Generalberichtes  den  Mittheilungen  über  „die 
Verluste  der  preussischen  Feldarmee  durch  Verwun- 
dung und  Krankheit,  Gesundheitszustand  und  Gesund- 
heitspflege im  Allgemeinen",  welche  das  im  Mai  1866  aus- 
gegebene erste  Heft  als  „Erster  Abschnitt"  gebracht  hat,  die 
Erfahrungen  über  die  Organisation  des  Gesundheits- 
dienstes und  namentlich  des  Feldlazar eth wesens  unmit- 
telbar folgen  zu  lassen.  Während  des  Druckes  habe  ich  letztere 
zurückgelegt,  weil  der  damals  beginnende  neue  Feldzug  neue  und 
gerade  in  der  Beziehung  massgebendere  Erfahrungen  in  Aussicht 
stellte.  Der  Feldzug  1864  hatte  nicht  den  Character  des  grossen 
Bewegungskrieges;  in  seinem  Bilde  fehlte  die  plötzlich  ge- 
schlagene grosse  Feldschlacht.  Die  Probe  auf  Zulänglich- 
keit und  Zweckmässigkeit  der  Organisation  des  Gesundheitsdienstes 
ist  nicht  vollwichtig  ohne  eine  solche. 

Der  jüngste  Feldzug  hat  die  nöthige  Ergänzung  geliefert. 
Deshalb  verzichte  ich  jetzt  auf  die  Veröffentlichung 
jenes  Theiles  des  Generalberichtes.  Der  reichlichste  Er- 
satz dafür  steht  in  Aussicht  —  Dank  der  erhabenen,  die  Sammlung 
der  bezüglichen  Erfahrungen  von  1866  sichernden  Initiative  Ihrer 
Majestät  der  Königin  Augusta. 

Auch  die  auf  Grund  der  Erfahrungen  von  1864  eingeleitete 
Reform  des  Feldheilwesens  ist,  nachdem  sie  schon  für  den  Feld- 


Kriegszwecke  —  möglichste  Schädigung  des  Feindes  —  zuwiderlaufe,  Vertieter 
findet. 

Dies  ist  der  Kern  der  Genfer  Convention.  Bei  seiner  unzweifelhaft  prac- 
tischen  Bedeutung  kommt  es  gar  nicht  darauf  au,  ob  die  Fassung  eines  oder 
des  anderen  Artikels  eine  Bemäugelung  zulässt.  Wenn  Herr  v.  Haurowitz 
sich  die  Mühe  macht,  die  Congress-Protocolle  durchzusehen,  so  wird  er  finden, 
dass  die  von  ihm  gegen  einzelne  Artikel  erhobenen  Bedenken  nichts  weniger 
als  neu  sind,  dass  man  sich  über  dieselben  hinwegsetzte,  um  nicht  durch  das 
Scheitern  der  Verhandlungen  den  wichtigsten  und  gesicherten  Gewinn  preis- 
zugeben, und  dass  einer  der  Artikel,  welche  Herr  v.  H.  nicht  angeführt  hat, 
den  uöthigen  und  genügenden  practischen  Regulator  enthält. 

„Doctrinär"  ist  nicht  die  Covention,  sondern  die  ihr  gewordene  Kritik, 
und  eine  „Illusion*  bleibt  jene  nur,  so  weit  grossstaatlicher  Seits  mit  dem 
Beitritte  gezögert  wird. 


XIV 


zug  von  18GG  einzelne  nützliche  Früchte  getragen  hat,  aber  durch 
letzteren  selbst  unterbrochen  wurde,  Seitens  des  Königlichen  Kriegs- 
Ministeriums  von  neuem  in  Angriff  genommen,  und  die  Art,  wie 
es  geschieht,  bürgt  dafür,  dass  das  Resultat  dem  Ernste  des  Wol- 
lens entsprechen  werde. 

Somit  wird  die  feldärztliche  und  namentlich  die 
kriegschirurgische  Praxis  nebst  ihren  Ergebnissen  den 
hauptsächlichsten  Inhalt  des  Generalberichtes  liefern.  Was  er  werth 
und  wie  viel  davon  für  die  künftige  Kriegspraxis  nutzbar  ist,  hat 
die  internationalste  und  im  Kriege  wie  im  Frieden  für  die  tech- 
nische Executive  massgebendste  Instanz  —  die  W issenschaft  — 
zu  prüfen.  Allerdings  liegt  eine  gewisse  Bürgschaft  in  dem  Um- 
stände, dass  der  Gesundheitsdienst  im  Feldzuge  von  18G4  preus- 
sischer  Seits  ausschliesslich  von  Jüngern  und  Vertretern  der  Wis- 
senschaft getragen  wurde,  und  dass  Männer,  wie  Grimm,  v.  Lan- 
genbeck,  Esmarch,  Middeldorpf  auch  auf  dem  Kriegsschau- 
platze persönlich  mit  Rath  und  That  geholfen  haben.  Allein  es 
ist  nicht  leicht,  das  in  einem  Feldzuge  chaotisch  sich  häufende 
Beobachtungsmaterial  so  zu  ordnen  und  zu  sichten,  dass  die  frucht- 
fähigen Erfahrungskerne  zu  Tage  treten.  Eine  möglichst  sichere 
statistische  Basis  ist  erstes  Erforderniss. 

Die  Leitung  des  Dienstes  während  der  activen  Periode  des 
Feldzuges  war  in  der  Hand  des  Hrn.  General- Arztes  Dr.  Berger 
—  die  beste  Garantie  der  möglichsten  Vollständigkeit  und  Correct- 
heit  des  Rapport-,  Listen-  und  Berichtswesens,  dessen  Bedeutung 
für  den  Augenblick  wie  für  die  Zukunft  so  oft  unterschätzt  wird. 
Die  statistische  Arbeit  wäre  deshalb  sehr  bald  zu  thun  gewesen, 
wenn  es  dabei  blos  ankäme  auf  eine  Combination  der  Zahlen  in 
den  Rapports  und  Berichten  der  einzelnen  Stationen,  auf  welche 
während  eines  Feldzuges  die  Beobachtung  sich  zerstreut.  Allein 
wie  wenig  das  Facit  eines  solchen  Rechenexempels  Anspruch  hat, 
als  Quelle  von  Directiven  für  die  künftige  Praxis  zu  gelten,  ist 
leicht  einzusehen. 

Die  Zersplitterung  der  Beobachtungen  beschränkt  sich  nicht 
auf  die  Individuen ;  selbst  für  den  Einzelfall  vertheilen  sich  die 
verschiedenen  Stadien  des  Wund-  resp.  Krankheitsverlaufes  bis  zum 


XV 


definitiven  Resultate  auf  so  viel  Beobachtungsstationen,  als  der 
Kranke  Pflegeorte  passirt,  und  die  Resultate  der  Beobachtung  liegen 
grossen  Theils  der  Zeit  wie  dem  Orte  nach  so  weit  auseinander, 
dass  es  häufig  schwer,  bisweilen  unmöglich  ist,  den  Zusammenhang 
herzustellen.  Die  Kriegsklinik  unterscheidet  sich  hierdurch  sehr 
wesentlich  von  der  Friedensklinik;  zugleich  liegt  darin  das  gros- 
seste Hinderniss  für  den  einzelnen  Arzt,  während  eines  Feldzuges 
ganze  Beobachtungen  zu  machen,  wie  die  Statistik  sie  behufs  wis- 
senschaftlicher Verwerthung  braucht. 

Um  zu  solchen  zu  gelangen,  muss  nach  dem  Feldzuge  eine 
Art  Quellenstudium  für  die  Geschichte  jedes  Einzel- 
falles dem  Gruppiren,  Zählen  und  Vergleichen  vorausgehen. 

Chenu  hat  sich  durch  den  Versuch,  den  französischen  An- 
theil  am  Krimmkriege  auf  diesem  Wege  auszubeuten,  um  die  kriegs- 
chirurgische Statistik  verdient  gemacht.  Die  Vorrede  seines  Be- 
richtes (Rapport  .  .  .  sur  les  resultats  du  Service  medico- chirur- 
gical  aux  Ambulances  de  Crimee  et  aux  hopitaux  militaires  francais 
en  Turquie  pendant  la  campagne  d'Orient  en  1854 — 1856.  Paris 
1865)  giebt  eine  Darstellung  der  Methode  der  Vorarbeit  und  den 
Nachweis,  wie  viel  Zeit  und  Arbeitskraft  nöthig  war,  um  sie  zu 
bewältigen.  Nach  derselben  Methode  hatte  ich  die  nämliche  Vor- 
arbeit begonnen  für  den  preussischen  Antheil  an  dem  Feld- 
zuge von  1864  und  zwar  zunächst  für  die  unserer  Seits  gepfleg- 
ten 3243  Verwundeten  (Preussen  und  Dänen),  —  als  Chenu's 
Werk  mir  zuging.  Das  Studium  desselben  wirkte  nichts  weniger 
als  ermuthigend,  —  so  gross  ist  die  Zahl  der  Nieten,  „blessures 
indeterminees",  welche  bei  jener  langen  und  mühevollen  Ar- 
beit herausgekommen  sind.  Wenn,  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen, 
unter  1666  „Amputationen  des  Oberschenkels"  (mit  1531  Todes- 
fällen) sich  1307  (mit  1302  Todesfallen)  finden,  bei  denen  das 
Motiv  der  Operation  —  »genre  de  blessures"  —  nicht  zu  ermit- 
teln ist,  so  verliert  natürlich  der  an  sich  hinreichend  grosse,  aber 
verhältnissmässig  sehr  kleine  Rest  von  359  Fällen,  für  welche  das 
Motiv  bekannt  ist,  fast  jede  statistische  Verwerthbarkeit  für  Fra- 
gen, wie  sie  von  der  Wissenschaft  im  Interesse  der  Praxis  gestellt 
werden  müssen. 


XVI 


Je  grösser  der  Krieg,  um  welchen  es  sich  handelt,  desto  grosser 
die  Schwierigkeiten,  denen  die  inedicinische  Statistik  begegnet, 
wofern  sie  über  die  allgemeinsten  Gesichtspunkte  hinauszugehen 
wagt.  Auch  der  Krieg  von  1866  wird,  fürchte  ich,  dies  einst  be- 
stätigen. Die  Entwickelung  des  Kriegsheilwesens  wird  noch  einige 
Stadien  durchlaufen  müssen,  bis  auch  der  grosse  Krieg  für  die 
W  issenschaft  mehr  Bausteine  als  Bauschutt  liefert. 

Hieraus  erklärt  sich,  warum  die  kriegschirurgische  Statistik 
bislang  so  wenig  die  Praxis  beeinflusst,  obwohl  es  auf  der  Hand 
liegt,  dass  letztere  nirgends  weniger  als  im  Felde  der  Normen  ent- 
behren kann,  wenn  sie  nicht  zu  einem  wirren  und  sehr  bedenk- 
lichen experimentalen  Durcheinander  ausarten  soll.  Der  Lazareth- 
Arzt  kann  nicht  conserviren,  was  auf  dem  Verbandplätze  geopfert 
ist,  er  kann  nur  selten  die  Lebensgefahr  abwenden,  nachdem  sie 
durch  Versäumniss  des  rechtzeitigen  Opfers  drohend  geworden  ist. 
Die  Kriegschirurgie  befindet  sich  gegenwärtig  in  einem  bedeut- 
samen Uebergangsstadium.  Die  Grenzen  zwischen  Conserviren  und 
Opfern  der  Glieder,  die  Ziele,  Erfordernisse  und  Methoden  des 
Conservirens  sind  noch  lange  nicht  fixirt.  Die  eingehende  statis- 
tische Verwerthung  des  Beobachtungsmaterials  ist  um  so  nothwen- 
diger,  je  mehr  das  Absprechen  über  Fragen  der  Art  auf  Grund 
einzelner  und  provisorischer  Beobachtungsergebnisse  —  eine  Art 
Einancipation  vom  statistischen  Beweise  —  zur  verführerischen 
Mode  wird. 

Der  Feldzung  von  1864,  in  seinen  Dimensionen  beschränkter 
und  unter  ausnahmsweise  günstigen  Verhältnissen  geführt,  hat  zwar 
trotz  der  sorgsamsten  und  weit  über  seine  Dauer  hinaus  fortge- 
setzten Vorarbeit  nicht  eine  Casuislik  geliefert,  welche  den  an  die 
Producte  der  Friedensklinik  heute  zu  stellenden  Ansprüchen  ge- 
nügt; aber  die  Zahl  der  völligen  Nieten  ist  erfreulich  klein  ge- 
blieben, und  es  giebt  kaum  eine  wesentliche  Frage  der  neueren 
Kriegschirurgie,  deren  Lösung  durch  das  gewonnene  Erfahrungs- 
material  nicht  gefördert  würde.  Durch  die  Grösse  der  Zahlen 
wird  unsere  Statistik  nicht  imponiren  und  entscheiden;  aber  sie 
spiegelt  die  Resultate  für  den  oben  bezeichneten  Beobachtungskreis 
ungewöhnlich  vollständig  und  durchaus  voraussetzungslos.  Deshalb 


XVII 


glaube  ich,  dass  die  künftige  Praxis  manche  verlässliche  Directive, 
die  künftige  Forschung  manchen  Fingerzeig  zur  bestimmteren  und 
richtigeren  Formulirung  ihrer  Fragen  darin  finden  wird. 

Was  die  Form  der  Mittheilung  betrifft,  so  bin  ich  auf  den 
Vorwurf  gefasst,  der  Casuistik  zu  viel  Raum  gegeben  zu  haben. 
Eine  Statistik  aber,  welche,  ohne  über  Zahlenmassen  zu  gebieten, 
auf  Detailfragen  eingeht,  muss  nach  meiner  Ansicht  durch  Vor- 
lage des  Beobachtungsdetails  den  Leser  in  den  Stand  setzen,  sel- 
ber zu  bemessen,  ob  und  in  wie  weit  die  Zahl  wirklich  be- 
weist, was  der  Zählende  gefolgert  hat.  Zudem  schien  es 
mir  Pflicht,  den  Herren  Collegen,  welche  in  ihren  Specialberichten 
bei  so  vielen  Verwundeten,  welche  sie  eine  Zeit  lang  gepflegt  hat- 
ten, den  Mangel  an  Kenntniss  des  weiteren  Verlaufes  und  defini- 
tiven Resultates  bedauerten,  zur  Ergänzung  ihrer  persönlichen  Be- 
obachtung möglichst  Gelegenheit  zu  bieten.  Denjenigen  Collegen 
aber,  welche  überhaupt  nicht  in  der  Lage  waren,  den  Wundver- 
lauf in  den  Lazarethen  zu  verfolgen,  wird,  hoffe  ich,  gerade  die 
Casuistik  einen  nicht  unwillkommenen  Ersatz  und  für  eine  even- 
tuelle Thätigkeit  im  Lazareth  erwünschte  Muster  oder  Warnungen 
bieten. 

Noch  habe  ich  eine  Pflicht  der  Dankbarkeit  zu  erfüllen.  Die 
Arbeit  an  dem  Berichte  ist  mir  wesentlich  erleichtert  worden  durch 
das  freundliche  Entgegenkommen  der  Herren  Collegen,  welche  ich 
noch  lange  nach  dem  Feldzuge  mit  Anfragen  und  Bitten  um  nach- 
trägliche Untersuchungen  zu  behelligen  genöthigt  war.  Ihrer  sind 
so  viele,  dass  ich  mir  vorbehalten  muss,  die  Namen  an  den  bezüg- 
lichen Stellen  des  Berichtes  selbst  zu  nennen.  Herrn  Assistenz- 
arzt Dr.  Schmiedt  schulde  ich  besonderen  Dank  für  die  bei  der 
Sammlung  und  Sichtung  des  Materials  mir  gewährte  ausdauernde 
Hülfe  und  Herrn  Ober-Stabsarzt  Dr.  Otto  für  die  Bereitwillig- 
keit, mit  welcher  er  mich  durch  sein  schönes  Talent  im  Zeichnen 
unterstützt  hat. 

Berlin,  den  16.  März  1867. 


Erster  Abschnitt. 


Die  Verluste  der  preussischen  Feldarmee  durch  Verwun- 
dung und  Krankheit,  Gesundheitszustand  und  Gesundheits- 
pflege im  Allgemeinen. 


Die  verbündete  Armee  unter  dem  Oberbefehle  des  preussischen 
General  -  Feldmarschalls  v.  W  ran  gel,  welche  am  1.  Februar  1864 
die  Eider  überschritt,  zählte  c.  60,000  Köpfe.  Ein  Drittheil  davon 
war  von  Oesterreich  gestellt,  die  beiden  anderen  von  Preussen. 
Die  Stärke  des  österreichischen  Corps  ist  im  Laufe  des  Feldzuges 
nicht  wesentlich  verändert  worden.  Dagegen  stieg  die  Kopfstärke 
der  preussischen  Feldarmee  in  der  Actions -Periode  —  die 
ersten  5  Monate  —  allmählig  bis  auf  c.  63,500  (Anfangs  Juli). 
Später,  als  die  Friedensverhandlungen  schwebten,  erfolgte  eine 
Verminderung  theils  durch  Zurückziehen  einzelner  Truppenkörper, 
theils  durch  Entlassung  der  älteren  Reserve -Klassen.  Da  aber  die 
inzwischen  bei  den  heimischen  Ersatztruppen  ausgebildeten  Rekruten 
nunmehr  den  Feldtruppen  überwiesen  wurden,  so  behielten  diese 
bis  zum  Friedensschlüsse  (30.  October  1864)  die  Stärke  von  c. 
46,000  Köpfen. 

Die  preussische  Feldarmee  hat  verloren: 

1.  in  Folge  von  Verwundung  durch  Kriegswaffen 

(mit  Einschluss  der  Gefallenen)      ....     738  Mann, 

2.  in  Folge  anderer  Beschädigungen  (Unglücks- 


fälle) und  Krankheit  (280) 


310  „ 


Loeffler,  Geueralbericht. 


Summa 


1048  Mann. 
1 


2 

Dies  ist  ein  Verlust  von  1,6  pCt.  ihrer  höchsten  Kopfstärke. 
Er  hat  genug  Herzen  schmerzlich  berührt;  aber  er  ist  unverhält- 
nissmässig,  ja  über  alles  Erwarten  gering  gegenüber  der  militäri- 
schen Leistung  und  den  durch  diese  erzielten  Erfolgen. 

Wir  haben  dieses  in  der  Kriegsgeschichte  vielleicht  einzig  da- 
stehende Ergebniss  dem  Zusammentreffen  verschiedener  Momente  zu 
danken.  Dahin  gehört  ohne  Zweifel  in  erster  Linie  das  Kriegsglück, 
welches  unsere  Fahnen  begleitete,  und  die  gesicherte  Verbindung 
mit  dem  nahen  Kriegsschauplatze  in  einem  reichen  Lande,  welches 
unsere  Truppen  als  Befreier  willkommen  hiess;  demnächst  aber  die 
trotz  aller  Kühnheit  auf  möglichste  Beschränkung  der  Menschenopfer 
bedachte  Führung  der  Truppen.  Wir  verdanken  es  ferner  der 
Vollkommenheit  der  Waffen,  mit  denen  die  preussische  Armee 
vorsorglich  ausgerüstet  war,  und  deren  überraschende  Wirkung  die 
Haltung  des  Feindes  erschütterte;  einem  Verpflegungswesen, 
welches  ebenso  einsichtig  angelegt  und  geleitet,  wie  umsichtig  und 
sorgsam  durchgeführt  wurde;  der  neuen  Organisation  des 
Feldlazarethwesens,  welche,  mit  mancher  als  zweckwidrig  er- 
kannten Ueberlieferung  brechend,  nur  die  möglichst  vollkommene 
Erfüllung  der  Mission  des  Gesundheitsdienstes  ins  Auge  fasste,  so- 
wie der  Intelligenz  und  Hingebung,  mit  welcher  alle  Elemente  des 
letzteren  wetteiferten,  ihre  Aufgabe  zu  lösen.  Wir  danken  es  end- 
lich der  freiwilligen  Privathülfe,  welche  in  mannigfaltigen 
und  verschiedengradig  practischen  Formen  ihren  Beistand  erbot  und 
als  Ausfluss  der  Vaterlands-  und  Menschen -Liebe  amtlicher  Seits 
in  keiner  Form  verschmäht  wurde. 

Die  folgende  Tabelle  giebt  zunächst  eine  numerische  Ueber- 
sicht  der 


3 


Verwundungen  durch  Kriegswaffen  und  Todesfälle 
in  Folge  derselben 


nach  Gefechten  resp.  Gefechtsperioden  und  Chargen. 

Tabelle  I. 


Gefechts- 

Verwu 

ndet  sind 

D  a  v 
gefallen  *) 

O  D 

später  ge- 
storben. 

Summe 

der 

Todten. 

Zeit. 

Ort. 

1 
o 

s 

g 

[Offic. 

Mann. 

loffio. 

Mann. 

2 

i; 

2.  Februar,  Missunde  .... 

11 

206 

217 

3 

35 

38 

1 

20 

21 

1 

r,5 

59 

3.-5  Fbr. 

Vor  dem  Danne- 

7 

n 
i 

15.  März 

Fehmarn  

— 

3 

3 

— 

1 

1 

— 

1 

1 

10.  Febr. 

Recognoscirung, 

bis 

Cemirung  und 

i  < .  j\ pni 

Belagerung  der 

Düppel-Stellung 

44') 

579 

623 

6 

83 

89 

3 

72 

75 

9 

155 

164 

18.  April 

Erstürmung  der 
Düppel  -  Schan- 

702) 
5 

1087 

1157 

8 

209 

217 

K> 

161 

171 

18 

370 

388 

8.-21. März 

Vor  Friedericia  . 

37 

42 

1 

5 

6 

4 

4 

1 

9 

10 

29.  Juni 

Q1 
Ol 

323 

354 

4 

66 

703) 

1 

33 

34 

5 

99 

104 

18.Fbr.bis 

Reitergefechte  in 

22.  April 

Jütland  

2 

20 

22 

1 

1 

1 

1 

2 

2 

Vereinzelt  auf 
Vorposten, 

Strandwache  etc. 

13 

8 

8 

8 

3.  Juli 

Lundby  und  Sön- 

der-Tranders  .  . 

5 

5 

1 

1 

1 

1 

2 

2 

Summa  .  .  . 

163 

2289 

2443 

22  400 

•  1  • 

422 

15  .501316 

37 

Toi 

738 

*)  Die  auf  dem  Transporte  vom  Schlachtfelde  in  das  Lazareth  Gestorbenen 
sind  einbegriffen. 

')  Darunter  2  Aerzte. 

2)  „        1  Feldapotheker  und  1  Geistlicher. 

3)  Ausserdem  5  beim  Sinken  dls  durch  eiue  Granate  getroffenen  Bootes 
ertrunken. 

1* 


4 


Schon  während  des  Feldzuges  sind  namentliche  Verlust- 
listen im  Militär- Wochenblatte  veröffentlicht  worden.  Damals  war 
das  Loos  mancher  Verwundeten  und  „Vermissten"  noch  ungewiss. 
Die  Zahlen  der  Tabelle  sind  ein  Ergebniss  der  statistischen  Vorar- 
beit, von  welcher  ich  in  der  Einleitung  Rechenschaft  gebe.  Sie 
sind  so  correct  wie  möglich.  Sie  beziehen  sich  ausschliesslich  auf 
durch  Kriegswaffen  Verletzte.  Andere  Beschädigungen,  z.  B. 
Quetschungen,  Knochenbrüche  etc.  durch  Fallen  über  Terrainhinder- 
nisse, wie  sie  auch  im  Gefechtsverhältnisse  nicht  selten  vorkommen, 
sind  nicht  hier,  sondern  in  der  nächsten  Tabelle  berechnet. 

Die  Rubrik  „Später  gestorben"  ist  im  weitesten  Sinne  zu 
nehmen.  Sie  schliesst  nicht  ab  mit  dem  Ende  des  Feldzuges 
(30.  October  1864),  sondern  umfasst  auch  die  Todesfälle,  welche 
später  (in  den  Frieden slazarethen)  erfolgt  sind.  Ende  März  1866 
befanden  sich  noch  4  Schwerverwundete  vom  Feldzuge  her  in  dem 
Cantonnements-Lazareth  unsrer  Besatzungstruppen  zu  Flensburg.  Sie 
sind  ausser  Gefahr  und  der  Heilung  nahe. 


Angriffe  befestigter  feindlicher  Stellungen  (Missunde,  Dannewerk, 
Friedericia,  Düppel)  und  Uebergänge  über  grössere  Flüsse  und 
Meeresarme  (Schlei,  Fehmarnsund,  Alsensund,  Lymfjord)  bilden  .die 
hervorstechendsten  Züge  im  Bilde  der  Action  des  Feldzuges  von  1864. 
Gelingend  wie  misslingend  pflegen  solche  Unternehmungen  dem  An- 
greifer die  grösseren  Opfer  abzufordern;  1864  war  es  umgekehrt. 

Durch  Verwundung  sind  von  der  preussischen  Feldarmee  nur 
3,8  pCt.  ihrer  höchsten  Kopfstärke  ausser  Kampf  gesetzt.  Das 
Opfer  an  Menschenleben  (Summe  aller  Todesfälle  nach  Verwundung) 
beträgt  nur  1,2  pCt. 

Sehr  bemerkenswerth  ist  das  aus  der  Tabelle  sich  ergebende 
Maass,  in  welchem  die  Officiere  an  den  Verwundungen  betheiligt 
sind.  Ihr  Zahl verhältniss  zur  Mannschaft  war  in  der  Feldarmee  un- 
gefähr wie  1  :  50.  Es  stellt  sich  aber  heraus  bei  den  „Gefallenen" 
wie  1:18,  bei  den  Verwundeten  überhaupt  wie  1  :  15,  für  den  Tag 
von  Alsen  wie  1  :  LO  bis  11,  für  die  Gefechte  vor  Friedericia  sogar 
wie  1  :  8  bis  9,  ein  Beweis  des  glänzenden  Vorbildes  in  Tapferkeit 
und  Hingebung,  welches  dem  preussischen' Soldaten  von  seinen  Offi- 
cieren  gegeben  ist.  Man  hat  versucht,  ihn  abzuschwächen  durch 
die  Annahme,  die  leichteren  Verletzungen  seien  bei  den  Ofticieren 
vollständiger  notirt  als  bei  der  Mannschaft.  Allein  diese  Annahme 
ist  unrichtig.    Wohl  aber  hat  eine  besondere  Gunst  des  Schicksals 


5 


es  gefügt,  dass,  abgesehen  von  den  Gefallenen,  die  Zahl  der  leich- 
teren Verletzungen  bei  den  (Meieren  verhältnissmässig  grösser  war, 
als  bei  der  Mannschaft.  Dieser  Umstand,  auf  welchen  ich  bei  der  Be- 
sprechung der  Verwundungsformen  zurückkommen  werde,  erklärt  die 
Sterblichkeits-Differenz.  Sie  beträgt  fast  5  pCt.  zu  Gunsten  der  (Meiere. 

Wunderbar  gnädig  hat  die  Vorsehung  das  Personal  der  Ge- 
sundheitspflege im  Kampfe  geschirmt.  Nur  2Aerzte,  1  Feld- 
apotheker, 2  Lazarethgehülf en  und  4  Krankenträger  sind 
verwundet  worden.*)  Dieses  Personal  ist  nicht  berufen,  mit  erho- 
bener Waffe  auf  den  Feind  zu  stürzen;  um  so  grössere  Selbst- 
verleugnung und  um  so  festeren  Muth  erheischt  seine  Aufgabe,  mit 
den  Kämpfern  im  Feuer  auszuharren  und  Hülfe  und  Trost  zu  spen- 
den Allen,  welche  deren  bedürftig  werden.  Ich  habe  nicht  nöthig, 
die  Hingebung  zu  rühmen,  mit  welcher  diese  Aufgabe  im  offenen 
Gefecht  wie  in  den  Trancheen,  beim  Sturmlaufe  wie  in  den  mit 
Kartätschen  begrüssten  Booten  auf  dem  Alsensunde  gelöst  worden 
ist.    Die  Belobigungen  des  Königlichen  Kriegsherrn,  die  Auszeich- 


*)  Namentliches  Verzeichniss  nach  Gefechten  geordnet: 

2.  Februar.    Miss un de: 
Krankenträger  Gustav  Fischer  von  der  Krankentr.-Comp.  3.  Armee-Corps. 
Schuss  durch  die  Weichtheile  des  rechten  Unterarmes.  Geheilt. 

17.  März.  Düppel: 

Feld-Assistenzarzt  Dr.  Glaeslein  vom  Füsilier-Bat.  24.  Inf.-Reg.  Streif- 
schuss  am  rechten  Knie.  Geheilt. 

28.  März.  Düppel: 

Krankenträger  Gustav  Grimmert  von  der  Krankentr.  -  Comp.  3.  Armee- 
Corps.    Schuss  in  den  Unterleib.  Todt. 
4.  April: 

Assistenzarzt  Dr.  Robert  von  der  2.  12 pfundigen  Batterie  der  3.  Art.* 
Brig.    Granatsplitter- Wunden  der  Kopfhaut.  Geheilt. 

18.  April.  Schanzensturm: 

Feldapotheker  Schuster  von  der  fahrenden  Abtheilung  des  leichten  Feld- 
lazarette der  Cavallerie-Division  3.  Arm.-Crps.  Granatsplitter-Contusion.  Geheilt. 

Lazarethgehülfe  Küppers  vom  1.  Bat,  4.  Garde  -  Grenadier  -  Reg.  Königin 
Augusta.    Granatsplitter-Contusion  am  Fuss.  Geheilt. 

Krankenträger  Flügge  von  der  Krankentr.-Comp.  3.  Armee-Corps.  Streif- 
schuss  am  rechten  Oberschenkel.  Geheilt 

Hülfs-Krankenträger  Grenadier  Herden  vom  3.  Garde- Gren.- Reg.  Königin 
Elisabeth.  Abreissung  des  linken  Unterarmes  durch  Granatschuss.  Amputirt. 
Starb  am  13.  Mai  im  Feldlazareth  zu  Broacker  an  Pyämie. 

29.  Juni.  Alsen: 

Lazarethgehülfe  Mewes  vom  3.  Jäger-Bataillon.  Schwere  Schussverletzung 
der  linken  Schulter.  Invalide. 


0 


nangen,  weiche  den  Aerzten  und  Lazareth gehülfen  der  Truppen,  der 
Krankenträger- Sectionen,  der  leichten  Feldlazarethe  zu  Theil  ge- 
worden sind,  zeugen  davon  hinreichend.*) 


*)  Für  den  Arzt  liegt  in  diesem  Zeugnisse  eine  ganz  besondere  Bedeutung. 
Obwohl  durch  ihren  bestimmten  militärischen  Rang  disciplinarisch  in  den  mili- 
tärischen Organismus  eingefugt  und  dadurch  von  allen  übrigen  Militär-Beamten 
unterschieden,  zählen  die  Militär- Aerzte  reglementarisch  nicht  zu  den  „Com- 
battanten",  während  ihre  technischen  Untergebenen  wie  andere  Militär- Cate- 
Lroricn.  deren  specieller  Beruf  gleichfalls  nicht  im  Waffengebrauche  besteht,  den 
Fahneneid  leisten  und  desshalb  zu  den  Combattanten  gerechnet  werden.  Die 
preussischen  Feldärzte  waren  hiernach  bisher  —  mit  einer  im  badenschen  Feld- 
zuge von  1849  vorgekommenen  Ausnahme  —  nicht  betheiligt  an  den  für  die 
Combattanten  bestimmten  Formen  der  Kriegs -Erinnerungszeichen  und  Decora- 
tionen. Auch  für  den  Feldzug  von  1864  ist  ihnen  Kriegsdenkmünze  und  Kriegs- 
band der  Nichtcombattanten  verliehen.  Aber  durch  die  Gnade  Sr.  Majestät  des 
Königs  haben  53  preussische  Feldärzte  verschiedener  Grade  zu  ihren  Orden  die 
„Schwerter"  erhalten,  und  3  andere,  welche  wegen  zu  kurzer  Dienstzeit 
noch  nicht  Offkiers  -  Rang  hatten,  obwohl  sie  promovirte  practische  Aerzte 
waren,  sind  durch  die  Allerhöchste  Verleihung  des  Militär-Ehrenzeichens  1.  resp. 
II.  Klasse  ausgezeichnet  worden. 

Gerade  die  grosse  Zahl  der  Auszeichnungen  dieser  Art  hat  einen  schönen 
Sinn.  In  ihr  prägt  sich  die  Allgemeinheit  des  Eindruckes  aus,  welchen  das 
persönliche  Verhalten  der  Aerzte  im  Gefecht  auf  die  militärischen  Führer 
-«macht  hat.  Denn  die  Initiative  des  Vorschlages  zu  diesen  Decorationen  ist 
reglementarisch  ausschliesslich  eine  militärische. 

Gleichwohl  liegt  in  diesem  Umstände  etwas  Bedenkliches.  Es  kann  vor- 
kommen, dass  der  Arzt  während  des  Gefechtes  gerade  in  dem  Momente,  wo 
die  eigene  Truppe  seiner  bedarf,  nicht  zur  Stelle  ist,  weil  sein  Beistand  von 
den  Verwundeten  einer  anderen  Truppe  in  Anspruch  genommen  wurde.  Ein- 
mal abgekommen,  erreicht  er  die  eigene  Truppe  vielleicht  erst  wieder,  wenn 
das  Gefecht  zu  Ende  ist.  Trotz  der  aufopfernden  Thätigkeit,  welche  er  in- 
zwischen entwickelt,  trotz  des  Muthes,  mit  welchem  er  dabei  die  Gefahr  ver- 
achtet  hat,  droht  ihm  der  Verdacht  des  Gegentheils;  jeden  Falles  hat  sein 
Commandeur  nicht  Anlas*,  ihn  zu  einer  Auszeichnung  vorzuschlagen,  weil  er 
sein  Wirken  nicht  sah. 

Soll  etwa  oder  darf  der  Arzt,  um  jenen  zu  vermeiden  oder  diesen  zu  er- 
langen,  den  nach  Beistand  schmachtenden  Verwundeten  vorüber  eilen,  wenn 
ei6ene  TruPPe  /lim  Gefechte  vorrückt?  Vom  militärischen  Standpunkte 
erschein!  dies  nicht  nnrichtig,  und  der  eigene  Commandeur  wird  es  kaum 
tadeln,  wenn  <h-r  Ar/t  in  flehen  Momenten  bei  der  Truppe  bleibt.  Aber  ein 
anderer  finde!  es  rieUeicht  inhuman  und  tadelnswerth,  und  wenn  dieser  zufällig 
der  höhere  Vorgesetzte  ist,  so  läuft  der  Arzt  Gefahr,  für  die  vermeintliche  Er- 
füllung Beiner  militärischen  Pflicht  sogar  einen  Vorwurf  zu  erhalten. 

Diese  Reflexion  beruht  nicht  etwa  auf  willkürlichen  Annahmen.  Ich  zeichne 
dir  Situation,  wie  sie  Bich  im  Felde  thatsächlich  gestaltet  hat.  Handelte  es 
Bich  dabei  bloss  um  eine  Frage  persünlicheu  Vortheiles  oder  Nachtheiles  für 


7 


Das  oben  berechnete  Verlustverhältniss  gilt  für  die  Armee  im 
Ganzen.  Die  einzelnen  Truppentheile  waren  natürlich  nicht  gleich- 
massig  an  den  Actionen  betheiligt.  Somit  war  auch  ihr  Verlust  ver- 
schieden.   Einige  sind  gar  nicht  ins  Gefecht  gekommen. 

Werfen  wir  nunmehr  einen  vergleichenden  Blick  auf  die  Ver- 
luste des  Feindes.  Die  Angaben  dänischer  Seits  sind  freilich  aus 
verschiedenen  in  den  Umständen  liegenden  Ursachen  ungenau.  Neh- 
men wir  indess  die  Zahl  der  Leichen,  welche  diesseits  begraben 
wurden,  und  die  Zahl  der  verwundeten  Dänen,  welche  in  preussi- 
schen  Lazarethen  Aufnahme  und  Pflege  fanden,  zu  Hülfe,  so  lässt 
sich  wenigstens  für  einzelne  Gefechte  und  Kampfperioden  das  Ver- 
lust-Verhältniss  sicher  genug  ermitteln. 

So  für  den  18.  April.  Ich  sehe  dabei  ab  von  den  über  3000 
unverwundeten  Kriegsgefangenen,  welche  dieser  Tag  uns  überlieferte. 
Diesseits  des  Alsensundes  wurden  nach  dem  Sturme  ca.  400  gefal- 
lene Dänen  begraben.  Die  Zahl  der  am  18.  April  nach  Alsen  mit 
hinübergenommenen  und  am  19.  April  dahin  ausgelieferten  Leichen 
betrug  nach  dänischer  Angabe  100.  In  die  dänischen  Lazarethe 
sollen  an  dem  Tage  gegen  800  Verwundete  gelangt  sein.  Von  den 
1222  verwundeten  Dänen,  welche  während  des  Feldzuges  in  preussi- 
schen  Lazarethen  gepflegt  worden  sind,  stammen  638  vom  18.  April. 
Hiernach  beträgt  der  dänische  Verlust  an  Todten  und  Verwundeten 
ca.  1900,  d.  h.,  da  man  die  Kopfstärke  der  wirklich  ins  Gefecht 
gekommenen  dänischen  Truppen  höchstens  auf  12,000  veranschlagen 


den  Arzt,  so  würde  ich  es  dennoch  kaum  für  räthlich  gehalten  haben,  sie  zu 
erwähnen.  Allein  das  Interesse  der  Verwundeten  reclarairt  klare  Direction  für 
das  Verhalten  des  Arztes  in  solchen  Lagen. 

Unser  „Reglement  über  den  Dienst  der  Krankenpflege  im  Felde"  vom 
17.  April  1863  betrifft  ausschliesslich  den  Lazareth-Factor.  Für  den  Trupp en- 
Factor  des  Gesundheitsdienstes  im  Felde  und  namentlich  für  sein  Verhalten  im 
Gefechtsverhältniss  fehlt  es  an  einer  reglementarischen  Richtschnur.  Die  Er- 
fahrungen des  Feldzuges  lassen  keinen  Zweifel  darüber,  dass  in  dieser  Bezie- 
hung wie  in  Betreff  der  Ausrüstung  die  Reorganisation  des  Feldheilwesens, 
deren  eine  fertige  Hälfte  sich  so  segensreich  bewährt  hat,  der  Complettirung 
durch  die  andere  bedarf.  Die  späteren  Abschnitte  des  Berichtes  werden  Anlass 
geben,  näher  hierauf  einzugehen.  Das  österreichische  und  dänische  Re- 
glement über  den  Sanitätsdienst  im  Felde,  beide  gleichfalls  von  1863  datirend, 
lassen  in  dieser  Beziehung  nichts  zu  wünschen  übrig.  Sie  fassen  eben 
den  Sanitätsdienst  als  Ganzes  auf  und  regeln  daher  sowohl  den  Dienst  des 
Truppen  -  Factors  wie  den  des  Lazareth  -  Factors.  Die  nöthige  Ergänzung  des 
preussischen  Reglements  wird  sich  auf  Grund  der  Feldzugserfahrung  natürlich 
besser  gestalten  lassen,  als  es  vorher  möglich  gewesen  wäre. 


8 


kann,  ca.  16  pCt.  Preussischer  Seits  kamen  ca.  16,000  Mann  ernst- 
lich ins  Gefecht.  Davon  sind  gefallen  und  verwundet  1157,  also 
nur  7  pCt.  Der  Gesundheitsdienst  darf  sich  indess  bei  seinen  Vor- 
anschlägen mit  diesem  Maassstabe  nicht  begnügen.  Jede  ins  Feld 
rückende  Armee  muss  auf  den  Sieg  rechnen,  eben  desshalb  aber 
vorbereitet  sein,  auch  den  Verwundeten  des  Feindes,  welche  in  seine 
Hände  fallen,  Beistand  und  Pflege  zu  gewähren.  Gewöhnlich  ver- 
anschlagt man  für  ein  ernstes  Gefecht  die  Zahl  der  Hülfsbedürftigen 
auf  10  pCt.  der  eigenen  Kopfstärke.  Für  den  18.  April  traf  dies 
fast  genau  zu.  Wir  hätten  danach  1600  des  Beistandes  Bedürftige 
zu  erwarten  gehabt;  thatsächlich  musste  für  1578  Verwundete  (940 
Preussen:  638  Dänen)  unserer  Seits  gesorgt  werden. 

Am  Tage  von  Alsen  war  die  Differenz  des  Verlustes  noch 
bedeutender.  Er  betrug  preussischer  Seits  359  Gefallene  und  Ver- 
wundete, d.  h.  von  den  ca.  15,000  im  Gefecht  gewesenen  Mann 
2,3  pCt.  —  für  eine  militärische  Leistung  wie  die  des  29.  Juni  ein 
erstaunlich  kleines  Verlustverhältniss.  Dänischer  Seits  war  dasselbe, 
von  den  2500  unverwundeten  Gefangenen  abgesehen,  viermal  so 
gross.  Von  dem  preussischen  Verluste  kommen  allerdings  250  Mann 
bloss  auf  die  Brigade  Roeder  (4.  und  8.  brandenburgisches  Inf.- 
Reg.  No.  24.  und  64.  und  brandenburgisches  Jäger-Bataillon  No.  3.); 
sie  verlor  etwas  über  6  pCt.  ihrer  Kampfstärke. 

Die  preussische  Artillerie  erhielt  namentlich  durch  die  Belagerung 
der  Düppelstellung  Gelegenheit,  Geschütz  und  Bedienung  im  glän- 
zendsten Lichte  zu  zeigen.  Schon  vor  dem  Sturme  konnte  sie  an 
den  zerstörten  Brustwehren  der  Schanzen  und  an  den  Flammen- 
snulen,  welche  dahinten  von  der  Düppelmühle,  den  Blockhäusern 
und  Baracken  und  von  Sonderburg  aufstiegen,  ihre  Wirkung  be- 
messen. Der  directon  Wahrnehmung  entzogen  blieb  die  Verheerung, 
welche  sie  in  den  Gliedern  der  feindlichen  Besatzungs-  und  Be- 
deckungs- Truppen  anrichtete.  Sie  ist  furchtbar  genug  gewesen  und 
hat  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  den  Gegner  moralisch  zu  lähmen. 
Die  Zahl  dor  Getödteten  ist  nicht  bekannt.  Aber  aus  dem  Berichte 
des  dänischen  Armee -Chefarztes  Dr.  Djoerup  ersehe  ich,  dass  vom 
3.  bis  17.  April  813  meist  Schwerverwundete  den  dänischen  Am- 
bulancen  zugingen.  Tn  dem  nämlichen  Zeiträume  sind  auf  preussi- 
Bcher  Seite,  ausser  22  Gefallenen ,  nur  153  Mann  verwundet  worden. 

Und  doch  ist  es  vielleicht  zweifelhaft,  was  dem  Feinde  mehr 
imponirt  hat,  die  preussische  Kanone  oder  das  preussische  Zünd- 
nadelgew  eh  r.    Noch  der  letzte  Zusammenstoss  lieferte  eine  kleine 


9 


aber  denkwürdige  Probe,  wie  sehr  diese  Waffe,  richtig  gebraucht, 
den  Feind  gefährdet  und  den  Besitzer  schützt.  Unsere  5  Verwun- 
dete vom  3.  Juli  gehören  einer  jenen  kleinen  Recognoscirungs-Co- 
lonnen  an,  welche  nach  der  Eroberung  von  Alsen  den  am  12.  Juli 
erfolgten  Uebergang  über  den  Lymfjord  und  die  Besetzung  des  gan- 
zen nördlichen  Jütland  einleiteten.  Unter  dem  Befehle  des  Haupt- 
mann v.  Schlutterbach  hielten  124  Mann  vom  3.  Niederschles. 
Inf. -Reg.  No.  50.  das  jütische  Dorf  Lundby  besetzt,  als  sie  von 
einer  ca.  200  Mann  starken  feindlichen  Colonne  im  Rücken  ange- 
griffen wurden.  Den  kaltblütigen  Dispositionen  ihres  Führers  ge- 
horchend, lassen  sie  den  Feind,  ohne  einen  Schuss  zu  thun,  bis 
auf  250  Schritte  nahen.  Dann  geben  sie  Schnellfeuer.  In  we- 
nigen Minuten  sind  22  Mann  todt  und  66  verwundet  niedergestreckt. 
Der  eigene  Verlust  betrug  3  Verwundete.  Die  anderen  2  sind  von 
dem  wackeren  Häuflein  (3  Züge  v.  Westph.  Hus.-Regt.  No.  8.,  einige 
20  M.  v.  50.  Rgt.),  welches  zu  der  nämlichen  Colonne  gehörend  und 
unter  deren  kühnem  Führer,  Major  v.  Krug,  zur  selben  Zeit  und 
nicht  weit  davon  (bei  Soender  Tranders)  eine  andere  dänische  In- 
fanterie-Abtheilung attakirte  und  gefangen  nahm.  — 

Indess  —  die  Waffen  des  Gegners  sind  weder  die  einzige  noch 
die  wirksamste  Ursache  der  Verluste,  welche  einer  Feldarmee  dro- 
hen. Krankheiten,  so  lautet  von  jeher  die  Kriegserfahrung,  lichten 
die  Glieder  viel  mehr  als  die  Kugeln  des  Feindes.  Dieser  Satz  trifft 
auch  für  die  preussische  Feldarmee  von  1864  zu,  wrenn  man  ihn 
auf  den  Ausfall  bezieht,  welchen  die  Kampfstärke  durch  die  Er- 
krankungen erlitt.  Er  trifft  aber  glücklicher  Weise  nicht  zu, 
wenn  man  die  Zahl  der  Todesfälle  durch  Krankheit  mit  denen 
durch  Verwundung  vergleicht. 

Da  es  meine  Absicht  ist,  wie  die  Verwundungen  so  auch  die 
Erkrankungen  in  besonderen  Capiteln  eingehender  zu  besprechen,  so 
werde  ich  jetzt  nur  die  allgemeinsten  statistischen  Data,  welche  für 
den  Gesundheitszustand  der  preussischen  Feldarmee  bezeichnend 
sind,  anführen. 

Die  preussische  Feldarmee  hat  in  den  9  Monaten  vom 
1.  Februar  bis  ult.  October  18  64  ausser  ihren  Verwundeten 
2  6,717  Erkrankte  und  anderweitig  Beschädigte  der  La- 
zareth-Pflege  überwiesen,  also 

4  2,2  pCt.  ihrer  höchsten  Kopfstärke. 
Diese  Summe  ist  ca.  10  Mal  grösser  als  die  der  Verwun- 


10 


deten  mit  Einschluss  der  Gefallenen,  ca.  13  Mal  mit  Ausschluss  der 
Gefallenen. 

Dagegen  hatte  die  Armee  ausser  den  in  Folge  von  Verwundung 
Gestorbenen  (7  3  8  mit  Einschluss  der  Gefallenen)  nur 
3  1  0  Todesfälle  und  zwar 

durch  Selbstmord    ....  7 
„     Verunglücken    ...  12 
„     Beschädigungen  ...  11 
„    Krankheiten  .    .    .    .  280*) 
Summa    .  310 

Auf  Rechnung  der  Krankheiten  kommt  also  wenig  mehr  als 
der  vierte  Theil  der  Todesfälle. 

Bald  vorübergehende  Unpässlichkeiten  und  leichte  zufällige  Be- 
schädigungen  sind  in  einer  Feldarmee,  besonders  während  einer 
Winter -Campagne,  natürlich  nichts  weniger  als  selten.  Bisweilen 
nöthigen  die  Umstände,  auch  dergleichen  Kranke  den  Lazarethen 
zu  überweisen.  Führer  und  Aerzte  sollten  indess  gemeinsam  darauf 
halten,  dass  es  nicht  ohne  Noth  geschehe.  Es  kommt  sonst  leicht 
vor,  dass  Uebel,  deren  Beseitigung  nur  wenige  Tage  erfordert,  wo- 
chenlange Ausfälle  der  Kampfstärke  bedingen.  Der  Lazareth-Factor 
des  Gesundheitsdienstes  muss  in  der  Regel  Kranke  der  Art  den  ent- 
fernteren Heilanstalten  überweisen,  um  die  näheren  für  dringendere 
Bedürfnisse  möglichst  frei  zu  halten  und  vor  Ueberfüllung  zu  wah- 
ren. Der  Truppen -Factor  muss  zur  Lösung  dieser  ebenso  schwie- 
rigen wie  wichtigen  Aufgabe  das  Seinige  beitragen.  Er  wird  darin 
künftig  weiter  gehen  können  als  bisher.  Ein  erheblicher  Procent- 
satz  der  Lazarethkranken  fällt,  wie  sich  aus  dem  Specialcapitel  über 
Krankheitsformen  ergeben  wird,  z.  B.  auf  eine  Krankheit,  welche, 
wie  peinlich  sie  auch  an  sich  ist,  die  Streitbarkeit  des  Besitzers  in 


*)  Darunter  vom  Personal  des  Gesundheitsdienstes: 

2  Aerzte:  1.  Assistenzarzt  Dr.  C.  Ott  mann  vom  brandenb.  Ulanen- 
Reg.  Nr.  11;  f  den  10  März  an  Darmentzündung  in 
Kinkenis. 

2.  Abhistenzarzt  Dr.  R.  Gloffka  vom  1.  F. -L.  der  Garde- 
Division;  f  den  17.  März  am  Typhus  in  Hadersleben. 
1  Lawweth-Inßpector  (Morbus  Brightii); 
1  Revieraufseher  (Typhus);  '  • 

1  militärischer  Krankenwärter  (Typhus). 
Ausserdem  betrauern  wir  den  Tod  der  Diakonissin  Elise  Hepp  aus 
K;iist'r>\\t'ith.    Sic  lid  bei  der  treuen  Hingebung  an  ihren  Beruf  in  Hadersleben 
dem  Typhus  zum  Opfer. 


11 


der  Regel  nicht  beeinträchtigt  —  die  Krätze.  Besonders  auf  dem 
jütischen  Stücke  des  Kriegsschauplatzes  fanden  unsere  Soldaten  die 
lebendigen  Keime  dieser  Krankheit  eingenistet  vor.  Die  Kur  der- 
selben ist  in  neuester  Zeit  so  vervollkommnet  und  vereinfacht  wor- 
den, dass  sie  in  der  Regel  bei  den  Truppen  selbst  erfolgen  kann, 
wenn  diese  in  ihren  Arzneikästen  das  Mittel  dazu  (Styrax  liqui- 
dus)  mitführen. 

Auch  in  dem  Feldzuge  von  1864  sind  Leichtkranke,  und,  wo 
die  Umstände  es  erlaubten,  selbst  einzelne  ernstere  Erkrankungen 
von  den  Truppenärzten  im  Quartier  behandelt  und  geheilt  worden. 
Ich  habe  dieselben  in  der  vorstehenden  Berechnung  nicht  mit  auf- 
genommen, obwohl  dadurch  der  Umfang  der  Aufgabe,  welchen  der 
Gesundheitsdienst  zu  lösen  hatte,  grösser  und  das  erzielte  Heilungs- 
verhältniss  numerisch  glänzender  erschienen  wäre.  Zahlen  standen 
mir  zu  dem  Behufe  in  den  truppenärztlichen  Feldzugsberichten  zur 
Verfügung;  aber  die  mit  aller  Offenheit  in  vielen  Berichten  zuge- 
fügte Notiz,  dass  für  die  Correctheit  derselben  nicht  gebürgt  wer- 
den könne,  hat  mich  bestimmt,  die  Berechnung  auf  die  Lazareth- 
k ranken  zu  beschränken. 

Auch  für  diese  ist  die  Ermittelung  correcter  Zahlenverhältnisse 
nichts  weniger  als  leicht.  Die  Statistik  der  Krankheiten  der  Feld- 
armee scheint  die  der  Verwundeten  an  Unsicherheit  und  Un Voll- 
ständigkeit zu  überbieten.  Am  nächsten  liegt  es,  die  Lazarethbe- 
richte  als  Grundlage  zu  nehmen.  Wenn  aber,  wie  1864,  der  Grund- 
satz der  Krankenzerstreuung  Behufs  Wahrung  der  Salubrität 
der  Heilanstalten  zur  Geltung  kommt,  so  passiren  viele  Kranke  bis- 
weilen in  rascher  Folge  mehrere  Lazarethe.  Die  Summe  der  Zu- 
gangszahlen schwillt  dadurch  leicht  in  einem  Grade  an ,  dass  sie  als 
Ausdruck  des  Erkrankungs- Verhältnisses  jeden  Werth  verliert  und 
zu  den  gröbsten  Täuschungen  führt,  wenn  sie  der  Berechnung  des 
Sterblichkeits-  und  des  Heilungs-Verhältnisses  zu  Grunde  gelegt  wird. 

Um  ganz  sicher  zu  gehen,  müsste  man  jeden  einzelnen  Kranken 
durch  alle  Stadien  verfolgen.  Für  die  Verwundeten  habe  ich  dieses 
Verfahren  durchgeführt.  Die  Mussezeit  eines  vollen  Jahres  hat  dazu 
kaum  ausgereicht.  Es  ist  für  den  Einzelnen  unmöglich,  jene  Vor- 
arbeit auch  auf  die  13  Mal  grössere  Zahl  der  Kranken  auszudeh- 
nen.*) 


*)  Die  Centraibehörde  des  preussischen  Militär  -  Medicinalwesens  besitzt 
keine  besondere  statistische  Abtheilung  oder  zu  grösseren  statistischen  Arbeiten 


12 


Soweit  es  sich  blos  um  die  Erkrankungs-Zahlen  handelt, 
finde  ich  die  sicherste  Quelle  bei  den  Truppen  selbst.  Sie  führen 
genaue  Verzeichnisse  der  Kranken,  welche  sie  den  Lazarethen  über- 
weisen. Aus  dieser  Quelle  stammt  die  angeführte  Zahl  der  Lazareth- 
Kranken. 

Ueber  die  Todesfälle  geben  die  in  den  Lazarethen  geführten 
„Todtenbücher'-  verlässliche  Auskunft,  ausgenommen  diejenigen, 
welche  ausserhalb  der  Lazarethe  erfolgten. 

Es  ist  der  Verwaltung  im  Felde  nicht  immer  möglich,  die  La- 
zarethe nicht  blos  räumlich  genug,  sondern  auch  so  einzurichten, 
dass  sie  über  das  Nothwendige  hinaus  einen  gewissen  Comfort  der 
Unterkunft  und  Pflege  bieten.  Ein  solcher  ist  nichts  weniger  als 
überflüssiger  Luxus;  er  erzeugt  und  erhält  vielmehr,  besonders  bei 
dem  daran  Gewöhnten,  z.  B.  dem  Officier,  jenes  Gefühl  der  Behag- 
lichkeit, welches  den  Kurerfolg  wesentlich  fördert.  Früher  wurden 
zu  dem  Behufe,  wo  es  sein  konnte,  gute  Privatquartiere  benutzt. 
1864  ist  dies  zwar  auch,  aber  weniger  oft  geschehen,  weil  der  Jo- 
hanniter-Orden  sich  unter  Anderem  die  Aufgabe  gestellt  hatte, 
gerade  diesem  Bedürfnisse  zu  genügen.  Die  Art  und  Weise,  wie 
der  Orden  diese  Aufgabe  gelöst  hat,  bildet  den  Gipfel  der  Leistun- 
gen, welche  wir  der  Privathülfe  zu  danken  haben.*)  Obwohl  wäh- 
rend des  Feldzuges  die  notwendigen  Relationen  der  Ordens -La- 
zarethe  zu  dem  amtlichen  Factor  des  Gesundheitsdienstes  nicht 
bestanden,  so  dass  z.  B.  in  den  amtlichen  Kranken -Rapporten  die 
in  jenen  Asylen  Gepflegten  gänzlich  fehlen,  so  ist  es  mir  doch  mög- 

ausdrücklich  bestimmte  Arbeitskräfte.  Aber  der  Chef  desselben,  Herr  General- 
Stabsarzt  Dr.  Grimm,  ohne  dessen  wirksame  Unterstützung  die  thatsächlichen 
Unterlagen  dieses  Berichtes  sehr  lückenhaft  geblieben  sein  würden,  hat  sein 
lebendiges  Interesse  für  eine  möglichst  correcte  Krankheits-Statistik  des  Feld- 
znges  auch  dadurch  bethätigt,  dass  er  eine  grössere  Zahl  von  Militär- Aerzten 
bewog,  unter  seinen  Augen  die  fragliche  Vorarbeit  zu  unternehmen.  Sie  ist 
noch  nicht  vollendet.  Doch  hoffe  ich,  wenigstens  einige  Resultate  derselben 
in  dem  Abschnitte  über  die  im  Feldzuge  beobachteten  Krankheitsformen  noch 
verwerthen  zu  können. 

*)  Selbstverständlich  ist  die  Zahl  kein  zulässiger  iMaassstab  für  Werth  und 
Bedeutung  der  Ordens-Leistung.  Nur  geschichtlich  erwähne  ich  desshalb,  dass 
von  den  28,738  Verwundeten  und  Kranken  der  preussischen  Feldarmee,  welche 
der  Pflege  bedurften,  154  (11!»  Officiere,  3  Aerzte,  32  Unterofficiere  und  Ge- 
meine) in  den  Ordens  -  Asylen  auf  dem  Kriegsschauplatze  Aufnahme  fanden. 
Gestorben  sind  davon  14  (10  Officiere,  4  Unterofficiere).  (S.  Dr.  J.  Ressel, 
der  Johanniter-Orden  auf  dem  Kriegsschauplatze  des  dänischen  Feldzuges  1864. 
Pless  1865.) 


13 


lieh  gewesen,  diese  Lücken  auf  Grund  der  in  den  Ordens-Spitälern 
geführten  namentlichen  Listen,  auszufüllen. 

Die  vorstehenden  Bemerkungen  schienen  mir  nöthig,  um  über 
die  Bedeutung  der  angeführten  Zahlen  keinen  Zweifel  aufkommen 
zu  lassen.  Aus  ihnen  ergiebt  sich,  dass  die  preussische  Feldarmee 
von  1864  in  den  9  Monaten  vom  1.  Februar  bis  ult.  October  durch 
Tod  nach  Krankheit  oder  zufälliger  Beschädigung  ver- 
loren hat 

0,5  pCt.  ihrer  höchsten  Kopfstärke, 
1,1  pCt.  der  Lazareth- Kranken. 

Dieses  Sterblichkeits-Verhältniss  ist  ein  ausserordentlich  glück- 
liches und  für  die  Leistung  des  Gesundheitsdienstes,  soweit  sie  über- 
haupt danach  bemessen  werden  darf,  ein  Zeugniss,  welches  keiner 
Ausschmückung  durch  eine  Tendenz  -  Statistik  bedarf.  Betrachten 
wir  dasselbe  im  Spiegel  des  Vergleichs. 

Die  französische  Krimm-Armee  hatte  neben  ca.  20,000 
Todten  in  Folge  von  Verwundung  mehr  als  70,000  Todesfälle  durch 
Krankheit  zu  beklagen.  Ein  so  hochgradiges  Elend  macht  jeden 
Vergleich  unzulässig.  Cholera,  Ruhr,  Scorbut  und  Kriegstyphus 
haben  es  erzeugt.  Das  Sterblichkeits-Verhältniss  hört  ganz  auf, 
einen  Maassstab  für  die  Leistung  des  Gesundheitsdienstes  zu  bieten, 
wo  solche  Feinde  die  Herrschaft  erlangt  haben,  sei  es  wegen  der 
Gewalt  der  Umstände,  sei  es  wegen  ungläubiger  Unterschätzung  der 
Gefahr  zu  einer  Zeit,  wo  die  Stimme  des  Sachverständigen  auf  die 
ersten  Zeichen  hinwies.  Da  kann  man  nur  noch  den  Muth  und  die 
Todesverachtung  bewundern,  mit  welchen  die  Aerzte  und  Pfleger 
auf  ihrem  hoffnungslosen  Posten  ausharren ,  bis  sie  erschöpft  nie- 
dersinken oder  der  Tod  selber  sie  nach  einander  ablöst.  Mit  sol- 
chen Feinden  haben  unsere  Braven  glücklicher  Weise  nicht  zu  rin- 
gen gehabt. 

Um  so  statthafter  ist  der  Vergleich  mit  der  französischen 
Feldarmee  von  1859.  Auch  sie  wurde  von  ausgeprägten  Seuchen 
nicht  heimgesucht.  Der  Krieg  wurde  vor  den  Thüren  Frankreichs 
in  einem  fruchtbaren,  mit  den  Befreiern  sympathisirenden  Lande 
unter  den  günstigsten  Transport-  und  Verpflegungs  -  Verhältnissen 
geführt.  Man  kann  sogar  sagen,  dass  der  Feldzug  von  1864  für 
den  Soldaten  anstrengender  war,  als  der  von  1859.  Die  Actions- 
zeit  währte  1859  kaum  halb  so  lange  wie  1864,  und  der  schwere 
Belagerungsdienst  war  der  französischen  Armee  in  Italien  ganz  er- 
spart.   M.  Cazalas,  in  der  späteren  Periode  des  Feldzuges  Chef- 


14 


Arzt  dieser  Armee,  hat  über  die  „Krankheiten"  derselben  1864  ein 
kleines  Buch  geschrieben,  welches  merkwürdiger  Weise  die  Zahl 
der  Todesfälle  durch  Krankheiten  gar  nicht  von  der  durch  Verwun- 
dung sondert.  Von  den  125,950  Lazareth  -  Kranken  (darunter  13,474 
Verwundete)  sind  nach  Cazalas  4698,  d.  h.  3,7  pCt.  gestorben. 
Eine  Berechnung  ähnlicher  Art  würde  für  unsere  Feldarmee  von 
1864  zwar  nur  eine  Sterblichkeit  von  2,2  pCt.  ergeben.  Aber  mit 
einer  solchen  Art  von  Statistik  sind  Vergleiche  überhaupt  nicht  zu 
machen,  und  ich  bedaure  desshalb,  eine  andere  Quelle  nicht  finden 
zu  können. 

Noch  näher  liegt  uns  der  Blick  auf  die  dänische  Armee  von 
1864.  Djoerup  berechnet  auf  31,575  Kranke  (excl.  Verwundete) 
756  Todesfälle,  also  2,4  pCt.,  und  bezeichnet  dieses  Verhältniss  als 
ein  „ausserordentlich  glückliches."  Um  so  mehr  Ursache  hat  die 
preussische  Armee  sich  ihrer  1,1  pCt.  zu  freuen. 

Nehmen  wir  endlich  unsere  eigene  Fried ens- Armee  zum 
Vergleiche.  Jede  grössere  stehende  Armee  hat  bekanntlich  ihre  be- 
sonderen Erkrankungs-  und  Sterblichkeits- Verhältnisse,  welche  trotz 
zeitweiser  Schwankungen  in  Folge  zwischenlaufender  Epidemien 
ziemlich  constant  bleiben ,  weil  sie  in  der  nationalen  physischen  und 
psychischen  Anlage  und  in  den  reglementarisch  fixirten  Lebens-  und 
Dienstverhältnissen  wurzeln. 

Sogar  innerhalb  der  nämlichen  Armee  zeigen  die  grossen  Ab- 
teilungen, wenn  sie  zugleich  territoriale  sind,  in  der  Regel  nicht 
unerhebliche  und  constante  Differenzen  in  der  fraglichen  Beziehung. 
In  Preussen  ist  das  4.  (sächsische)  Armee -Corps  eines  derjenigen, 
welche  das  günstigste  Erkrankungs-  und  Sterblichkeits- Verhältniss 
besitzen.  Theils  desshalb,  theils  und  besonders  weil  die  bezüglichen 
Data  mir  zur  Hand  sind,  nehme  ich  dasselbe  zum  Vergleiche.  Das 
4.  Armee -Corps  hat  bei  einer  Kopfstärke  von  ca.  25,000  Mann  vom 
l.  Februar  bis  ult.  October  1864  den  Lazarethen  7614  Kranke  über- 
wiesen. Davon  sind  gestorben  74,  d.  h.  0,3  pCt.  der  Kopfstärke, 
0,97  pCt.  der  Lazarethkranken.  Die  Kleinheit  der  Differenz,  welche 
zwischen  dieser  und  den  oben  für  die  Feldarmee  berechneten  Pro- 
centsätzen besteht,  ist  vielleicht  der  stärkste  Beweis  für  das  geseg- 
nete Wirken  unsers  Feld -Heildienstes. 

Der  Zahlenspiegel  reflectirt  aber  noch  ein  anderes  Bild.  Das- 
selbe interessirt  um  so  mehr,  je  falscher  die  Vorstellungen  sind, 
welche  man  sicli  von  ihm  ohne  diese  Beleuchtung  machen  kann  — 
ich  meine  die  Kriegstüchtigkeit  des  preussischen  Soldaten. 


15 


Die  Vorzüge  der  neuen  Bewaffnung  waren,  als  der  Krieg  begann, 
nicht  ganz  unbekannt;  man  war  nur  noch  gespannt  auf  den  Grad 
ihrer  Bewährung  in  der  Kriegspraxis.  Mit  um  so  mehr  Zweifeln 
und  Bedenken  von  den  verschiedensten  Standpunkten  begleitete  man 
das  junge  und  kriegsungewohnte  lebendige  Material  der  Armee, 
welche  plötzlich  aus  dem  Garnisonleben  heraus  der  Probe  eines  Winter- 
feldzuges unterstellt  wurde.  Die  vielen  Lazarethanlagen ,  von  denen 
man  hörte,  und  die  häufigen  Kranken- Transporte  auf  den  Eisen- 
bahnen, welche  man  sah,  waren  ganz  geeignet,  jenen  Zweifeln 
Nahrung  zu  geben.  Die  Maassregeln  eines  auf  wissenschaftlicher 
Einsicht  und  Erfahrung  beruhenden  Betriebes  des  Krankendienstes 
imponirten  dem  Nichteingeweihten  als  der  Ausdruck  einer  bedenk- 
lichen Höhe  des  Krankenstandes.  Fragen  wir  die  Statistik,  ob  und 
in  wie  weit  der  preussische  Soldat  die  alte  Kriegstüchtigkeit  be- 
wahrt hat. 

Die  französische  Armee  in  Italien  (1859),  kriegsgewohnt  und, 
wie  die  unsrige  1864,  siegreich,  hatte  nach  Cazalas  112,476  La- 
zareth-  Kranke  (excl.  Verwundete)  so  ziemlich  in  derselben  Frist, 
während  welcher  die  unsrige  26,717  Mann  in  die  Lazarethe  schicken 
musste.  Die  Berechnung  nach  den  respectiven  Kopfstärken  ergiebt 
französischer  Seits  56  pCt.,  unserer  Seits  42,2  pCt.  Erkrankungen. 
Dabei  ist  die  Maximalstärke  der  französischen  Armee  mit  Cazalas 
auf  200,000  Mann  —  jedenfalls  nicht  zu  niedrig  —  geschätzt. 

Es  würde  interessant  sein,  den  Vergleich  für  1864  wie  für  1859 
auf  die  österreichische  Armee  auszudehnen.  Allein  österreichischer 
Seits  ist  es  nicht  beliebt,  der  Statistik  auf  diesem  Gebiete  durch 
Veröffentlichungen  Vorschub  zu  leisten. 

Was  die  dänische  Armee  von  1864  betrifft,  so  hatte  dieselbe 
nach  Djoerup  ihren  höchsten  Krankenstand  nach  dem  Falle  der 
Düppel -Stellung.  In  sämmtlichen  dänischen  Lazarethen  befanden 
sich  damals  ca.  5400  Kranke  ausser  den  Verwundeten.  Auch  preussi- 
scher  Seits  erreichte  der  Krankenstand  in  derselben  Zeit  seine  Höhe. 
Der  höchste,  welchen  wir  überhaupt  gehabt  haben,  fällt  auf  den 
30.  April.  An  diesem  Tage  befanden  sich  in  allen  preussischen  La- 
zarethen, die  heimischen  Reserve -Lazarethe  mitgerechnet,  3520 
Kranke  ausser  den  Verwundeten.  Setzen  wir  die  damalige  Kopfstärke 
auf  beiden  Seiten  zu  60,000  an,  was  für  die  dänische  gewiss  nicht 
zu  niedrig  gegriffen  ist,  so  ergiebt  sich  ein  Ausfall  der  Kampfstärke 
durch  Krankheiten  dänischer  Seits  von  9  pCt.,  preussischer  Seits 
von  noch  nicht  ganz  6  pCt. 


16 


Djoerup  betont  ausdrücklich  das  Glück  der  dänischen  Armee, 
von  Epidemien  verschont  geblieben  zu  sein.  Die  seiner  Zeit  ver- 
breiteten Gerüchte  von  dem  Herrschen  des  Typhus  in  der  dänischen 
Armee  waren  nicht  ganz  unbegründet,  aber  übertrieben.  Die  Stra- 
pazen waren  dänischer  Seits  gewiss  nicht  grösser,  als  bei  uns.  Die 
Kleidung  des  dänischen  Soldaten  ist,  besonders  in  Betreff  des  Ma- 
terials ,  gut.  Namentlich  die  dänischen  Stiefel  und  Mäntel  scheinen 
sich  den  Beifall  unserer  Soldaten  erworben  zu  haben.  Im  eigenen 
Lande  und  bei  dem  ungestörten  Verkehr  zwischen  Festland  und 
Inseln  konnte  die  Verpflegung  auf  allzu  grosse  Schwierigkeiten  kaum 
stossen.  Woher  also  jenes  nicht  unerhebliche  Ueberwiegen  der  Er- 
krankungen? Sollte  allein  die  moralische  Depression,  welche  das 
Unglück  der  Waffen  erzeugt,  Schuld  daran  sein?  Sie  hat  ohne 
Zweifel  ihren  Einfluss.  Allein  die  durchschnittlich  derbe  und  phleg- 
matische Natur  der  Söhne  Dänemarks,  wie  wir  sie  kennen  gelernt 
haben,  mahnt  denselben  nicht  zu  überschätzen.  Den  besten  Auf- 
schluss  giebt  Djoerup  selbst.  Es  war  den  dänischen  Behörden 
von  früher  bekannt,  dass  die  Leute  der  arbeitenden  Klasse  vom 
Lande,  welche  30  Jahr  und  darüber  alt  sind,  sich  nur  selten  noch 
zu  Soldaten  eignen.  Allein  die  Umstände  zwangen ,  bei  Einberufung 
der  Verstärkungs-Mannschaft  auf  solche  zurückzugreifen.  Von  ihnen 
mussten  aber  12  pCt.  sofort  als  dienstuntauglich  wieder  entlassen 
werden,  und  eine  verhältnissmässig  noch  grössere  Zahl  suchte  binnen 
Kurzem  in  den  Lazarethen  Zuflucht.  „Im  Ganzen,  sagt  der  dänische 
Armee -Arzt,  gehörten  sie  zu  den  am  wenigsten  kanipf tüchtigen 
Theilen  der  Armee,  und  dies  würde  sich  sicher  noch  deutlicher  ge- 
zeigt haben,  wenn  der  Gang  des  Krieges  häutige  und  forcirte  Märsche 
mit  sich  geführt  hätte." 

Unter  den  Bedingungen  der  Kriegstüchtigkeit  verdient  das 
Alter  der  Soldaten  ohne  Zweifel  besondere  Beachtung,  selbst  wenn 
angenommen  werden  darf,  dass  die  dänische  Erfahrung  bei  unsern 
Landsleuten  nicht  ganz  zutrifft.  Es  wäre  der  Mühe  werth,  unsere 
Feld -Krankenlisten  darüber  zu  befragen.  Wenn  man  den  Zahlen, 
durch  welche  die  verschiedenen  Altersklassen  in  der  Feldarmee  ver- 
treten waren,  die  entsprechenden  Kranken-Zahlen  und  Erkrankungs- 
Formen  gegenüberstellte,  so  könnte  dabei  ein  in  mehrfacher  Be- 
ziehung interessirendes  Ergebniss  herauskommen.  Zu  einer  solchen 
Untersuchung  habe  ich  weder  das  Material  noch  die  Müsse  zur  Ver- 
fügung. Einen  kleinen  Beitrag  kann  ich  jedoch  liefern.  Bei  den 
Vorarbeiten  zur  kriegschirurgischen  Statistik  des  Feldzuges  habe  ich 


17 


das  Alter  der  einzelnen  Verwundeten  —  der  preussischen  wie  der 
dänischen  —  (mit  Ausschluss  der  Officiere)  nach  4  Klassen  notirt. 
Danach  waren  alt 

unter  23  J.     23—25  J.     25—30  J.     über  30  J. 
Preussen   ...    30  pCt.  41  pCt.        28  pCt.  1  pCt. 

Dänen   6    „  22    „  50    „  22  „ 

Annähernd  wenigstens  dürften  diese  Zahlen  für  das  Alters- 
verhältniss  in  beiden  Armeen  bezeichnend  sein.  Die  preussische 
hatte  danach  ziemlich  ebensoviel  Soldaten  unter  25,  wie  die  dänische 
über  25  Jahr  —  eine  Differenz,  welche  gross  genug  ist,  um  das 
Erkrankungs  -  Verhältniss  zu  beeinflussen. 

Die  relative  Jugend  unserer  Feldsoldaten  hat  somit 
deren  Kriegstüchtigkeit  nichts  weniger  als  beschränkt. 
Oder  war  etwa  die  Probe,  welche  sie  zu  bestehen  hatten,  nicht  be- 
weiskräftig genug? 

Der  Kampf  mit  dem  Feinde  in  Seuchengestalt  ist,  wie  gesagt, 
unseren  Soldaten  erspart  worden.  Aber  was  sonst  an  gesundheits- 
feindlichen Einflüssen  unvermeidlich  mit  einem  Feldzuge  sich  ver- 
knüpft, hat  ihre  Leistungsfähigkeit  auf  eine  vollwichtige  Probe  ge- 
stellt. 

Die  Märsche  von  ungewöhnlicher  Ausdehnung  theils  mitten  im 
Winter  auf  schneeverwehten  oder  eisglatten  Wegen,  theils  in  der 
Gluth  des  Hochsommers,  Quartiere,  in  welchen  ein  Platz  im  Kuh- 
stalle als  besondere  Gunst  des  Schicksals  gelten  konnte,  Bivouaks 
ohne  Stroh  und  Feuer  auf  gefrorenem  Sturzacker,  die  Wacht  auf 
Vorposten,  der  psychisch  wie  physisch  aufreibende  Dienst  bei  den 
Belagerungsarbeiten  und  in  den  Trancheen  —  das  Alles  ist  in  fri- 
scher Erinnerung  und  doch  nur  ein  Theil  der  Ansprüche,  welche 
der  Krieg  an  die  Kraft  und  an  die  Entsagungsfähigkeit  unserer 
Tapferen  gestellt  hat.  Preussen  und  seine  Armee  darf  stolz  sein 
auf  die  körperliche  unl  moralische  Spannkraft,  mit  welcher  die 
plötzliche  Probe  bestanden  wurde,  und  welche  das  gemeinsame  Er- 
zeugniss  nationaler  Anlage  und  wohlbedachter  soldatischer  Erzie- 
hung ist 

Um  keiner  Illusion  Vorschub  zu  leisten,  darf  freilich  nicht 
unerwähnt  bleiben,  dass  das  oben  nachgewiesene  Erkrankungs-Ver- 
hältniss  nur  für  die  ganze  Feldarmee  gilt.  Höhere  Sätze  ergeben 
sich  natürlich,  wenn  man  die  Berechnung  auf  solche  Theile  der- 
selben beschränkt,  welche  den  Vorzug  hatten,  besonders  stark  und 
anhaltend  angespannt  zu  werden.    So  erkrankten  im  April,  dem 

Loe ff ler  ,  Generalbericht.  2 


18 


Monate,  auf  welchen  überhaupt  die  höchste  Procentzahl  fällt,  z.  B. 
wwi  der  Garde -Infanterie -Division  9  pCt.  und  von  der  Infanterie 
der  6.  Division,  welche  von  allen  Truppen  die  längste  und  stärkste 
Feldzugeprobe  bestanden  hat,  gegen  10  pCt.  ihrer  Kopfstärke. 

Andererseits  kommt  es  nicht  blos  auf  die  Zahl,  sondern  auch  auf 
die  Art  der  Erkrankungen  an.  In  den  erwähnten  Zahlen  sind  vor- 
läufig  die  verschiedenartigsten  Krankheitsformen  zusammengefasst. 
Ich  werde  dieselben  in  einem  späteren  Abschnitte  gesondert  bespre- 
chen. Eine  aber  giebt  es,  welche  vorzugsweise  als  Maassstab  dienen 
kann,  um  die  Erschütterung  zu  messen,  welche  der  Gesundheits- 
zustand einer  Feldarmee  erleidet.  Ich  meine  den  Typhus  —  nicht 
jene  specih'sche  Kriegspest,  welche,  wenn  sie  durch  Versäumniss 
rechtzeitiger  Verhütungsmaassregeln  einmal  entstand,  mittelst  einer 
furchtbaren  Ansteckungskraft  ihre  Herrschaft  sichert,  sondern  jene 
Typhusform,  welche  Jahr  aus  Jahr  ein  auch  während  des  Friedens 
im  Civil  wie  im  Militär  vereinzelte  Opfer  fordert  und  zeitweis,  sei  es 
epidemisch  oder  sei  es  unter  der  Ungunst  lokaler  hygienischer  Ver- 
hältnisse, eine  grössere  Verbreitung  erlangt,  den  sogenannten  „Un- 
terleibs-Typhus". 

Die  Gesammtsumme  der  Typhuskranken,  welche  die  dänische 
Armee  während  des  Feldzuges  verloren  hat,  ist  aus  dem  Berichte 
von  Djoerup  nicht  zu  ersehen.  Bloss  in  den  Lazarethen  zu  Au- 
gustenburg, Nordberg  und  Copenhagen  sind  bis  zum  20.  Juni  ca. 
280  Typhuskranke  gestorben.  Die  preussische  Feldarmee  hatte  bis 
zu  demselben  Termine  nur  142  Todesfälle  durch  Typhus,  während 
des  ganzen  Feldzuges  (bis  ult.  October)  193.  Bei  der  geringen 
Differenz  der  Kopfstärken  haben  diese  Zahlen  absoluten  Werth. 

Gewiss  ist  die  unsrige  befriedigend  klein.  Dennoch  prägt  sich 
in  ihr  die  Feldzugseinwirkung  deutlich  genug  aus.  Sie  repräsentirt 
66  pCt.  aller  Todesfälle  nach  Krankheit  —  ein  Verhältniss,  welches 
das  in  der  preussischen  Friedensarmee  gewöhnliche  um  etwa  30  pCt. 
übersteigt.*) 


*)  O.-St.-A.  Dr.  Abel  hat  dieses  Verhältniss  pro  1860  auf  35,6  pCt.  be- 
rechnet.  (S.  Preuss.  militärärztl.  Zeitung.  1861.  pag.  272.) 

Für  grössere  Zeiträume  liegen  Berechnungen  der  Art  vor  von  Riecke  (pro 
1820-1844  :  30,6  pCt.)  und  von  (Jasper  (pro  1829—1838  :  35,3  pCt). 

Nach  Tabelle  14  in  Engel's  Arbeit  „die  wichtigsten  Resultate  einer  ver- 
gleichenden Statistik  der  Gesundheit  und  Sterblichkeit  der  Civil-  und  Militär- 
Bevölkerung  im  preussischen  Staate  berechnet,"  stellt  es  sich  pro  1846—1862 
auf  36  pCt. 


19 


Besonder-*  bezeichnend  aber  ist  die  Verkeilung  der  Todesfälle 
durch  Typhus  auf  die  einzelnen  Stadien  des  Feldzages.  An  Typhus 
starben  nämlich  im  Februar  7,  März  18,  April  30.  Mai  49,  Juni  32, 
Juli  17,  Anglist  12,  September  10,  October  12. 

Wä.  rend  des  Friedens  zeichnet  sich  der  April  und  Mai  vor 
allen  anderen  Monaten  sehr  constant  durch  die  kleinsten  Typhus- 
Zahlen  aus.  frn  Feldzuge  sehen  wir  die  Höhe  der  Actiofl  und  die 
höchsten  Zahlen  der  Typhus- Todten  gerade  auf  die-e  Zeit  zusam- 
menfallen. Der  Mai,  obwohl  wenigstens  die  zweite  Hälfte  desselben 
(nach  dem  am  12.  erfolgten  Absehiiisse  des  ersten  Waffen-till-tan- 
des)  den  Truppen  völlige  Ruhe  und  Erholung  bot,  hat  eine  höhere 
Zahl,  als  der  April.  Darin  äusserte  sich  die  Nachwirkung 
der  gesundheitsfeindlbfien  Einflüsse,  welche  sich  in  dem  voraus- 
gegangenen Action-quartale  summirt  hatten.  Selbst  noch  die  Todten- 
zahl  des  Juni  ist  darauf  zu  bozieheu. 

In  der  Tbat  —  nicht  in  dem  Eintlus-e  des  ungewohnten  Klimas 
oder  ungünstiger  Witterung,  welchem  eine  Feldarmee  ausgesetzt  ist, 
nicht  in  den  epidemischen  oder  endemischen  Krankheitsverhält- 
nissen, denen  sie  auf  dem  Kriegsschauplätze  begegnet.  Hegt  für  sie 
die  verhängnissvollste  Frkraokungsursaohe,  obwohl  alle  jene  Momente 
einzeln  und  vereint  Opfer  genug  fordern  können.  Diese  ist  viel- 
mehr zu  suchen  in  der  Eigentümlichkeit  des  Kriegslebens  selbst, 
in  dem  nnansge  Btzt  Starken  Verbrauche  von  Muskel-  und  Nerven- 
kraft und  in  der  Schwierigkeit  oder  Unmöglichkeit,  die  Bedingun- 
gen zu  erfüllen,  von  welchen  der  entsprechende  Ersatz  abhängt. 

Jede  Feldarmee  wird,  so  lange  sie  activ  ist,  von  diesem  Miss- 
verhältniss  bedroht.  Die  nächsten  Folgen  desselben  sind  stets  und 
überall  die  nämlichen  und  desshalb  eines  der  wichtigsten  Objecte 
für  das  specifisebe  Studium  des  Militär* Arztes.  Bis  zu  welcher 
Höhe  sie  sich  entwickeln,  hängt  ab  von  der  Dauer  des  Missverhält- 
nisses und  von  dem  Grade,  bis  zu  welchem  man  es  steigen  läset, 
oder  steigen  zu  lassen  durch  die  Umstände  gezwungen  ist. 

Wer  die  Leidensgeschichte  der  Krimm-  Armee  in  dem  Berichte 
ihres  Chef- Arztes  Scrive,  des  competentesten  Zeugen  derselben, 
aufmerksam  durchgeht,  wird  bald  die  Stufe  finden,  welche  derje- 
nigen entspricht,  bis  zu  welcher  die  Wirkung  jener  Specinschen  Ur- 
sache bei  unserer  Feldarmee  von  1864  sieh  geltend  gemacht  hat. 
Sie  war  am  stärksten  ausgeprägt  in  der  Periode  nach  dem  Sturme. 
Dem  Auge  der  Sachverständigen  konnte  sie  schon  vorher  nichtentgehen. 

Sie  verrieth  sich  allerdings  kaum  durch  eine  auffallend  grosse 

2« 


20 


Zahl  von  Lazareth  -  Kranken.  Noch  Anfangs  April  hatte  die 
Armee  in  allen  Feld-  und  heimischen  Lazarethen  nur  wenig  über 
4  pCt.  ihrer  Kopfstärke.  Keiner  wollte  auf  die  Ehre  verzichten,  an 
der  bevorstehenden  Entscheidung  theilzunehmen.  Die  Spannung  stieg 
mit  jedem  Tage  und  half  Vielen  hinweg  über  Unpässlichkeiten  und 
Anwandlungen  von  Ermattung. 

Aber  die  Zahl  der  sogenannten  gastrischen  und  gastrisch -ner- 
vösen Fieber  fTyphen)  wurde  absolut  wie  relativ  grösser;  der  bis 
dahin  milde  und  einfache  Verlauf  dieser  Fieber  änderte  sich;  kleine 
Blutaustretungen  in  der  Haut  und  Blutungen  aus  den  Schleimhäuten 
wurden  häufigere  Complicationen;  das  rasche  Sinken  der  Kräfte 
mahnte  an  die  geringere  Energie,  welche  dem  Angriffe  der  Krank- 
heit gegenüberstand,  und  nöthigte  zu  künstlicher  Unterstützung,  wo 
früher  sorgsame  Pflege  und  diätetische  Fürsorge  ausgereicht  hatten, 
um  einen  günstigen  Ausgang  zu  erzielen.  Aber  auch  der  veränderte 
Verlauf  der  Verwundungen  und  der  andern  fieberhaften  Krankheiten 
verrieth  die  Wandelung  der  Armee -Gesundheit.  Die  Entzündungen 
des  Brustfelles  und  der  Lungen,  welche  früher  so  rasch  und  glück- 
lich verliefen,  hielten  nicht  mehr  ihre  regelmässigen  Stadien  inne, 
und  wo  Krisen  eintraten,  geschah  es  zögernd  und  unvollkommen. 

Dennoch  ist  nicht  das  Lazareth  der  Ort,  wo  zu  prüfen  und  zu 
erkennen  ist,  in  welcher  Ausd  eh  nun  g  eine  solche  Wandelung 
der  physischen  Constitution  einer  Feldarmee,  die  Verarmung  und 
Entmischung  des  Blutes,  das  Sinken  der  Muskelkraft  und  der  Ner- 
ven-Energie  sich  entwickelt.  Diese  Beobachtung  fällt  vorzugsweise 
in  den  Gesichtskreis  des  Truppen- Arztes. 

Die  Freude  des  Sieges,  das  stolze  Bewusstsein,  ihn  mit  er- 
rungen zu  haben,  das  begeisternde  Lob,  welches  des  Königlichen 
Kriegsherrn  eigener  Mund  auf  der  Stätte  des  Ruhmes  spendete, 
wirkten  anregend  und  spannend  noch  über  den  18.  April  hinaus. 
Dann  aber  kam  der  unausbleibliche  Rückschlag. 

Die  Truppen- Aerzte  hatten  nunmehr  täglich  unter  den  Klagen- 
den für  die  Lazarethpflege  diejenigen  auszuwählen,  bei  welchen  die 
Krankheitsanlage  sich  so  weit  entwickelt  hatte,  dass  die  Fortsetzung 
des  Dienstes  unthunlich  und  die  Pflege  im  Quartier  unzureichend 
war.  Es  ist  nicht  möglich  auch  nur  ungefähr  zu  bestimmen,  wie 
viel  Soldaten  damals  über  Ermattung  und  Benommenheit  des  Kopfes 
klagten,  und  bei  wie  vielen  die  Bleichheit  der  Lippen,  des  Zahn- 
fleisches und  der  Gaumenschloimhaut  verrieth,  was  die  wetterge- 
bräunte Haut  an  den  Wangen  verdeckte.    Mangel  an  Esslust,  schlei- 


21 


miger  Belag  der  Zunge,  Unregelmässigkeit  der  Verdauung,  besonders 
Neigung  zum  Durchfall,  waren  sehr  gewöhnlich  damit  verknüpft. 
Hier  und  da  zeigten  sich  am  Zahnfleische  und  in  der  Haut  die  ersten 
Spuren  des  keimenden  Scorbuts. 

Auf  diesem  Punkte  der  Gesundheitswandelung  angelangt,  ist 
eine  siegreiche  und  wohldisciplinirte  Armee  noch  nicht  kampfun- 
fähig. Bleibt  aber  die  Lage  unbeachtet,  werden  die  Maassregeln, 
ihrer  Verschlimmerung  vorzubeugen,  wegen  Verkennung  der  Gefahr 
oder  wegen  der  Unmöglichkeit,  sie  auszuführen,  versäumt  oder 
hinausgeschoben ,  so  lichten  sich  alsbald  die  Glieder  in  überraschen- 
der Progression ,  um  die  Lazarethe  zu  füllen ,  und  die  Entwickelung 
der  bösesten  Krankheitsformen  ist  dann  nur  noch  eine  Frage  der 
Zeit.  — 

Was  grosse  und  durchgreifende  hygienische  Maassregeln  für  die 
Gesundheit  einer  Feldarmee  leisten  können,  lehrt  die  Geschichte  der 
englischen  Krimm- Armee.  Die  Verwahrlosung  der  Hygiene  mit 
ihren  allarmirenden  Folgen  in  der  ersten  Periode  und  der  ausge- 
zeichnete Gesundheitszustand  der  englischen  Armee  neben  den  furcht- 
baren Leiden  der  auf  demselben  Boden  campirenden  französischen 
während  der  zweiten  Periode  des  Feldzuges  sind  Contraste,  welche 
keines  Commentares  hedürfen. 

Die  Zerstreuung  unserer  Truppen  in  weitläufige  Erho- 
lungsquartiere, welche  der  am  12.  Mai  geschlossene  Waffenstill- 
stand gestattete,  war  eine  grosse  und  weise  Gesundheits-Maassregel. 
In  Verein  mit  der  lange  entbehrten  Ruhe,  welche  überall  und  mit 
der  vorzüglichen  Pflege,  welche  wenigstens  den  im  Herzogthum 
Schleswig  cantonirenden  Truppen  Seitens  der  Quartiergeber  gewährt 
wurde,  wirkte,  sie  eben  so  schnell  wie  gründlich.  Was  die  Aerzte 
an  der  Zahl  und  Bedeutung  der  Erkrankungen  zu  constatiren  ver- 
mochten, die  Wiederkehr  der  Frische  und  Spannkraft  der  Soldaten, 
das  machte  sich  den  Führern  in  der  straffen  Haltung  bemerkbar, 
als  .sie  nach  Ablauf  des  Waffenstillstandes  aus  den  Ruhequartieren 
zu  neuen  Thaten  vorrückten.  Wer  die  Abmärsche  aus  dem  Sunde- 
witt theils  nach  Norden,  theils  nach  Süden  sah,  würde  kaum  ge- 
glaubt haben,  dass  es  die  nämlichen  Truppen  seien.  Das  kühne 
Wagniss  des  29.  Juni  wurde  denn  auch  so  frisch  und  fröhlich  — 
im  wahren  Sinne  des  Wortes  —  vollbracht,  als  wären  die  Mühsale 
der  Winter -Cainpagne  und  der  Belagerung  gar  nicht  dagewesen. 
Die  spezifische  Krankheitsanlage  war  getilgt.  Das  zeigte  sich  in 
dem  Charakter  der  weiter  vorkommenden  Erkrankungen;  es  zeigte 


sieh  ganz  besonders  in  dem  Verlaufe  der  Wunden.  Die  von  Alsen 
machten  denen  von  Missunde  Concurrenz.*) 

Der  Gesundheitsdienst  hat  die  schöne  Mission,  den  Lorbeer- 
kranz des  Siegers  vor  jenen  dunklen  Flecken  zu  wahren,  welche 
der  verschuldete  Mangel  an  Fürsorge  für  die  Opfer  des  Krieges 
darauf  absetzt.  Aber  es  heisst,  die  Bedeutung  seiner  Aufgabe  ver- 
kennen, wenn  man  meint,  sie  beschränke  sich  auf  jene  Mission, 
wenn  man  vergisst,  dass  er  auch  berufen  ist,  für  den  Kriegszweck 
seihst  zu  wirken.  Ihm  dienen  beide  Zweige  des  Gesundheitsdienstes, 
die  Krankenpflege  wie  die  Gesundheitspflege.  Je  vollkom- 
mener die  letztere  ist,  desto  weniger  umfänglich  und  desto  voll- 
kommener lösbar  wird  die  Aufgabe  der  ersteren.  Je  mehr  es  der 
Hygiene  gelingt,  das  Lichten  der  Glieder  durch  Krankheiten  zu  ver- 
hüten, desto  schneller  und  sicherer  wird  der  Heildienst  die  ent- 
standenen Lücken  durch  Rückgabe  der  Genesenen  wieder  ausfüllen 
können. 

In  unserem  Feldzuge  gestattete  die  Gunst  der  Umstände  im 
rechten  Augenblicke  die  Durchführung  einer  Maassregel,  welche  den 
Anforderungen  der  Hygiene,  wie  gesagt,  in  vollkommener  Form 
entsprach.  Daraufist  vorweg  niemals  zu  rechnen  Desto 
wichtiger  sind  für  jede  Feldarmee  die  Mittel,  welche  dazu  dienen, 
jenen  Moment  hinauszurücken,  wo  das  lebendige  Kraft- Capital  zu 
schwanken  beginnt.  Die  schnelle  und  gründliche  Wirkung  der  Ruhe- 
quartiere L&ssl  BChliessen,  dass  das  Uebel,  welchem  durch  sie  be- 
gegnet wurde,  trotz  der  dreimonatlichen  Strapazen  noch  nicht  tief 
wurzelte  —  ein  Beweis  der  Kriegstüchtigkeit  unserer  Jugend,  aber 
auch  der  Aufmerksamkeit,  welche  jenen  Mitteln  gewidmet  war. 

Obenan  steht  unter  ihnen  die  Verpflegung.  Sie  ist  auch 
unter  Verhältnissen  wie  die  von  18G4  eine  ebenso  schwierige,  wie 


•)  Da  die  Wunden  im  nächsten  Abschnitte  des  Berichtes  ausführlich  be- 

Bprocbeo  werden,  so  deute  ich  hier  nur  das  Sterblichkeitsverh&ltnisfi  an,  wie 
es  sich  aus  Tabelle  1.  ergiebt. 

Nach  Ab  zu  ir  der  Gefallenen  sind  gestorben 

von  den  Verwundeten  des  2.  Februar  11,7  pCt. 

■     „  „  ,.  10.      „       bis  17.  April    .    .    14,0  » 

.     1  n         „18.  April  18,1  „ 

•    1  »4  29  Juni  12,1  » 

Bemerkt  mu>s  indess  werden,  da>s  die*e  Differenz  der  Sterbliehkeits-Zahlen 
niebl  Btwa  M88chliesslich  von  d<-n  Veränderungen  des  allgemeinen  Gesund- 
heltainettades,  sondern  aueh  von  mehreren  anderen  Momenten,  wie  Schwere  der 
Verletzungen,  Gunst  oder  Ungunst  der  Lazarethverhaltnisse,  bedingt  war. 


23 

wichtige  Aufgabe  der  Intendanturen.  Die  Oberleitung  war  in 
der  Hand  des  Armee -Intendanten,  des  Wirkl.  Geh.  Kriegsraths 
Weidinger.  In  allen  Kreisen,  namentlich  auch  in  den  feldärzt- 
lichen, herrscht  nur  eine  Stimme  darüber,  dass  jene  Aufgabe  rühm- 
lichst gelöst  worden  ist.  Trotz  mancher  Hemmnisse  —  erschwerter 
Transport,  häufige  und  plötzliche  Dislocationen  der  Truppen  —  hat 
unsern  Soldaten  nie  und  nirgends  gefehlt,  was  das  Verpflegungs- 
Reglement  ihnen  gewährt  Die  Lieferungen  aus  den  Magazinen  sind 
allgemein  belobt.  Das  frische  Fleisch  war  stets  von  guter  Qua- 
lität und  wurde  nicht  allzuoft  durch  Salz-  oder  Pökel-Fleisch, 
welches  man  in  Flensburg  und  Jütland  vorfand,  ersetzt.  Die  übri- 
gen Materialien  Hessen  nichts  zu  wünschen  übrig.  Das  von  den 
Feldbäckereien  kommende  Brod  war  sogar  ausgezeichnet.  Seine 
Vorzüge  wurden  besonders  anerkannt  von  den  Truppen  in  Jütland, 
welche  sich  mit  einem  viel  schlechteren,  anderweitig  beschafVten, 
begnügen  mussten,  bis  auch  dort  Feldbäckereien  eingerichtet  wrurden. 

Was  aber  die  quantitativen  Sätze  des  Reglements  selbst  be- 
trifft, so  scheinen  die  Erfahrungen  des  Feldzuges  zu  bestätigen,  was 
theoretisch  auf  Grund  physiologisch -chemischer  Berechnungen  schon 
früher  behauptet  wurde,  dass  sie  nämlich  in  ihrer  Combination  dem 
Bedürfnisse,  wie  es  die  Wissenschaft  aufzufassen  genöthigt  ist,  nicht 
ganz  entsprechen. 

Die  tägliche  Brodportion  beträgt  nach  dem  Reglement  von 
1859  1  Pfund  26  Loth  Brod  oder  28  Loth  Zwieback;  die  tägliche 
Victualienportion  an 

Fleisch:  15  Loth  frisches  oder  gesalzenes  —  oder  10  Loth 
geräuchertes  —  oder  7^  Loth  Speck; 

Gemüse:  6  Loth  Reis  —  oder  1\  Loth  Graupe  oder  Grütze 
oder  15  Loth  Hülsenfrüchte  —  oder  15  Loth  Mehl  — 
oder  3  Pfund  Kartoffeln; 

Salz:  \\  Loth; 

Branntwein  t*  Quart. 

In  wie  weit  diese  Sätze  hinter  dem  theoretischen  Calcul  zurück- 
bleiben, ergiebt  sich  aus  den  Arbeiten  mehrerer  preussischer  Mili- 
tär -Aerzte  —  Hildes  heim,  Böttcher  und  Asche — ,  aufweiche 
ich  Behufs  des  Vergleiches  verweise.  Das  volle  Pfund  Fleisch,  wel- 
ches die  Soldaten  in  Jütland  eine  Zeit  lang  erhielten,  wurde  von 
ihnen  gern  verzehrt  und  hat  ihnen  sichtlich  wrohlgethan.  In  Rück- 
sicht auf  die  kraftverzehrende  Wirkung  des  Felddienstes,  zumal  bei 
dem  durchschnittlichen  Alter  des  preussischen  Feldsoldaten,  erscheint 


24 


die  Erhöhung  des  reglemeu tarischen  Fleischsatzes  wenigstens  auf 
\  Pfund,  wie  sie  zeitweis  auch  bei  den  Truppen  in  Schleswig  auf 
besondere  Anordnung  der  Befehlshaber  erfolgte,  sehr  rathsam.  Da- 
neben würde  eine  Verminderung  des  Brodsatzes  um  4  Pfund  als 
Verlust  kaum  empfunden  werden.  Trotz  der  vorzüglichen  Qualität 
wurde  die  Brodportion  von  vielen  Soldaten  oft  nicht  ganz  verzehrt. 

Ebenso  nützlich  wie  beliebt  wurde  die  neuere  Zulage  zur  Tages- 
portion —  1  Loth  Kaffeebohnen.  Reichte  auch  die  Zahl  der 
mitgegebenen  gut  construirten  Kaffeemühlen  nicht  immer  aus,  man 
wusste  sich  zu  helfen.  Der  erwärmende  und  belebende  Trank,  bei 
den  Replis  bereitet,  verlieh  namentlich  dem  beschwerlichen  Vor- 
postendienste einen  wohlthuenden  Anstrich  von  Gemüthlichkeit.  Die 
KafTeeportionen  wurden  zu  dem  Behufe  bisweilen  verdoppelt.  Die 
mit  einem  Zuckerzusatze  präparirten  Kaffeetafeln  der  Oesterreicher 
wurden  gelobt.  Dennoch  möchte  ich  unsere  Lieferungsart  vorziehen; 
sie  giebt  der  Fälschung  durch  Surrogate  geringer  Raum.  Der  Kaffee 
maciit  den  Branntwein  nicht  ganz  überflüssig;  aber  er  gestattet, 
die  Menge  des  letzteren  so  einzuschränken ,  dass  die  namentlich  im 
Winter  drohenden  Kachwirkungen  seines  Genusses  —  Erschlaffung 
und  Schlafsucht  —  nicht  eintreten. 

Wenn  man  erwägt,  welche  Stelle  in  der  Friedensnahrung  der 
Kartoffel  zugestanden  ist,  so  wird  es  sehr  begreiflich,  dass  der 
plötzliche  und  gänzliche  Ausfall  dieses  Nährmittels  unserm  Feldsol- 
daten als  eine  grosse  Entbehrung  erscheint.  Es  hat,  wie  erwähnt, 
im  Reglement  seine  Stelle;  aber  Volumen  und  Gewicht  erschweren 
ausserordentlich  die  Aufnahme  desselben  in  die  Feld- Magazine. 

Ueberhaupt  ist  die  schwer  zu  vermeidende  Einförmigkeit 
der  Magazin -Verpflegung  die  Schattenseite  dieser  im  Felde  unent- 
behrlichen und  unter  Umständen,  selbst  wo  man  die  Wahl  hat,  je- 
der anderen  vorzuziehenden  Verpflegungsart.  Die  ständige  Wieder- 
kehr ihrer  Elemente,  werden  sie  auch  an  und  für  sich  vorzüglich 
geliefert,  ermüdet  gleichsam  die  Geschmacks-  und  Verdauungs- Or- 
gane und  führt  bei  einer  längeren  Dauer  zu  einer  krankhaften  Blut- 
bildung, besonders  wenn  der  gänzliche  Ausfall  erfrischender 
Vegetabilien  hinzukommt.  Wohl  ist  das  Reglement  auch  auf 
diesen  Umstand  bedacht,  indem  es  Rüben,  Backobst,  Sauer- 
kraut als  Veränderungen  der  Victualienportion  zulässt.  Aber  es 
scheint  ,  dass  die  Intendanturen  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten 
Btossen,  von  dieser  Erlaubniss  practisch  Gebrauch  zu  machen. 

Vaterlands-   und  Soldaten  -  Freunde  haben  einzeln  und  vereint 


25 


manche  erwünschte  Abwechselung  in  die  Verpflegung  gebracht. 
Allein  mit  diesem  Factor  ist,  weil  seine  Wirksamkeit  so  sehr  von 
den  Umständen  abhängt,  amtlicher  Seits  nicht  zu  rechnen.  Dess- 
halb  verdient  vielleicht  ein  anderer  mehr  Aufmerksamkeit,  als  er 
in  der  preussischen  Armee  bis  jetzt  gefunden  zu  haben  scheint. 
Sollte  es  nicht  möglich  sein,  den  Nutzen  des  Marketenderwe- 
sens zu  steigern,  wenn  über  die  blosse  Duldung  desselben  hinaus- 
gegangen und  eine  bestimmte  Regelung  und  Controlle  versucht  wird? 

Besondere  Erwähnung  erheischt  noch  die  sogenannte  „eiserne 
Portion"  —  jener  Vorrath  an  Victualien  auf  o  Tage,  welcher, 
wenn  der  commandirende  General  es  für  nöthig  hält,  dem  Soldaten 
zur  Mitführung  auf  dem  Marsche  gegeben  wird.  Er  bestand  in  Brot 
oder  Zwieback,  Reis,  Graupe  oder  Grütze,  Salz  und  Speck.  Der 
Zwieback  hat  unter  unseren  Soldaten  nicht  viel  Freunde  gefunden, 
der  Speck  um  so  mehr,  so  dass  er  sich  kaum  als  eisern  bewährte. 
Von  allen  Präparaten  der  neueren  Industrie  scheint  das  F  leisen - 
extract  für  den  Zweck  der  eisernen  Portion  am  meisten  der  Be- 
achtung werth.  Der  transatlantische  Betrieb  im  Grossen,  welcher 
begonnen  hat,  lässt  auf  entsprechende  Erledigung  des  Kostenpunktes 
hoffen.  Salzfleisch  sollte  zur  eisernen  Portion  niemals  verwendet 
werden.  Schon  die  lange  Zeit,  welche  es  wässern  muss,  um  ge- 
niessbar  zu  werden,  macht  es  untauglich  dazu. 

Die  Kleidung  des  preussischen  Soldaten  ist  seit  dem  Feld- 
zuge vom  Kopfe  bis  zur  Sohle  der  Kritik  unterzogen  worden. 
Manche  Ausstellungen  mögen  begründet,  manche  Aenderungsvor- 
schläge  beachtenswerth  sein.  Allein  Winterfeldzüge  werden  wohl 
immer  zu  den  Ausnahmen  gehören,  und  manche  nationale  Eigen- 
tümlichkeit hat  Anspruch,  respectirt  zu  werden,  wofern  sie  nicht 
absolut  zweckwidrig  oder  senädlich  ist.  So  ist  z.  B.  über  den 
Helm  von  den  verschiedensten  Standpunkten  der  Stab  gebrochen. 
Die  Nachtheile,  welche  er  für  die  Gesundheit  haben  soll,  scheinen 
mir,  besonders  in  Rücksicht  auf  die  neuere  Form  desselben,  etwas 
übertrieben  auf  Kosten  des  Schutzes,  welchen  er  in  mehr  als  einer 
Beziehung  wirklich  bietet.  Schwerlich  giebt  es  eine  Kopfbedeckung, 
welche  bei  Sturm  und  Wetter  so  schützt  und  so  sicher  sitzt  wie 
ein  gut  passender  Helm.  Die  Erfahrung  des  Feldzuges  hat 
gezeigt,  wie  man  sich  helfen  kann,  wo  seine  Xachtheile  vor- 
wiegen. Die  Kopfverletzten  von  Missunde,  wo  der  Helm  nicht 
abgelegt  wurde ,  haben  ein  um  6  pCt.  günstigeres  Heilungs- 
Verhältniss    gehabt,    als    die    Kopfverletzten    aus    den  übrigen 


26 


Kämpfen.  Es  waren  verbaltnissmässig  weniger  Schwerverwundete 
darunter. 

Wenn  die  Leichtigkeit  des  Stoffes,  aus  welchem  die  Waffen- 
röcke, Beinkleider  und  Mäntel  gefertigt,  werden,  Anstoss  er- 
regt, so  darf  doch  nicht  vergessen  werden,  dass  namentlich  für  den 
Infanteristen  jede  Steigerung  der  Last,  welche  er  zu  tragen  hat,  den 
Anspruch  auf  Kraftanwendung  erhöht  und  die  Beweglichkeit  schmä- 
lert. Wohl  möchte  es  rathsam  sein,  Länge  und  Weite  des  Waffen- 
rockes wie  des  Mantels  weniger  knapp  zu  bemessen,  um  den  Nutzen, 
welchen  das  Gestatten  von  Unterkleidern  gewährt,  nicht  durch  Be- 
hinderung des  Athmens  zu  schmälern.  Die  aus  privaten  Hülfsquel- 
len  stammenden  wollenen  Strümpfe,  Unterjacken  etc.  haben 
nicht  wenig  dazu  beigetragen,  unsere  Soldaten  gegen  die  Kälte  zu 
schützen,  und  die  Disciplin  übte  eine  besondere  Nachsicht  gegen 
das  Feldcostüm.  An  leichten  Frostübeln  hat  es  natürlich  nicht  ge- 
fehlt; aber  bei  der  Erinnerung  an  die  grossen  Verluste  von  Glie- 
dern und  Leben  in  Folge  der  Kälte,  wie  sie  von  anderen  Winter- 
feldzügen bekannt  sind*),  bleibt  es  eine  ebenso  auffallende  als 
erfreuliche  Thatsache,  dass  selbst  lokale  Erfrierungen  bedeutenden 
Grades  zu  den  grössten  Seltenheiten  gehörten.  Der  Dank  dafür  ge- 
bührt der  Armee -Verwaltung,  welche  für  den  Ausnahmefall  aus- 
nahmsweisen  Schutz  zu  gewähren,  auch  ihrer  Seits  nicht  gesäumt 
hat.  Bewährt  haben  sich  ganz  besonders  die  den  Mänteln  zuge- 
fügten Kapotten.  Die  Erinnerung  an  den  Nutzen  der  Pelze,  mit 
welchen  die  Vorposten  versorgt  wurden,  leidet  etwas  unter  dem 
üblen  Gerüche,  welchen  dieselben ,  einmal  nass  geworden ,  in  hohem 
Grade  entwickelten.  Es  wird  für  die  Zukunft  kaum  Schwierigkeit 
haben,  das  Aussenleder  gegen  Durchfeuchtung  und  zugleich  gegen 
das  heim  Trocknen  eintretende  Brüchigwerden  zu  schützen.  —  Die 
Industrie  beschäftigt  sich  schon  lange  mit  dem  Wasserdichtma- 
chen der  Tuchstoffe.  Sollte  nicht  die  Schutzkraft  des  Mantels 
eine  Steigerung  von  dieser  Kunst  zu  erwarten  haben? 

Viele  Stimmen  erheben  sich  für  die  Einführung  wollener 
Hemden  in  die  reglementsmässige  Soldatenkleidung.  Es  lässt  sich 
nicht  leugnen,  dass  ein  solches  Hemde  nicht  bloss  im  Winter,  son- 
dern auch  im  Sommer  gegen  Erkältungsleiden  Schutz  bietet  Den- 
noch  \onlinnt   ein   Lniformstück   wie  die  sogenannte  Weste  des 

*)  Im  Krimmkrjege  starben  von  der  englischen  Armee  463,  von  der  fran- 
Kfcri sehen  1178  in  Folge  von  Erfrierungen. 


27 


österreichischen  Soldaten  den  Vorzug.  Diese  lange  Tuchjacke  hält 
den  Leib  sehr  warm;  sie  wird  im  Sommer  allein  als  Uniform  ge- 
tragen. Unsere  Drillichjacken,  welche  ähnlich  gebraucht  werden, 
bieten  einen  sehr  unvollkommenen  Schutz,  wenn  der  Soldat  von 
Märschen,  vom  Vorpostendienst,  von  der  Belagerungs-Arbeit  erhitzt 
in  das  unheizbare  Quartier  gelangt  und  seine  durchnässten  und  be- 
schmutzten Uniformsstücke  behufs  des  Trocknens  und  Reinigens 
ablegen  will.  An  ähnlichen  Situationen  fehlt  es  auch  im  Frieden 
nicht. 

Am  meisten  Hess  unter  den  obwaltenden  Umständen  die  Fussbe- 
kleidung zu  wünschen  übrig.  Auf  den  Märschen  und  besonders  in  den 
Trancheen  gestattete  die  weite  Hose  über  dem  kurzschäfti- 
gen  Stiefel  dem  Schnee  wie  dem  flüssigen  Schmutze  unbehinderten 
Zutritt  zu  den  Füssen.  Der  Soldat  suchte  sich  zu  helfen,  indem  er 
die  Hosen  in  die  Stiefel  steckte  und  Tücher  oder  Strohbinden  dar- 
umwickelte. Durch  die  Königliche  Ordre  vom  1.  März  1866  erhält 
der  preussische  Infanterist  nunmehr  Stiefel  mit  12  — 14  Zoll 
langen  bis  über  die  halbe  Wade  reichenden  Schäften  und 
Schuhe.  Hiermit  scheint  dem  Bedürfnisse  in  der  That  am  voll- 
ständigsten entsprochen  zu  sein.  Bei  der  Schnelligkeit,  mit  welcher, 
wie  die  Erfahrung  gezeigt  hat,  gegenwärtig  aus  dem  Friedensver- 
hältnisse zu  Kriegsmärschen  und  zur  Action  übergegangen  werden 
kann,  verdient  auch  die  Construction  des  Stiefelfusses  besondere 
Aufmerksamkeit,  besonders  bei  der  Austheilung  neuer  Stiefel  an  die 
einberufenen  Reservemannschaften.  Ist  der  Stiefel  im  Fusse  zu  kurz 
oder  zu  breit  oder,  wie  es  be  onders  oft  an  der  Hacken-Kappe  vor- 
kommt, zu  eng,  ist  die  innere  Sohlenfläche  uneben,  vielleicht  gar 
durch  hineinragende  Nagelspitzen,  so  können  gleich  die  ersten 
Märsche  Fusskranke  in  einer  Menge  liefern,  welche  für  die  Kampf- 
stärke nichts  weniger  als  gleichgültig  ist,  wenn  man  sie  den  Laza- 
rethen  überweisen  muss. 

Das  Quartier  stellt  die  Entsagungsfähigkeit  des  Feldsoldaten 
nicht  selten  auf  die  stärksten  Proben.  Auf  den  Märschen  wird  die 
Lage  von  dem  Kriegszwecke  mit  seinen  Notwendigkeiten  so  sehr 
beherrscht,  dass  das  Marsch  quartier  sich  dem  Einflüsse  des  Ge- 
sundheitsdienstes fast  gänzlich  entzieht.  Um  so  wachsamer  muss  er 
sein,  wo  es  sich  um  ständigere  Unterkunftsformen  handelt.  Zelt- 
und  Baracken-Lager  wurden  zwar  im  Sundewitt  zeitweis  benutzt, 
z.  B.  das  aus  den  Dannewerk-Baracken  in  der  Büffelkoppel  herge- 
stellte, um  während  der  Belagerung  die  Reserven  der  Trancheen- 


28 


Besatzung  aufzunehmen.  Da  jedoch  immer  nur  einzelne  Truppen- 
körper in  kurzen  Fristen  wechselnd  auf  solche  Quartiere  angewiesen 
waren,  so  konnten  etwaige  Mängel  nachhaltigen  Schaden  nicht  ver- 
ursachen. Immerhin  findet  hier  und  ganz  besonders  in  dicht  belegten 
und  an  und  für  sich  schlechten  Canton  nements  -  Quartieren, 
wie  es  viele  der  im  Sundewitt  während  der  Cernirung  und  Belage- 
rung benutzten  waren,  auch  die  Disciplin  Gelegenheit,  sich  als 
eine  der  wirksamsten  Stützen  der  Hygiene  zu  bewähren.  Nicht  bloss 
jene  Lager,  sondern  auch  diese  Quartiere  können  zu  wahren  Brut- 
stätten von  Krankheitskeimen  werden. 

Nur  straffe  Zucht  vermag  den  Anforderungen  der  Hygiene  Geltung 
zu  sichern  gegenüber  dem  Leichtsinne  und  der  Gleichgültigkeit  da- 
gegen, welche  bei  dem  Feldsoldaten  so  leicht  die  Oberhand  gewinnen. 
Gewiss  erheischt  es  Nachsicht,  wenn  der  Soldat,  von  der  Wacht  auf 
Vorposten  oder  in  den  Trancheen  erschöpft  in  dem  öden  Quartiere 
anlangend,  die  notwendigen  Rücksichten  auf  Reinlichkeit  und  Ord- 
nung vergisst.  Aber  um  ihn  selbst  und  seine  Quartiergeno>sen  vor 
Ungemach  und  Unheil  aller  Art  zu  wahren,  muss  da  die  Disciplin 
dem  durch  Ueberanstrengung  erschlafften  Willen  zu  Hülfe  kommen. 
Ein  Führer,  welcher,  sachverständigem  Rathe  zugänglich,  straffe  Zucht 
mit  vorsorglicher  Rücksicht  für  die  Forderungen  der  Hygiene  den 
Umständen  entsprechend  zu  paaren  weiss,  wird  stets  die  Freude 
haben,  mit  seiner  Truppe  möglichst  vollzählig  und  kräftig  an  den 
Feind  zu  kommen. 

Nirgends  ist  das  Handinhandgehen  der  Disciplin  mit  dem  Ge- 
sundheitsdienste notwendiger,  nirgends  rächt  sich  der  Mangel  des- 
selben empfindlicher,  als  auf  den  Kriegs -Mär  sehen.  Die  Aus- 
dauer im  Marschiren  gilt,  namentlich  für  die  Infanterie,  mit  Recht 
als  wesentliches  Erforderniss  der  Kriegstüchtigkeit.  Das  Schicksal 
der  Dannewerk  -  Stellung  wurde  entschieden  durch  den  Flanken- 
Angriff  des  unter  dem  Befehle  des  Generals  der  Cavallerie  Prinz 
Friedrich  Karl  von  Preußen  K.  H.  stehenden  1.  combinirten 
Armee-Corps.  In  der  Nacht  vom  5.  zum  6  Februar  bivouakirte  es 
bei  —6°  R.  auf  schneebedecktem  Sturzacker  ohne  Stroh  und  Feuer, 
um  bei  Arnis  den  Uebergang  über  die  Schlei  zu  forciren.  In  der- 
selben Nacht  verliessen  die  Dänen  ihre  seit  Jahren  mit  den  grössten 
Opfern  und  stark  befestigte  Stellung.  In  wenigen  Stunden  wurde 
die  Ponton-Brücke  über  den  ca.  700  Fuss  breiten  Fluss  geschlagen. 
Es  galt  nun,  bei  einem  schneid onden  Nordost  auf  schneeverwehten 
Landwegen  oder  spiegelglatter  Chaussee  den  fliehenden  Feind  in 


29 


Eilmärschen  zu  verfolgen.  Die  Wintermäische  am  6.  und  7.  Februar 
waren  eine  starke  Probe  auf  die  Marschfähigkeit.  Sie  wurde  rühm- 
lich bestanden  und  gab  auch  der  Cavallerie  Gelegenheit,  die  Tüch- 
tigkeit von  Reiter  und  Ross  zu  zeigen. 

Die  Garde-Division,  welche  unter  dem  Befehle  des  Generallieu- 
tenant v.  d.  Mülbe  zur  selben  Zeit  und  unter  gleich  erschwerenden 
Umständen  auf  dem  linken  Flügel  nach  dem  nämlichen  Ziele  — 
Flensburg  —  voreilte,  hatte  am  26.  und  27.  März  eine,  was  die 
Entfernung  betrifft,  noch  stärkere  Probe  zu  leisten.  Sie  führte  ihre 
plötzlich  befohlene  Dislokation  aus  der  Gegend  von  Veile  in  Jütland 
nach  dem  Sundewitt  —  ca.  13  Meilen  —  in  diesen  beiden  Tagen 
aus,  ohne  dadurch  die  Fähigkeit  einzubüssen,  sofort  und  die  folgen- 
den 14  Tage  hindurch  den  stärksten  Strapazen  im  Belagerungsdienste 
sich  zu  unterziehen. 

Und  doch  waren  dies  nicht  die  schwersten  Prüfungen.  Wohl 
ermüden  und  erstarren  bei  den  Wintermäi  sehen  die  frostgeschwellten 
oder  wunden  Füsse  in  den  nie  trocknenden  Stiefeln;  wohl  fehlt  es 
nicht  an  Schwachen,  welche  der  Anregung,  der  Erleichterung,  des 
Beistandes  bedürfen;  wohl  stellen  sich  Lungen-  und  Brustfell -Ent- 
zündungen ein,  wenn  der  Soldat,  trotz  der  Kälte  schweisstriefend 
am  Tagesziele  angelangt,  auf  freiem  Felde  bivouakiren  oder  in  den 
unheizbaren  Räumen  eines  Marschquartiers  während  des  sich  auf- 
drängenden Schlafes  die  durchnässten  Kleider  am  Leibe  trocknen 
lassen  muss.  Aber  die  kalte  und  frische  Luft  selbst  ist  ein  unver- 
dorbenes Material  für  den  Athmung^process,  ein  belebender  Reiz  für 
die  Nerventhätigkeit  und  ein  wirksames  Mittel  gegen  die  Blutwal- 
lungen nach  Kopf  und  Brust. 

Die  Gefahr  einer  Auflösung  des  Truppenverbandes  durch  das 
Marodiren  und  der  drohende  Verlust  an  Menschenleben  durch  die 
schlimmsten  Formen  der  Marschwirkung  knüpft  sich,  wenn  nicht 
ausschliesslich,  so  doch  vorzugsweis  an  den  Kriegs  marsch  in  der 
Gluth  und  im  Staube  des  Hochsommers.  Einen  solchen 
hatte  das  unter  dem  Befehle  des  Generallieutenant  v.  Falk  enstein 
in  Jütland  combinirte  Corps  im  Juli  zu  bestehen,  als  es  gegen  den 
Lymfjord  vormarschirte.  Am  9.  Juli  erreichte  die  Hitze  Morgens 
10  Uhr  26°  R.  Kein  Luftstrom  lichtete  den  Staub,  welcher  von 
den  Wegen  durch  die  öden  und  schutzlosen  Haidestrecken  aufstei- 
gend die  marschirenden  Colonnen  verhüllte.  Da  hat  auch  mancher 
Brave  gewankt,  welcher  im  Februar  und  März  zu  den  Straffsten 
zählte. 


30 


Wenn  solche  Märsche  bevorstehen,  so  ist  es  nothwendig,  auf 
die  Hülfsmittel  für  den  Nothfall  bedacht  zu  nehmen.  So  wird  man 
an  Transportmittel  für  diejenigen,  welche  unterwegs  marschunfähig 
werden,  zu  denken  haben.  Man  wird  solche  mitführen  müssen, 
wenn  man  nicht  sicher  ist,  den  etwaigen  Bedarf  unterwegs  durch 
Requisition  decken  zu  können.  Aber  dergleichen  Fuhrwerke 
sollten  sich  nie  im  Gesichtskreise  der  marschirenden 
Truppen  befinden.  Ihr  Anblick  genügt,  die  Schwachwilligen 
alsbald  über  die  eigene  Leistungsfähigkeit  zu  täuschen.  Jene  Wagen 
müssen  später  abrücken  und  stets  in  genügender  Ferne  hinter  der 
Truppe  zurückbleiben. 

Ein  in  der  Truppe  beliebtes  Lied,  der  Trommelschlag,  beson- 
ders aber  das  Ehrgefühl  und  das  Beispiel  willenskräftiger  Kameraden 
helfen  in  einer  gut  gezogenen  Truppe  lange  vorwärts.  Dennoch  ver- 
längert sich  ailmählig  die  Colonne  und  einzelne  Marode  melden  sich. 
Diess  ist  der  Moment,  wo  es  gilt,  dem  ermunternden  Zuspruche  die 
willenstärkende  Macht  der  Disciplin  hinzuzufügen.  Sie  muss  beson- 
ders stark  am  Schlüsse  der  Colonne  vertreten  sein.  Der  Marode 
muss  hier  in  der  Autorität  des  schliessenden  Ofticiers  eine  Stütze 
für  seine  wankende  moralische  Kraft,  aber  auch  einen  erfahrenen 
Beurtheiler  seiner  physischen  Kraft  und  einen  Helfer  finden. 

Es  ist  für  den  Arzt  nichts  weniger  als  leicht,  jeden  einzelnen 
Mann  bei  diesem  Anlass  richtig  zu  beurtheilen.  Der  erste  Marode, 
welchem  erlaubt  wird,  auf  einem  die  Colonne  begleitenden  Wagen 
auszuruhen,  wird  zum  gefährlichsten  Beispiel.  Es  muss  vermieden 
oder  wenigstens  so  lange  als  irgend  möglich  verschoben  werden. 
Für  Viele,  welche  momentan  erschlaffen,  genügt  eine  zeitweise  Er- 
leichterung der  Belastung  durch  Abnehmen  des  Gewehrs  oder  des 
Gepäckes,  eine  Erfrischung,  ein  belebendes  Riechmittel,  einige  Tropfen 
Aethergeist,  um  sie  im  Gange  zu  halten.  Den  wirklich  Erschöpften 
muss  eine  kurze  Rast  unter  Aufsicht  gestattet  werden.  Sind  nur 
die  verführerischen  Wagen  nicht  nahe,  so  erholen  sie  sich  gewöhn- 
lich bald,  um  der  Truppe  bis  zum  nächsten  Rendez-vous  folgen  zu 
können.  Die  Wagen  müssen  durchaus  reservirt  bleiben  für  die  Aus- 
nahmsfälle, sei  es,  dass  das  blasse  von  kaltem  Schweisse  triefende 
Gesicht,  das  schnelle  oberflächliche  Athmen,  der  kleine  Puls  neben 
der  schwindenden  Besinnung  das  wirkliche  Erlahmen  der  Nerven- 
kraft bekundet  (Erschöpfungs-Ohnmacht),  oder  sei  es,  dass 
in  dem  gerötheten  Augenweiss,  in  der  bläulichen  Färbung  des  glü- 
henden Gesichtes,  dem  erschwerten  Athmen  und  der  Unregelmässig- 


31 


keit  des  Herzschlages  das  bedrohliche  Bild  des  sogenannten  „Son- 
nenstiches" sich  ausprägt. 

Das  Geschick,  der  practische  Tuet  und  die  persönliche  Hinge- 
bung des  ärztlichen  und  Gehüifen-Personals  wird  an  solchen  Tagen 
auf  starke  Proben  gestellt.  Mit  den  Leistungen,  durch  welche  es 
dem  militärischen  Zwecke  ebenso  ?ehr  wie  dem  Hülfebedarf  des 
einzelnen  Mannes  zu  entsprechen  hat,  verknüpft  sich  für  dasselbe 
ein  erhebliches  Plus  von  Kraftaufwand.  Während  die  Colonne  weiter 
marschirt,  hat  der  Truppen-Arzt  bald  hier,  bald  dort  zu  prüfen,  zu 
rathen  und  zu  helfen;  er  muss  den  beschwerlichen  Marsch  doppelt 
und  dreifach  machen  und  seine  Anstrengungen  fortsetzen,  wenn 
die  Truppe  auf  dem  Rendez -vous  oder  im  Marschquartier  schon 
ausruht.*) 

Die  Wichtigkeit  des  Themas  wird  es  entschuldigen,  wenn  ich  es 
zu  eingehend  bespreche.  Ich  möchte  dem  Arzte  sagen,  wie  not- 
wendig, es  ist,  dass  er  sich  bei  seinen  hygienischen  Rathschlägen 
niemals  ausschliesslich  auf  den  abstract  humanen  Standpunkt  stelle, 
sondern  auch  der  anderen  Seite  seines  schönen  Berufes  —  Mitwir- 
kung zur  Erreichung  des  nächstliegenden  practischen  Kriegszweckes 
—  eingedenk  bleibe.    Dagegen  ist  selbstverständlich,  dass  die  Be- 

*)  Der  Beruf  des  Truppen- Arztes  im  Felde  wird  gegenüber  dem  des 
Lazareth-Arztes  nicht  selten  unterschätzt.  Er  selbst  beneidet  oft  seine 
Collegen  in  den  Feldlazarethen  wegen  der  reichen  Gelegenheit,  nützlich  zu 
wirken  und  Fach-Erfahrungen  zu  machen,  zu  denen  der  Frieden  nur  ausnahras- 
weis  Anlass  giebt,  und  welche  den  Militär- Arzt  von  Beruf  doppelt  interessiren, 
weil  die  Aussicht  auf  spätere  Verwerthung  derselben  ihm  näher  liegt.  Die 
Vertheilung  der  Militär- Aerzte  von  Beruf,  der  Volontär- Aerzte  und  der  Aerzte 
aus  dem  Reserve-  und  Landwehr- Verhältniss,  wie  sie  bei  der  Feldarmee  von 
1864  stattgehabt  hat,  ist  desshalb  mehrfach  bemängelt  worden.  Ohne  Zweifel 
liegt  es  im  Interesse  der  Armee,  auch  von  der  Feldlazareth -Erfahrung  einen 
möglichst  grossen  Antheil  in  ihren  ständigen  Aerzten  für  die  Zukunft  zu  con- 
serviren.  Aber  es  hiesse,  über  die  Zukunft  das  augenblickliche  Bedürfniss 
vergessen,  wenn  man  den  Truppen  selbst  nur  Aerzte  geben  wrollte,  welche  mit 
den  militärischen  Verhältnissen  noch  nicht  oder  nicht  mehr  vertraut  sind.  Der 
Beruf  des  Truppen -Arztes  im  Felde  umfasst  eine  Reihe  von  Leistungen  von 
grösster  Bedeutung  für  das  Wohl  der  Feldarmee.  Ausser  den  schon  berührten 
werde  ich  noch  manche  andere  zu  erwähnen  haben.  Richtig  erfasst  wird 
auch  er  zu  einer  Quelle  werthvoller  und  für  die  Armee  nützlicher  Erfahrung. 
Dass  die  Unterschätzung  desselben  in  der  reglementarischen  Differenz  der  Ge- 
hälter des  Truppen  -  und  des  Lazareth  -  Stabsarztes  (das  des  ersteren  um 
100  Thlr.  p.  an.  geringer)  gewissermaassen  eine  Stütze  findet,  ist  gewiss  nichts 
weiter  als  ein  zufällig  noch  nicht  zur  Ausgleichung  gelangtes  Product  der 
stattgehabten  Revision  des  Feldlazarethwesens. 


32 


rechtigung  der  Disciplin ,  für  diesen  Zweck  die  äusserste  Strenge 
und  Consequenz  geltend  zu  machen,  die  Verpflichtung  einschliesst, 
alles  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  Mögliche  aufzubieten,  um 
dem  Soldaten  die  schwere  Leistung,  welche  ihm  abgefordert  wird, 
zu  erleichtern.  Sie  läuft  sonst  Gefahr,  unverhältnissmässig  viel 
Menschen-Leben  und  Kraft  zu  opfern,  ohne  die  Zweckerreichung  zu 
sichern.  Aber  es  thut  nicht  Noth,  in  dieser  Beziehung  an  das  Herz 
zu  appelliren  bei  einem  Officier-Corps  wie  das  preussische.  Ausser 
dem  Vorbilde  der  persönlichen  Hingebung  im  Kampfe,  dessen  ich 
bereits  gedachte,  hat  gerade  die  stete  humane  Fürsorge,  welche  die 
Führer  ihren  Untergebenen  im  Felde  widmeten,  ein  Vertrauens-  und 
Anhänglichkeits-Verhältniss  zwischen  Officier  und  Soldat  geschaffen 
und  unterhalten,  welches  dem  Geiste  der  Kameradschaft  entspricht, 
ohne  die  nothwendige  Autorität  zu  lähmen.  Es  handelt  sich  viel- 
mehr um  die  Ansichten  über  Zweckmässigkeit  und  Nutzen  der 
Maassregeln,  welche  Behufs  der  Schonung  und  Conservintng  auf 
schweren  Märschen  zu  treffen  sind. 

Ob  der  Tages-  oder  der  Nacht -Marsch  den  Vorzug  verdiene; 
ob  es  besser  sei,  den  Marsch  früh  zu  beginnen  und,  ohne  unter- 
wegs abzukochen,  bis  zum  Tagesziele  fortzusetzen  oder  ihn  während 
der  Sonnenhöhe.  Behufs  des  Abkochens,  zu  unterbrechen  und  erst 
in  den  späteren  Nachmittagsstunden  zu  vollenden;  ob,  wann  und 
wie  oft  es  zulässig  oder  nöthig  sei,  den  instinctiven  Drang  nach 
frischem  Wasser  zu  befriedigen;  ob  das  Marschiren  mit  seltenen  und 
längeren  oder  mit  öfteren  und  kürzeren  Rendez -vous  zweckmässig 
sei  —  über  diese  und  ähnliche  Fragen  gehen  die  Ansichten  nicht 
selten  weit  auseinander.  Mitunter  freilich  schliessen  die  Verhält- 
nisse  im  Felde  jede  Wahl  aus;  in  der  Regel  aber  bleibt  auch  da 
für  hygienische  Dispositionen  ein  gewisser  Spielraum. 

Um  sie  der  Situation  so  entsprechend  und  für  den  Kriegszweck 
so  nützlich  wie  möglich  zu  gestalten,  sollten  sie  stets  aus  der  Be- 
rathung  des  Führers  mit  dem  Arztehervorgehen,  namentlich 
in  einer  Armee,  welche  nach  dem  erleuchteten  und  humanen  Willen 
des  Königlichen  Kriegsherrn  nur  von  wissenschaftlich  durchgebildeten 
Aerzten  berathen  ist. 

Es  ist  gewiss  misslich,  die  Schablone  für  den  Uebungsmarsch 
im  Frieden  ohne  Weiteres  auf  den  Kriegsmarsch  zu  übertragen. 
Aber  ein  Führer  kann  seine  Gründe  haben,  selbst  bei  einer  Hitze 
über  20°  R  Wagen  zum  Fahren  der  Tornister  nicht  zu  requiriren, 
eine  Lockerung  der  Marschcolonnp ,   rlas  Aufsetzen  der  Feldmütze 


33 


statt  des  Helmes,  das  Lüften  der  Halsbinde,  die  Rast  zur  Labung 
an  einem  Brunnen  etc.  nicht  zu  gestatten ,  den  Meldungen  des  Arztes 
über  Vorboten  der  Gefahr  und  den  daran  geknüpften  Vorschlägen 
keine  Folge  zu  geben.  Es  kann  dabei  vorkommen,  dass  eine  solche 
Truppe  mit  grösseren  Verlusten ,  später  und  weniger  kampffähig  als 
andere  zum  Ziele  des  Marsches  gelangt.  Allein  es  heisst,  die  we- 
sentlichsten Lebens-  und  Leistungs- Bedingungen  des  vielgliedrigen 
Armee -Organismus  verkennen,  wenn  man  folgert,  der  Arzt  müsse 
einen  mehr  als  b er ath enden  Einfluss  auf  jene  Dispositionen 
haben. 

Einheitlichkeit  der  Befehlführung  bei  der  Combi- 
nation  verschiedener  Elemente  zu  einem  bestimmten 
Zwecke  und  die  Befehlführung  in  der  Hand  desjenigen 
Elementes,  welches  mittelst  seines  Specialberufes  den 
Zweck  zu  vertreten  hat,  ist  überall,  besonders  aber  für  eine 
Armee  die  wesentlichste  Bedingung  der  Zweckerreichung.  Sie  gilt 
für  die  Armee  im  Ganzen  wie  für  die  Lösung  der  Einzel- Aufgaben 
innerhalb  des  Gesamrutzweckes.  Der  Zweck  eines  Kriegsmarsches 
ist  nun  gewiss  kein  hygienischer. 

Man  sollte  lieber  die  Frage  stellen  und  mit  aller  Aufrichtigkeit 
beantworten,  woran  es  liegt,  dass  gerade  auf  dem  Gebiete  der  Hy- 
giene der  Rath  des  Arztes  bisweilen  weniger  Einfluss  übt,  als  wün- 
schenswert ist.  Ich  glaube,  es  liegt  eben  daran,  dass  man  militä- 
rischer Seits  voraussetzt,  der  Standpunkt  des  Arztes  sei  der 
abstract  humane  und  desshalb  nicht  oder  schwer  vereinbar  mit  dem 
practisch  militärischen.  Es  mag  dahingestellt  bleiben,  in  wie  weit 
die  preussischen  Militär- Aerzte  durch  die  Art  ihrer  Rathertheilung 
dieser  Voraussetzung  Vorschub  geleistet  haben  und  leisten.  Aber 
ich  kann  nicht  umhin,  ohne  Rückhalt  zu  sagen,  dass  es  erklärlich 
wäre,  wenn  sie  zuträfe.  Trotz  der  intimsten  persönlichen  Beziehun- 
gen und' obwohl  er  wenigstens  im  Felde  ganz  ihr  eigen  ist,  steht 
der  Arzt  einer  Truppe  als  „Beamter"  reglementarisch  isolirt 
mitten  unter  den  „Combattanten",  selbst  seine  technischen  Un- 
tergebenen, die  Lazarethgehülfen ,  nicht  ausgeschlossen.  Diess  ist 
sehr  gleichgültig,  wo  es  sich  bloss  um  gewissenhafte  und  kunstge- 
mässe  Behandlung  einzelner  Kranken  oder  Verwundeten  handelt;  aber 
es  ist  von  Bedeutung  für  alle  übrigen  Verhältnisse,  in  denen  die 
Mitwirkung  des  Arztes  in  Anspruch  genommen  wird.  Soll  sie  die 
rechte  sein,  so  muss  sie  von  militärischem  Denken  und  Fühlen 
getragen  werden.     Die  Erfahrung  von  1864  hat  Beweise  genug 

Loeffler,  Geueralbericlit.  3 


34 


geliefert,  dass  es  unter  den  Aerzten  an  solchen  nicht  fehlt,  welche 
den  abstracten  wissenschaftlich-humanen  Standpunkt  mit  dem  prac- 
tisch- militärischen  zu  verbinden  wissen.  Es  liegt  im  eigensten 
Interesse  der  Armee  und  namentlich  der  Feldarmee,  diese  Eigen- 
schaft zu  sichern  und  zu  verallgemeinern.  Die  Beseitigung  jener 
reglementarischen  Isolirung  des  Arztes  würde  hierzu  der  erste  und 
wirksamste  Schritt  sein. 


Zweiter  Abschnitt. 


Die  Verletzungen  durch  Kriegswaffen. 


iiicht  bloss  die  Zahl,  sondern  noch  viel  mehr  die  Art  der  vorge- 
kommenen Verwundungen  würde  für  jeden  Feldzug  und  für  die 
einzelnen  Aetionen  während  desselben  bezeichnend  sein,  wenn  man 
von  beiden  Seiten  einen  vollständigen  Ueberblick  zu  gewinnen 
und  zu  geben  vermöchte.  Bisjetzt  ist  das  noch  nie  gelungen.  Die 
Todtenschau  des  Schlachtfeldes  war  auf  diesen  Punkt  in  der 
Regel  so  wenig  bedacht,  dass  die  Verletzungen  der  Gefallenen 
kaum  in  Betracht  gezogen  werden  konnten.  Es  leuchtet  aber  ein, 
dass  z.  B.  der  Antheil,  welchen  die  verschiedenen  Kriegswaffen  — 
grobes  Geschütz,  Handfeuerwaffe,  Bajonnet,  Kolben,  Säbel,  Lanze  etc. 
—  an  der  Entscheidung  haben,  sich  nur  sehr  unvollkommen  würdigen 
lässt,  wenn  unermittelt  bleibt,  wie  viele  von  den  unmittelbaren  Opfern 
des  Kampfes  auf  Rechnung  der  einzelnen  Waffen  kommen.  Man 
sollte  glauben,  dass  gerade  vom  militärischen  Standpunkte  manches 
Interesse  an  diese  Frage  sich  knüpfe.  Um  so  auffallender  ist  die 
Zurückhaltung,  mit  welcher  die  Lösung  derselben  betrieben  zu  wer- 
den pflegt.  Wird  sie  auch  durch  die  Umstände  bisweilen  sehr  er- 
schwert, unmöglich  ist  sie  gewiss  nicht.  Wro  Armeen  cultivirter 
Staaten  sich  bekämpfen,  hat  die  Menschlichkeit  schon  längst  so  viel 
Geltung  erlangt,  dass  der  Sieger,  welcher  das  Schlachtfeld  behauptet, 
die  Leichen  und  deren  Bestattung  nicht  dem  Zufalle  preisgiebt,  son- 
dern in  seine  besondere  Obhut  nimmt,  und  dabei  den  Opfern  des 
Feindes  die  nämliche  Sorgfalt  wie  den  eigenen  widmet.  Der  internatio- 
nale Vertrag,  welcher  Behufs  grösseren  Schutzes  der  Verwundeten  am 
22.  August  1864  in  Genf  vereinbart  wurde,  liesse  sich  leicht  auf  die 
Gefallenen  ausdehnen.    Die  ehrende  Bedeutung  desselben  für  unser 

3* 


36 


Jahrhundert  und  für  die  Regierungen,  welche  ihn  bereits  ratificirt 
haben,  könnte  nur  gewinnen,  wenn  man  sich  gegenseitig  verpflich- 
tete, die  Todtenschau  unter  Zuziehung  von  Aerzten  nach  einer  be- 
stimmten Regel  vorzunehmen  und  das  den  Gegner  angehende  Er- 
gebnis ihm  mitzutheilen 

Für  den  Feldzug  von  1864  sind  Notizen  über  die  Verletzungen 
der  Gefallenen  dänischer  Seits  nicht  bekannt;  auch  der  Bericht  von 
Djoerup  schweigt  darüber.  Das  Urtheil  über  die  Wirkungen  unserer 
Waffen  würde  eine  Unterlage  von  erwünschter  Breite  gewonnen  haben, 
wenn  wir  die  durch  das  Glück  des  Sieges  gebotene  Gelegenheit, 
auch  die  Wunden  der  feindlichen  Opfer  auf  dem  Schlachtfelde  zu 
constatiren,  benutzt  hätten.  Bei  unsern  eigenen  Opfern  hat  die 
Todtenschau  auch  auf  diesen  Punkt  sich  erstreckt.  Obwohl  noch 
mangelhaft,  ist  das  Ergebniss  auch  so  schon  in  mehr  als  einer  Be- 
ziehung von  Interesse.  Nur  über  33  Gefallene  fehlt  mir  genügende 
Auskunft,  um  den  verletzten  Körpertheil  und  die  verletzende  Waffe 
mit  Sicherheit  anzugeben,  obwohl  es  feststeht,  dass  sie  Schussver- 
letzungen erlagen;  von  den  übrigen  389  ist  Beides  constatirt.  Ich 
nehme  desshalb  die  unserer  Seits  Gefallenen  mit  auf  in  die  folgende 
Uebersicht  der  von  den  preussischen  Feldärzten  beob- 
achteten und  behandelten  Verwundungen. 


Uebersicht  der  Verwundungen 


Tabelle  II. 

nach 

Waffen. 

Verwundet  durch 

Summe. 

Schuß- 
waffen. 

Bajonnet. 

Kolben. 

Säbel. 

A.  Gefallene  Preussen  .  .  . 

B.  Verwundete  Preussen  . 

420 
19G8 

1 

2G 

5 

1 

22 

422 
2021 

Summa  A.  -f-  B.  .  . 

2388 

27 

■>  i 

23 

2443 

C.  Verwundete  Dänen  .  .  . 

1203 

8 

G 

5 

1222 

Summe  B.  +  C.  .  . 

3171 

34 

11 

27 

3243 

Die  vorstehende  Tabelle  enthält  wie  Tabelle  I.  nur  Verwun- 
dungen durch  Kriegs  w  äffen.    Es  führt  zu  Irrthümern  bei  der 


37 


Würdigung  der  Kurerfolge,  wenn,  wie  es  öfters  geschehen  ist,  die 
Beschädigungen  anderen  Ursprungs  in  der  statistischen  Betrachtung 
nicht  gesondert  werden.  Auch  während  der  Gefechte  kommen  der- 
gleichen oft  genug  vor.  Besonders  Terrainhinderni^se,  welche  zu 
überwinden  sind,  geben  Anlass  dazu. 

Diese  Quetschungen,  Verstauchungen,  Verrenkungen,  Knochen- 
brüche etc.  unterscheiden  sich  natürlich  durch  nichts  von  den  im 
gewöhnlichen  Leben  vorkommenden.  Dennoch  pflegt  Oertlichkeit 
und  Art  derselben  für  die  einzelnen  Actionen  einigermassen  be- 
zeichnend zu  sein. 

Durch  das  Herabspringen  in  die  Schanzengräben  und  durch  Aus- 
gleiten beim  Ueberklettern  der  Pallisaden  und  beim  Ersteigen  der 
Wälle  erfolgten  z.  B.  beim  Sturme  am  18.  April  Vorzugs  weis  Ver- 
stauchungen der  Füsse  und  Quetschungen  und  Erschütterungen  des 
Rückens  und  der  Wirbelsäule.  Im  Allgemeinen  aber  wurden,  wie 
bekannt,  alle  Hindernisse  mit  erstaunlicher  Schnelligkeit  und  Gewand- 
heit  überwunden  —  das  Resultat  theils  der  militärischen  Gymnastik 
im  Frieden,  theils  der  weisen  Vorübung,  durch  welche  die  Soldaten 
der  Sturm- Colonnen  mit  den  Hindernissen,  welche  zu  gewärtigen 
waren,  vertraut  gemacht  wurden.  Eine  Verletzung  durch  die  ver- 
schrieenen Eggen  ist  z.  B.  nur  bei  dieser  Vorübung  vorgekommen, 
und  auch  diese  blieb  ungefährlich. 

Bei  dem  Uebergange  nach  Alsen  handelte  es  sich  vorzugsweis 
um  Quetschungen  und  Zerrungen  an  den  rudernden  Händen  und. 
Armen,  sowie  um  Verletzungen  an  den  Füssen  durch  scharfe  Muscheln 
beim  Waten  durch  das  Wasser  an  den  Ufern  des  Alsensundes. 

Von  dergleichen  zufälligen  Beschädigungen  wird  in  einem  spä- 
teren Abschnitte  die  Rede  sein.  Abgesehen  davon  bilden  3665  Ver-^ 
wundungen  durch  Kriegswaffen  die  Grundlage  unserer 
kriegs-chirurgischen  Statistik.  Darunter  sind  9  8  pCt.  Schuss Ver- 
letzungen —  so  sehr  tritt  bei  den  Kriegen  der  Gegenwart  die 
Wirkung  der  übrigen  Waffen  in  den  Hintergrund.  Der  Bericht  über 
letztere  wird  sich  daher  auf  einige  kurze  Notizen  beschränken. 


1.  Säbel- Hunden. 

Die  blanke  Waffe  findet  ihre  Verwendung  vorzugsweis  im  Rei- 
tergefecht. Schon  die  kleine  Zahl  von  23  Verwundeten,  welche 
unserer  Seits  von  ihr  getroffen  wurden,  beweist,  dass  der  Feldzug 


38 


grösseren  Cavallerie-Massen  nicht  Gelegenheit  bot,  sich  mit  einander 
zu  messen. 

Nach  dem  Verluste  des  Dannewerks  hatte  sich  die  dänische 
Cavallerie  nach  Jütland  zurückgezogen.  Dahin  folgte  ausser  dem 
österreichischen  Corps  ein  Theil  der  preussischen  Feldarmee.  Die 
Cavallerie  des  letzteren,  namentlich  das  Garde -Husaren -Regiment 
und  das  westphälische  Husaren-Regiment  Nr.  8,  wurde  zu  Patrouillen- 
und  Recognoscirungs- Zügen  verwendet,  und  diese  gaben  Anlass  zu 
einer  Reihe  kleiner  Reitergefechte  (18.  Februar  bei  Kolding;  29.  Fe- 
bruar bei  Skjoedeg;  30.  März  bei  Hjortsballekro ;  22.  April  bei  Tor- 
stedt).  Daher  stammen  alle  jene  Verwundeten  bis  auf  2,  welche  am 
18.  April  verletzt  wurden. 

Hieb  und  Stich  traf  fast  ausschliesslich  Kopf  und  Arme.  Die 
meisten  Verwundeten  hatten  mehrere  Verletzungen  der  Art.  Der 
Hieb  war  vorwiegend. 

Nur  1  dieser  Verletzungen  war  tödlich.  Husar  Jacobi  vom 
8.  Hus. -Reg.  erhielt  bei  Skjödeg  einen  Kopf  hieb,  fiel  in  Feindes 
Hand  und  erlag  noch  an  demselben  Tage  während  des  Transportes. 
Von  demselben  Regimente  ist  zwar  noch  ein  am  30.  März  Verwun- 
deter (Gefreiter  Schäfer,  zwei  Fingergelenk-Säbelhiebe  der  rechten 
Hand)  gestorben,  ^er  am  13.  Mai  erfolgte  Tod  war  jedoch  nicht 
Folge  der  Verwendung,  sondern  des  Typhus,  wrelcher  während  der 
Pflege  in  einem  heimischen  Reserve  -Lazarethe  (Wittenberge)  zum 
Ausbruche  kam. 

Von  den  5  Dänen,  welche  wegen  solcher  Wunden  in  unseren 
Lazarethen  gepflegt  sind,  erhielt  1  am  18.  April  einen  Kopf  hieb, 
3  im  Gefecht  bei  Sönder-Tranders  Kopf-  und  Arm-Hiebe.  Sie  sind 
geheilt.    Der  fünfte  ist  ein  jütischer  Bauer, 

Fall  1.  Lars  Leinssen  Nord,  welchem  ein  Säbelhieb  durch  das  Olecranon 
in  das  linke  Ellenbogengelenk  drang.  Noch  an  demselben  Tage 
(21.  Juni)  resecirte  O.-St.-A.  Neubaur  (Chef-Arzt  des  1.  F.-L.  der  Cavall.- 
Division)  die  3  Gelenkenden  mittelst  eines  die  quere  Hiebwunde  kreuzen- 
den Längsschnittes.  Die  Heilung  verlief  ohne  jede  Störung.  Als  der 
Operirte  am  8.  \  gust  vom  schw.  F.-L.  des  7.  A.-C.  der  Civilbehörde  in 
Hobro  übergeben  wurde,  waren  die  Wunden  fast  ganz  vernarbt,  die  Bewe- 
gungen der  Hand  und  der  Finger  frei.  Ein  schöner  Erfolg  der  Resection 
stand  in  Aussicht.  Es  lässt  sich  leider  nicht  constatiren,  in  wie  weit  sie 
sich  verwirklicht  hat. 

Behufs  des  Vergleiches  erwähne  ich  die  ähnliche  Verletzung  eines 
Preussen,  welcher  in  einem  dänischen  Lazarethe  (in  Copenhagen) 
behandelt  ist. 


39 


Fall  2.  Husar  Hermann  Bonkhoff  vom  8.  Hus. -Reg.  erhielt  im  Gefechte  bei 
Skjoedeg  ausser  einer  Säbel-Stichwunde  an  der  linken  Schulter  und  einer 
Hiebwunde  am  rechten  Scheitelbein,  einen  Säbelhieb  an  der  Aussenseite 
des  linken  Ellenbogengelenks,  welcher  wahrscheinlich  in  das  Gelenk 
drang.  Wenigstens  kehrte  er  im  Mai  mit  dem  in  halber  Beugung  voll- 
ständig ankylosirten  Gelenke  aus  der  Gefangenschaft  heim.  Es  soll  eine 
heftige  Entzündung  des  Gelenkes  vorausgegangen  sein.  Die  daneben  be- 
stehende Atrophie  des  Gliedes  hatte  sich  bis  zu  der  im  August  erfolgten 
Tnvalidisirung  nur  wenig  gebessert. 

Für  die  Frage  der  Gelenk-Resection  würde  es  von  grossem 
Interesse  sein,  wenn  man  diese  beiden  Verwundeten  Jahr  und  Tag 
nach  vollendeter  Ausheilung  auf  die  Leistungsfähigkeit  des  verletzten 
Gliedes  neben  einander  prüfen  könnte.  Es  ist  aus  den  Mittheilungen 
über  den  ersten  schleswig-holsteinischen  Krieg  (1848  — 1850)  be- 
kannt, dass  die  dänischen  Aerzte  die  deutsche  Ansicht  von  dem 
Werthe  dieser  Operation  nicht  theilen.  Auch  die  Resultate,  welche 
sie  nach  dem  Feldzuge  von  1864  an  ihren  in  unseren  Lazarethen 
wegen  Schussverletzung  resecirten  Landsleüten  zu  constatiren  Ge- 
legenheit erhielten,  haben  nicht  ausgereicht,  sie  zu  bekehren.  Be- 
sonders in  der  Resection  des  Ellenbogengelenkes  sehen  sie 
nach  wie  vor  „deutsche  Schwärmerei"  für  ein  unpractisches  Ziel. 
Sie  ziehen  es  vor,  einen  im  Ellenbogengelenk  steifen  Arm  zu  er- 
zielen, weil  ein  solcher  weit  brauchbarer  sei,  als  die  schlotternden 
Glieder,  welche  bei  der  Resection  herauszukommen  pflegen.  Ich 
lasse  diese  Frage  hier  vorläufig  auf  sich  beruhen,  um  sie  bei  den 
Gelenk -Schüssen  mit  der  ihrer  Wichtigkeit  entsprechenden  Gründ- 
lichkeit zu  erörtern. 

Im  Uebrigen  hat  der  Verlauf  der  Säbelwunden  zu  neuen  Er- 
fahrungen nicht  Anlass  gegeben. 


II.  Bajonnet- Wunden. 

Was  der  Säbel  für  den  Reiter,  das  ist  Bajonnet  und  Kolben  für 
den  Infanteristen,  nämlich  die  Waffe  zum  Kampfe  Auge  im  Auge. 
Dieser  antike  Zug  tritt  in  dem  Bilde  des  neueren  Krieges  immer 
mehr  in  den  Hintergrund,  je  vollkommener  die  Feuerwaffen  werden. 
Wo  tapfere  Gegner  sich  gegenüberstehen,  wird  er  jedoch  nie  fehlen. 
In  der  offenen  Feldschlacht  wird  ohne  Zweifel  auch  der  Colonnen- 
Angriff  mit  dem  Bajonnet  seinen  Platz  behaupten.  Aber  es  ist  sehr 
zweifelhaft,  was  denselben  wirksamer  macht,  das  moralische  oder 


40 


<h  leibliche  Niederwerfen  9ei  Feinden,  Binjetzt  fehlt  ei  ireiiigete»*, 
trotz  aller  Schlachtberichte,  an  genügend  constatirten  Thatsaehen, 
um  lieb  ein  Urtbeil  darüber  zu  bilden.  Solehe  kann  nur  die  ver- 
vollständigte Todtenschau  den  Schlachtfeldes  liefern.  Die  Bajonnet- 
wunden,  welche  man  in  den  Lazarethen  zu  neben  bekommt,  geben 
sehr  beschränkten  Aufschluss.  Die  grosse  Mehrzab]  derselben  int 
von  geringer  Bedeutung,  und  »ehr  oft  lässt  sieh  überdies  gar  nicht 
feststellen,  ob  sie  vom  Bajonnet  des  Feindes  oder  vom  eigenen  oder 
von  den  des  Nebenmannes  berrühren. 

Wie  viele  Wunden  das  preußische  Bajonnet  im  Feldzuge  von 
1804  gemacht  hat,  lässt  sich  auch  nicht  annähernd  bestimmen,  prell 
wir  die  Zahl  der  Todten,  welche  ihnen  erlagen,  nicht  kennen.  Von 
den  8  Dänen  mit  Bajonnetwunden,  welche  in  unsere  Lazurethe  ge- 
langten, wurden  2  am  3.  Februar  bei  Jagd  verletzt,  2  am  Sturra- 
tage,  2  am  29.  Juni  auf  Alsen,  2  endlich  in  der  Nacht  vom  5.  zum 
0.  April,  als  die  dänischen  Vorposten  aus  ihren  Schützengräben  zu- 
rückgeworfen wurden,  um  das  Terrain  für  die  zweite  Parallele  zu 
gewinnen«  Die  letzten  beiden  waren  die  bedeutendsten  Verletzungen. 
Der  Gemeine  Carl  Preuss  vom  10.  dänischen  Inf.-Keg.  hatte  5  Stich- 
wunden (Kopf,  Wange,  Nacken,  Lendengegend,  Oberschenkel);  sie 
waren  jedoch  alle  oberflächlich  und  schon  am  25.  Mai  geheilt.  Um 
so  schwerer  wurde 
Kall  :i.  der  Gemeine  Gbriftian  Tbomeen  von  denselben  Regiment  getroffen. 

Bleich  und  stöhnend  wurde  er  Nachts  1  Uhr  in  dab  Lazareth  zu  Jiroacker  'bchw. 
F.-L.  den  G.-C,  Sect  St.-A.  Michel)  gebracht.  Er  klagte  über  Schmerz 
im  Unterleibe.  Kaum  gelagert  verbchied  er.  Dab  Bajonnet  hatte  die  Herz- 
gegend getroffen  und  war  durch  den  Rand  der  linken  Lunge  bib  in  dab 
linke  Herzohr  gedrungen.  Man  fand  Herzbeutel  und  ßrubtfellback  mit  ge- 
ronnenem Blute  gefüllt. 

Zwilchen  Verwundung  und  'Jod  lag  der  Transport  vom  Schanzenter- 
rain nach  Broacker.  Die  Verblutung  erfolgte  also  sehr  langsam  *) 
Die  übrigen  Bajonnetwunden  der  Dänen  (Gesicht  1,  Brust  1, 
Arme  1,  Beine  3)  waren  ungefährlich  und  heilten  ohne  besondere 
Zufalle. 

Was  uniere  eigenen  Verluste  anbetrifft,  so  wissen  wir  bestimmt, 
dass  dal  dänisclie  Bajonnet  uns  nur  ein  Leben  geraubt  hat.  Beim 

*)  Dkl  ZM  Bbnlfeber  Opfer,  bei  denen  die  Verblutung  rabcher  erfolgte, 
ist  wahrncheinlich  nicht  unbedeutend.  Hei  jenen  überrabchenden  nächtlichen 
Anläufen,  welche  preubbibcher  Seit*  gebchahen,  um  für  den  Parallelen  - Üau 
ffeiterei  Tenain  zu  gewinnen,  wurde  grundsätzlich  nicht  gebchobeen,  um  die 
AUarmuung  der  Sehanzenbebatzung  möglichst  zu  verspäten. 


u 

Sohnnten^Stonnc  starb  der  Monier  Renn  Ann  Spiels  \ » >  m  :\  Pion 
Bat.  last  augenblicklich  in  rol^o  ninos  Stiches  in  <lon  Bäk.  Da- 
gegen lä sich  nicht  bestimmen,  wir  fiele  von  den  anderen  wenigei 
bedeutenden  und  Bimmtlieb  geheilten  Stichen  (26),  welche  bei  im« 
Bereu  Soldaten  beobachtet  sind,  vom  feindlichen  Bajonnel  herrühren. 
Die  Zahl  86  enthält  zwar  nur  die  Im  Geiechtsverbältnisfl  entstan- 
denen; allein  von  den  meisten  isl  festgestellt  das!  lie  von  Bajonnel 
des  Nebenmannes  wegen  Unvorsichtigkeil  oder  beim  Fallen  bewirkt 

wurden.  Oafür  spricht  auch  da-  VerhältnisS]  in  welchem  <lic  ein- 
zelnen Körpergegenden  betheiligl  waren.   i">  trafen  die  Beine]  1  den 

Kopf,  je  .*>  Kumpf  und  Anne. 

Im  Verlaufe  und  bei  der  Behandlung  der  Bajonnetwnnden  haben 
sich  neue  ThatsacheU]  deren  Erwähnung  nfltslich  sein  konnte^  nicht 
beransgestellt. 


Iii.  KoIbfü-SUese  ind  Kolbei - Schläge. 

Der  dänische  Kolben  bat  um  wenig  Schaden  /.u^in, i.  Nur 

,"i  preussische  Soldaten  sind  von  ihm  getroffen  worden  (I  ,im  28.  M;ir/., 

2 am  18.  April,  9  am  99»  Juni),  keiner  fcödtlieh« 

Zwei  von  diesen  Verletzung  [CD  WSTCO  einfache  QaetSChOBgeB  doi 

Gedohtshani  (Lippen  Wange)]  welche  niobl  einmal  die  Pflege  Im  La- 

/areth  erfarderten,  die  dritte  ein.-  Contusion  de-   linterleibe  ohne 

erhebliche  Polgen]  die  vierte  eine.  2  /<>n  lange  Qael  ohwnnde  der 
Kopfhaoi  snf  der  Höhe  de  linken  Scheitelbeins]  welche  In  14  Tagen 

heilte.     Am  übelsten  wurde 

Kall  I.  Musketier  Beruh.  Zuinsande  \<>m  ;>.;.  Inf.  Rcf  HB  BtüflDtSgC  Wlctfi 
Kiu  Kolbenstess  traf  die  rechte  Schläfe.  Zeichen  von  (»chirnci  i  hiitteruu^ 
trat- ii  nickt  eiu;  auch  wurde  un  Keldla/.areth  IQ  llaurup  (1.  *chw.  K  L. 
a.  A.  C.,  Scrtion  St.  \  Mirko)  ein  KnocbenblUOh  nicht  entdeckt  \m 
rechten  Ohre  fanden  .sich  Spuren  anu;etre,ekneten  Iiiutes,  aber  keine  \Nund.- 
Der  rechte  Augapfel  erschien  etwas  vorgetrieben,  die  liindehaut  stark 
rothet,  das  Wasser  in  der  vorderen  Augenkannner  und  nie  I  m  •  -etrüiu, 
die  Pupille  verzerrt  und  starr,  da    Sehvermögen   Ml  auf  SiBOfl   Rest  tOB 

Lfchtempflndang  erloschen.   In  der  Tute  dti  kngei  bb4  In  Kopfe  leb 

hafter  Schmerz.  Trotz  der  energischen  und  eonseqnenten  Behandlung  mit 
Kis,  Blfltegelfl  und  Ableitung«!!  auf  den  I>arm   ist  es  nicht  gelangen,  die 

Folgen  der  tagen  «Ereclifttisrang  eaesu  gleichen 

Wegen  völliger  Krblindun^;  de.s  cal.iract6.sen  und  atrophirenden  rechten 
Auges  wurd  •  Z.  am  96.  September  au.s  dem  Lazarethe  zu  Krankfurt  a.  (J.  0. 


42 


als  invalide  entlassen.  Das  rechte  Ohr  war  etwas  schwerhörig  geblieben. 
Die  Sehkraft  des  linken  Anges  blieb  unversehrt. 

Die  Danen  scheinen  den  Kolben -Stoss  vorzuziehen.  Wirksamer 
ist  jeden  Falles  der  Kolben  -  Schlag  des  Preussen.  Es  ist  nicht 
ermittelt,  wie  viele  Dänen  ihm  auf  den  Kampfstellen  erlegen  sind. 

Ausser  einem  bei  Lundby  an  der  linken  Hüfte  ungefährlich 
Contundirten  sind  5  am  29.  Juni  durch  Kolbenschlag  verletzte  Dänen 
lebend  in  preussische  Lazarethe  aufgenommen  worden. 

Drei  von  ihnen  hatten  Quetschungen  resp.  Quetschwunden  des 
Kopfes  ohne  Bruch  der  Schädelknochen  und  sind  geheilt.  Dagegen 
prägte  sich  bei  den  beiden  anderen  (Hansen  und  Andresen, 
beide  vom  3.  Inf.-Reg.)  die  furchtbare  Wirkung  des  Kolbenschlages 
in  ausgedehnter  Zertrümmerung  des  Schädeldaches  aus.  Ein  faust- 
grosses  Stück  Hirn  war  bei  dem  Einen  vorgetreten.  Beide  Unglück- 
liche waren  und  blieben  bewusstlos,  starben  jedoch  erst  am  6.  Juli. 


IV.  Schuss  -  Verletzungen. 

Das  Rundgeschoss  aus  glatten  Läufen  verschwindet 
immer  mehr  von  den  Kriegstheatern.  Es  wird  verdrängt  durch  das 
Langgeschoss  aus  gezogenem  Rohr.  Für  die  Handfeuerwaffen 
war  dieser  Wechsel  schon  1864  vollständig.  Das  preussische  Lang- 
blei  kreuzte  sich  mit  der  dänischen  Spitz-  und  Mi  nie- Kugel. 
Auch  die  gezogene  Granate  mit  Schlag-Zünder  war  preussischer 
Seits  bereits  vorherrschend,  während  die  Dänen  wenigstens  aus 
ihren  Positions- Geschützen  meistens  noch  runde  Sprenggeschosse  mit 
Zeit-Zünder  aus  glatten  Rohren  entgegenwarfen.  Als  Repräsentanten 
des  Rundgeschosses  werden  vielleicht  bald  nur  noch  die  Kugeln  von 
Blei,  Eisen  oder  Zink,  welche  die  Kartätsch-  und  Schrapnell-Füllung 
bilden,  übrig  sein. 

Die  Form-  und  Grössen- Verhältnisse  der  neueren  Kriegsgeschosse 
im  Allgemeinen  und  der  1864  benutzten  insbesondere  sind  in  mili- 
tärischen wie  in  militärärztlichen  Schriften*)  schon  so  eingehend 
besprochen,  dass  ich  darüber  nur  Bekanntes  wiederholen  könnte. 


*)  Zechmeister,  die  Schuöswunden  und  die  gegenwärtige  Bewaffnung 
der  Heere.    München  1864. 

Gurlt,  militär- chirurgische  Fragmente.    Berlin  1864. 


43 


Ob  die  Sprengstücke  jener  Eisenmassen  und  ihrer  bleiernen 
Mäntel  —  die  sogenannten  Granatsplitter  —  von  einer  Kugel 
oder  von  einem  Cylinder-Kegel  stammen,  ist  für  die  Wirkung  auf 
den  einzelnen  Mann  gleichgültig.  In  dem  einen  wie  in  dem  anderen 
Falle  sind  es  bald  kleinere  Partikel,  mitunter  sogar  so  klein,  dass 
sie  nur  oberflächlich  ritzen,  bald  mehr  oder  weniger  wuchtige  und 
kantige  Stücke,  welche  die  entsetzlichsten  Verstümmelungen  anrichten. 

Der  Character  des  Positions-Kampfes  war  1864  so  vorwiegend, 
dass  die  Kanone  eine  grosse  Rolle  spielte.  Dessenungeachtet  ist  der 
Antheil  an  den  Verwundungen,  welcher  der  Kanonen  -  Wirkung  zu 
zuschreiben  ist,  verhältnissmässig  klein.  Unter  den  2355  Schussver- 
letzungen der  Preussen  (bei  33  Gefallenen  ist  das  Geschoss  nicht 
constatirt)  rührten  nur  487  vom  schweren  Geschütze  her.  Somit 
hat  sich  die  dänische  Artillerie  nur  den  fünften  Theil  (20  pCt.)  un- 
serer Schusswunden  anzurechnen.  Das  Verhältniss  variirt  indess 
nicht  unerheblich  nach  den  verschiedenen  Kämpfen.  Es  stellt  sich 
für  den  AIsen-Tag  nur  auf  1 1  pCt. ,  für  den  2.  Februar  (Missunde) 
auf  20  pCt.,  für  die  Cernirungs-  und  Belagerungs-Kämpfe  im  Sunde- 
witt (10.  Februar  bis  17.  April)  auf  30  pCt.,  am  höchsten  endlich 
—  auf  ca.  40  pCt.  —  für  einen  der  letzteren  —  jenen  nächtlichen 
Anlauf  am  28.  März,  durch  welchen  Terrain  für  die  erste  Parallele 
gewonnen  werden  sollte.  Der  Ungestüm,  mit  welchem  die  Braven 
vom  8.  und  18.  Regiment  vordrangen,  gab  Anlass  zu  dem  dänischen 
Irrthume,  es  handelte  sich  um  einen  Sturmversuch.  Ein  furchtbares 
Kreuzfeuer  aus  den  Batterien  der  Schanzen  und  von  der  schwimmen- 
den Batterie  Rolf  Krake  empfing  unsere  Soldaten;  aber  die  den- 
selben gestellte  Aufgabe  war  und  blieb  vollkommen  gelöst. 

Eine  Gegenrechnung  zu  machen,  ist  leider  nicht  möglich.  Die 
52  Schusswunden  vom  schweren  Geschütz,  welche  bei  den  in  unsern 
Lazarethen  gepflegten  Dänen  vorgefunden  sind,  bilden  natürlich  nur 
einen  sehr  kleinen  Bruchtheil  der  Wirkung  der  preussischen  Artillerie. 
Djoerup  hat  in  seinen  Mittheilungen  die  Gefallenen  ausser  Rechnung 
gelassen,  und  bei  den  Verwundeten  nicht  angegeben,  wie  viele  durch 
schweres  Geschütz  getroffen  wurden.  Unserer  Seits  ist  versäumt 
worden,  die  gefallenen  Dänen  in  Betreff  dieses  Punktes  zu  mustern. 
Aber  schon  der  Verlust,  welchen  die  Dänen  bei  der  Belagerung  vom 
3.  bis  17.  April  nach  Djoerup  erlitten  haben,  reicht  aus,  die  über- 
wiegende Wirkung  der  preussischen  Artillerie  zu  kennzeichnen. 
Ausser  den  Getödteten  wurden  in  der  Zeit  813  Dänen  verwundet, 
ohne  Zweifel  grösstenteils  durch  die  Belagerungs- Batterien.  Der 


44 


Zukunft  bleibt  vorbehalten,  darzutlmn,  wie  die  preussischen  Feld- 
Batterien  in  der  offenen  Schlacht  auf  feindliche  Colonnen  wirken. 

Die  Verletzungen  durch  Handfeuerwaffen  zeigten  einige  Eigen- 
thümlichkeiten,  jenachdein  sie  von  den  konischen  oder  eich  eiförmi- 
gen Geschossen  herrührten.  Dieselben  sind  nicht  ganz  bedeutungslos 
für  Verlauf  und  Kur  der  Wunden,  und  desshalb  werde  ich  sie  in 
den  Specialcapiteln  hervorheben.  Im  Allgemeinen  aber  sind  Gewicht, 
Form  und  Flugart  dieser  Geschosse  doch  nicht  so  ausschliesslich 
massgebend  für  die  Gestaltung  der  Verletzungen,  wie  man  glauben 
sollte.  Es  concurriren  ganz  besonders  der  Aufschlagswinkel  und  die 
Percussionskraft. 

Nicht  bloss  das  eicheliormige,  wenig  über  2  Loth  schwere 
preußische  Langblei  mit  seiner  Schraubenbewegung,  sondern  "selbst 
die  kleine,  runde,  kaum  halb  so  schwere  Pistolen-Kugel  macht  unter 
Umständen  ebenso  ausgedehnte  Knochenzertrümmerungen,  wie  die 
über  Loth  wiegende  Minie -Kugel,  welche  von  den  Dänen  aus 
älteren,  nachträglich  mit  Zügen  versehenen  Gewehren  geschossen 
wurde. 

Die  eine  wie  die  andere  Kugel  kann  beim  Aufschlagen  auf  Kno- 
chen ihre  Form  verändern,  sich  spalten  und,  indem  die  getrennten 
Stücke  gesondert  weitergehen  oder  zwischen  den  Knochentrümmern 
liegen  bleiben,  die  Verletzung  complicirter  machen  und  ihre  Heilung 
erschweren.  Besonders  fein  und  desshalb  schwer  findbar  sind  die 
mitunter  spiralförmigen  Streifen,  welche  da^  preussische  Langblei 
bisweilen  von  seiner  Oberfläche  zurücklässt.  Anderer  Seits  sind  die 
sogenannten  Umlaufs-Schüsse  nichts  weniger  als  den  älteren  run- 
den Geschossen  eigenthümlich.  Sie  wurden  von  allen  den  neuen 
Geschossen  und  so  ziemlich  an  allen  Körpertheilen  beobachtet. 

Viel  wichtiger  ist  die  Erschwerung  des  Gesundheits- 
dienstes im  Ganzen  und  Grossen,  welche  durch  da*  Genie 
der  Dreyse  herbeigeführt  wird.  Mit  der  ausserordentlichen  Steige- 
rung der  Trag-  und  Treff-Fähigkeit  der  neuen  PräcisionswafTcn 
—  Kanonen  wie  Gewehre  tritt  die  Zahl  der  Treffer  in  ein  neues 
Verhältnis*  zur  Streiterzahl,  und  die  schweren  Verletzungen  werden 
um  so  überwiegender,  je  grösser  die  Entfernungen  sind,  auf  welche 
die  Percussionskraft  wirksam  bleibt.  Eine  grosse  Schlacht  im  offenen 
Felde  ist  1864  nicht  geschlagen  worden.  Aber  die  furchtbare  Wir- 
kung, welche  namentlich  das  Schnellfeuer  des  Züridnadelgewehres 
in  einer  solchen  haben  wird,  lässt  sich  aus  den  Proben  von  1864 
ahnen. 


45 


Trotz  ihres  rastlosen  Strebens,  mit  allen  Mitteln  der  Wissenschaft 
und  Kunst  die  Wundbehandlung  zu  vervollkommnen,  kann  die  feld- 
ärztliche Technik  unter  solchen  Umständen  mit  Ehren  nur  bestehen, 
wenn  mit  derselben  Regsamkeit  und  Consequenz  an  der  Vervoll- 
kommnung der  Organisation  und  Ausrüstung  des  Feldheildienstes 
gearbeitet  wird.  Die  älteren  Voranschläge  und  Einrichtungen  sind 
von  den  neueren  Bedürfnissen  längst  überholt. 

Selbst  manche  Organisationen  neuesten  Datums,  z.  B.  die  öster- 
reichische, scheinen  nicht  ganz  glücklich  getroffen.  Wir  haben  1864 
nicht  beurtheilen  können,  wie  sich  dieselbe  in  der  vorbereiteten 
grossen  Feldschlacht  bewährt.  Aber  bei  den  wenigen  Acten,  zu  wel- 
chen der  Feldzug  von  1864  dem  österreichischen  Corps  Gelegenheit 
bot,  hat  sie  Manches  zu  wünschen  übrig  gelassen.  Es  waren  rasche, 
kühn  geführte  und  mit  glänzender  Bravour  ausgeführte  Vorstösse 
(Ober-Selk,  Oeversee,  Veile).  Für  solche  scheint  die  neue  Organi- 
sation des  Heildienstes  weniger  berechnet;  vielleicht  fusst  sie  zu  aus- 
schliesslich auf  der  Erfahrung  von  1859.  Wir  werden  darauf  zu- 
rückkommen. 

Betrachten  wir  zunächst  die  technische  Praxis  von  1864. 
Sie  war  preussischer  Seils  ausschliesslich  in  der  Hand  wissenschaftlich 
durchgebildeter  Aerzte.  In  keinem  früheren  Kriege  war  den  Ver- 
wundeten so  viel  und  so  geschickter  Beistand  zur  Seite.  Es  wurden 
schöne  Heilresultate  erzielt;  aber  es  hiesse,  die  Wahrheit  verschleiern, 
wenn  man  sie  als  die  besten,  welche  erreichbar  sind,  preisen  wollte. 
Es  wird  sich  herausstellen,  wie  viel  von  dem,  was  zu  wünschen 
übrig  bleibt,  auf  Mängel  der  Technik,  wie  viel  auf  Mängel  der  Or- 
ganisation, der  personellen  und  materiellen  Ausrüstung  und  des 
Dienstbetriebes  zu  setzen  ist. 


Unter  den  Momenten,  welche  an  sich  einen  bestimmenden  Ein- 
fluss  auf  Verlauf  und  Ausgang  der  Schusswunden  haben,  steht  oben 
an  der  verletzte  Körpertheil.  Das  nachstehende  Zablenbild  von 
der  Häufigkeit  und  Tödtlichkeit  der  Schuss Verletzungen, 
welchem  dasselbe  zu  Grunde  liegt,  umfasst  alle  schussverletzten 
Preussen  und  die  in  preussischen  Lazarethen  gepflegten  schuss- 
verletzten Dänen. 


4  »5 


Häufigkeit  nnd  Todtliekkeit  der  Sehuss wunden 

nach  Körr>ertheilen  und  Nationalität. 


IWbcfle  HL 


p 

reo 

5  5  B 

n 

n 

Inen 

davon  sind 

 1 

Verletzter 

> 

- 

^r<::rben 

>• 

gestorben 

KörpertheiL 

'S  "< 

| 

|  - 

i  4 

—  g 

:  i 

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| 

3  _ 

[  1 

3  ■ 

■ 

■ 

r  ■ 
1  - 

£ 

kopi  

Iro 

272 

13 

12 

25 

SU 

14 

Bals  

° 

1 

12 

254 

117 

57 

174 

113 

15 

<51 

76 

Unterleib  und 

Becken  .... 

44 

103 

34 

25 

59 

103 

51 

Rii<*tH'i  und 

Gesiss  .... 

99») 

3 

24 

_  • 

34 

€  j 

96 

32 

Obere  Glieder.  . 

610 

608 

2 

51 

53 

55 

317 

62 

62 

Untere  Glieder  . 

716 

t 

S3 

90 

1Ö3 

6 

m 

146 

Summe .  . 

23554> 

3^7* 

1^5 

HB 

233 

315 

1203 

66 

... 

3? « 

Die  Zahlen  dieser  Tabelle  stimmen  mit  den  Zahlen  der  Schuss- 
verlercten  in  Tabelle  II  überein.  In  Wirklichkeit  war  jedoch  die 
Zahl  der  Schusswunden  nicht  unerheblich  grösser  die  der  Ver- 
wundeten. Schon  bei  den  Verletxangen  durch  blanke  Wanen  wurde 
erwähnt,  dass  die  Getroffenen  meistens  mehr  als  einen  Hieb  oder 
Stich  davontragen.  Auch  die  Geschosse  haben  oft  genug  mehr  als 
einen  Körperthell  des  Mannes  verletzt,  sei  es.  dass  das  nämliche 
Geschoss  mehrere  Körpertheile  traf,  sei  es.  dass  verschiedene  Ge- 
schosse gleichzeitig  oder  rasch  hintereinander  verschiedene  Theile  oder 
den  nämlichen  mehrfach  trafen. 


*)  Darunter  3,  -weiche  in  dtr  Nacht  vom  16  —  17.  April  in  dea  Trancheen 
von  den  Snieagstackea  derselben  Granate  aemssea  aarden. 

1  Beide  durch  Schulter  -  Schisse  (1  darch  Gewehr  - ,  1  durch  Kartiaeh- 
Schuss  |. 

*)  Davon  6  dnrch  schweres  Geschütz  ^4  mal  beide  Beine,  2  mal  1  Bein  ab- 
ossenX  die  übrigen  7  durch  Gewci^rschasse  in  den  Oberschenkel. 
4   Ausserdem  33.  bei  denea  Waffe  and  verletzter  Körpertbeü  nicht  coa- 
staxirt  ist 


47 


Dies  gilt  von  den  Preussen  wie  von  den  Dänen.  Könnte  man 
die  Wunden  der  gefallenen  Dänen  mit  in  Rechnung  stellen,  so  würde 
sehr  wahrscheinlich  ein  erhebliches  Vorwiegen  der  multiplen  Schuss- 
verletzungen als  eine  Wirkung  des  preussischen  Schnellfeuers  sich 
herausstellen.  Wohl  sind  auch  bei  Preussen  nicht  selten  2  oder 
3  Körpertheile  verletzt  worden,  namentlich  durch  Granatsplitter.  Die 
gleichzeitige  Verletzung  durch  mehrere  Gewehrkugeln  fand  sich  je- 
doch Vorzugs  weis  bei  den  Dänen.  Unter  denen,  welche  lebend  vom 
Kampfplatze  kamen,  bildet  in  dieser  Beziehung  das  Extrem  der 
schwedische  Officier  Lundegreen,  welcher  am  18.  April  in  den 
Reihen  des  22.  dänischen  Regimentes  focht.  Seine  Verletzungen 
waren:  Schuss  durch  den  linken  Unterkiefer  und  die  Zungenwurzel 
mit  Ausgangsöffnung  rechts  neben  dem  Kehlkopfe  —  Schuss  durch 
die  rechte  Schulter  mit  Streifung  des  Schlüsselbeins  —  Haarseilschuss 
an  der  linken  Schulter  —  Haarseilschuss  durch  die  Bauchdecken 
links  —  Haarseilschuss  an  der  linken  Hüfte  —  Finger-Zerschmette- 
rung der  rechten  Hand.  Wenigstens  5  Kugeln  müssen  in  diesem 
Falle  gleichzeitig  oder  rasch  hintereinander  getroffen  haben.  Erst 
nach  9  Tagen  erfolgte  der  Tod  im  Lazareth  zu  Stenderup  (1.  F.-L. 
6.  Div.)  durch  Erschöpfung  i>nd  Eitersenkung  in  die  Brust  von  der 
rechtsseitigen  Schulterwunde  aus. 

Die  kriegschirurgische  Statistik  ist  in  ihren  Grundlagen  noch 
so  mangelhaft  und  unsicher,  dass  es  mir  nicht  gerathen  schien,  für 
die  allgemeine  Darstellung  der  Ergebnisse  von  18G4  den  sichern 
Boden  zu  verlassen,  welchen,  wenigstens  für  den  preussischen  An- 
theil,  die  Zahl  der  Verwundeten  ergiebt.  Die  speciellen  Capitel 
werden  hinreichend  Anlass  bieten,  die  Wunden-Combinationen 
ersichtlich  zu  machen.  Somit  ist  in  Tabelle  III.  für  jeden  Verwun- 
deten nur  eine  Verletzung  in  Ansatz  gebracht,  wenn  er  deren  auch 
mehrere  hatte.  Die  Wahl  war  allerdings  nicht  immer  leicht.  Die  Ge- 
schosse respectiren  eben  nicht  die  Linien,  welche  das  statistische 
Schema  zwischen  den  einzelnen  Körpertheilen  zieht.  Wenn,  wie  es 
vorkam,  ein  Mann  im  Liegen  an  der  Schulter  getroffen  wird,  die 
Kugel  aber  nicht  bloss  diese,  sondern  auch  die  Brust  der  Länge 
nach  durchsetzt  und  durch  das  Zwerchfell  in  den  Unterleib  dringt, 
so  fragt  sich,  welcher  Körpertheil  in  Rechnung  gestellt  werden  soll. 
Ich  habe  unter  den  mehrfachen  Verletzungen  stets  diejenige  gewählt, 
welche  an  und  für  sich  als  die  schwerste  (im  technischen  Sinne)  erschien 
resp.  für  den  Verlauf  factisch  den  Ausschlag  gab,  z.  B.  bei  der  häu- 
tigen Combination  von  Arm-  und  Brust- Verletzung  die  letztere, 


48 


wenn  sie  penetrirte,  die  erstere,  wenn  sie  eine  schwere,  die  Brust- 
verletzung aber  leichter  war. 

Die  Kampf  -  Periode  des  Feldzuges  von  1864  währte  gerade 
5  Monate  (1.  Februar  bis  3.  Juli)  —  lange  genug,  um  (Meieren  und 
Soldaten,  welche  in  einem  früheren  Gefechte  leicht  verwundet  waren, 
zu  gestatten,  an  späteren  wieder  theilzunehmen.  Einige  (12,  darunter 
4  (Meiere)  sind  so  zum  zweiten  xMale  verwundet.  Es  versteht  sich 
von  selbst,  dass  sie  auch  zwei  Mal  gezählt  sind. 

Um  die  statistische  Grundlage  so  vollständig  wie  möglich  zu 
machen,  habe  ich  in  Tabelle  III.  für  den  preussischen  Antheil  auch 
die  17  Schuss verletzten  (darunter  3  (Meiere),  welche  in  Feindes 
Hand  geriethen,  mitberechnet.  Von  ihnen  sind  5  gestorben. 
Zwei  (Grenadier  Fischer  vom  Leib -Gren.- Reg.  Nr.  8  und  Trom- 
peter Koeppe  vom  Garde-Husaren-Reg.)  sind  in  Copenhagen  am- 
putirt  (jener  am  1.  Oberschenkel,  dieser  am  1.  Unterschenkel)  und 
genesen. 

Preussischer  Antheil  an  den  Schusswunden  von  1864 
mit  Einschluss  der  Gefallenen. 

Häufigkeit  uud  Tödtlichkeit  in  Procenten  nach  Körpertheilen. 


Tabelle  IV. 


Verletzter  Körpertheil. 

Verwun- 
det. 

pCt. 

auf  dem 
Schlacht- 
felde. 

pCt. 

Gest 

in  den 
ersten  48 
Stunden. 

pCt. 

o  r  b  e  n 
später. 

pCt. 

Summe. 

pCt. 

20 

42 

2,7 

2,7 

47 

Hals  

2 

17 

6,2 

2,0 

25 

11 

46 

7,8 

14,1 

68 

Unterleib  uud  Becken  .  .  . 

6 

30 

23,1 

17,0 

70 

Wirbelsäule,   Rücken  und 

4 

7 

3,0 

24,2 

34 

26 

0,3 

0,3 

8,3 

9 

31 

1,8 

0,9 

11,3 

14 

Summe  .  . 

2388') 

17,6') 

3,4 

9,7 

31 

')  Die  33  Schussvcrlotzten,  von  denen  der  verletzte  Körpertheil  nicht  con- 
statirt  ist,  eingerechnet.  Die  Berechnung  der  Häufigkeits-Zahlen  bei  den  einzelnen 
Körpertheilen  basirt  dagegen  auf  der  Summe  von  2355. 


49 


Wenn,  wie  die  Tabelle  zeigt,  von  den  Unterleibsschüssen 
30 pCt.,  von  den  Kopfschüssen  42  pCt.,  von  den  Brustschüssen 
sogar  46  pCt  schon  auf  dem  Schlachtfelde  tödten,  während  von  den 
an  sich  numerisch  überwiegenden  Gliederschüssen  nur  c.  2  pCt. 
so  rasch  den  Tod  zur  Folge  haben,  so  ist  einleuchtend,  dass  eine 
Statistik,  welche  sich  bloss  auf  die  Nichtgefallenen  erstreckt,  ausser 
Stande  ist,  einen  der  Wirklichkeit  auch  nur  annähernd  entsprechen- 
den Zahlen- Ausdruck  der  Häufigkeit  und  Tödtlichkeit  der  Schuss- 
wunden nach  den  einzelnen  Körpertheilen  zu  liefern.  Daraus  folgt, 
dass  die  bisherigen  Zahlenzusammenstellungen  der  Art  nur  sehr  be- 
schränkten Werth  haben.  Mir  ist  wenigstens  aus  der  militärärzt- 
lichen Literatur  keine  bekannt,  in  welcher  die  Gefallenen  mitberechnet 
sind.  Nur  hie  und  da  finden  sich  Andeutungen  als  Ergebniss  un- 
gefährer Schätzung. 

Auf  dem  Schlachtfelde  waren  also  die  Brustschüsse 
die  tödtlichsten;  auch  an  Gefahr  für  diejenigen,  welche  lebend  in  die 
Lazarethe  kommen,  überbieten  sie  die  Kopfschüsse;  jene  haben 
21  pCt,  diese  nur  5  pCt.  nachträgliche  Todesfälle  geliefert.  Die 
Unterleibs-  und  Beckenschüsse  stehen,  was  die  unmittelbare 
Lebensgefahr  betrifft,  jenen  Categorien  zwar  erheblich  nach,  über- 
holen dieselben  jedoch  schon  innerhalb  der  ersten  beiden  Tage  nach 
der  Verwundung.  Sie  sind  von  allen  Schussverletzungen  die  tödt- 
lichsten; glücklicher  Weise  sind  sie  die  weniger  häutigen. 

Wenn  man  die  Häufigkeits  -  Zahlen  für  die  Körpertheile  über 
dem  Zwerchfelle  zusammen  denen  für  die  Theile  unter  dem  Zwerch- 
felle gegenüberstellt,  so  ergiebt  sich  das  Verhältniss  von  59  :  37  pCt. 
—  also  ein  sehr  bedeutendes  Ueberwiegen  der  Verletzungen  an  den 
oberen  Körpertheilen.  Noch  bemerkenswerther  aber  ist  die  Grösse 
des  auf  den  Kopf  allein  fallenden  Antheiles.  Er  ist  nur  um  1  pCt. 
kleiner,  als  der  des  ganzen  Rumpfes  —  eine  Differenz,  welche  ausser 
allem  Verhältnisse  zur  Umfangsverschiedenheit  steht.  Die  Deckung, 
welche  für  die  unteren  Körpertheile  bei  den  Kämpfen  in  Schleswig 
theils  hinter  den  landesüblichen  Knicks,  theils  bei  der  Belagerung 
in  den  Lauf-  und  Schützen- Gräben  gefunden  wurde,  und  die  daran 
sich  knüpfende  Noth  wendigkeit,  den  Kopf  Vorzugs  weis  zu  exponiren, 
dient  zur  Erklärung  jener  Verhältnisse. 

Auffallen  dürfte  auch  der  relativ  kleine  Procentsatz,  welchen 
die  Tabelle  für  die  Verletzungen  der  unteren  Glieder  nach- 
weist. Man  ist  gewohnt,  das  Ueberwiegen  derselben  für  bedeuten- 
der zu  halten.  Die  erwähnte  Deckung  ist  allerdings  auch  den  Beinen 

Loeffler,  Generalbericht.  4 


50 


zugutegekomrnen.  Allein  die  bisherige  durch  eine  Statistik,  welche 
die  Gefallenen  ausschliesst,  erzeugte  Auffassung  dieses  Verhältnisses 
ist  überhaupt  unrichtig.  Den  Gliederschüssen  ist  durch  ihre  sehr 
beschränkte  unmittelbare  Tödtlichkeit  (2  pCt.)  in  allen  Berechnungen, 
welche  die  Gefallenen  ausser  Betracht  lassen,  ein  der  Wirklichkeit 
nicht  entsprechender  Uebergewichts-Grad  gesichert. 

Dass  aber  die  unteren  Glieder  in  einem  Feldzuge  sogar  be- 
deutend (um  8  pCt.)  seltener  als  die  oberen  verletzt  werden, 
ist  eine  aller  sonstigen  Erfahrung  widersprechende  Entdeckung, 
welche  zu  machen  Demme  vorbehalten  war  —  noch  dazu  für  den 
Feldzug  in  Italien  von  1859,  welchem  der  Character  des  Belage- 
rungskampfes ganz  gefehlt  hat.  An  einer  Erklärung  der  ungewöhn- 
lichen Erscheinung  hat  dieser  Statistiker  es  nicht  fehlen  lassen. 
Die  „ruhige  und  exponirte  Haltung  der  oberen  Extremitäten"  bei 
den  Bajonnetangriffen,  welche  die  Franko-Sarden  gegen  die  Oester- 
reicher machten,  soll  die  Ursache  sein.*)  Sollten  nicht  die  betref- 
fenden Erhebungen  aus  einer  Periode  des  Feldzuges  stammen,  in 
welcher  sehr  viele  von  den  an  den  unteren  Gliedern  schwer  Ver- 
letzten resp.  Operirten  nicht  mehr  zu  den  Lebenden  gehörten?  Diese 
Probe  lässt  ahnen,  wie  viel  Werth  die  allgemeinen  Mortalitäts-Zahlen 
haben,  mit  welchen  Demme  die  kriegschirurgische  Statistik  be- 
schenkt hat.  Sie  sind  in  den  letzten  Jahren  viel  citirt  worden. 
Mir  scheinen  sie  unbrauchbar. 

Ich  habe  in  der  Tabelle  V.  die  Sterbefälle  unter  den  Ni  ein- 
gefallenen in  zwei  Categorien  gesondert,  theils  um  das  allgemeine 
Bild  von  der  mit  den  Schusswunden  der  einzelnen  Körpertheile  ver- 
knüpften Lebensgefahr  zu  vervollständigen,  theils  um  einen  weniger 
ungerechten  Maassstab  für  die  Leistung  des  Gesundheitsdienstes 
zu  ermöglichen,  als  eine  Berechnung  sein  würde,  welche  ihm  alle 
nicht  auf  dem  Schlachtfelde  erfolgten  Todesfälle  zur  Last  schreibt. 
Nicht  allen  unrettbar  Getroffenen  ist  der  rasche  Heldentod  auf  der 
Wahlstatt  beschieden.  Viele  leben  noch  tagelang;  sogar  ein  wochen- 
langes und  doch  hoffnungsloses  Wundlager  folgt  bisweilen  den  an 
sich  tödtlichen  Verletzungen.  Die  Categorie  der  „Unrettbaren" 
ist  daher  numerisch  schwerlich  zu  weit  gefasst,  wenn  man  blos  die- 
jenigen hineinrechnet,  welche  trotz  der  ihnen  gewidmeten  Pflege 
innerhalb  der  ersten  48  Stunden  nach  der  Verwundung  gestorben 
sind,  wenn  auch  zugegeben  werden  muss,  dass  auch  ein  nicht  absolut 


*)  Militär -chirurgise he  Studien.    S.  20. 


51 


tödtlich  Verwundeter  bloss  desshalb  schon  in  dieser  Periode  sterben 
kann,  weil  ihm  der  rechtzeitige  und  rechte  Beistand  mangelte. 

Bei  dem  Vergleichen  der  Heilerfolge  aus  verschie- 
denen Feldzügen  würde  es  auf  eine  solche  Sonderung  weniger 
ankommen,  wenn  die  Feldzugs-Statistiken  auf  gleichartigen  Grund- 
lagen beruhten,  wenn  z.  B.  die  ermittelten  Sterblichkeits  -  Zahlen 
wenigstens  so  weit  gleichwerthig  wären,  dass  sie  aus  der  unver- 
kürzten Summe  aller  bei  einer  Armee  nach  Verwundung  erfolgten 
Sterbefälle  berechnet  wurden.  Ich  habe  schon  erwähnt,  dass  die 
Todesfälle  auf  dem  Schlachtfelde  bisher  allgemein  ausgeschlossen 
sind..  Es  giebt  aber  auch  Feldzugs-Statistiken,  in  welchen  mehr 
oder  weniger  umfängliche  Summen  aus  der  Categorie  der  nachträg- 
lichen Sterbefälle  ausser  Ansatz  geblieben  sind  —  nicht  etwa  ab- 
sichtlich zu  dem  unlautern  Zwecke,  mit  ungewöhnlichen  Heilerfolgen 
zu  prunken,  sondern  wegen  Mangels  der  erforderlichen  Nachweise 
aus  der  oder  jener  Zeit  des  Feldzuges,  aus  einem  oder  dem  anderen 
Lazarethe.  Beim  besten  Willen,  wahr  und  correct  zu  arbeiten,  kann 
der  Statistiker  es  nicht  ändern,  wenn  z.  B.  in  den  provisorischen 
Asylen,  welche  nach  Gefechten  etablirt  wrurden  und  mehr  oder  we- 
niger lange  bestanden,  bis  die  Evacuation  in  Lazarethe  mit  geord- 
neter Verwaltung  erfolgen  konnte,  die  Listen  und  sonstigen  Nach- 
weise gar  nicht  oder  sehr  mangelhaft  geführt  sind.  Er  kann  es 
nicht  ungeschehen  machen,  wrenn  die  Nachweise  eines  Lazarethes, 
welches,  in  erster  Linie  gelegen,  viele  Schwerverwundete  aufzu- 
nehmen und  desshalb  auch  viele  Gestorbene  zu  beerdigen  hatte,  im 
Drange  der  Umstände  verloren  gingen  oder,  wTie  die  Listen  des 
dänischen  Lazarethes  in  Sonderburg  1864,  verbrannten.  Der  Sta- 
tistiker kann  eben  nur  das  Material  verwerthen,  welches  er  vorfindet, 
und  sein  Verdienst  bleibt  gross  genug,  wenn  er  die  Sammlung  und 
Sichtung  desselben  mit  der  Gründlichkeit  und  Gewissenhaftigkeit 
eines  Chenu  vornimmt  und  aus  den  Lücken  („blessures  indeter- 
minees")  kein  Hehl  macht. 

Die  Dimension  und  der  glückliche  Verlauf  des  Feldzuges  von 
1864,  die  Organisation  unseres  Feldlazarethwesens ,  das  in  den 
preussischen  Feldärzten  lebendige  Bewusstsein  ihrer  Verpflichtungen 
gegen  die  Verwundeten  und  gegen  die  Wissenschaft,  endlich  die 
in  der  zweiten  Hälfte  des  Feldzuges  mir  anvertraute  Oberleitung 
des  Gesundheitsdienstes  haben  es  mir  ermöglicht,  das  Material  zur 
chirurgischen  Statistik  wenigstens  für  den  preussischen  Antheil  in 
einer  Vollständigkeit  zu  sammeln,  welche  in  vielen  Beziehungen 

4* 


wenig  zu  wünschen  übrig  lasst.  Es  leuchtet  ein.  zu  wie  falschen 
Schlüssen  es  fuhren  muss.  wenn  man  d~n  M^assstab  zur  Würdigung 
der  Ergebnisse  eines  solchen  Calcüls  aus  Berechnungen  en^ehn\ 
bei  deren  Anlage  qualitativ  viel  beschränktere  Unterlagen  zur  Ver- 
fugung standen.  Die  We rth- Differenzen  werden  nicht  etwa  durch 
die  Grössen -Unterschiede  ausgeglichen.  Eher  lasst  sich  das  Ge- 
gentheil  sagen.  Es  verhält  sich  damit,  wie  mit  den  Zahlen  -flach* 
weisen  y>.  t  e  rs  hiedenen  Lazaretheu  in  dem-eioen  Feld- 
zuge. 

Je  mehr  Schwer  verwundete  ein  Lazareth  erster  Linie  unmittel- 
bar vom  Schlachtfelde  empfangt  und  wegen  Mangels  der  Transport- 
fahigkeit  oder  entsprechender  Transportmittel  behalten  muss.  desto 
ungünstiger  stellt  sich  seine  Sterblichkeit? -Ziffer,  besonders  durch 
die  Categorie  der  ^Unrettbaren-.  Umgekehrt  präsentirt  sich  das 
Heilresultat  eines  Lazarethe-  zweiter  oder  dritter  Linie  numerisch 
um  so  glänzender,  je  mehr  Leichtverwundete  oder  der  nächsten 
Gefahr  Entronnene  ihm  zugehen.  Niemand  hält  es  für  zulä-sig. 
das  Feldzugs- Resultat  nach  der  einen  oder  der  anderen  dieser 
Zahlen  zu  bemessen  oder  den  Grad  der  Kunstleistung  und  der  Pflege 
mineist  des  Vergleiches  derselben  zu  beurtheilen  Im  Österreichisch- 
italienischen  Kriege  von  1*59  hat  ein  grosses  Re-erve-Lazaretb  eine 
Mortalität  der  Verwundeten  von  kaum  4  pCt  für  -ich  berechnet. 
Wer  möchte  darin  den  Beweis  ungewöhnlich  glänzender  Erfolge  oder 
besonderer  Künstigkeit  des  Chirurgen,  welcher  in  jenem  Spital 
v.-i:>e.  e:V.i;ke::r  Jeder  sagt  sich,  dass  es  Reserve-Lazarethe  geben 
kann,  in  welchen  die  Sterblichkeit  der  Verwundeten  auf  0  sinkt. 

Ebenso  verschiedenartig  sind  die  Werthe  der  Zahlen,  welche 
die  Statistik  aus  den  ihr  zugänglichen .  mehr  oder  weniger  unvoll- 
kommenen und  lückenhaften  Materialien  für  verschiedene  Feld- 
züge berechnet  hat.  Meine  Absicht  war,  ans  den  amtlichen  und 
halbamtlichen  Berichten,  welche  über  dje  grossen  Kriege  der  neueren 
Zeit  ^in  der  Krimm.  in  Italien,  in  Amerika)  vorliegen,  und  welche 
mit  erstaunlichem  Fleisse  gemacht  sind,  die  allgemeinen  statistischen 
Resultate  neben  einander  zu  stellen.  Aber  ich  habe  m'vh  überzeugt, 
dass  es  trotz  der  durch  ihre  Höhe  imponirenden  Zahlen  ganz  un- 
möglich ist.  einen  irgendwie  zuverlässigen  Maassstab  dadurch  zu 
gewinnen. 

Rechnet  man  aus  verschiedenen  Tabellen,  welche  Chenu  in 
\em  schönen  Werke  über  die  Verletzungen  der  einzelnen  Körper- 
theile  im  Krimm-Kriege  gegeben  hat.  die  Schusswunden  zusammen. 


53 


so  kommen  22,813  mit  5377  Todesfallen  heraus.  Dagegen  lehrt  ein 
Blick  auf  die  von  Serive  (1.  c.  pag  345)  gegebene  Uebersicht, 
dass  an  Offieieren  1625,  an  Soldaten  35,912.  zusammen  also  37,537 
„Wesses  par  le  feuu  mit  3728  Todesfällen  in  die  Ambulancen  ge- 
langten. Wie  verschieden  und  doch  gleich  falsch  wäre  der  Maass- 
stab, welcher  herauskommen  würde,  wenn  man  diese  oder  jene 
Zahlen  zu  Grunde  legte!  Dennoch  spricht  es  für  die  Gründlichkeit 
und  Gewissenhaftigkeit  beider  Autoren,  dass  die  Berechnungen  der- 
selben sich  einigermaassen  ergänzen.  Scrive  hat  die  volle  Zahl 
der  Verwundeten  (excl.  Gefallene)  und  von  den  Todesfällen  diejeni- 
gen berechnet,  welche  in  der  Krimm  selbst  errolgten.  Chenu  hat 
nur  den  lebend  angelangten  Theil  der  von  der  Krimm  nach  Con- 
stantinopel  evacuirten  Verwundeten  berechnet  und  die  hier  nach- 
träglich erfolgten  Todesfälle.  Immer  fehlt  freilich  noch  die  wahr- 
scheinlich nicht  kleine  Zahl  der  während  der  Ueberfahrt  von  der 
Krimm  nach  Constantinopel  und  von  hier  nach  Frankreich,  sowie 
der  in  Frankreich  selbst  nachträglich  Gestorbenen. 

Aus  Obigem  ergiebt  sich,  dass  in  den  Berechnungen  von  Chenu 
ausser  den  Gefallenen  über  14,000  Verwundete  fehlen  —  zu  viel, 
als  dass  es  zulässig  wäre,  aus  den  hübschen  Tabellen  einen  Maass- 
stab für  die  relative  Häufigkeit  und  Tödtlichkeit  der  Schus^wunden 
zu  entnehmen. 

Ueber  die  Verwundungen  im  amerikanischen  Bürger- 
kriege (1861  —  1863)  enthält  eine  Arbeit  aus  dem  Medicinal- 
Departement  des  Kriegsministeriums  —  -Reports  on  the  extent  and 
nature  of  the  materials  available  for  the  preparation  of  a  medical 
and  surgical  history  of  the  rebellion"  —  (Circular  6  vom  Surgeon- 
General  Barnes)  umfassende  und  eingehende  Mittheilungen.  Die 
impomrende  Summe  von  77.775  Sc  huss  wunden  (excL  Gefallene) 
liegt  zu  Grunde.  Dennoch  sind  die  St erblichkeits- Zahlen  darin 
zu  einem  allgemeinen  Maassstabe  gar  nicht  zu  gebrauchen.  Von 
Tausenden  ist  der  Ausgang  unbekannt.  Verlässlicher  scheint 
die  Repartition  auf  die  Körpergegenden  zu  sein.  Da  es  nicht  ohne 
Interesse  ist,  zu  -ehen.  ob  und  in  wie  weit  trotz  der  sehr  verschie- 
denen Dimensionen  der  Feldzüge  eine  gewisse  Gesetzlichkeit  in 
dieser  Beziehung  obwaltet,  so  nehme  ich  behufs  des  Vergleiches 
die  betreffenden  Zahlen  und  die  daraus  berechneten  Procentsätze 
mit  auf  in  die  folgende  Tabelle. 

Auch  die  Zahlen  aus  dem  englischen  Berichte  über  den 
Krimmkrieg  'Medical  and  surgical  history  of  the  British  army 


54 


during  the  war  ageinst  Russia  in  the  years  1854,  55  —  56)  nehme 
ich  mit  auf,  besonders  weil  sich  die  Sterblichkeits-  Zahlen  —  ich 
lasse  vorläufig  unerörtert  aus  welchem  Grunde  —  für  die  Verletzun- 
gen der  Glieder  auffallend  klein  stellen. 

Sehr  bedauere  ich,  dass  die  statistische  Arbeit,  welche  Chenu 
über  den  italienischen  Feldzug  von  1859  in  Aussicht  gestellt  hat, 
noch  nicht  veröffentlicht  ist.  Was  sonst  an  statistischen  Daten  über 
diesen  Feldzug  vorliegt  —  die  Mittheilungen  von  Demme  einge- 
rechnet —  beruht  so  sichtlich  auf  unvollkommenen  Unterlagen,  dass 
von  einem  Vergleich swerthe  nicht  die  Rede  sein  kann. 

Vergleichende  Uebersicht 

der  Häufigkeit  und  Tödtlichkeit  der  Schusswunden 
nach  Körpertheilen 
excl.  Gefallene. 

Tabelle  V.   


Verletzter 

Feldzug  1864. 

Krimm-  Krieg. 
Englische  Armee. 

Amerik. 
Unionskrieg 

Preussen. 

In  preuss.Lazarethen 
gepflegte  Dänen. 

« 

Gestorben. 

■a 

Körpertheil. 

o 

5 

o 

B 
3 

o 

TS 

c 

•O 

1 

H  . 

S 

p- 

? 
M 

% 

o 

1§ 

1 

o 

15 
S 

> 

cS 

o 

c 

03 
> 

M 

o 

s- 

Pi 

o 

N 

> 

> 

Kopf  

272 

14 

h, 
9,2 

■f 

120 

10 

18,3 

1471 

20 

192 

13,1 

9217 

12 

Hals  

40 

2 

10,0 

26 

2 

7,6 

147 

2 

6 

4,1 

1329 

2 

137 

7 

40,8 

113 

9 

67,2 

474 

6 

135 

28,5 

7062 

9 

Unterleib  und 

Becken   .  . 

103 

5 

57,2 

89 

7 

64,0 

327 

4 

165 

50,1 

3523 

5 

Wirbelsäule 

und  Rücken 

92 

5 

29,3 

80 

7 

40,0 

355 

4 

48 

13,5 

5382 

7 

Obere  Glieder 

608 

31 

8,7 

317 

26 

19,5) 

i21248 

27 

458 

4754' ) 

63 

505 

10,6 

^30014 

Untere  „ 

716 

36 

12,5 

38 

31,8) 

38 

Summe  . 

196b 

" 

16 

1203 

33 

7528 

1051 

13,9 

77775 

*)  Zahl  der  Gestorbenen  s.  Tabelle  III. 

' )  In  dem  englischen  Berichte  ist  die  Sonderung  der  Verletzungen  der 
oberen  und  der  unteren  Glieder  nicht  vollständig.  167  Verletzungen  der  grossen 
Gefässe,  Nerven  und  Gelenke  mit  40  Todesfällen  (27,5  pCt.)  sind  für  sich  und 
gemeinschaftlich  für  obere  und  untere  Glieder  berechnet. 


55 


Tabellen  dieser  Art  geben,  wie  gesagt,  keine  richtige  An- 
schauung von  der  Wirkung  der  Kriegs-Feuerwaffen  überhaupt.  Der 
Procentsatz  für  die  Kopfschüsse  erscheint  hier  bei  den  Preussen 
um  6  pCt.  geringer,  der  für  die  Glieder  um  10  pCt.  grösser  als  in 
Tabelle  IV. 

Die  Eigenthümlichkeit  jedes  Krieges,  in  welchem  der  Positions- 
Kampf  vorwiegt,  der  höhere  Procentsatz  der  Kopfschüsse,  ist  auch 
in  Tabelle  V.  noch  ausgeprägt.  Dass  unter  den  in  unseren  Laza- 
rethen  gepflegten  Dänen  nur  10  pCt.  Kopfverletzte  waren,  spricht 
natürlich  nicht  dagegen.  Nur  der  relativ  kleinere  Theil  der  kopf- 
verletzten Dänen  kam  in  unsere  Hände;  die  meisten  derselben  wur- 
den innerhalb  ihrer  Werke  getroffen.  Djoerup  hat  in  seinen 
statistischen  Notizen  14,4  pCt.  Kopfverletzte  berechnet.*) 

Was  in  der  Tabelle  am  meisten  auffällt,  ist  die  sehr  bedeutende 
Differenz  zwischen  den  preussischen  und  dänischen 
Verwundeten  in  Betreff  der  Sterblichkeit.  Sie  waren  bei 
den  letzteren  mehr  als  doppelt  so  gross.  Und  doch  handelt 
es  sich  um  Verwundete,  welche  in  den  nämlichen  Lazarethen  von 
den  nämlichen  Aerzten  gepflegt  und  behandelt  worden  sind. 

Ich  brauche  nicht  zu  sagen,  dass  der  Grund  nicht  etwa  darin 
liege,  dass  den  Verwundeten  des  Feindes  unserer  Seits  weniger 
Sorgfalt  gewidmet  war.  Auf  dem  Schlachtfelde  wie  in  den  Laza- 
rethen wurde  niemals  unterschieden,  ob  es  sich  um  einen  Dänen 
oder  um  einen  Preussen  handele.  Krankenträger,  Krankenpfleger 
und  Aerzte  wetteiferten  überall,  ihrer  humanen  Mission  Ehre  zu 
machen  durch  die  thatsächliche  Inaugurirung  des  Grundsatzes  — 
der  verwundete  Feind  hat  aufgehört,  Feind  zu  sein. 
Die  von  ihren  Wunden  genesenen  dänischen  Ofn'ciere  und  Soldaten 
werden  es  bezeugen,  wie  sie  während  ihres  Wundlagers  der  Dank- 
barkeit für  die  ihnen  gewidmete  Sorgfalt  Ausdruck  gaben.  Sie 
schienen  den  preussischen  Feldärzten  ein  besonderes  Vertrauen  zu 
schenken. 

*)  Der  Vergleich  mit  den  von  dem  dänischen  Chef-Arzte  berechneten  Pro- 
centsätzen würde  von  besonderem  Interesse  für  uns  gewesen  sein  Dennoch 
konnte  ich  sie  in  die  Tabelle  nicht  mit  aufnehmen,  weil  nach  den  von  ihm 
selbst  mit  dankenswerter  Offenheit  darüber  gegebenen  Notizen  das  statistische 
Material,  mit  welchem  er  sich  der  Umstände  halber  begnügen  musste,  gar  zu 
lückenhaft  ist.  Namentlich  die  von  Djoerup  berechneten  Sterblichkeits-Zahlen 
scheinen  mir  aus  diesem  Grnnde  unvergleichbar.  Was  die  Häufigkeits- Zahlen 
betrifft,  so  werden  gerechnet  auf  den  Kopf  14,4  pCt.,  „Hals  und  Rumpf" 
16,1  pCt,  obere  Glieder  33,4  pCt.,  untere  Glieder  36,1  pCt. 


56 


Jene  Sterblichkeits -  Differenz  zu  erklären,  bedarf  es  nicht  der 
Berufung  auf  den  beliebten  Satz  —  „die  Sterblichkeit  ist  grösser 
unter  den  Verwundeten  der  geschlagenen  Armee".  Wohl  hat  die 
Psyche  ihren  Einfluss  auf  den  Wundverlauf.  Aber  die  Voraussetzung, 
welche  dem  Satze  zu  Grunde  liegt,  lässt  sich  statistisch  gar  nicht 
präcisiren;  jeden  Falles  passt  sie  überall  nur  auf  einen  verhältniss- 
mässig  kleinen  Bruchtheil  der  Verwundeten. 

Die  Differenz  ist  nichts  weiter  als  ein  Beweis  mehr  von  der 
Nothwendigkeit,  bei  dem  statistischen  Vergleichen  von  Heilresultaten 
äusserst  vorsichtig  zu  sein.  Sie  ist  nämlich  einfach  das  Ergebniss 
des  sehr  verschiedenen  Verhältnisses,  in  welchem  die  leichteren 
und  die  schwereren  Verletzungen  in  jenen  Zahlen  gemischt  sind. 
Beziehen  sich  doch  die  Zahlen  der  Preussen  auf  alle  bei  diesen 
vorgekommenen  Schusswunden,  auch  die  ganz  leichten  mitgerechnet, 
die  der  Dänen  dagegen  vorzugsweis  auf  schwere  Verletzungen, 
welche  den  Verwundeten  nicht  gestatteten,  der  Gefangenschaft  sich 
zu  entziehen.  Schon  die  bisherigen  allgemeinen  Nachweise  lassen 
hierauf  schliessen.  Aus  Tabelle  III.  ergiebt  sich  z.  B.,  dass  die 
Categorie  der  in  den  ersten  48  Stunden  Gestorbenen  bei  den 
Preussen  4,1  pCt.,  bei  den  Dänen  5,4  pCt.  umfasst,*)  und  Tabelle  V. 
zeigt,  dass  die  an  sich  schwereren  Verletzungen  der  unteren  Glieder 
bei  den  Preussen  nur  um  5  pCt.,  bei  den  Dänen  um  12  pCt.  mehr 
als  die  an  sich  weniger  gefährlichen  der  oberen  Glieder  vertreten 
waren.  Noch  augenfälliger  aber  wird  sich  jenes  Verhältniss  in  den 
nächsten  Capiteln,  welche  der  speciellen  Betrachtung  der  einzelnen 
Verwundungsformen  gewidmet  sind,  herausstellen.  Auch  der 
Schlüssel  zu  dem  in  seiner  Allgemeinheit  räthselhaft  günstig  er- 
scheinenden Resultate  der  englischen  Chirurgie  in  der  Krimm  wird 
hier  zu  suchen  sein. 


*)  Dieses  Verhältniss  stellte  sich  für  die  verwundeten 

Preussen  Dänen 

der  Kämpfe  im  Sundewitt  bis  zum  17  April    4,5  pCt.  13,2  pCt. 

des  18.  April   4,7    „  5,2  „ 

des  29.  Juni  1,8    „  3,7  „ 


57 


Erstes  Capitel. 
Die  Schussverletzungen  des  Kopfes. 

Von  der  relativen  Häufigkeit  dieser  Verletzungen  im  Feldzuge 
von  1864  und  von  dem  ihm  eigenen  Grade  der  directen  und  in- 
directen  Tödtlichkeit  ist  der  statistische  Nachweis  schon  in  Tabelle  IV. 
gegeben  Auch  wurde  bereits  angedeutet,  dass  auf  die  Verletzungen 
des  Kopfes  ein  um  so  höherer  Procentsatz  zu  fallen  pflegt,  je  mehr 
der  Kampf  um  befestigte  Stellungen  in  der  kriegerischen  Action 
vorwaltet 

Sehr  bezeichnend  ist  in  dieser  Beziehung  die  Berechnung  aus 
dem  Krimm-Kriege.,  welche  Scrive  (1.  c.  pag.  433)  gegeben 
hat.  Die  Schlachten  an  der  Alma,  bei  Inkermann  etc.  ergaben 
ca.  10  pCt.  Kopfverletzte,  die  Belagerung  von  Sebastopol 
29  pCt. 

Unsere  Tabelle  V.  weist  nach,  dass  von  den  schussverletzten 
Preussen  (excl.  Gefallene)  im  Feldzuge  von  1864,  in  welchem  es 
sich  fast  nur  um  Angriffe  befestigter  Punkte  handelte,  14  pCt.  am 
Kopfe  getroffen  wurden.  Beschränke  ich  die  Berechnung  auf  die 
Zeit  der  Belagerung  der  Düppelstellung  (vom  28.  März,  an 
welchem  Tacre  das  Terrain  zur  Legung  der  ersten  Parallele  erobert 
wurde,  bis  zum  17.  April),  so  stellt  sich  heraus,  dass  von  303  Schuss- 
verletzten (excl.  Gefallene)  49,  also  16  pCt.  am  Kopfe  getroffen 
wurden.  Diese  Belagerung  währte  21  Tage,  die  von  Sebastopol 
336  Tage. 

Die  weitere  Besprechung  der  Kopf- Verletzungen  erheischt  zu- 
nächst die  Sonderung  in  zwei  Gruppen,  welche  in  den  bisher  er- 
wähnten Zahlen  verschmolzen  sind  —  Schädel-  und  Gesichts- 
Verletzungen.  Der  Feldzug  von  1864  hat  die  alte  und  bekannte 
Erfahrung  von  der  Tödtlichkeits-Differenz  zwischen  diesen 
beiden  Gruppen  bestätigt.  Sie  beträgt  17  pCt.  zu  Gunsten  der 
Gesichts-Verletzungen  (ohne  Rücksicht  auf  die  Gefallenen). 

1.  Die  Schuss Verletzungen  des  Schädels. 

Diese  Gruppe  umfasst  die  Verletzungen  der  die  Hirnschale  bil- 
denden Knochen,  ihrer  weichen  Hüllen  und  ihres  Inhaltes  —  des 
Gehirnes  selbst  und  seiner  Häute.    Auch  solche  Schüsse,  welche  in 


58 


die  Schädelhöhle  drangen,  obwohl  das  Geschoss  am  Gesichtstheile 
des  Kopfes,  z.  B.  durch  die  Augenhöhle,  einschlug,  habe  ich  der- 
selben zugezählt. 

Das  Resultat  unserer  Schlachtfelds  -  Todtenschau  ist  nicht  so 
genau,  dass  ich  mit  Sicherheit  angeben  könnte,  wie  viele  von  den 
durch  Kopfschüsse  auf  dem  Schlachtfelde  gefallenen  Preussen  am 
Schädel-,  wieviele  am  Gesichts-Theile  getroffen  wurden.  Dass 
aber  letzterem  ein  verhältnissmässig  sehr  kleiner  Procentsatz  zu- 
kommt, darf  vorausgesetzt  werden. 

Scrive  hat  bei  den  in  den  Trancheen  vor  Sebastopol  gefallenen 
Franzosen  „un  tue  par  plaie  de  tete  sur  deux  tues  par  d'autres 
blessures"  geschätzt  (1.  c.  pag.  443).  Diess  ergiebt  ca.  33  pCt. 
Tödtungen  durch  Kopf-  resp.  Schädel -Schüsse.  Der  französische 
Chef- Arzt  knüpft  daran  das  Verlangen  nach  einem  besonderen 
Schutze  für  den  Schädel,  indem  er  sagt: 

„Cet  effet  fächeux  demontre  combien  il  serait  prudent  et 
„avantageux  de  proteger  la  tete  des  troupes  employes  a  un  siege 
„par  un  casque  a  Fepreuve  de  la  balle  et  des  eclats  des  gros 
„projectiles." 

Der  preussische  Soldat  besitzt  den  Helm.  Von  unseren 
422  Gefallenen  sind  420  durch  Geschosse  verletzt.  Bei  196  von 
ihnen  ist  constatirt,  dass  der  Kopf  getroffen  war.  Von  100  Todes- 
fällen auf  dem  Kampfplatze  rührten  also  ca.  47  von  Kopfschüssen 
her  —  14  mehr  als  in  den  Trancheen  von  Sebastopol,  wofern 
Scrive  die  Zahl  der  tödtlichen  Kopfverletzungen  nicht  unterschätzt 
hat.  Es  scheint  somit,  dass  eine  der  tödtlichsten  Arten  von  Ver- 
letzungen im  Kriege  —  der  Kopfschuss  —  je  länger  desto  mehr 
Uebergewicht  erlangt.  Der  Grund  dürfte  vorzugsweis  in  der  Ver- 
vollkommnung der  Handfeuerwaffen  zu  suchen  sein.  Denn  171  von 
jenen  196  sind  durch  Gewehrschüsse  getödtet.  Darf  aus  diesen 
Zahlen  geschlossen  werden,  dass  unser  Helm,  was  den  fraglichen 
Schutz  des  Schädels  betrifft,  nutzlos  gewesen  sei? 

Bei  den  meisten  grösseren  Actionen  wurde  der  Helm  vorher 
abgelegt  und  durch  die  Feldmütze  ersetzt;  er  hatte  also  wenig 
Gelegenheit,  seine  Schutzkraft  zu  bewähren.  Vor  Missunde  ge- 
schah es  nicht.  Dennoch  hatten  die  Kopfverletzungen  gerade  bei 
dieser  von  unseren  jungen  Soldaten  rühmlichst  bestandenen  Feuer- 
taufe den  stärksten  Antheil  an  den  Todesfällen  auf  dem  Kampf- 
platze. Denn 


59 


am  18.  April  fielen  ....  217;  davon  Kopfverletzte  93  =  43  pCt. 
vom  10.  Febr.  bis  17.  April 

im  Sundewitt  ......  89 

am  29.  Juni   70 

am  2.  Februar   38 


41  ==45  „ 
38  =  54  „ 
21  =  55  „ 

Anders  fällt  die  Antwort  aus,  wenn  man  bloss  das  Sterblich- 
keits-  resp.  Heilungs-Verhältniss  der  Nichtgefallenen  zu  Grunde 
legt.  Von  den  S c h ä d e  1  verletzten  des  2.  Februar,  welche  lebend 
den  Kampfplatz  verliessen,  ist  keiner  gestorben,  während  von  den 
nichtgefallenen  Schädel  verletzten  im  Feldzuge  überhaupt  9  pCt. 
gestorben  sind.    (S.  Tabelle  IV.) 

Dieses  Beispiel  beweist  von  neuem,  wie  die  Statistik  irreleiten 
kann,  wenn  sie  mit  halben  Werth en  rechnet.  Berücksichtigt  man 
bloss  die  Kopfverletzten  unter  den  vor  Missunde  Gefallenen,  so 
muss  man  sagen,  dass  der  preussische  Helm  dem  Kopfe  gar  keinen 
Schutz  gegen  die  Geschosse  gewährt  habe;  rechnet  man  bloss  mit 
den  Nichtgefallenen,  so  muss  man  diesen  Schutz  sehr  hoch  an- 
schlagen.   Das  wirkliche  Verhältniss  ist  aber  folgendes: 

■  TT  «  i  .  Davon  gestorben 
Am  Kopfe  verletzt:         ,  ^  „ 

1  (incl.  Gefallene): 

am  2.  Februar  vor  Missunde  50  21  =  42  pCt. 

in  allen  übrigen  Kämpfen  .  418  200  =  48  „ 

Das  minus  der  Tödtlichkeit  von  6  pCt.,  welches  sich  so  für  die 
Kopfverletzten  von  Missunde  herausstellt,  bezeichnet  ein  nicht  uner- 
hebliches Vorwiegen  der  leichteren  Verletzungen  des  Kopfes,  und 
es  hiesse  den  Thatsachen  Zwang  anthun,  wenn  man  dem  Helme 
jeden  Einfluss  darauf  absprechen  wollte. 

Was  die  Form  der  Schädelverletzung  bei  den  Gefalle- 
nen betrifft,  so  variirte  dieselbe  von  der  ausgedehnten  Zertrümme- 
rung und  Zerreissung  des  Schädels  durch  Geschosse  oder  Geschoss- 
stücke des  schweren  Geschützes  oder  durch  von  solchen  in  Bewegung 
gesetzte  Holz-,  Stein-,  Metall-Stücke  bis  zu  unscheinbaren,  von  ein- 
oder  durchdringenden  Gewehrprojectilen  herrührenden  Oeffnungen. 
Ob  und  in  welchem  Maasse  auch  Prellschüsse  vermöge  höchstgradiger 
Hirnerschütterung  oder  intercranialer  Blutung  betheiligt  waren,  muss 
dahingestellt  bleiben.  Die  Feld  -  Todtenschau  von  1864  war  noch 
zu  wenig  technisch,  als  dass  sie  Material  zu  Antworten  bei  der- 
gleichen Fragen  bieten  könnte. 

Die  folgende  Tabelle  giebt  Auskunft  über 


60 


Form  und  Verlauf  der  Schädelverletzungen 
bei  den  Nichtgefallenen. 

Tabelle  VI. 


¥71 

r  o  r  m  e  n 

der 

Schädel  Verletzung. 

Preussen 

Dänen 

Preussen  und 
Dänen 

Zahl. 

gestorben 

genesen. 

s 

gestorben 

genesen. 

cd 
N 

gestorben 

genesen. 

in  den  ersten 
48  Stunden. 

■  später. 

Summa. 

in  den  ersten 
48  Stunden. 

1  später. 

|  Summa. 

in  den  ersten 
48  Stunden  j 

später.  | 

I  Summa. 

A.  Weich th eif  - Schüs se 

112 

112 

33 

33 

145 

1 

145 

B.  Knochen -Schüsse: 

a.  Contusion  der  äusse- 

b.  Einbrüche  der  äusse- 
ren Tafel   

c.  Schussbrüche  beider 
Tafeln  

7 
12 
10 

5 

5 

7 
12 
5 

3 
3 
8 

1 

4 

1 

4 

2 
3 
4 

10 
15 
18 

1 

9 

1 

9 

9 
15 

9 

29 

5 

5 

24 

14 

5 

5 

9 

43 

10 

10 

33 

C.  Schussbrüche  mit 
Hirnhaut-  und  Hirn  - 
Zerreissung  

20 

13 

6 

L9 

1 

14 

7 

7 

14 

34 

20 

13 

.33 

1 

Summa  A.  +  B.  +  C. 

161 

13 

11 

24 

137 

61  7 

i 

12  19|  42 

222  20  23  43 

179 

Was  unabhängig  vom  Willen  der  Statistiker  das  Vergleichen 
der  allgemeinen  Ergebnisse  aus  verschiedenen  Feldzügen  misslich 
macht,  wurde  oben  angedeutet.  Durch  dieselbe  Ungleichartigkeit 
der  Grundlagen  wird  leider  auch  die  statistische  Abschätzung  des 
WTerthes  der  verschiedenen  Modalitäten  der  Kunsthülfe  bei  den  spe- 
ciellen  Verletzungsformen  sehr  erschwert.  Ueberdiess  fehlt  es 
an  einer  gemeinsamen  Norm  zur  Abgrenzung  und  Bezeichnung  dieser 
Formen.  Die  Vereinbarung  einer  solchen  wird  kaum  anders  als 
durch  Vermittelung  eines  internationalen  militärärztlichen 
Congresses  gelingen. 

Was  nützt  es,  zu  wissen,  dass  von  107  im  amerikanischen 
Bürgerkriege  Trepanirten  nur  60  gestorben  sind,  wenn  bei  500  unter 
1104  Schädel -Schussbrüchen  unbekannt  blieb,  welchen  Ausgang  sie 


61 


genommen  haben?  Ich  denke,  nicht  mehr  und  nicht  weniger,  als 
die  Notiz,  dass  im  Feldzuge  von  1864  nur  ein  Schädelverletzter 
trepanirt,  und  dass  er  nicht  gestorben  ist. 

Die  Tabelle  VI.  enthält  eine  Verletzungs  -  Gruppe  (C),  bei  wel- 
cher der  Ausgang  in  Genesung  immer  und  überall  die  seltene  Aus- 
nahme bildet.  Eine  andere  Categorie  von  Schädel-Schussbruch 
—  B.  b.  —  ist  1864  ausnahmslos  glücklich  verlaufen,  und,  möchte 
ich  auch  der  Kunsthülfe  nicht  jeden  Einfluss  darauf  absprechen,  so 
lässt  sich  doch  wohl  sagen,  dass  sie  an  und  für  sich  eine  gute 
Prognose  gestattet.  Schwerlich  eignen  sich  daher  diese  beiden 
Gruppen  zu  einer  statistischen  Abmessung  des  Werthes  verschiede- 
ner Kunstverfahren.  Dagegen  zeigt  Gruppe  B.  c.  gerade  ebensoviel 
Todes-  wie  Genesungs- Fälle  —  ein  Beweis,  dass  sie  das  Leben 
genug  gefährdet,  aber  der  Kunsthülfe  gestattet,  sich  in  einer  gewissen 
Breite  geltend  zu  machen.  Hier  kann  der  statistische  Calcül  zur 
Abschätzung  der  Heilerfolge  verschiedener  Kurarten  dienen  —  wo- 
fern die  Gruppe  von  allen  Statistikern  gleichartig  ab- 
gegrenzt wird.  Mit  so  allgemeinen  Bezeichnungen,  wie  „pene- 
trirend"  —  „nicht  penetrirend"  —  „Schussfracturen  des 
Schädels  mit  Eindruck"  u.dgl.,  und  wenn  prognostisch  so  ver- 
schiedene Verletzungsformen  überhaupt  nicht  auseinander  gehalten 
werden,  ist  mit  den  Ergebnissen  des  Zählens  für  den  Vergleichs- 
zweck nichts  anzufangen.  Ich  wüsste  aber  nicht,  welchen  anderen 
practischen  Zweck  der  statistische  Calcül  auf  diesem  Gebiete  über- 
haupt haben  sollte. 

Haarscharfe  Abgrenzung  ist  freilich  kaum  möglich.  Sie  schei- 
tert schon  an  der  Schranke,  welche  der  Diagnose  gezogen  ist, 
und  letztere  wird  um  so  enger,  je  mehr  die  Chirurgen  ihr  Interesse 
für  das  gründliche  Ermitteln  der  anatomischen  Tiefe  und  Ausdeh- 
nung der  Schädelverletzungen  dem  Interesse  der  Verwundeten  zu 
opfern  sich  entschliessen. 

Bei  allen  wirklichen  Schussfracturen  des  Schädels,  d.  h.  den- 
jenigen, an  welchen  beide  Knochentafeln  betheiligt  sind,  erleidet  die 
harte  Hirnhaut  und  das  Gehirn  selbst  eine  grössere  oder  geringere 
Läsion.  Dieselbe  besteht  bald  in  blosser  mehr  oder  weniger  star- 
ker Contusion,  bald  in  mehr  oder  weniger  bedeutenden  Zusam- 
menhangs-Trennungen —  von  dem  einfachen  kleinen  Einrisse 
oder  der  oberflächlichen  Anspiessung  durch  Splitter  bis  zu  tiefen 
oder  ausgedehnten  Substanz-Zerreissungen.  Die  letzteren  sind 
in  der  Regel  erkennbar  genug,  und  die  fast  ausnahmslose  Tödtlich- 


62 


keit,  welche  ihnen  gemein  ist,  weist  die  mit  ihnen  verknüpften 
Schussbrüche  in  eine  besondere  Gruppe  (C).  Wo  die  sinnfälligen 
Zeichen  der  Hirnsubstanz- Zerreissung  fehlen,  ist  es  bei  schonender 
Behandlung  der  frischen  Wunden  und  ohne  Gebrauch  des  Trepans 
oft  gar  nicht  möglich  zu  constatiren,  ob  Hirnhäute  und  Hirn 
durch  Splitter  der  Glastafel  lädirt  werden.  Die  Section  ergänzt 
zwar  die  Diagnose  bei  tödtlichem  Ausgange;  aber  glücklicher  Weise 
verlaufen  nicht  alle  Schussbrüche  lethal;  ja  es  scheint,  dass  die 
Zahl  der  Heilungen  steigt,  je  mehr  man  darauf  verzichtet,  das 
Splitter -Verhältniss  schon  während  des  Lebens  eindringlich  zu  er- 
forschen. 

Sogar  die  Erkenntniss,  ob  beide  Tafeln  der  Schädelknochen 
durchbrochen  sind  oder  ob  nur  die  äussere  Tafel  eingebrochen 
ist,  lässt  sich  durch  die  Untersuchung  nicht  immer  feststellen.  Die 
Erfahrung  am  Sectionstische  hat  gelehrt,  dass  sehr  unscheinbare 
Läsionen  der  äusseren  Tafel  von  bedeutenden  Verletzungen  der  in- 
neren begleitet  sein  können.  Wenn  aber  letztere  nicht  zum  Tode 
führen  —  ein  vielleicht  gar  nicht  so  seltener  Fall  —  so  bleiben 
sie  überhaupt  unerkannt,  es  sei  denn,  dass  noch  nach  Jahren  die 
Section  zufällig  ihre  Spuren  nachweist. 

Im  Feldzuge  von  1864  ist  meines  Wissens  kein  Fall  von  Glas- 
tafel-Bruch bei  unversehrter  oder  nicht  eingedrückter 
äusserer  Tafel  constatirt.  Wie  gross  aber  und  wie  schwer  er- 
kennbar das  Missverhältniss  zwischen  den  neben  einander  beste- 
henden Läsionen  der  beiden  Tafeln  sein  kann,  lehrt  z.  B.  der  fol- 
gende Fall. 

Fall  5.  Schussbruch  des  Stirnbeins.  Verletzung  der  harten 
Hirnhaut  durch  die  abgesprengte  innere  Tafel.  Extravasat. 
Umschriebene  Hirnentzündung.  Tod.  Musketier  F.  Hengst  vom 
64.  Inf. -Reg.  erhielt  am  17  März  bei  Düppel  einen  Streifschuss  an  der 
rechten  Stirnseite  und  wurde  vom  Lazareth  in  Broacker  (1  F.-L.  der  Cav.- 
Div.)  aufgenommen.  Die  anfänglichen  Erscheinungen  müssen  wobl  sehr 
gering  gewesen  sein,  da  er  bereits  am  1J).  März  nach  Flensburg  (2.  schw. 
F.-L.  3.  A  -C,  Sect.  St.-A.  Besser)  ervacuirt  wurde.  Man  fand  hier 
nahe  dem  Haarwuchse  in  der  dreieckigen,  1"  langen,  V  breiten  Wunde 
den  Knochen  biossliegend  und  das  Periost  abgestreift,  ersteren  sonst  aber 
nicht  verletzt  Die  bereits  entwickelte  Entzündung  der  Weichtheile  gebot 
besondere  Schonung  beim  Untersuchen.  Am  20.  März  ist  das  Bewusstsein 
getrübt,  das  Gehör  geschwächt,  die  Reaction  der  Pupillen  träge,  die  Tem- 
peratur der  Haut  bei  100  Pulsen  fieberhaft  Stuhl  dünn  und  reichlich. 
Vier  Blutegel  hinter  jedes  Ohr;  Eisblase;  Calomel  1  Gran  3stündlich.  Den 
22.  März  stärkere  Trübung  des  Bewusstseins;  unfreiwilliger  Stuhl.    In  der 


63 


Nacht  vom  23.  zum  24.  März  entsteht  plötzlich  eine  starke  arterielle  Blu- 
tung aus  einem  Wnndwinkel.  ümstechung.  Darauf  ruhiger  Schlaf.  Eine 
Stunde  später  grosse  Unruhe  und  Morgens  7  Uhr  Tod.  Section:  Unter- 
halb der  Weichtheilwunde  und  etwas  links  davon  findet  sich  ein  kleiaes 
Stück  der  in  grosser  Ausdehnung  des  Periostes  beraubten  äusseren  Tafel 


Natürliche  Grösse. 


Fig.  A.    Aeussere  Tafel. 


Fig.  B.    Innere  Seite  des  Stirnbeines  mit  der  durch  Absprengung 
der  Glastafel  freigelegten  Diploe. 


\tk>  tief  eingedrückt,  am  tiefsten  am  inneren 
Rande,  wo  ein  kleines  Bleistückchen  einge- 
klemmt sitzt.  Von  der  inneren  Tafel  ist  da- 
gegen ein  etwa  sechsfach  grösseres  Stück  ab- 
gesprengt und  in  3  Theile  zerbrochen  Die 
Dura  mater  ist  eingerissen:  unter  ihr  ein  Blut- 
extravasat  thalergrossen  Umfanges.  Die  Me- 
ningen hyperämisch.  Die  Hirnsubstanz  ist  an 
der  dem  Bruche  entsprechenden  Stelle  §"  tief 
entzündlich  erweicht.  An  den  übrigen  Orga- 
nen nichts  Abnormes. 


Fig.  C.  Abgesprengtes 
Stück  der  Glastafel. 


64 


Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  der  Ausdruck  des  Heilerfolges  in 
Zahleu  sehr  abhängig  ist  von  der  Art,  wie  der  Statistiker  die  ana- 
tomisch nicht  scharf  bestimmten  Fälle  registrirt.  Gruppe  B.c.  un- 
serer Tabelle  kann  namentlich  in  doppelter  Weise  von  Misserfolgen 
entlastet  werden;  erstens,  indem  man  die  tödtlich  verlaufenen  Fälle, 
in  welchen  sich  nachträglich  eine  Läsion  des  Hirns  und  seiner  Häute 
herausstellt,  der  Gruppe  C.  überweist,  zweitens,  indem  man  die  Son- 
derung der  Gruppe  B.  b.  und  B.  c.  überhaupt  unterlasse.  Die  Ten- 
denz-Statistik findet  in  der  Gruppirung  der  Verletzungsformen  eine 
bequeme  Handhabe.  Ich  habe  der  so  lethalen  Gruppe  C.  nur  solche 
Fälle  zugezählt,  in  denen  eine  Mitverwundung  des  Gehirns  mit 
Substanzverletzung  feststeht,  und  der  Gruppe  B.  c.  nur  solche, 
in  denen  die  Verletzung  beider  Tafeln  erwiesen  ist. 

Am  schwersten  ist  es,  die  Schädel  -  Schüsse  mit  blosser  Kno- 
chen-Contusion  (B.  a.)  correct  zu  zählen.  Unter  den  145  Weich- 
theil- Schüssen,  welche  Tabelle  VI.  nachweist,  befindet  sich  ohne 
Zweifel  noch  mancher,  in  welchem  der  Knochen  wirklich  contundirt 
wurde.  Schon  der  Umstand,  dass  nicht  selten  Zeichen  der  Hirner- 
schütterung mit  ihnen  verknüpft  waren,  lässt  darauf  schliessen.  Al- 
lein die  Statistik  wird  völlig  haltlos,  sobald  sie  auf  den  sinnfälligen 
Nachweis  der  Contusion  des  Knochens  verzichtet,  möge  dieser  in 
einer  mittelst  Auge  oder  Finger  erkennbaren  Veränderung  an  der 
Oberfläche  des  in  der  frischen  Wunde  biossliegenden  Knochens  be- 
stehen oder  durch  Exfoliation  während  der  Eiterung  oder  durch 
bleibende  Auftreibung  des  Knochens  unter  der  Narbe  resp.  unter 
der  nicht  getrennten  Haut  geliefert  werden.  Gewiss  werden  nicht 
wenige  Knochen- Contusionen  geheilt,  ohne  dass  solche  Folgen  sich 
bemerklich  machen.  In  anderen  Fällen  wird  eine  unbedeutende  Ex- 
foliation während  der  Eiterung  übersehen  oder  im  Journal  wenig- 
stens nicht  notirt.  Der  Therapeut  hat  Ursache  genug,  an  Contusion 
des  Knochens  zu  denken,  wenn  auch  die  positive  Diagnose  nicht 
sofort  möglich  ist;  der  Statistiker  sollte  sich  überall  nur  durch  letz- 
tere bestimmen  lassen.  Dass  diess  bei  der  Abgrenzung  der  Gruppe 
B.  a.  in  unserer  Tabelle  geschehen  ist,  dürfte  schon  aus  der  kleinen 
Zahl  der  ihr  zugezählten  Fälle  zu  schliessen  sein. 

Aus  Tabelle  VI.  ergiebt  sich  nun,  dass  1864  bei  den  Preussen 
nur  14,1  pCt.,  bei  den  Dänen  31,1  pCt.  der  Schädelverletzungen 
tödtlich  verlaufen  sind.  Die  Tabelle  giebt  aber  auch  die  Erklärung 
dieser  erheblichen  Differenz.  Von  den  Verletzungen  der  Preussen 
gehörten  nur  ca.  12  pCt.,  von  denen  der  Dänen  ca.  23  pCt.  zur 


65 


lethalen  Gruppe  C.  Dagegen  stellten  die  Dänen  zu  den  Weich- 
theil- Schüssen  nur  ca.  54  pCt..  die  Preussen  ca.  70  pCt.  Das 
Heilungsverhältniss  stellt  sich  auf  beiden  Seiten  völlig  gleich  für  die 
entscheidenden  Gruppen  —  100  pCjt,  bei  den  Brüchen  der  äusseren 
Tafel,  50  pCt.  bei  den  Brüchen  beider  Tafeln  (B.  b.  u.  e.) 

Betrachten  wir  jetzt  die  einzelnen  Gruppen  näher.    An  den 
Schädel-Schüssen  mit  Hirnhaut-  und  Hirn-Zerreissung 
scheiterte  die  Kunsthüli'e  IS 64  kaum  weniger  als  in  anderen  Feld- 
zügen.   Das  Ueberleben  war  bei  diesen  Verletzungen  sehr  oft  nur 
das  um  einige  Stunden  oder  Tage  sich  verzögernde  Sterben.  Schon 
innerhalb  der  ersten  4S  Stunden  schloss  der  Tod  die  Leidensscene 
bei  59  pCt.  derselben.     Der  Schein  von  Hofinung-,  welchen  die 
übrigen  theils  durch  längeres  Lebenbleiben,  theils  durch  verzögertes 
Eintreten  oder  täuschenden  Nachlass  der  bedrohlichen  Symptome 
erregten,  hat  sich  nur  in  einem  Ausnahmsfalle  verwirklicht. 
Fall  6.  Kartätschsehuss  der  Schläfen  gegen  d.  Grosser  FI irndefe et 
Heilung.    Musketier  Fritz  Haiinemann  vom  24.  Reg  ,  24  Jahr  alt,  aus 
Wenzlow  bei  Brandenburg,  wurde  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet.  Er 
gelangte  halb  bewusstlos  auf  den  Verbandplatz,  schrie  jedoch  über  Schmerzen 
und  sagte  auf  Befragen  seinen  Namen  und  die  Regiments -Nummer.  Von 
der  dicht  Tor  dem  linken  Ohre  in  der  Höhe  des  Helix  belegenen  Wundöff- 
nung aus  wurde  in  dem  Schuppentheile  des  Schläfenbeines  ein  fast  thaler- 
grosses  Loch,  aus  welchem  Blut  und  weisse  Hirnmasse  quoll,  constatirr. 
Unterhalb  der  Wunde  ist  die  Haut  abgehoben.    Auch  diese  Tasche  ist  mit 
blutigem  Hirnbrei  gefüllt.   Der  untersuchende  Finger  gelangt  zwischen  eine 
Menge  von  Knochentrümmern  und  fühlt  in  der  Gegend  der  Felsenpvramide 
einen  grossen  Defect    Aus  dem  Ohre  quillt  Blut  und  Hirnsubstanz.  Die 
Klage  des  Verw.  —  wegen  Lähmung  des  1.  n.  facialis  in  unverständlichen 
Tönen  —  über  Schmerzen  am  Rücken,  führt  zur  Auffindung  des  rechts 
neben  dem  Dornfortsatze  des  4.  Brustwirbels  unter  der  Haut  liegenden 
Projectiles.    Mittelst  Einschnittes  wird  eine  Kartätsche  kleineren  Calibers 
nebst  zwei  kleinen  Knochenstücken  entfernt.  Eisblase. 

Am  30.  Jim:  fortdauerndes  AusÜlessen  von  Hirnmasse  aus  dem  Ohre; 
Bewusstsein  völlig  erloschen.  Von  der  Sehussöffnuug  aus  werden  grössere 
Splitter  der  Schuppe  entfernt.  Am  1.  Juli  Puls  massig  frequent.  H.  reagirt 
auf  Fragen,  wenn  auch  nur  durch  lautes  wiederholtes  Stammeln  unverständ- 
licher Laute.  Ein  Katbeter,  von  der  Schnittwunde  am  Rücken  eingeführt, 
geht  unter  der  >"aekenmuslrulatur  hinweg  bis  in  die  Gegend,  wo  Schläfen- 
bein und  Hinterhauptsbein  grenzen.  In  den  nächsten  Tagen  hört  das  Aus- 
fliessen  von  Hirn  aus  dem  Ohre  auf.    Die  Wunden  eitern  massig. 

Am  5  Juli  grosse  Unruhe  bei  beschränktem  Bewusstsein.  Voller  ver- 
langsamter Puls.  Aderlass.  Den  9.  Juli  Bewusstsein  kaum  freier.  Starke 
Eiterung  Incision  einer  Senkung  hinter  dem  Warzenfortsatze.  Calomei 
gegen  die  Obstruction.  Am  13.  Juli  besserer  Puls;  Esslust.  Calomeldose 
zn  glefrfafen  Zweck    In  den  beiden  folgenden  Tagen  mehrere  Stühle,  zum 

Loexfler,  Generalbexicht.  5 


66 


Theil  unbewusst.  Am  17.  Juli  ist  das  Sensorium  entschieden  freier.  H. 
spricht  zwar  nicht,  versucht  aber,  eine  angebotene  Cigarre  zu  rauchen. 
Entfernung  einiger  Knochenstücke  aus  der  Rückenwunde.  Am  20.  Juli  be- 
ginnt EL  zu  antworten,  wenn  auch  der  Facialislähmung  wegen  undeutlich, 
raucht  und  isst  mit  Appetit.  Am  27.  Juli  ist  das  Sensorium  ganz  frei; 
Patient  vermag  zu  stehen  und  eine  kurze  Strecke  zu  gehen.  Wieder  ein 
Knochenstück  in  der  Rückenwunde.  Nunmehr  kehrt  die  Erinnerung  an  die 
Zeit  der  Verwundung  und  die  Vorgänge  unmittelbar  nach  derselben  wieder. 
Die  Ausheilung  der  Wunden  schreitet  regelmässig  vor  Am  18.  August 
musste  die  Eingangsöffnung  behufs  Entfernung  einiger  dem  Felsenbeine 
angehöriger  Knochenstücke  erweitert  werden.  Als  H.  am  23.  August  aus 
dem  Lazarethe  in  Oster- Satrup,  wo  er  bis  dahin  gepflegt  war,  nach  Apen- 
rade evacuirt  wurde,  vermochte  er  ohne  Hülfe  zu  gehen.  Das  Namen- 
Gedächtniss  scheint  ganz  verloren;  sogar  den  Namen  seiner  Frau  hat  H. 
vergessen.  Der  hintere  Theil  des  Schusskanales  ist  geschlossen.  Der 
meiste  Eiter  kommt  noch  aus  dem  Ohre. 

In  Apenrade,  wo  H.  bis  zum  7.  November  blieb,  wurde  hinter  dem 
Ohre  unter  der  alten  noch  eine  Incision  wegen  Fluctuation  nöthig.  Aus 
derselben  wird  am  1.  September  ein  kleines,  am  12.  October  ein  pflaumen- 
steingrosses  Knochenstück  extrahirt.  Die  Eiterung  nimmt  darauf  sehr  ab, 
und  die  Ausheilung  schreitet  vor,  obwohl  auch  aus  der  Eingangsöffnung 
und  aus  dem  Ohre  von  Zeit  zu  Zeit  noch  kleine  Sequester  hervorkommen. 
Das  Allgemeinbefinden  sehr  gut.  Die  geistige  Energie  hat  indess  nicht 
merklich  zugenommen.  Die  Auffassung  bleibt  schwerfällig,  und  die  Schwäche 
des  Gedächtnisses,  besonders  für  Namen,  besteht  fort. 

Als  H.  am  8.  November  im  Garnisonlazarethe  zu  Berlin  eintraf,  be- 
stand neben  Eiterftuss  aus  dem  tauben  linken  Ohre  und  neben  der  beson- 
ders den  Kauact  erschwerenden  Facialislähmung  ein  Fistelgang  an  Stelle 
der  früheren  Schussöffnung,  welcher  auf  nekrotischen  Knochen  führt.  Erst 
nachdem  noch  Ende  Januar  1865  ein  Knochenstückchen  sich  gelöst  hatte, 
erfolgte  vollständige  Vernarbung.  Die  letzte  Nachricht  über  diesen  Ver- 
wundeten, welche  ich  besitze  und  der  gefälligen  Mittheilung  des  Herrn 
0. -St.-A.  Hoch  auf  verdanke,  datirt  vom  Herbste  1865.  Aus  dem  Ohre 
kommt  noch  immer  etwas  Eiter.  Allgemeinbefinden  und  Ernährungszustand 
gut.  Kauact  nicht  mehr  behindert.  Der  Gang  ist  etwas  unsicher,  obwohl 
Arme  und  Beine  frei  bewegt  werden.  Das  linke  Auge  ist  erblindet  (der 
ophthalmoscopische  Befund  ist  nicht  angegeben);  das  rechte  sieht  gut. 
Kopfschmerzen  oder  andere  Zeichen  von  Gehirnreizung  nicht  vorhanden. 
Das  Gedächtniss  ist  schwach  geblieben.  H.  kann  sich  auf  den  Namen 
seines  Heimathsortes  nicht  besinnen. 

In  diesem  Falle  hatte  also  eine  tangential  treffende  Kartätsche 
die  Schuppe  des  Schläfenbeines  umfänglich  zersplittert ,  die 
Dtfra  muter  und  den  angrenzenden  Hirntheil  zerrissen,  dann  in 
schräger  Richtung  von  vorn  und  oben  nach  hinten  und  unten  wei- 
tergehend die  Basis  des  Felsentheiles  zertrümmert  und  Stücke  davon 
und  vom  Warzentheile  unter  den  Nackenmuskeln  hinweg  bis  zum 


67 


blinden  Ende  ihrer  Bahn  in  der  Gegend  des  4.  Brustwirbels  mit- 
fortgerissen. Hr.  Professor  Lücke,  welcher  als  dirigirender  Stabs- 
Arzt  einer  Section  des  1.  schw.  F. -L.  3.  A.-C.  die  Behandlung 
dieses  Verwundeten  auf  dem  Verbandplatze  und  im  Lazarethe  zu 
Oster -Satrup  geleitet  hat,  schätzt  den  Verlust  an  Gehirnmasse  auf 
einige  Unzen,  so  dass  der  grössere  Theil  des  mittleren  Lappens  des 
linken  Grosshirnes  zu  Grunde  gegangen  sein  muss.  Trotzdem  keine 
von  der  Hirnläsion  bedingte  peripherische  Lähmung.  Denn  die  so- 
fort entstandene  und  nach  der  Genesung  fortbestehende  Lähmung 
des  L.  n.  facialis  war  offenbar  die  Folge  der  Zerreissung  dieses 
Nerven  an  seiner  Austrittsstelle. 

Für  die  Praxis  ist  aus  den  sogenannten  „seltenen"  Fällen 
in  der  Regel  wenig  zu  lernen.  Immerhin  verdient  der  Typus  der 
geleisteten  Kunsthülfe  Beachtung.  Die  schonende  Behandlung  der 
frischen  Wunde,  welche  forcirte  Splitterextractionen  und  Incisionen 
zur  Aufspürung  etwaiger  Fissuren  vermied;  die  Eisblase,  die  Ablei- 
tung auf  den  Darm,  der  Aderlass  am  7.  Tage,  als  die  grosse  Unruhe 
bei  vollem  verlangsamtem  Pulse  die  entzündliche  Reaction  innerhalb 
des  Schädels  markirte.  Es  ist  der  Typus  der  Behandlung  der 
Schädelverletzungen,  wie  er  aus  der  ersten  schleswig-holsteinischen 
Kriegsklinik  hervorgegangen  ist. 

Die  Bedingungen,  von  denen  der  glückliche  Ausgang  solcher 
Verletzungen  abhängt,  werden  sich  besser  würdigen  lassen,  wenn 
ich  einen  tödlich  verlaufenen  Fall,  der  nach  Art  und  Oertlichkeit 
der  Hirnläsion  sehr  ähnlich  ist,  danebenstelle. 

Fall  7.  Spitzkugelschuss  der  Schläfengegend.  Hirndefect.  Tod. 
Jäger  Block  vom  3.  preuss.  Jäger -Bat.,  24  Jahr  alt,  wurde  gleichfalls  auf 
Alsen  verwundet.  Er  wurde  besinnungslos  in  das  Schloss  Sandberg,  wo 
das  1.  F.-L.  5.  Division  sein  Depot  etablirt  hatte,  gebracht.  Stertoröses 
Athmen,  Puls  64,  Pupillen  sehr  erweitert,  doch  auf  Lichtreiz  reagirend. 
Schussöffnung  in  der  rechten  Schläfe  dicht  über  dem  Ohre,  aus  welcher 
Blut  und  Hirnmasse  quillt,  und  durch  welche  die  Schuppe  des  Schläfen- 
beines zersplittert  gefühlt  wird.  Nach  oben  und  hinten  von  der  Wunde 
sind  die  Weichtheile  zwei  Zoll  weit  abgehoben  Am  Ende  dieses  Sackes 
liegt  ein  plattgedrücktes  Stück  des  Projectiles.  Es  wird  von  der  Wunde 
aus  extrahirt.  Nach  dem  Verbände  kommt  B.  zu  sich,  giebl  sein  Nationale 
an  und  als  Ursache  seiner  Betäubung  einen  Kolbenschlag.  Die  erste  Be- 
täubung muss  jedoch  nur  kurz  gewesen  sein,  da  er  weiss,  dass  der  erste 
sehr  feste  Verband  ihm  Schmerzen  gemacht  habe.  Des  Rücktransportes 
über  den  Sund  erinnert  er  sich  nicht.  Lähmungserscheinungen  fehlen. 
Fragen  werden,  wenn  auch  nach  langem  Besinnen,  richtig  beantwortet. 
Gegen  Abend  mehrmals  Erbrechen. 

5* 


68 


Am  30.  Juni  klagt  B.,  welcher  die  ganze  Nacht  ruhig  geschlafen  hat, 
nur  über  Kopfweh.  Puls  64.  Eisblase.  Calomel  und  Jalappe  aa  5  Gran. 
Erbrechen  ist  nicht  wiedergekehrt.  Abends  Puls  72.  Am  1.  Juli  ist  Pat. 
sehr  schwer  zu  wecken;  Puls  58.  In  der  Hauttasche  neben  der  Wunde 
starke  Schwellung.  Eine  Incision  an  der  tiefsten  Stelle  hinter  dem  Ohre 
entleert  Eiter.  Das  Gefäss  zum  Uriniren  hat  B.  selbst  gefordert.  Stuhl 
ist  trotz,  wiederholter  Dosis  der  Arznei  nicht  erfolgt;  es  wird  eine  dritte 
gereicht.  Abends  84  Pulse.  Den  2  Juli  ist  das  Sensorium  freier  bei 
68  Pulsen.  Pat.  richtet  sich  beim  Verbände  selbst  auf,  antwortet  richtig 
und  verlangt  nach  Milchsuppe.  Am  nächsten  Tage  zeigt  er  Theilnahme 
für  seine  Umgebung,  stellt  Fragen  über  seinen  Zustand  und  wünscht  die 
Kur  eines  Ausschlages,  an  welchem  er  leide  (Pithyriasisflecke).  Puls  64. 
Noch  wohler  fühlt  er  sich  am  4.  Juli.  Er  hat  gut  geschlafen,  das  Essen 
schmeckt,  das  Kopfweh  ist  verschwunden,  Stuhl  ist  erfolgt.  Puls  70.  Die 
Pupillen,  obschon  stets  erweitert,  reagiren  normal.  Folgenden  Tages  der- 
selbe gute  Zustand.    Die  Wunde  eitert  gut. 

Am  6.  Juli  stellt  sich  von  neuem  Schmerz  und  Benommenheit  des 
Kopfes  bei  96  Pulsen  ein.  Im  Laufe  des  Tages  schwillt  unter  steigender 
Beschleunigung  des  Pulses  die  ganze  rechte  Seite  des  Kopfes  stark  an. 
Die  sehr  weiten  Pupillen  verlieren  ihre  Reactionsfähigkeit.  Unter  schnellem 
Collapsus  Tod  am  7.  Juli  Morgens. 

Section:  Die  fehlende  Hälfte  des  Projectiles  findet  sich  zwischen 
der  inneren  Schädelwandung  und  der  Dura  mater;  letztere  in  grosser  Aus- 
dehnung zerrissen;  der  mittlere  Lappen  des  rechten  Grosshirnes  bildet 
einen  mit  Knochensplittern  durchsetzten  blutigen  Brei.  Im  Felsentheile 
des  Schläfenbeines  zwei  parallele,  senkrecht  auf  der  Achse  desselben 
stehende  Fissuren.  Eine  kleine  Fissur  auch  am  Zitzentheile.  In  den  Ge- 
hirnblutleitern keine  Gerinnungen  Das  ganze  Gehirn  und  seine  Häute 
stark  injicirt. 

Auch  ia  diesem  Falle  liegt  ein  Tangentialschuss  vor.  Oert- 
lichkeit  und  Art  der  Schädel-  und  Hirn -Läsion  wie  bei  Hanne- 
mann,  sogar  beschränkter.  Auch  hier  keine  peripherische  Lähmung. 
Der  Verlauf  war  bis  zum  7.  Tage  auffallend  günstig.  Aber  die 
Reaction,  welche  sich  zur  selben  Zeit,  wie  bei  H. ,  wenn  auch  mit 
rasch  steigender  Frequenz  des  Pulses  statt  der  Verlangsamung 
äusserte,  führte  schon  nach  24  Stunden  zum  Tode,  ehe  Entzün- 
dungsproducte  gesetzt  wurden.  Denn  ausser  dem  nekrotischen  Zer- 
falle des  beschädigten  Hirntheiles  fand  sich  nur  grosse  Blutfülle  des 
ganzen  Gehirnes  und  seiner  Häute. 

Bei  Verletzungen  dieser  Art  erfolgt,  wenn  sie  nicht  rasch  tödten, 
nothwendig  das  Absterben  des  zertrümmerten  Hirntheiles  in  grösserer 
oder  geringerer  Ausdehnung.  Da  nun  brandige  Gewebe  nicht 
resorbirt,  sondern  eliminirt  werden,  die  Abstossung  aber  nur 
durch    gesteigerte   Vegetationsthätigkeit    der    lebensfähig  geblie- 


69 


benen  Umgebung  erfolgen  kann,  so  trat  in  beiden  Fällen  um  den 
7.  Tag  die  Reaction  Behufs  Bildung  der  Demarkationslinie  ein. 
Dieser  Heilprocess,  verbunden  mit  starkem  Bluttrugor,  kann  beim 
Gehirne  sehr  leicht  und  schnell  in  den  Todesprocess  umschlagen, 
und  so  geschah  es  in  unserm  zweiten  Falle.  Der  im  ersten  Falle 
zu  dieser  Zeit  gemachte  Aderlass  hat  wol  mitgewirkt,  diese  Reaction 
auf  einer  das  Leben  nicht  gefährdenden  Stufe  zu  erhalten.  Lücke 
betont  gerade  die  Grösse  des  Defectes  als  das  Moment,  welches 
in  diesem  Falle  vielleicht  die  Entwicklung  der  tödlichen  Meningitis 
verhütet  habe.  Auch  ich  glaube,  dass  dabei  der  intracranielle  Druck, 
welcher  sich  an  jene  reactive  Schwellung  des  Gehirnes  knüpft,  ge- 
ringer blieb.  Hoffentlich  wird  aber  Niemand  auf  den  Gedanken 
kommen,  bei  solchen  Verletzungen  mit  kleinerem  Defecte  durch 
künstliche  Vergrösserung  desselben  die  Förderung  der  Heilung  zu 
versuchen.  Man  darf  eine  Bedingung  nicht  vergessen,  ohne  deren 
Erfüllung  die  Heilung  doch  nicht  erfolgen  kann.  Stromeyer  hat 
auf  dieselbe  aufmerksam  gemacht.  Der  Arachnoidealraum  muss  gegen 
das  Eindringen  der  Zerfallsproducte  rings  sich  abschliessen  durch 
Verwachsung  des  Gehirnes  mit  der  Dura  mater.  Auf  diesen  Pro- 
cess  vermag  die  Kunst  direct  nicht  hinzuwirken.  Dass  er  bei 
Hannemann  zu  Stande  kam,  ist  eben  die  seltene  und  glückliche 
Ausnahme,  welche  uns  bei  dieser  Verwundung  interessirt.  Bei  Block 
wäre  es  vielleicht  nicht  unmöglich  gewesen,  mittelst  eines  Ader- 
lasses den  Todesprocess  zu  verlangsamen.  Aber  in  dem  Verhalten 
des  Projectiles  liegt  bei  diesem  Falle  allein  schon  das  ausreichende 
Hinderniss  der  Erfüllung  der  fraglichen  Heilbedingung  Das  Ge- 
schoss  war  nicht  wie  bei  Hannemann  ungetheilt  ausserhalb  des 
Schädels  weitergegangen,  sondern  durch  den  hinteren  Rand  der 
Knochenwunde  in  zwei  Stücke  gespalten,  wrelche  —  das  eine  aussen, 
das  andere  innen  an  der  Schädelwand  —  ihren  Lauf  noch  eine 
Strecke  fortsetzten.  Eine  weitere  Zerreissung  der  Dura  mater  war 
die  Folge.  Mittelst  der  Trepanation  hätte  man  vielleicht  nicht  bloss 
den  Defect  grösser  machen,  sondern  auch  das  in  der  Schädelhöhle 
verbliebene  Kugelstück  entfernen  können.  Aber  der  sehr  ähnliche 
Fall,  welchen  Stromeyer  (Maximen  S.  326)  aus  dem  Feldzuge 
von  1850  erwähnt,  und  in  welchem  die  Operation  gemacht  wurde, 
ist  nichts  weniger  als  dazu  ermuthigend. 

Den  Tangentialschüssen  mit  mehr  oder  weniger  ausgedehnter 
und  tiefer  peripherischer  Zertrümmerung  der  Hirnsubstanz  stehen 
gegenüber  die  Schüsse  mit  mehr  rechtwinkligem  Aufschlag.  Letztere 


70 


machen  Schusskanäle,  welche  entweder  ein  grösseres  oder  klei- 
neres Segment  des  Schädels  resp.  des  Gehirns  durchdringen  oder 
nur  mehr  oder  weniger  tief  in  die  Hirnsubstanz  eindringen,  und 
leUteren  Falles  rührt  der  Kanal  bisweilen  nur  von  eingetriebenen 
Stücket)  der  Hirnschale  her,  während  das  Geschoss  selbst  in  der 
Schale  stecken  blieb  oder  wieder  herausfiel. 

Aus  dieser  Categorie  enthalten  die  kriegschirurgischen  Annalen 
bis  jetzt  meines  Wissens  keinen  unzweifelhaften  Heilungsfall.  Auch 
der  Feldzug  von  1804  hat  keinen  geliefert,  obwohl  in  mehreren  das 
Leiien  die  Verletzung  ungewöhnlich  lange  überdauerte. 

Das  Eingehen  auf  die  Casuistik  würde  dessenungeachtet  wenig- 
stens für  Physiologie  und  Pathologie  von  Interesse  sein,  wenn  neben 
den  Resultaten  der  klinischen  Beobachtung  genaue  Sectionsprotocolle 

„en.  Trotz  der  Anforderungen  des  practischen  Dienstes,  welche 
die  Kräfte  des  feldärztlichen  Personals  zu  Zeiten  völlig  absorbiren, 
ist  es  nicht  unmöglich,  die  Kriegsklinik  auch  in  der  Richtung  mehr 
auszubeuten.  Aber  es  bedarf  zu  dem  Behufe  besonderer  Disposi- 
tionen Seitens  der  den  Dienst  leitenden  Instanz,  ähnlich  denjenigen, 
welche  von  einzelnen  Lazareth -Dirigenten  aus  eigenem  Antriebe 
wirklich  getroffen  worden  sind.  Ich  werde  auf  diesen  Punkt  später 
zurückkommen. 

Die  folgenden  Fälle  führe  ich  nur  an  als  Repräsentanten  der 
oben  bezeichneten  Verletzungsformen: 

Fall  8.  Langbleischuss  quer  durch  den  Kopf.  Tod  nach  vier 
Tagen.  Dem  dän.  Soldaten  Mette  Christensen  vom  2.  Inf. -Reg.  war 
am  18.  April  eine  Kugel  quer  durch  beide  Schläfengegeuden  gegangen. 
Beide  Augäpfel  prolabirt  und  geplatzt,  die  Augenlider  durch  ßlutextravasat 
aufgetrieben.  Bewusstlosi£  keit;  Lähmungserscheinungen  nicht  zu  consta- 
tiren.  Der  Verw.  macht  viel  automatische  Bewegungen  mit  den  Händen 
nach  dem  Kopfe  und  reisst  Eisblasen  und  Verband  ab.  Eingeflösste  Flüssig- 
keiten schluckt  er.  Am  1!'.  April  Zustand  ähnlich.  Pat.  wirft  sich  unruhig 
umher  uud  lallt  zuweilen  undeutliche  Worte.  Vom  20.  April  ab  lag  er 
ruhig  mit  offenem  Munde,  hastig  athmend.  Puls  fadenförmig.  Aus  der 
Nase  fliegst  blutige  Jauche.  Dieser  Zustand  hielt  an  bis  zum  Tode  am 
22.  kprü.  Die  Section  konnte  wegen  Zeitmangels  nicht  gemacht  werden. 
(3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Sect.  St.-A.  Weise.  Rinkenis.) 

Fall4.».  Schussfractur  des  Scheitelbeines.  Tiefes  Eindringen 
eines  Knochenstückes  iu  das  Gehirn.  Tod  nach  7  Tagen.  Fü- 
silier Leppin  vom  24.  Reg.  wurde  am  18.  April  verwundet  und  in  Rin- 
kenis (Sect.  Weise  des  3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.)  aufgenommen.  Das 
linke  Scheitelbein  ist  dicht  neben  der  Pfeilnaht  durchbohrt.  Auf  uud  neben 
d-r  WuimI.-  liegl  Gehirnsubstanz,  in  derselben  einige  Knochensplitter, 
welche  entfernt  werden    Die  Kugel  ist  nicht  zu  finden.    Der  Verw.  kann 


71 


nur  unverständlich  lallen,  aber  das  Bewusstsein  ist  nicht  aufgehoben. 
Er  beantwortet  Fragen  durch  Kopfnicken.  Die  Bewegungen  der  Glieder 
sind  frei. 

L.  hat  noch  eine  Verletzung  am  rechten  Unterarm.  Alle  Weichtheile 
sind  hier  durch  Granatsplitter  dermaassen  zerrissen,  dass  die  Knochen  bloss- 
liegen.  Die  Qualen,  welche  diese  Verletzung  verursachte,  wurden  von  dem 
dirigir.  St.-A.  Weise  am  19.  April  mittelst  der  Amputation  im  oberen 
Drittheil  des  Unterarmes  beseitigt. 

Die  Schädelwunde  machte  unter  einfachem  Verbände  und  Eisblase 
keine  Beschwerden.  Am  20.  April  steigt  jedoch  die  Pulsfrequenz  Pat. 
klagt  über  Kopfschmerz,  wirft  sich  unruhig  umher  und  lässt  Stuhl  und 
Urin  unter  sich.  Aber  er  versteht  noch  Fragen  und  beantwortet  sie  durch 
Kopfnicken,  verlangt  und  trinkt  begierig  Wasser,  nimmt  auch  einige  Löffel 
Suppe.  20  Blutegel.  Am  21.  April  mehr  Ruhe.  Lebhafte  Gehirnpulsation. 
Aus  der  Schädelwunde  fliesst  dünner  Eiter  mit  Hirnsubstanz  gemischt. 
Am  23.  April  wird  das  Secret  jauchig.  Die  Glieder  scheinen  theilweis  ge- 
lähmt. Am  24.  April  fadenförmiger  Puls,  Umherwerfen  des  Kopfes,  tiefe 
seufzende  Athemzüge.  Tod  am  25.  April.  Die  Amputationswunde,  welche 
theilweis  p.  pr.  int.  verklebte ,  verlief  regelmässig  bis  zum  Tage  vor  dem 
Tode,  wo  auch  sie  zu  jauchen  anfing.  Section:  Im  Scheitelbeine  ein 
rundes  Loch  viergroschenstückgross,  von  ihm  ausgehend  zwei  feine  Fissuren 
nach  dem  Centrum  des  Knochens.  Der  Schusskanal  geht  in  die  Tiefe  des 
linken  Grosshirnes  nahe  der  Spaltwand  bis  zum  Niveau  des  Corpus  callo- 
fium,  gefüllt  mit  dünnem  jauchigem  Brei.  Am  Grunde  desselben  liegt  ein 
\  Zoll  langes  Knochenstück.  Nur  die  unmittelbare  Umgebung  des  Schuss- 
kanales  ist  blutreich;  sonst  erscheint  das  Gehirn  ziemlich  blutleer.  Von 
der  Kugel  keine  Spur. 

Das  Geschoss  war  also  in  diesem  Falle  entweder  von  selbst  aus 
der  Schädelwunde  herausgefallen  oder  auf  dem  Verbandplatze 
extrahirt. 

Die  interessanteste  der  fraglichen  Verwundungen  war  die  fol- 
gende : 

Fall  10.  Schus sfractur  des  Schläfenbeines.  Kugel  im  Gehirn. 
Tod  nach  55  Tagen.  Der  dän.  Soldat  Petersen  vom  5.  Inf. -Reg.,  am 
29.  Juni  auf  Alsen  verwundet,  wurde  im  Lazareth  zu  Augustenburg  zuerst 
von  dänischen  Aerzten  behandelt,  am  12.  Juli  mit  dem  Lazarethe  selbst 
von  preussischen  (1.  F. -L.  13.  Div.)  übernommen.  Die  Kugel  war  in  die 
linke  Schläfe  eingedrungen.  Wochenlang  fortgesetzte  Behandlung  mit  Eis. 
Die  Wunde  eiterte  stark,  aber  P.  erholte  sich  soweit,  dass  er  ass  und 
trank,  langsam  umherging,  zwar  etwas  stumpfsinnig  erschien,  aber  über 
nichts  klagte  und  den  Wunsch  äusserte,  entlassen  zu  werden.  Am  22.  August 
trat  plötzlich  heftiger  Kopfschmerz  ein  und  schon  am  folgenden  Tage  der 
Tod.  Bei  der  Section  fand  sich  das  plattgeschlagene  Geschoss  auf  dem 
Gehirnzelte  liegend.  Ein  Fistelgang  führte  von  da  durch  das  grosse  Ge- 
hirn nach  der  äusseren  Wunde. 


72 


We^en  mangelnder  Aufzeichnungen  vermag  ich  leider  nicht,  über 
die  Erscheinniigen  im  Leben  und  in  der  Leiche  Näheres  mitzutheilen. 

Viel  mehr  practisches  Interesse  knüpft  sich  freilich  an  die 
Schädelverletzungen,  denen  die  offene  und  substanzielle  Mitverwun- 
dung des  Gehirnes  den  Character  fast  absoluter  Lethalität  nicht 
verleiht,  während  die  vorhandene  Knochenläsion  und  eine  anders 
geartete  Betheiligung  des  Gehirnes  ihnen  doch  den  Stempel  schwerer 
Verwundungen  aufdrückt.  Aus  unserer  statistischen  Tabelle  gehört 
dahin  die  Gruppe  B.  Dem  1  Heilungsfalle  unter  34  der  Gruppe  A. 
stehen  hier  unter  43  Fällen  33,  also  76,7  pCt. ,  Heilungen  gegen- 
über _  oin  ermuthigender  Beweis  der  Wirksamkeit,  auf  welche  die 
Kunsthülfe  hier  zu  rechnen  hat. 

Diese  Verletzungen  sind  meistens  das  Product  stumpfwinklig 
treffender  Projectile,  deren  Abspringen  schon  durch  die  Wölbung 
der  Schädelknochen  begünstigt  wird.  Stirnbein  und  Scheitelbein  sind 
ziemlich  gleich  betheiligt  (15  und  14  Fälle),  das  Schläfenbein  mit  11, 
das  Hinterhauptsbein  mit  3  Fällen. 

Von  den  10  Todesfällen  der  Gruppe  B.  kommen  9  auf  die 
Abtheilung  Bc  —  die  als  solche  constatirten  Schussbrüche 
beider  Tafeln.  Da  dieselbe  18  Verwundungen  umfasst,  so  stellt 
si<  h  für  sie  eine  Mortalität  von  50  pCt.  heraus. 

Dieses  Verhältniss  sticht  sehr  ab  gegen  manche  Zahlen  aus 
anderen  Feldzügen.  Ich  wähle  ein  recht  auffälliges  Beispiel.  Nach 
Strom ey er  endeten  von  den  41  „Schussfracturen  des  Schädels 
mit  Eindruck",  über  welche  er  aus  den  Feldzügen  von  1849  und 
1850  „Notizen  besitzt",  7  tödtlich,  also  nur  17  pCt.  (1.  c.  S.  399). 

Nichts  beweist  schlagender,  wie  Recht  Pirogoff  hat,  wenn  er 
der  üblichen  kriegschirurgischen  Statistik  so  wenig  Bedeutung  ein- 
räumt. Die  Schädelverletzungen  wurden  1864  ganz  allgemein  nach 
den  nämlichen  Grundsätzen  behandelt,  bei  welchen  die  Resultate 
von  1849  und  1850  sich  ergeben  haben.  Umstände,  welche  den 
Erfolg  verschlechtern  können,  wie  Mangel  an  Vorsicht  oder  Conse- 
Ijnen«  in  der  (tibetischen  oder  therapeutischen  Executive,  zu  früher 
und  zu  weiter  Transport,  pyämische  Infection  etc.,  waren,  wie  aus 
Stromeyer's  Aeus^erungen  an  verschiedenen  Stellen  seines  Capi- 
tels  über  die  Kopfschüsse  hervorgeht,  1848  und  1850  mindestens 
ebenso  wirksam  wie  1864.  Ja  die  Pyämie,  über  deren  verderblichen 
Eintluss  auf  die  Kopfverletztcn  geklagt  wird  (1.  c.  S.  382  ff.),  war 
bei  den  9  Todesfällen  von  1864  höchstens  1  Mal  im  Spiele.  Nach 
dem.  wai  Stromeyer  von  den  traurigen  Erfahrungen,  welche  1849 


73 


in  Hadersleben  gemacht  wurden,  sagt,  wäre  es  auffallend,  unter  den 
7  Todten  nach  Schussfractur  von  1849  und  1850  nur  '2  Opfer  der 
„Phlebitis  encephalica"  zu  finden,  wenn  daraus  nicht  hervorginge, 
dass  ausser  den  41  Schädelfracturen ,  über  welche  Stromeyer 
„Notizen  besitzt",  in  jenen  Feldzügen  noch  andere  vorkamen,  über 
welche  keine  Notizen  vorliegen.  Die  Sippschaft  der  „blessures  in- 
determinees"  (Chenu)  war  von  jeher  die  schlimmste  Klippe  der 
Feldzugs -Statistiken.  Je  grösser  sie  ist,  desto  weniger  sind  die 
übrigen  Zahlen  zu  maassgebenden  Schlüssen  brauchbar. 

Ein  weiteres  Moment  zur  Erklärung  des  fraglichen  Contrastes 
ist  die  Ungleichartigkeit  der  in  Vergleich  kommenden  Verletzungs- 
formen trotz  der  gemeinschaftlichen  Bezeichnung  „Schussfracturen". 
Stromeyer  hat  zwar  ausdrücklich  hinzugefügt  „mit  Eindruck". 
Aber  einen  Eindruck  zeigen  auch  viele  Fälle,  wo  bloss  Einbruch 
der  äusseren  Tafel  besteht  oder  wenigstens  nur  solcher  sicher  zu 
constatiren  ist.  Ich  habe  schon  früher  bemerkt,  dass  meine  Gruppe 
Bc.  nur  constatirte  Schussbrüche  beider  Tafeln  enthält.  Zweifel- 
hafte Fälle  sind  zur  Gruppe  Bb.  —  „Einbrüche  der  äusseren 
Tafel"  —  gezählt.  Nun  zeigt  ein  Blick  auf  unsere  Tabelle,  dass 
diese  Gruppe  im  Feldzuge  von  1864  gar  keinen  Todesfall  geliefert 
hat,  und  dieser  Umstand  macht  es  wünschenswerth,  dass  auch  künf- 
tige Statistiken  jene  Sonderung  vornehmen  trotz  der  untergeordneten 
Rolle,  welche  die  anatomische  Läsion  der  Hirnschale  an  und  für 
sich  bei  der  Indicationsstellung  des  Therapeuten  zu  spielen  hat. 
Rechnet  man  die  beiden  Gruppen  Bb.  und  Bc.  zusammen,  so 
kommen  auf  33  Schussfracturen  des  Schädels  9  Todesfälle,  d.  h. 
nur  k27  pCt.  Die  noch  bleibende  Differenz  wird  wol  auf  Rechnung 
der  Fälle  zu  setzen  sein,  über  welche  pro  1849  und  1850  keine 
Notizen  vorliegen. 

Uebrigens  bin  ich  keinesweges  der  Ansicht,  dass  das  Heilungs- 
verhältniss  von  50  pCt.  die  äusserste  Grenze  der  bei  den  Schuss- 
brüchen des  Schädels  im  engeren  Sinne  des  Wortes  erreichbaren 
Erfolge  der  Kunsthülfe  repräsentire. 

Die  folgenden  Notizen  über  unsere  9  Todesfälle  werten  einiges 
Licht  auf  die  Momente,  an  denen  die  Kunsthülfe  scheiterte. 

Fall  11.  1)  Splitterbruch  des  rechten  Scheitelbeines  mit  Fissur 
in  beide  Scheitelbeine.  Hirnabscess.  Tod.  Der  dän.  Soldat  An- 
dreas Andersen  vom  22.  Inf.-Reg.,  33  Jahr  alt,  erhielt  am  18.  April  einen 
Streifschuss  (Mütze  zeigt  2  Löcher),  welcher  das  rechte  Scheitelbein  auf 
seiner  Höhe  in  der  Ausdehnung  von  1"  Länge  und  |"  Breite  zerschmettert 


74 


hat.  Während  des  Transportes  nach  Flensburg  hat  er  viel  gebro- 
chen. Hier  sab  man  in  der  Wunde  deutlich  die  Hirnbewegung.  Bewusst- 
eein  erhalten.  Die  Extremitäten  linker  Seits  gelähmt  und  unempfindlich. 
Puls  72.    Das  Erbrechen  hat  aufgehört.    Eisblase;  Inf.  Sennae. 

Bis  zum  2G.  April  gutes  Befinden,  nur  geringer  Kopfschmerz;  Ess- 
lu.st,  «gestörter  Schlaf.  Am  Abend  dieses  Tages  tritt  heftiges  Erbrechen 
ein.  Nachts  Delirien.  Am  27.  April  fühlt  sich  Pat.  sehr  leidend;  starker 
bohrender  Kopfschmerz,  Puls  64,  Pupillen  eng;  Schwerbesinulichkeit.  Ader- 
lass  von  8  Unzen,  6  Blutegel  hinter  jedes  Ohr;  Ungt.  Tart. 
stib.  im  Nacken;  Eisblase;  Calomel  2stündlich  1  Gran. 

Trotz  einiger  Erleichterung  gegen  Abend  Delirien  die  Nacht  hindurch. 
Am  26.  April  Puls  80;  Pupillen  erweitert  und  träge;  die  Lähmung  der 
Extremitäten  besteht  fort;  auch  an  der  linken  Gesichtshälfte  wird  sie 
merkbar.  Abends  96  Pulse.  Den  29.  April  fühlt  sich  Pat.  wohler,  nach- 
dem er  fast  die  ganze  Nacht  geschlafen  hat.  Er  beantwortet  alle  Fragen 
richtig.  Lähmung  der  linken  Gesichtshälfte  ausgeprägt.  Die  Wunde  eitert 
stark.  Gegen  Abend  verfällt  er  in  Coma ,  welches  mit  geringen  Unter- 
brechungen andauernd  unter  steigender  Pulsfrequenz  und  stertorösem 
Athmen  am  1.  Mai  mit  dem  Tode  endet. 

Section:  Das  Periost  rings  um  den  Knochendefect  weit  abgelöst; 
von  letzterem  geht  eine  Fissur  durch  beide  Scheitelbeine,  links  bis  zur 
Lambdanaht.  Die  harte  Ilirnhaut  blutreich.  Links  ein  starkes  Blutextra- 
vasat.  An  der  Wundstelle  haben  einige  Splitter  die  Dura  mater 
und  das  Gehirn  angespiesst.  Dicht  darunter  findet  sich  ein 
hühnereigrosser  Abscess  in  der  Hirnsubstanz.  Letztere  selbst  auf 
beiden  Seiten  ziemlich  blutleer.    Au  der  Basis  Spuren  eitriger  Meningitis. 

Nach  Verlauf  und  Ausgang  sehr  ähnlich  ist  der  folgende  Fall: 

Fall  12.  2)  Splitterfractur  des  Stirnbeines.  Hirnabscess.  Tod. 
Feldwebel  Schmiedechen  von  der  12.  Comp.  35.  Füsil.-Reg.,  30  Jahr 
alt,  wurde  am  18.  April  —  angeblich  durch  Granatsplitter  —  2|"  ober- 
halb des  linken  Auges  an  der  Stirn  getroffen.  Die  fast  thalergrosse  drei- 
lappige Wunde  scheint  nur  bis  auf  das  Periost  zu  dringen.  Bei  der  An- 
kunft im  Lazareth  zu  Broacker  bestanden  noch  Folgen  der  Commotion  — 
kleiner  Puls  von  108  Schlägen,  auffallende  Blässe.  Am  20.  April  Eva- 
cuation  nach  Flensburg.  Hier  wird  am  21.  April  mittelst  Erweite- 
rung der  Wunde  durch  Incision  eine  Fractur  des  Stirnbeines  con- 
statirt.  Bei  geringen  Schmerzen  und  spärlicher  Eiterung  der  WTunde  klagt 
Pat.  nur  über  Schwindel.  Puls  90.  Stuhl  geregelt.  Eisblase,  20  Blut- 
egel. Da  am  22.  April  der  Kopfschmerz  stärker  und  der  Puls  sehr  voll 
ge#ordeu  Ist*,  Aderlass  von  12.  Unzen.  Am  23.' April  entwickelt  sich 
von  d.-r  Wunde  ans  nnter  Steigerung  des  Fiebers  und  der  Schmerzen  Ery- 
sipel, welches  sich  am  24.  über  das  ganze  Gesicht  verbreitet.  Erst  mit 
d.-r  beginnenden  Abschuppung  tritt  am  26.  April  einige  Erleichterung  ein. 
Am  89  April  Büter  Pulsbeschleunigung  plötzlich  Delirien,  welche  andauern. 
Stuhl  und  Urin  gehen  unbewusst  ab.    Tod  am  1.  Mai. 

Section:  Von  der  inneren  Tafel  ragen  einzelne  kleine 
Splitter  in  die  II  i  rn  s  u  b  stan  z ;   in  dieser  unfern  der  verletzten  Stelle 


75 


ein  taubeneigrosser  Abscess.  Umgebung  serrös  durchtränkt.  Keine 
Producte  von  Meningitis. 

3)  Siehe  oben  Fall  5. 
Fall  13.  4)  Schu ssfractu r  des  Scheitelbeines.  Depression. 
Theilweise  Absprengung  eines  Stückchens  der  inneren  Tafel. 
Fissur  in  das  Stirnbein.  Gehirnabscess  mit  Eitererguss  in 
die  Ventrikel.  Tod.  Sergeant  C.  Ritter  von  der  11.  Comp  18  Inf  - 
Reg.,  wurde  am  18.  April  verwundet.  Nahe  dem  vorderen  Rande  des  linken 
Scheitelbeines  eine  thalergrosse  lappige  Wunde,  in  deren  Tiefe  der  Knochen 
fracturirt  und  theilweis  deprimirt  ist.  Patient  war  zwar  sofort  niederge- 
stürzt, hatte  sich  jedoch  schnell  erholt,  so  dass  er  gehen  konnte  und  Alles 
weiss,  was  um  ihn  vorging.  In  ßroacker  (1  F.  L.  der  Cav.-Div.)  angelangt, 
liegt  er  mit  G8  Pulsen  apathisch  da.  Die  Sprache  ist  verlangsamt;  mit- 
unter fehlen  ihm  Worte  in  einem  angefangenen  Satze.  Eisblase.  In  den 
nächsten  Tagen  hebt  sich  der  Puls  bis  zu  88.  Die  Apathie  steigert  sich. 
Keine  Klage.  Am  22.  April  Gesichtsrose  unter  gesteigerter  Pulsfrequenz- 
Bewusstsein  erheblich  getrübt.  Gehör  und  Sprache  sehr  erschwert.  Ol. 
Ricini  beseitigt  die  Trägheit  des  Darmkanals.  Am  24.  April  bei  104  Pulsen 
grosse  Unruhe  und  Delirien.  Pat.  verlässt  das  Bett,  reisst  sich  vom  Wärter 
los,  zerschlägt  ein  Fenster,  lässt  sich  dann  aber  ins  Bett  zurückbringen. 
Die  Sprache  ist  dabei  deutlicher  geworden,  jedoch  die  Stimme  heiser.  Am 
26.  April  hat  die  Abschuppung  der  Gesichtshaut  begonnen.  Die  Delirien 
werden  milder.  Die  Wunde  eitert  wenig  Am  28.  April  ist  das  Gesicht 
ganz  abgeschwoUen;  Puls  80;  deutliches  und  ziemlich  zusammenhängendes 
Sprechen.   In  den  beiden  folgenden  Tagen  anhaltende  Besserung. 

Am  1.  Mai  klagt  Pat.  über  vermehrte  Kopfschmerzen,  Wüstsein  im 
Kopfe.  Puls  104,  klein  und  abgespannt.  Sprache  sehr  erschwert.  Parese 
der  linken  Gesichtshälfte.  Die  Spitze  der  Zunge  nach  links  gerichtet  Der 
rechte  Arm  bewegungs-  und  empfindungslos.  Aderlass,  Eisumschläge, 
Calomel  2  Gran  2  stündlich.  Am  2.  Mai  ist  auch  das  rechte  Bein  völlig 
gelähmt.  Puls  100.  Pat.  liegt  mit  eigentümlich  cyanotischer  Färbung  des 
Gesichtes  ruhig  und  theilnahmlos  da.  Die  Kopfwunde  eitert  mässig  und 
gut.  Am  3.  Mai  Fluctuation  etwa  2"  nach  vorn  und  unten  von  der  Wunde. 
Der  Einschnitt  entleert  viel  Eiter.  Dieser  Abscess  communicirt  nicht  mit 
der  Schusswunde.  Am  5.  Mai  scheint  R.  bei  voller  Besinnung  zu  sein. 
Die  Sprache  ist  iudess  ganz  aufgehoben,  und  unter  steigender  Cyanose  er- 
folgt gegen  Mittag  der  Tod. 

Section:  Das  deprimirte  Knochenstück  von  der  Grösse  eines  Vier- 
groschenstückes ist  vorn  nicht  ganz  abgelöst.  Von  hier  geht  eine  Fissur 
senkrecht  durch  das  Stirnbein  bis  an  den  Arcus  supraorbitalis.  Von  der 
inneren  Tafel  des  Bruchstückes  ist  ein  sechsergrosses  Stück  theilweis  ab- 
gesprengt, so  dass  es  mit  scharfer  Kante  gegen  die  Dura  mater  drückt. 
Diese,  übrigens  stark  hyperämisch,  erscheint  hier  in  einiger  Ausdehnung 
schmutzig  grün.  Aus  einer  kleinen  Oeffnung  inmitten  der  verfärbten  Stelle 
fliesst  eine  Menge  dünnen  chokoladenfarbigen  Eiters.  Die  Oeffnung  communi- 
cirt mit  einer  gänseeigrossen  Höhle  in  der  linken  Hemisphäre  des  Gehirns, 
welche  mit  gleichem  Eiter  gefüllt  und  von  anämischen  Wänden  umgeben 
ist.    Anderer  Seits  communicirt  dieser  Abscess  mit  dem  Seitenventrikel, 


76 


welcher  gleichfalls  voll  Eiter  ist,  der  auch  in  den  3.  Ventrikel  dringt. 
Corpus  striatum  und  Sehhügel  zeigen  an  der  Oberfläche  eine  etwa  2"' 
dicke  schmutzig  grünliche  Schicht,  während  ihre  Substanz  in  der  Tiefe  von 
filier  feinen  dichten  Injection  schimmert.  Der  stark  geschwellte  Plexus 
choroideus  ist  von  zähhaftendem  Eiter  umkleidet. 
Fall  14.  ö)  Sch  ussfractur  des  Schläfenbeines.  Schussrinne 
der  äusseren,  Splitterung  der  inneren  Tafel.  Encephalo-Me- 
ningitis  purulenta  circumscripta  Tod.  Grenadier  G.  Raeschke 
von  der  7.  Comp.  4.  Garde-Reg.  z.  F.,  erhielt  am  6.  April  bei  Düppel  einen 
Schus-  in  die  linke  Schläfe.  Die  Kugel  hat  über  dem  Ohre  einen  hori- 
zontalen 2"  langen  Schusskanal  mit  2  Oeffnungen  gemacht.  Die  Sonde 
fühlt  das  Schläfenbein  innerhalb  des  Kanales  rauh.  Bei  der  Ankunft  in 
Broacker  ist  R  noch  sehr  benommen.  Puls  G4.  Eisumschläge.  Nach- 
mittags wiederholt  Erbrechen,  wonach  das  Sensorium  freier  wird. 

Am  7.  April  viel  Schlaf;  Puls  80.  Auch  am  folgenden  Tage  schläft 
Pat.  viel  und  der  Puls  sinkt  wieder  auf  64  Am  9.  April  ist  die  Sprache 
sehr  [indeutlich,  das  Gesicht  geröthet.  Das  Wundsecret  ist  etwas  jauchig. 
Am  10.  geseilt  sich  zu  der  steigenden  Unbesinnlichkeit  grosse  Unruhe. 
Die  Bewegungen  sind  bisweilen  so  stürmisch,  dass  zwei  Wärter  den  Kranken 
halten  müssen.  Zuckungen  der  linken  Gesichtshälfte.  Verlangsamter  un- 
regelmässiger  Puls.  Am  Morgen  des  11.  April  erfolgt  nach  eingetretener 
Ruhe  der  Tod.  Die  weitere  Therapie  ausser  den  kalten  Umschlägen  und 
dem  einfachen  Wnndverbande  ist  aus  dem  Journale  nicht  ersichtlich. 
Section:  Schussrinne,  durch  die  äussere  Tafel  am  Schuppentheile  und 
oberen  Theile  der  Pars  mastoidea  verlaufend.  Die  Glastafel  zeigt  eine  je- 
doch weniger  ausgedehnte  Splitterung,  von  der  zwei  feine  Risse  über  die 
ganze  Länge  der  Pars  petrosa  sich  erstrecken.  Zwischen  der  Schuppe  des 
Schläfenbeines  und  der  Dura  mater  ein  \"  dickes  Blutextravasat  von  3  bis 
4"  Durchmesser.  An  der  linken  Hälfte  des  Grosshirnes  eitrige  Meningitis 
mit  wenig  Product.  Der  Lage  und  der  Ausdehnung  des  Extravasates  ent- 
sprechend ist  die  Hirnsubstanz  bis  zu  1"  Tiefe  eitrig  erweicht. 

Fall  15.  (5)  Splitterbruch  des  Stirnbeines.  Trichterförmige 
Depression  der  in  neren  Tafel.  Eitrige  Meningitis.  Tod.  Der 
dän.  Soldat  Andreas  Riebeshold  wurde  am  18.  April  an  der  linken  Stirn 
verwundet.  Die  Verletzung  scheint  Anfangs  von  keinen  bedrohlichen 
Symptomen  begleitet  gewesen  zu  sein.  Als  jedoch  R.  am  24.  April  aus 
einem  anderen  Lazarethe  in  Flensburg  anlangte,  zeigte  sich  bereits  eine 
heftige  Meningitis  in  der  Entwiekelung  begriffen,  welcher  er  trotz  energi- 
BCoei  Anriphlogose  am  27.  April  erlag.  Section:  Das  linke  Stirnbein  im 
öwfange  eines  Tanbeneies  zersplittert.  Einzelne  kleine  Splitter  zwischen 
grösseren  fest  ein-ekeilt.  Die  innere  Lamelle  trichterförmig  deprimirt  mit 
der  Spitze  nach  innen.  Von  der  Spitze  des  Kegels  zieht  sich  bis  zur  Mitte 
der  linken  Hemisphäre  ein  Extravasat  streifenförmig  in  die  Hirnsubstanz. 
Die  Meningen  leider  Hemisphären  mit  einem  eitrigen  grünlichen  Exsudate 
bedeckt.    Die  übrigen  Organe  gesund 

Fall  16,  7)  Splitterfraetu  r  des  Stirnbeines  Trichterförmige 
Depression  der  inneren  Tafel  Ausgedehnte  Meningitis  puru- 
lenta.    Tod.    Füsilier  Dieckmann  von  der  8.  Comp.  8  Leib-Gren.-Reg. 


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erhielt  am  28.  März  vor  Düppel  einen  Schuss  ao  die  rechte  Stirnseite. 
Die  unregelmässige  Wunde  der  Weichtheile  scheint  von  einem  Granatsplitter 
herzurühren.    Im  Lazarethe  zu  Broacker  wird  zwar  ein   „deutlicher  Ein- 
druck" des  Knochens  constatirt;   da  aber  das  Wohlbefinden  gar  nicht  ge- 
stört ist,  so  wird  D.  am  29.  März  nach  Rinkenis  und  von  da  am  31.  März 
nach  Flensburg  verlegt.    Hier  konnte  nicht  constatirt  werden,  ob  der 
Knochen  verletzt  sei,  weil  die  entzündete  Wunde  gegen  Berührung  sehr 
schmerzhaft  war.    Gehirnerscheinungen  fehlten.   Pat.  klagte  über  dumpfen 
Kopfschmerz.    Puls  normal.    Eisumschläge,   Klystier.    Am  2.  April  klagt 
D.  bei  einem  Pulse  von  nur  60  Schlägen  plötzlich  über  heftige  Kopfschmer- 
zen und  reisst  sich  in  grosser  Unruhe  die  Umschläge  vom  Kopfe.  Besin- 
nung kaum  gestört.    Trotz  Aderlass,  Blutegel  und  Calomel  steigern  sich 
die  Erscheinungen  rapide.  Namentlich  beim  Ansetzen  der  Blutegel  geber- 
det sich  der  Kr.  wie  ein  Rasender.    Die  Wunde  erscheint  trocken.  Mor- 
phium bewirkt  Ruhe.   Am  3.  April  ist  das  Bewusstsein  noch  mehr  getrübt. 
Urin  und  Stuhl  lässt  Pat.  unter  sich.    Am  4.  April  ein  heftiger  Krampf- 
anfall von  viertelstündiger  Dauer,  nach  Inhalation  von  Chloroform  sich 
mindernd.    Vom  5.  bis  8.  April,  an  welchem  Tage  der  Tod  erfolgte,  Som- 
nolenz  unter  steigender  Frequenz  des  kleiner  werdenden  Pulses.  Section: 
Beide  Kaochentafeln  durchbohrt.    Die  innere  ist  in  6  grössere  drei- 
eckige Splitter  gespalten,  welche  aneinander  gelagert  einen 
Kegel  bilden,  dessen  Spitze  dem  Gehirne  zugekehrt  ist.  Von 
der  Kegelspitze  nach  abwärts  bis  zur  Mitte  der  rechten  Gehirnhälfte  ein 
\\"  langer  und  1"  breiter  Kanal,  welcher  mit  Blutgerinseln  und  Jauche 
erfüllt  ist.  Uebrigens  die  Producte  ausgedehnter  Meningitis  purulenta,  selbst 
am  kleinen  Gehirn  und  an  der  Varolsbrücke.    Beide  Hemisphären  sehr 
blutreich.    Die  übrigen  Organe  normal. 
Fall  17.    8)  Schussf ractur  des  Hinterhauptsbeins  mit  mässiger 
Depression.    Eitrige  Meningitis.    Tod.    Der   dän.  Soldat  Sören 
Hansen  vom  9.  Inf. -Reg  wurde  den  18.  April  in  der  Gegend  der  Protu- 
berantia  occipitalis  durch  ein  preuss.  Langblei  verwundet.   Eine  schwache 
Knochendepression  wurde  in  Flensburg  constatirt.    Trotz  der  geringen 
Klagen  des  Pat.  kam  wegen  des  vollen  und  beschleunigten  Pulses  strenge 
Antiphlogose  zur  Anwendung.    Bis  zum  25.  April  blieb  die  Intelligenz  un- 
gestört.   Pat.  vermochte  ohne  Unterstützung  zu  gehen.    Vom  27.  April  ab 
entwickelten  sich  die  Erscheinungen  der  Hirnhautentzündung  so  rapid,  dass 
schon  am  28.  April  der  Tod  erfolgte. 

Section:  Das  Hinterhauptsbein  unterhalb  der  Protuberanz  \  "  und 
\"  breit  eingebrochen  mit  mässiger  Depression.  Zwischen  Craniuni  und 
Dura  mater  ein  kleiner  mit  blutigem  Eiter  erfüllter  Abscess.  Meningen  un- 
verletzt, aber  an  der  entsprechenden  Stelle  missfarbig,  stark  injicirt  und 
mit  einander  verklebt.    Das  Gehirn  hyperämisch. 

Während  von  den  7  ersten  Fällen  das  Sectionsresultat  in  den 
betreffenden  Journalen  enthalten  ist,  habe  ich  im  8.,  weil  das  Sec- 
tionsprotokoll  mir  nicht  vorliegt,  die  bezüglichen  Data  dem  Berichte 
des  Hrn.  O.-St.-A.  Ochwadt  (1.  c.  S.  322)  entnommen.  Ueber 


78 


den  9.  Fall  hat  Hr.  St.-A.  Weise  nach  seinen  privaten  Auf- 
zeichnungen Folgendes  berichtet: 

Fall  18.  9)  Schussbruch  des  Schläfenbeins.  Meningitis  purulenta. 
Tod.  Severin  Kruse,  Geraeiner  des  dän.  22.  Inf.-Reg.,  wurde  am  18.  April 
verwundet  und  ira  Lazarethe  zu  Rinkenis  aufgenommen.  Eine  Schussöff- 
nung dicht  vor  dem  rechten  Ohre,  durch  welche  der  Proc.  mastoideus  frac- 
turirt  zu  fühlen,  die  Kugel  aber  nicht  zu  entdecken  ist.  Gesichtsnerv  ge- 
lähmt. Pat.  klagt  über  Kopfschmerz,  ist  sonst  indolent  und  spricht  langsam 
und  undeutlich.  Wiederholtes  Erbrechen.  Eisblase.  Auch  am  19.  April 
wird  das  Projectil  trotz  Erweiterung  der  Schussöffnung  nicht  gefunden. 
Wegen  vermehrten  Kopfschmerzes  und  steigender  Pulsfrequenz  Aderlass  und 
15  Blutegel.  Am  20.  April  weniger  Kopfschmerz  und  Fieber.  Senna-Auf- 
guss.  Am  22.  April  neue  Steigerung.  Taubheit  des  rechten  Ohres.  Ge- 
ringe Eiterung  aus  der  Wunde  und  dem  Ohre.  Aderlass.  Am  28.  April 
ein  heftiger  Schüttelfrost,  welchem  Delirien  und  halber  Sopor  folgen.  Der 
Schüttelfrost  wiederholt  sich  am  30.  April.  Von  da  ab  völliger  Sopor  bis 
zum  Tode  am  3.  Mai. 

Section:  Die  ganze  Schläfengegend  und  die  seitliche  Halsgegend 
längs  der  grossen  Gefässe  eitrig  infiltrirt.  Die  Kugel  findet  sich  tief  ein- 
gekeilt zwischen  Kiefer  und  Zitzenfortsatz.  Letzterer  und  der  Proc.  sty- 
loideus  zertrümmert.  Fissur  im  Felsenbein.  Auf  der  rechten  Hemisphäre 
des  Gehirns  liegt  eine  Eiterschicht;  die  Gehirnsubstanz  selbst  linientief 
eitrig  infiltrirt. 

Die  Schüttelfröste  und  die  eitrige  Infiltration  der  Schläfen-  und 
II  nirgend  erinnern  im  letzten  Falle  an  Pyämie;  es  bleibt  fraglich, 
ob  anderweitige  Spuren  derselben  in  der  Leiche  fehlten  oder  bloss 
nicht  gesucht  wurden. 

In  den  übrigen  8  Fällen  liegt  kein  Anlass  vor,  an  Pyämie  zu 
denken.  Krankheitssymptome  wie  Leichenbefund  erscheinen  als  der 
einfache  Ausdruck  der  pathologischen  Processe,  welche  bei  den 
Schußßfracturen  dos  Schädels  an  und  für  sich  das  Leben  bedrohen 
und  für  das  Handeln  des  Arztes  bestimmender  sind,  als  die  Knochen- 
Utoion  selbst.  Diese  Vorgänge  knüpfen  sich  an  die  Läsion,  welche 
bei  Verletzung  beider  Knochentafeln  die  harte  Hirnhaut  und  das 
Gehirn  stets  trilVt,  wenn  auch  Art  und  Grad  derselben  ebenso 
schwer  bemessbar  während  des  Lebens,  wie  verschieden  sind. 

Fall  8  repräsentirt  den  eitrigen  Zerfall  eines  begrenzten 
Blutextravasates  zwischen  dem  Knochen  und  der  an  der 
Fracturstelle  von  ihm  abgelösten  Dura  mater.  Dergleichen 
Ablösungen  und  Blutextravasate  sind  gewiss  nichts  weniger  als 
selten.  Aber  der  eitrige  Zerfall  der  letzteren  kommt  so  uncompli- 
cirt  nicht  oft  zu  Gesicht,  wenn  man  nicht  trepanirt.  Der  Kunst- 
hülfe gelingt  es  meistens,  statt  des  eitrigen  Zerfalles  die  Resorption 


79 


einzuleiten.  Warum  es  in  diesem  Falle  nicht  gelungen  ist,  lässt 
sich  aus  den  spärlichen  Notizen,  welche  darüber  vorliegen,  nicht 
ersehen.  An  einer  „strengen"  Antiphlogose  hat  es  nicht  gefehlt; 
aber  über  den  Zeitpunkt  ist  nichts  notirt. 

Nur  die  p rophylac tische  Kur  hat  bei  diesen  Verletzungen 
Aussicht  auf  befriedigende  Erfolge.  Leider  stösst  dieselbe  gerade 
im  Felde  auf  Schwierigkeiten,  deren  Ueberwindung  nicht  immer 
möglich  ist  und  namentlich  sehr  oft  gar  nicht  in  der  Hand  des  in 
einem  Feldlazarethe  ordinirenden  Arztes  liegt.  Ihr  erstes  Requisit 
ist  das  aufmerksamste  Ueberwachen  der  die  Vorgänge 
im  Innern  des  Schädels  andeutenden  Erscheinungen 
während  der  ersten  acht  Tage  nach  der  Verwundung. 
Es  ist  unvereinbar  mit  dem  Transportiren  der  Verletzten 
von  Lazareth  zu  Lazareth.  Schon  der  erste  Transport  vom 
Schlachtfelde  ins  Lazareth  kann  dem  Verlaufe  dieser  Verletzungen 
eine  deletäre  nicht  wieder  auszugleichende  Richtung  geben,  wenn  er 
weit  oder  seiner  Art  nach  insultirend  ist.  Aber  dieser  Transport 
ist  unvermeidlich,  und  selbst  die  bestens  organisirte  Leitung  des 
Sanitätsdienstes  auf  dem  Schlachtfelde  kann  nur  die  möglichste  Be- 
schränkung seiner  üblen  Folgen  sich  zum  Ziele  setzen. 

Noch  viel  bedenklicher  aber  ist  das  Transportiren  der  Schädel- 
verletzten von  Lazareth  zu  Lazareth  während  der  ersten  7  Tage 
nach  der  Verletzung.  Dabei  kann  es,  wie  Fall  6  zeigt,  vorkommen, 
dass  ein  Verwundeter,  welcher  in  anscheinend  ganz  gefahrlosem  Zu- 
stande abgeschickt  wird,  im  anderen  Lazarethe  mit  dem  Todespro- 
cesse  eintrifft.  Man  braucht  dabei  gar  nicht  einmal  an  schlechte 
Fahrzeuge  auf  schlechten  Wegen  und  an  Stösse,  welche  der  Trans- 
portirte  zu  erdulden  hat,  zu  denken.  Wesentlich  ist  vielmehr,  dass 
die  Einleitung  der  Todesprocesse,  um  welche  es  sich  handelt,  in 
jene  Zeit  fällt. 

Im  Falle  7  bestand  die  nämliche  sehr  ausgesprochene  Form 
von  Glastafel  -  Depression  (Splitter- Konus) ,  welche  im  Falle  6  die 
mechanische  Insultation  der  Dura  mater  unterhielt  und  die  nämliche 
Art  des  Todesprocesses  —  Entzündung  der  Dura  mater  und 
eitriger  Zerfall  ihrer  Producte  —  verursachte.  Im  Falle  6 
traf  Transport  und  Offenbarung  der  Meningitis  an  demselben 
Tage  —  dem  sechsten  nach  der  Verletzung  —  zusammen.  Im 
Falle  7  geschah  ein  Transport  am  2.,  ein  neuer  am  4.  Tage;  der 
sechste  Tag  brachte  auch  hier  die  Offenbarung  der  Meningitis  — 
d.  h.  stärkeres  Exsudat  resp.  Beginn  seines  eitrigen  Zerfalles.  Denn 


80 


Niemand  wird  wol  glauben,  dass  sich  die  Dura  mater  gegen  die 
Stachelang  durch  den  Splitterkegel  bis  dahin  ganz  indolent  ver- 
halten habe. 

AVenn  Verletzte  der  Art  sich  auf  der  Wanderung  befinden,  hat 
die  Kunsthülfe  keine  Aussicht,  ihre  Aufgabe  zu  lösen.  Dieselbe 
besteht  in  vorbauender  Beschränkung  der  entzündlichen  Reaction 
und  Sorge  für  Resorption  ihrer  Producte,  um  deren  eitrigen  Zerfall 
zu  verhüten. 

In  den  übrigen  Fällen  finden  wir  eine  dritte  Art  des  Todes- 
processes  vertreten  —  den  eitrigen  Zerfall  der  contundirten 
II  i  rnsubstanz  selbst  —  theils  in  der  mehr  oberflächlichen  und  dif- 
fusen Form,  theils  in  der  Form  des  umschriebenen,  mehr  oder 
weniger  grossen  und  tiefen  Hirnabscesses,  der  entweder  noch  ge- 
schlossen ist  oder  seinen  Inhalt  bereits  in  die  Gehirnventrikel  er- 
goss.  Wir  finden  diesen  Process  hier  ziemlich  rein,  dort  complicirt 
mit  dem  einen  oder  dem  anderen  vorerwähnten  Processe,  ja  sogar 
mit  beiden. 

Die  referirten  Notizen  zeigen,  dass  auch  in  einigen  von  diesen 
Fällen  ein  frühzeitiger  Transport  von  Lazareth  zu  Lazareth  stattge- 
habt hat.  Bei  der  Art  der  Verletzung  ist  der  tödtliche  Ausgang 
derselben  an  und  für  sich  gewiss  nichts  weniger  als  überraschend. 
Wir  werden  indess  später  sehen,  dass  Verwundungen  ähnlicher  Art 
und  ähnlicher  Schwöre  im  Feldzuge  von  1864  geheilt  wrorden  sind 
—  (1.  h..  dass,  anstatt  eitrig  zu  zerfallen,  die  contundirten  Hirn- 
theile  wieder  functionsfähig  oder  atrophisch  geworden  sind.  Sollte 
es  nicht  mehr  als  blosser  Zufall  sein,  dass  von  diesen 
Geheilten  keiner  vor  dem  sechsten  und  nur  einer  vor 
den  achten  Tage  den  Transport  von  Lazareth  zu  Laza- 
reth zu  überstehen  hatte? 

Wer  die  Wichtigkeit  der  Regel,  dass  auch  die  frischen  Kopf- 
wunden -  von  den  bereits  entzündeten  versteht  es  sich  heutigen 
Tages  von  selbst  —  sogar  auf  Kosten  der  Exactheit  der  ersten 
Diagnose  mit  ganz  besonderer  Schonung  zu  untersuchen  seien,  an- 
erkennt, wird  es  nicht  auffallend  finden,  dass  in  einigen  der  er- 
wähnten Todesfälle  die  SchädeDäsionen  bei  der  Section  anders  als 
wähivnil  dos  Löbens  sich  darstellten.  Aber  wer  im  Interesse  seiner 
Kranken  nach  dieser  Regel  handelt,  sollte  auch  stets  der  Möglich- 
keit, eine  nicht  exacte  Diagnose  gestellt  zu  haben  und  somit  des 
zu  erwartenden  Verlaufes  nicht  sicher  zu  sein,  eingedenk  bleiben. 

Mit  einem  Worte  —  Schädel  verletzte,  bei  denen  eine 


81 


Knochenläsion  eonstatirt  oder  wahrscheinlich  ist,  soll- 
ten während  der  ersten  acht  Tage  nach  der  Verletzung 
nur  ausnahmsweis  unter  besonders  dringenden  Umstän- 
den auf  die  E  v acua  tionsliste n  gesetzt  werden,  wenn 
auch  die  Knochenläsion  den  Eindruck  einer  nur  ober- 
flächlichen macht  und  bedeutendere  Gehirnsymptome 
augenblicklich  nicht  vorhanden  sind. 

Niemand  kann  mehr  als  ich  von  der  Bedeutung  des  Grund- 
satzes der  Krankenzerstreuung  für  die  Kriegspraxis  durch- 
drungen sein.  Es  giebt  aber  glücklicher  Weise  verschiedene  Wege, 
denselben  zu  verwirklichen.  Das  Evacuiren  der  Kranken  und  Ver- 
wundeten nach  anderen  mehr  oder  weniger  entfernten  Hülfsstationen 
ist  nur  einer  derselben,  und  gerade  der  passt  so  wenig  zu  den  Be- 
dingungen, von  welchen  die  Heilung  gewisser  Arten  schwerer  Ver- 
wundung wesentlich  abhängt.  Zu  letzteren  gehören  in  erster  Linie 
die  Schussverletzungen  der  Schädelknochen. 

Die  Trepanation  hat,  wie  sich  aus  der  Casuistik  ergiebt,  au 
unseren  Todesfällen  nach  Schussbruch  des  Schädels  keinen  Antheil. 
Vielleicht  wird  sogar  die  Frage  gestellt,  ob  es  nicht  möglich  ge- 
wesen wäre,  in  einem  oder  dem  anderen  Falle  mittelst  dieser  Ope- 
ration das  Leben  zu  retten. 

Die  „Maximen",  welche  Stromeyer  für  die  Behandlung  der 
Schädelschüsse  auf  Grund  der  im  ersten  Schleswig  -  holsteinischen 
Kriege  gemachten  Erfahrungen  so  klar  und  überzeugend  präcisirt 
hat,  sind  heutigen  Tages,  ich  möchte  sagen,  von  internationaler 
Geltung.  Auch  die  Feldärzte  von  1864  haben  sie  zur  Richtschnur 
genommen.  Nur  ein  Punkt  hat  nach  wie  vor  in  der  Literatur  wie 
am  Wundlager  und  am  Sectionstische  Zweifel  und  Bedenken  erregt 
—  die  principielle  Ausschliessung  der  Trepanation.  Sie 
hat  weder  an  Legouest  noch  an  Piro go ff,  den  Verfassern  der 
neuesten  Kriegschirurgien,  Vertreter  gefunden.  Pirogoff  scheint 
zwar,  wenn  ich  ihn  recht  verstanden  habe,  persönlich  ziemlich  ent- 
schlossen, sich  mit  dieser  Operation  in  praxi  nicht  mehr  zu  be- 
fassen; aber  er  hat  es  nicht  gewagt,  dem  Anfänger  bündigen  Rath 
in  diesem  Sinne  zu  geben. 

Im  Feldzuge  von  1864  haben  sich  die  Bedenken  gegen  jene 
Ausschliessung  nur  einmal  zur  That  gesteigert.  Aber  aus  münd- 
lichen Aeusserungen  wie  aus  Andeutungen  in  den  Krankenjournalen 
und  Feldzugs-Specialberichten  muss  ich  schliessen,  dass  der  einzigen 
Trepanation  von  1864,  zumal  sie  glücklich  ablief,  in  hinein  neuen 

Loeffler,  Generalbericbt.  0 


82 


Kriege  weitere  folgen  dürften,  wenn  die  nämlichen  Aerzte  betheiligt 
waren.  Die  Trepanationsfrage  erhält  sich  somit  auf  der  Tagesord- 
nung. Ich  werde  auf  dieselbe  nur  eingehen,  soweit  die  Beobach- 
tungen aus  unserem  Feldzuge  es  erheischen. 

Unter  den  oben  bezeichneten  Todesfällen  finde  ich  nur  einen, 
bei  welchem  die  secundäre  Trepanation,  d  h.  die  zur  Entfernung 
pathologischer  Producte  bestimmte.  Aussicht  gehabt  haben  würde, 
wenigstens  diesen  Zweck  sicher  zu  erreichen,  was  natürlich  noch 
nicht  identisch  ist  mit  Lebensrettung.  Ich  meine  Fall  8,  wo  die 
Section  ein  auf  die  Bruchstelle  beschränktes,  unmittelbar  unter  dem 
Knochen  zwischen  ihm  und  der  abgelösten  aber  selbst  nicht  ver- 
letzten Dura  mater  liegendes  und  im  eitrigen  Zerfalle  begriffenes  Extra- 
vasat nachgewiesen  hat  Wir  besitzen  kein  ausgeführtes  Bild  dieses 
Falles.  Aber  es  ist  hinreichend  bekannt,  wie  wenig  die  Symptome 
im  Leben  überhaupt  ausreichen,  jenes  durch  die  Section  aufgedeckte 
pathologisch  -  anatomische  Verhältniss  mit  der  Sicherheit  zu  erkennen, 
welche  den  fraglichen  operativen  Eingriff  rechtfertigen  kann.  Man 
darf  wol  annehmen,  dass  heute  Niemand  mehr  dreist  genug  ist,  auf 
Grund  einer  hypothetischen  Diagnose  den  Schädel  anzubohren. 

Weniger  entschieden  liegt  —  wenigstens  theoretisch  —  die 
Frage  der  primären  Trepanation.    Diese  ist  bestimmt,  durch  die 
Verwundung  selbst  gesetzte  mechanische  Ursachen  von  Insultation 
und  Heizung  des  Gehirnes  und  seiner  Häute  zu  entfernen,  also  eine 
indicatio  causalis  zu  erfüllen,  deren  Berechtigung  zu  bestreiten  am 
wenigsten  ein  Chirurg  geneigt  sein  wird.    Diese  Operation  gehört 
also  recht  eigentlich  der  oben  gerühmten  vorbauenden  Kur  an.  Es 
fragt  sich  nur,  ob  sie  vom  practischen  Standpunkte  ihre  Stellung 
darin  behaupten  kann.   Ich  referire  zunächst  nur  den  einzigen  Fall, 
in  welchem  sie  1864  ausgeführt  wurde. 
Fall  l'J.  Schussfractur  des  linkeu  Scheitelbeins  mitDepression. 
Trepanation.    Fieberanfälle.    Gesichtsrose.    Pleuritis.  Ver- 
eiterung des  linken  Schultergelenkes.    Exarticulation.  Hei- 
lung.   Der  üntercorporal  Jens  Gregersen  vom  20.  dän.  Inf.-Reg.,  26  J. 
alt,  wurde  am  18.  April  verwundet  und  vom  1.  F.  -  L.  der  5.  Division  in 
Ulan-  aufgenommen.     Im  Momente  der  Verletzung  war  er  zusammenge- 
brochen und  nicht  mehr  von  der  Stelle  gegangen,  weil  das  rechte  Bein 
vollkommen  bewegungs-  und  gefühllos  geworden.   Am  vorderen 
oberen  Winkel  des  linken  Scheitelbeines  uahe  der  Pfeilnaht 
»  ine  etwa  2"  lange,  %u  breite  und  4  Linien  tiefe  Depression. 
kh  ei  sich  erholt  hatte,  erschien  das  Sensorium  nicht  ungetrübt,  der  Kopf 
aber  frei  von  Schmerz.    Am  anderen  Tage  stellte  sich  Schmerz,  besonders 
m  der  verletzten  Stelle  ein,  und  die  Benommenheit  des  Kopfes  steigerte 


83 


sich.  Uebligkeit  und  Erbrechen  fanden  nicht  Statt,  auch  zeigte  der  Puls 
keine  auffallende  Abnormität.  Versuche,  das  deprimirte  Knochenstück  zu 
heben,  misslangen. 

Am  21.  April  trepanirte  der  Chefarzt  Abel  mittelst  einer  kleinen 
Krone  dicht  am  äusseren  vorderen  Winkel  des  Knochenbruches.  Die  Ent- 
fernung des  ausgesägten  Knochenstückes  gelang  nicht  mit  einem  Male,  viel- 
mehr blieb  der  vierte  Theil  der  Diploe  mit  der  Lamina  interna  zurück  und 
zwar  als  einem  abgesprengten  Knochenstücke  angehörig,  welches  12"'  lang, 
5"'  breit  und  bis  dick  war,  die  Dura  mater  durchbohrt  und  den 
Sinus  longitudinalis  verletzt  hatte.  Bei  der  Extraction  desselben  entstand 
eine  ziemlich  starke  venöse  Blutung  aus  dem  Sinus,  welche  durch  Kälte 
gestillt  wurde.  Die  Elevation  des  deprimirten  Knochenstückes  machte  nun 
keine  Schwierigkeit.  Gleich  nach  der  Operation  war  der  Kopf  vollständig 
frei,  was  der  Kranke  wiederholt  dankbar  anerkannte.  Aber  die  Lähmuug 
des  rechten  Beines  bestand  fort  und  dehnte  sich  am  24.  April  bei  mässiger 
Pulsbeschleunigung  (76—84)  sogar  über  den  rechten  Arm  aus.  Am  26.  April 
jedoch  war  unter  Anwendung  von  fünfgränigen  Calomelgaben  und  Kälte 
der  Arm  wieder  frei,  und  vom  2.  Mai  an  nahm  auch  die  Beinlähmung  mehr 
und  mehr  ab. 

Inzwischen  batte  sich  am  23.  April  ein  Frostanfall  eingestellt  und  am 
25.  trotz  einiger  grossen  Gaben  von  Chinin  wiederholt.  Weitere  Anfälle 
blieben  nun  aus.  Dagegen  entwickelte  sich  am  1.  Mai  ein  Ery  sipelas  bullosum 
der  linken  Gesichtshälfte  nebst  Diarrhö.  Dasselbe  machte  am  6.  Mai  einer 
schmerzhaften  Schwellung  des  linken  Schultergelenkes  Platz,  was  indess, 
wie  die  früheren  Fieberanfälle  weniger  auffallend  erschien,  weil  Pat.  schon 
vor  der  Verwundung  wie  an  Wechselfieber  so  an  Gelenkrheuma  gelitten  habeu 
wollte.  Am  10.  Mai  gesellte  sich  unter  Steigerung  der  bis  dahin  mässigen 
Fieberung  rechtsseitige  Pleuritis  hinzu.  Fieber  und  Durchfall  Hessen  unter 
sauren  Schweissen  in  den  nächsten  Tagen  nach,  und  bei  der  Anwendung 
grosser  Blasenpflaster  überstieg  das  Exsudat  im  Brustfellsacke  nicht  das 
Niveau  des  unteren  Schulterblattwinkels.  Die  Resorption  erfolgte  dann 
langsam  unter  Bepinselungen  von  Jodtinctur. 

Um  die  Trepanationsöffnung  wie  an  dem  deprimirten  Knochenstücke 
löste  sich  inzwischen  die  äussere  Tafel  ab,  durch  schöne  Granulationen  er- 
setzt, welche  im  Vereine  mit  den  von  der  Dura  mater  her  sich  entwickeln- 
den den  Abschluss  der  Schädelwunde  einleiteten. 

Anfangs  Juni  aber  entstand  noch  einmal  Gesichtsrose,  jedoch  auf  Stirn 
und  Nase  beschränkt,  und  in  der  zweiten  Hälfte  des  Monates  kam  es  von 
Neuem  zur  Gelenkaffection  an  beiden  Armen,  besonders  aber 
im  linken  Schulte rgelenk.  Während  unter  dem  Gebrauche  von  Col- 
chicum die  übrigen  Gelenke  bald  freier  wurden,  erfolgte  trotz  antiphlogi- 
stischer Einreibungen  und  Blasenpflaster  im  linken  Schultergelenke  der 
Ausgang  in  Eiterung  und  cariöse  Zerstörung.  Die  Gelenkkapsel  wurde  an 
mehreren  Stellen  durchbrochen,  Senkungsabscesse  entstanden  und  erfor- 
derten Incisionen,  Diarrhö  und  hectisches  Fieber  stellten  sich  ein,  und  der 
Kranke  war  bis  zum  Aeussersten  erschöpft. 

Unter  diesen  Umtänden  versuchte  O.-St.-A.  Abel  am  19.  Juli  zu- 
nächst die  Resection  des  Oberarmkopfes.    Nach  dem  Durchsägen  des  Hu- 

G* 


84 


merus  stellte  sich  indess  die  Anwesenheit  purulenter  Osteomyelitis  heraus, 
womit  auch  die  Schmerzhaftigkeit  des  nicht  geschwollenen  linken  Ellen- 
bogengelenkes in  Beziehung  zu  stehen  schien  Da  hierbei  von  der  Resec- 
tion  des  Gelenkes  Erfolg  nicht  zu  erwarten  war,  so  wurde  sofort  zur  E  x- 
articulatiou  des  Armes  übergegangen  und  demnächst  der  cariöse 
Gelenkfortsati  der  Scapula  abgetragen.  (Bei  der  späteren  Aufsagung  des 
Oberarmknochens  seiner  Länge  nach  zeigte  sich  oberhalb  der  Condylen 
das  Knochenmark  2"  weit  hochroth,  während  es  übrigens  in  eine  schmutzig- 
gelbe schmierige  Masse  verwandelt  war).  Die  Wunde  wurde  durch  Knopf- 
nähte zum  Theil  vereinigt.  Die  Prima  intentio  gelang,  soweit  sie  ange- 
strebt war.  Die  Eiterung  wurde  geringer,  und  der  Kranke  erholte  sich  von 
Tag  zu  Tag.  Die  Ausheilung  der  Kopfwunde  verlief  ungestört.  Im  August 
stiesseD  sich  von  der  Scapula  einzelne  Knochensplitter  ab.  Bei  der  Auf- 
lösung des  Lazarethes  am  2.  September  wurde  Pat.  nach  Apenrade 
evacuirt. 

Hier  fand  man  bei  der  Uebernahme  desselben  die  Schädelwunde  fast 
vernarbt;  an  der  Stelle  des  etwa  groschengrossen  Knochendefectes  sieht 
man  die  Hautdecke  durch  die  Pulsationen  des  Gehirns  sich  heben.  Die 
Exartioulationswunde  ist  in  bester  Heilung  begriffen;  einige  Fistelgänge 
liefern  noch  eine  massige  Menge  guten  Eiters.    Das  Allgemeinbefinden  gut. 

Während  die  Schädelwunde  bis  Ende  September  vollständig  vernarbt, 
zieht  sich  die  Eiterung  an  der  Exarticulationsstelle  wechselnden  Grades 
bis  Anfang  November  hin,  weil  noch  einzelne  Sequester  von  der  Scapula 
sich  abstossen. 

Am  12.  November  klagt  Pat.  über  grosse  Schmerzen  in  der  Gegend 
des  oberen  Darmbeinstachels  Die  Weichtheile  sind  hier  weder  geröthet 
noch  geschwollen.  Druck  auf  den  Knochen  steigert  den  Schmerz.  Jod- 
bepinselung.  Ohne  Störung  des  Allgemeinbefindens  gesellt  sich  in  den 
nächsten  Tagen  zu  dem  fortdauernden  Schmerze  am  Darmbeinkamme 
Schmerzhaftigkeit  des  linken  Kicfergelenkes,  welche  durch  Druck  sich  stei- 
gert und  weiteres  Oeffnen  des  Mundes  behindert.  Pat.  giebt  an,  früher  an 
Lues  secundaria  gelitten  zu  haben.    Jodkalium  innerlich. 

Als  G.  am  25.  November  nach  Friedericia,  seinem  Ileimathsorte,  ent- 
lassen wurde,  waren  diese  Beschwerden  völlig  beseitigt.  Der  Abschluss 
der  Trepanationsstelle  war  bereits  ziemlich  fest,  so  dass  das  den  Hirnbe- 
wegungen entsprechende  lieben  und  Senken  schon  längst  nicht  mehr  be- 
merkt wurde.  Mit  der  zunehmenden  allgemeinen  Kräftigung  waren  auch 
die  Spuren  von  Lähmung  des  rechten  Beines  ganz  geschwunden.  Kopf- 
beschwerdeu  irgend  einer  Art  sind  uicht  zurückgeblieben. 

Allen  Aerzton,  welche  mit  diesem  Verwundeten  in  Berührung 
kamen,  wird  die  Resignation,  mit  welcher  er  litt,  und  seine  Dank- 
barkeit für  die  in  den  Lazarethen  des  Feindes  ihm  gewordene 
Pflege  und  Sorgfalt  in  Erinnerung  sein.  Sein  Sensorium  ist  nach 
der  Trepanation  auttallend  schnell  völlig  frei  geworden.  Anfangs 
Mai,  also  nur  einige  Tage  nach  derselben,  hatte  er  mich  bei  einem 
Besuche  des  Lazarethes  zu  Blans  nur  einmal  gesehen,  und  doch  er- 


85 


kannte  er  mich  im  September  bei  einer  Inspection  der  Lazarethe  zu 
Apenrade  sofort  wieder. 

Auch  abgesehen  von  der  Trepanation  ist  dieser  Fall  von  In- 
teresse, wenn  man  annimmt,  dass  jene  Reihe  wechselnder  Erschei- 
nungen in  seinem  Verlaufe  —  die  Fieberanfälle,  die  Gesichtsrose, 
die  Brustfellentzündung,  die  wiederholten  Gelenkaffectionen  und  die 
schliessliche  Vereiterung  des  linken  Schultergelenkes  nebst  der 
Osteomyelitis  humeri  —  nur  verschiedene  Glieder  eines  und  dessel- 
ben Processes  gewesen  seien,  nämlich  des  pyämischen  res  embo- 
lischen, welcher  seinen  Ausgangspunkt  vielleicht  in  dem  durch 
den  Knochensplitter  angebohrten  sinus  der  dura  gehabt  hat.  Mein 
Freund  Abel  ist  dieser  Ansicht,  und  ich  theile  sie,  obgleich  einige 
andere,  in  der  Krankengeschichte  schon  angedeutete  Momente  nicht 
einflusslos  gewesen  sein  dürften.  Das  gewöhnliche  Bild  der 
Pyämie  sucht  man  freilich  vergebens.  Aber  dieses  ist  bei  den  Kopf- 
verletzten überhaupt  nicht  häufig  und  verwischt  sich  namentlich  bei 
so  chronischem  Verlaufe.  Der  Arm  wurde  3  Monate  nach  der  Ver- 
wundung exarticulirt.  Ich  werde  in  dem  Capitel  über  „Pyämie" 
darauf  zurückkommen. 

Was  aber  die  Trepanation  betrifft,  so  kann  man  zweifeln, 
was  grösser  gewesen  sei,  das  Glück  des  Verwundeten  oder  das 
Glück  des  Operateurs.  Ich  kann  es  wenigstens  nicht  über  mich 
gewinnen,  die  Skepsis  gegen  diese  Operation  so  weit  zu  treiben, 
um  sogar  ex  post  in  Abrede  zu  stellen,  dass  dieselbe  zur  Erhaltung 
dieses  Verwundeten  beigetragen  habe.  Der  die  Dura  mater  an- 
bohrende Splitter  der  inneren  Tafel,  welcher  dabei  entdeckt 
und  entfernt  wurde,  war  doch  gewiss  ein  recht  erhebliches  Causal- 
moment  für  eine  heftige  und  vielleicht  tödtliche  Meningitis.  Diese 
blieb  aus,  ohne  dass  Blutentziehungen  in  Anwendung  kamen.  Die 
starke  Blutung  aus  dem  angestochenen  sinus  mag  wol  die  künstliche 
Blutentziehung  unnöthig  gemacht  haben. 

Andererseits  finde  ich  nicht,  dass  die  practische  Seite  der  Tre- 
panationsfrage durch  diese  glückliche  Operation  alterirt  werde. 
Diess  dürfte  einigermassen  der  Fall  sein,  wenn  die  Existenz 
des  Splitters  vorher  erkannt  und  dessen  Entfernung 
Zweck  der  Trepanation  gewesen  wäre.  Der  Splitter  stände 
dann  in  einer  Linie  mit  der  Degenspitze,  welche  selbst  Dieffen- 
bach  noch  als  indicans  der  primären  Trepanation  passiren  Hess. 
Allein  man  wusste  vom  Splitter  noch  nichts,  als  man  zur  Operation 


86 


schritt  Diese  wurde  unternommen,  bloss  um  die  Depression  zu 
heben. 

Die  Splitterung  der  Glastafel  ist  freilich  eine  sehr  häufige 
Complication  der  Schädelfractur  mit  Depression,  und  nicht  selten 
nimmt  sie  eine  Form  an,  deren  feindlicher  Einfluss  nicht  zu  unter- 
Bchätzen  ist.  Den  Beweis  liefern  von  den  oben  mitgetheilten  Todes- 
fällen besonders  Fall  6  und  7.  Der  Splitterkegel  mit  seiner  gegen 
die  'Iura  mater  gekehrten  Spitze  kann  dort  um  so  weniger  als  wir- 
kungslos gelten,  weil  die  Section  nur  die  Producte  der  Meningitis 
ergab.  Die  frühzeitige  Beseitigung  jenes  Stachels  durch  die  Trepa- 
nation hätte  vielleicht  dem  Todesprocesse  vorbeugen  können. 

Aber  wo  sind  die  Zeichen,  ein  solches  Splitterverhältniss  recht- 
zeitig und  sicher  zu  erkennen?  Die  Kopfsymptome  liefern  keinen 
Balt,  am  wenigsten  zur  Zeit,  wo  die  Operation  noch  helfen  kann. 
Die  Percussion  der  Kopfknochen  mit  der  Sonde  soll  sich 
erst  noch  bewähren;  im  Feldzuge  von  1864  hat  sie  keinen  Triumph 
gefeiert.  Oder  sollen  wir  etwa  wegen  der  Möglichkeit  einer  solchen 
Complication  in  allen  Fällen  von  Depression  sofort  trepaniren?  Es 
scheint  mir  unbedenklich ,  der  Trepanation  als  einem  Mittel  zur 
Entfernung  der  die  harte  Hirnhaut  insultirenden  Splitter  der  Glas- 
tafel theoretisch  einen  Platz  in  der  Kur  der  Schädelschussbrüche 
einzuräumen,  wenn  für  die  Praxis  an  der  Bedingung  der  posi- 
tiven Diagnose  festgehalten  wird. 

Auch  ohne  eine  solche  sind  wir  zum  Glücke  nicht  rathlos  ge- 
genüber der  fraglichen  Complication.  Wir  wissen,  dass  und  wie 
mittelst  einer  aufmerksamen  und  vorsichtigen,  nicht  operativen  Be- 
handlung die  feindlichen  Wirkungen  jener  Splitter  niedergehalten  und 
sie  selbst  allmählig  unschädlich  werden  können.  Diess  gilt  sogar 
von  den  Splitterkegeln,  von  denen  die  Rede  war.  Ich  erinnere 
an  <lic  namentlich  von  Demme  und  Pirogoff  erwähnten  Fälle,  in 
denen  solche  Splitterkegel  bei  Sectionen  gefunden  wurden,  nachdem 
sie  viele  Jahre  bestanden  hatten,  ohne  die  Functionen  des  Gehirns 
nachhaltig  zu  stören.  Unsere  Todesfälle  6  und  7  können  nicht  als 
Gegenbeweis  dienen.  Es  blieb  bei  ihnen,  wie  erwähnt,  wenigstens 
eine  der  wesentlichsten  Bedingungen,  von  denen  der  Erfolg  der  nicht 
operativen  vorbauenden  Kur  abhängt,  unerfüllt  —  die  stetige  Ruhe 
wahrend  der  ersten  7  Tage  nach  der  Verletzung. 

Ausser  der  nachhaltigen  Insultation  der  harten  Hirnhaut  durch 
Splitter  der  Glastafel  kommen  als  Causalraomente  des  mehr  oder 
minder  bedrohlichen  Verlaufes  der  Schussbrüche  am  Schädel  in  Be- 


87 


tracht:  Gehirnerschütterung,  Blutextravasat  intra  cranium,  lokale 
Quetschung  der  Dura  und  des  Gehirnes  im  Momente  der  Fractur 
durch  das  nach  innen  weichende  Knochenstück ,  endlich  die  nach- 
haltige Raumbeschränkung  der  Schädelhöhle  durch  Letzteres. 

Grad  und  Dauer  der  C o mm o tio n s- Erscheinungen  entsprechen, 
wie  die  Erfahrung  von  1864  von  neuem  lehrt,  bei  den  Schädel- 
Schussbrüchen  durchaus  nicht  dem  Umfange  und  der  Tiefe  der  ana- 
tomischen Läsion.  Ein  Grund  zur  Trepanation  ist  in  ihnen  noch 
nie  gefunden  —  ausser  bei  falscher  Diagnose.  Für  die  nicht  ope- 
rative vorbauende  Kur  in  den  Lazarethen  kommen  weniger  sie  selbst, 
als  die  ihnen  folgenden  Congestiverscheinungen  in  Betracht. 

Blutextravasat  und  Contusion  des  Hirns  und  seiner  Häute 
variiren  gar  sehr  nach  Intensität  und  Tiefe,  fehlen  aber  gewiss  nie- 
mals ganz  bei  der  Fractur  mit  Depression.  Die  Kriegsklinik  hat 
schon  vielfach  gelehrt,  und  die  Reihe  der  Heilungsfälle  von  1864 
lehrt  es  von  neuem,  dass  es  der  primären  Trepanation  nicht  bedarf, 
um  den  von  ihnen  ausgehenden  Todesprocessen  vorzubeugen.  Es 
ist  auch  gar  nicht  abzusehen,  wie  diese  Operation  die  Resorption 
der  Blutextravasate  und  die  Reactivirung  resp.  Atrophirung  des  ge- 
quetschten Hirntheiles  fördern  könnte,  während  es  sehr  begreiflich 
ist,  dass  der  freie  Zutritt  der  Luft,  wrelcher  durch  die  Operation  an- 
gebahnt wird,  begünstigen  muss,  was  zu  verhüten  die  wesentlichste 
Aufgabe  der  vorbauenden  Kunsthülfe  bildet,  nämlich  den  eiterigen 
oder  jauchigen  Zerfall  der  contundirten  Gewebe. 

Endlich  die  nachhaltige  Raumbeschränkung  der  Schädel- 
höhle durch  das  deprimirte  Knochenstück.  Die  Trepana- 
tion ist  ohne  Zweifel  ein  ziemlich  sicheres  Mittel,  die  Beseitigung 
derselben  zu  erzwingen,  wo  die  Elevation  anders  nicht  gelingen 
will.  Ein  genügender  Grund  auf  diesem  forcirten  Eleviren  deprimirter 
Schädelstücke  zu  bestehen,  kann  aber  gewiss  nur  dann  vorliegen, 
wenn  feststeht,  dass  jene  Raumbeschränkung  ein  Causalmoment  des 
Todesprocesses  von  besonderer  Bedeutung  sei. 

Früher  wurde  diess  vorausgesetzt.  Die  Fähigkeit  des  Gehirnes, 
sich  dem  verkleinerten  Räume  zu  accommodiren,  blieb  unbeachtet 
oder  wurde  unterschätzt.  Gegenwärtig  ist  vom  physiologischen  Stand- 
punkte der  Modus  der  Selbsthülfe  des  Gehirns  gegen  jenes  mecha- 
nische Hinderniss  ausreichend  bekannt,  und  klinisch,  besonders  kriegs- 
klinisch ,  ist  vielfach  erprobt,  dass  dieselbe  namentlich  gegen  den 
bei  Depression  durch  Schussbruch  gewöhnlichen  Grad  der  Einen- 
gung ausreicht,   wenn  nur  die  pathologische  Erschwerung  durch 


88 


den  Blutandrang  mittelst  rechtzeitiger  und  den  Verhältnissen  des 
Einzelfalles  aufmerksam  angepasster  antiphlogistisch- derivatorischer 
Behandlung  ausgeglichen  wird. 

Bloss  zur  Beseitigung  der  Raumbeengung,  welche  ein  depri- 
mirtes  Schädelstück  unterhält,  wenn  man  ihm  nicht  anders  beikom- 
men  kann,  die  Trepanation  als  Regel  proclamiren,  hiesse  somit, 
der  deutschen  Kriegschirurgie  einen  Rückschritt  zumuthen. 

In  unserm  Trepanationsfalle  war  die  Raumbeengung,  welche 
das  2"  lange,  V  breite,  und  4"/  tief  deprimirte  Scheitelbeinstück 
unterhielt,  ziemlich  bedeutend.  Aber  es  lässt  sich  nicht  sagen,  dass 
sie  die  Grenzen  überschritt,  für  welche  die  Erfahrung  jene  von  ent- 
sprechender Kunsthülfe  unterstützte  Selbsthülfe  ausreichend  gefun- 
den hat. 

Auch  der  Feldzug  von  1864  hat  eine' Reihe  von  Heilungsfallen 
der  Art  ohne  Trepanation  aufzuweisen,  und  mehrere  von  ihnen  ste- 
hen, was  den  Grad  der  Einengung  durch  Depression  betrifft,  dem 
Trepanationsfalle  kaum  nach.  Ich  lasse  das  vollständige  Verzeich- 
niss  derselben  folgen. 

Fall  20.  1)  Schussbruch  des  rechten  Scheitelbeines.  Depres- 
sion. Lähmung  des  linken  Beines.  Heilung  Jensen,  dän.  Sol- 
dat vom  1*;.  Inf.- Reg.,  wurde  am  18.  April  durch  einen  Flintenschuss  ver- 
wundet. Am  hintereu  oberen  Theile  des  rechten  Scheitelbeines,  nahe  und 
parallel  der  Pfeilnaht  eine  3"  lange,  \"  breite  Wunde,  in  welcher  der  Kno- 
chen etwa  V"  tief  deprimirt  gefunden  wurde.  Die  versuchte  prima  intentio 
durch  Nähte  misslang.  Ausser  den  vorübergehenden  Symptomen  der  Hirn- 
ersehüttenmg  bestanden  keine  anderen  Folgen  als  Parese  des  linken 
Beines.  Das  Allgemeinbefinden  gut;  im  Pulse  keine  auffallenden  Verän- 
derungen. Vom  6.  Tage  wurde  die  Parese  täglich  geringer.  Am  27.  April 
wurde  J.  nach  Apenrade  evaeuirt  und  von  hier  am  17.  Juni  ausgeliefert. 

Dieser  Verwundete  ist  gleichzeitig  mit  dem  Trepanirten  und 
in  dem  nämlichen  Feldlazarethe  (1.  F.-L.  5.  Divis.)  behandelt 
worden. 

Fall  21.  2)  Schussbruch  des  Ii  n  ken  Scheitelbeines.  Splitterung 
der  la sseren,  Depression  der  inneren  Tafel.  Ausgeprägtes 
Bild  de«  EI irnd rocke b.  Heilung.  Füsilier  Christoph  Krüll  vom  24. 
Inf  - Reg.  .  i hielt  am  2.  Februar  vor  Missunde  einen  Streifschuss  am  hinte- 
rm oberen  Theile  des  linken  Scheitelbeines.  Durch  die  unregelmässig  ge- 
rissene Hautwunde  lies*  sich  die  Depression  des  Knochenstückes  nebst 
8p)itterung  seiner  äusseren  Tafel  conetatiren.  lieber  den  Verlauf  in  den 
ersten  Tagen  fehlt  das  Journal.  Am  7.  Februar  wurden  bei  der  Ueber- 
nahme  des  Verwundeten  Seitens  des  1.  seh.  F.-L.  3.  A.-C.  in  Eckernförde 
vorgefunden:  tiefer  Sopor,  schnarchendes  Athmen,  erweiterte  träge  Pupil- 
len, im  willk  jährlicher  Abgang  von  Stuhl  und  Urin.    Am  8.  Februar  traten 


89 


unter  fortdauerndem  Sopor  drei  epilepsieartige  Krampfanfälle  von  je  10  Mi- 
nuten Dauer  ein.  Sie  kehrten  später  nicht  wieder.  Das  in  den  nächsten 
Tagen  freier  werdende  Sensorium  wurde  vom  11  Februar  ab  unter  der 
Entwickelung  einer  Gesichtsrose  mit  Blasenbildung  von  neuem  getrübt, 
so  dass  erst  nach  Ablauf  derselben  am  18.  Februar  Fragen  beantwortet 
wurden,  wenn  auch  noch  unrichtig  und  ohne  Zusammenhang    Erst  am  27. 

.  Februar  sind  die  Hirnerscheinungen  geschwunden.  Puls  normal.  Die 
Wunde  eitert  stark.  Im  Laufe  des  März  werden  wiederholt  gelöste  Kno- 
chensplitter extrahirt  Die  Vernarbung  ist  Mitte  April  vollständig.  Als  K. 
Mitte  Juni  als  invalide  entlassen  wurde,  klagte  er  noch  über  periodisches 
Kopfweh  und  Schwindelgefühl. 

Fall  22.  3)  Schussbruch  des  linken  Scheitelbeines.  Starke  De- 
pression. Lähmung  des  rechten  Armes  und  Beines.  Heilung. 
Musketier  Anton  Baschinsky  von  der  6.  Comp.  18.  luf.-Reg.  erhielt  am 
28.  März  einen  Schuss  am  vorderen  unteren  Theile  des  linken  Scheitel- 
beines. In  der  winkelig  gerissenen  Wunde  ist  der  Knochen  im  Umfange 
eines  Zweigroschenstückes  so  deprirairt,  dass  man  die  Spitze  des  Zeige- 
fingers hineinlegen  kann.  Grosse  Benommenheit,  mehrmaliges  Erbrechen, 
rechtsseitig  Arm  und  Bein  gelähmt.  Nach  mehrstündigem  Aufenthalte  im 
Lazareth  (Broacker  1.  F.-L  der  Cav.-Div.)  giebt  er  zu  erkennen,  dass  er 
die  Fragen  versteht;  er  ist  jedoch  nicht  im  Stande,  artikulirt  zu  sprechen. 
Bei  Ruhe  und  einfacher  antiphlogistischer  Behandlung  traten  die  Hirner- 
scheinnngen  langsam,  aber  stetig  zurück.  Er  vermochte  zuerst  kurze  und 
leichte  Worte  auszusprechen.  Da  auch  die  Parese  der  Glieder  sich  gleich- 
massig  zurückbildete,  so  konnte  er  bereits  am  6.  April  nach  Flensburg 
evacuirt  werden.  Im  August  erfolgte  in  Berlin  seine  Entlassung.  Die  ein- 
gezogene, mit  dem  Knochen  verwachsene  und  noch  empfindliche  Narbe  ge- 
stattete noch  nicht  das  Tragen  des  Helmes. 

Fall  23.  4)  Schussbruch  beider  Scheitelbeine.  Splitterung  und 
Depression  beider  Tafeln.  Paraplegie.  Heilung.  Musketier  Gustav 
Blankenburg  von  der  5.  Comp.  60.  Inf. -Reg.  wurde  am  14.  April  auf  der 
Höhe  des  Scheitels  dicht  vor  der  kleinen  Fontanelle  getroffen.  Im  Grunde 
der  etwa  achtgroschenstückgrossen  Wunde  ist  ein  über  zolllanges,  ca.  \" 
breites  Knochenstück  tief  eingedrückt.  Im  Lazareth  zu  Stenderup  (1.  F -L. 
6.  Div.)  wurden  einige  Knochensplitter  entfernt.  Die  hierdurch  blossge- 
legte  Dura  mater  erschien  nach  innen  gedrückt,  übrigens  aber  unverletzt. 
Das  Bewusstsein  ist  völlig  aufgehoben.  Nach  einem  Aderlass  und  Eisum- 
schlägen wird  B.  so  viel  freier,  dass  er  einige  Fragen,  wenn  auch  unver- 
ständlich, beantwortet  Ausser  Blase  und  Mastdarm  sind  beide  Beine  ge- 
lähmt. Sehr  rasch  stellt  sich  Decubitus  am  Kreuzbein  ein,  welcher  den 
Umfang  einer  Handfläche  erreicht  und  bis  auf  das  Periost  dringt.  Inzwi- 
schen eitert  die  Wunde  stark,  aber  gut.  Einzelne  Knochensplitter  werden 
abgelöst.  Nach  8  Tagen  ist  das  Sensorium  je  länger  desto  freier  geworden. 
Anfangs  Mai  zeigt  sich  einige  Besserung  der  Lähmungserscheinungen. 
Am  25.  Mai  gelingt  es,  ein  abgelöstes,  fast  thalergrosses  Knochenstück  zu 
extrahiren.  Als  B.,  am  2.  Juni  bereits  nach  Broacker  evacuirt,  am  8.  Juni 
in  Glücksburg  (3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C )  eintraf,  war  das  Sensorium  völlig 
frei.    Darm  und  Blase  fungirten  normal.    Der  kleinste  Nadelstich  erweckt 


m 


frfty-  gebaserx  «ad  Kdnlew^es.  IM  t**4Mt*ki*m  Mwfcri  «mg 
Fat  zwar  kM  x-ö  bebea:  «ad  «e  4w  im  Ke*  flectirt.  so  kam»  er  sie  in 
der  Hüfte  weiter  beugen,  wobei  }edoe*  die  AGducV/re«  ein  solches  Geber 
few>cnt  erna&en  daes  sofort  Kreuzung  der  Sehenkel  erfolgt.  Der  Deku- 
brfcus  >st  4er  Heil»«?  aab«  D tmiterform  g  el  gezogene  Kopfwunde  ist 
»rt  seblafeü.  leicht  blutenden  Granulationen  gefüllt.  I«  Juni  und  Juh 
stelle»  sich  periodisch  ieohafte  Kopfs^b»erze«  ein.  denen  mit  Eisbeuteln 
und  Tart.  stib.  begejpset  wird.  Wiederholt  losen  b>eh  noch  kle:ne  Knochen- 
splitter. D>e  Utt  mu ngbersebei  aawgea  «indem  sieh  hagwiai  Im  Äugt« 
rattert  tidb  beim  Gefcraacbe  tob  VoUbaaVra  mit  Kleie  eriflaa'pre  dee  Hy- 
perästnesic  der  Beine  Mitte  September  wird  B.  nach  Flensburg  ewuirv 
Hier  verde«  btf  zum  Sjflt  Oelber  warne  Seebäder  aagewaüdt  Harfe  einem 
kurzen  Aufenthalte  im  Lazarette  za  Spaadaa  fyfaagftf  B.  Mitte  November 
,0  4a*  GamiftoniaxaretJb  zu  Berlin  Behufs  des  Getonwebe*  des  Indnetiaat 
afeomes.  D ie  Besserung  c>r  Farebe  machte  dabei  wenig  Fort  bebritte,  hiebt 
mehr  Frfolg  hatten  Schwefelbäder  und  reizende  Einretbaage«  raJKÜedemtr 
Art.  Erst  im  April  läset  sieb  wieder  einiger  Fort»ebritt  eoaatatirem. 
Am  10  April  wird  Fat.  dem  JuTalidenhaube  überwiesen 
Fali  24.  5;  fccbusebrech  des  Stirnbein«  mit  Depression.  Später 
und  Janedaaernder  Stupor.  Füsilier  Clemens  Hoppe  vom  13.  Inf.- 
Reg  erhielt  vor  Missunde  einen  Schubs  durch  den  Heim  links  oben  an  der 
rfe,  Kr  wurde  bewusstlos  nach  Cosel  and  dann  nach  Eckernförde  ge- 
bracht Trotz  der  tiefen  kraterform  igen  Knochenwunde  sind,  abgesehen 
von  etwas  Kopfschmerz  und  Schwindel,  am  7.  Febraar  Gehirnerscheinun- 
gen niebt  vorbanden.  Am  9.  Febraar  steigert  sieh  der  Kopfsehmerz  anter 
leichter  Fieberung.  Eis:  Caiomel.  Den  11.  Februar  Entfernung  einiger 
Joser  Knochensplitter  and  eines  Stüekes  Helmleder.  Ein  dem  Eingaage- 
defecte  ungefähr  entsprechendes  Knochenstuck  sehliesst  nach  rechts  und 
hinten  den  schräg  verlaufenden  Scbusskanal  ab.  Derselbe  ist  Ende  Februar 
mit  Granulationen  gefüllt,  ae'cne  vom  Gehirn  her  rhythmieeb  bewegt  werden. 
Heben  dumpfem  Kopfschmerze  guter  Appetit;  Puls  klein,  7b.  BlutegeL, 
<  i  oroel,  Eisblase.  Die  Benommenheit  des  Kopfes  mindert  sieb  nicht. 
Daaaf  dem  Zutritte  heftigerer  Kopfschrnerzen,  wiederholten  Erbrechens  und 
Fieberste;geroig  entwickelt  sich  vorn  .0.  März  ab  Gesichtsrose,  nach  deren 
Ablaufe  am  10.  Mär/,  die  Fjeberung  vorüber  und  das  Sensorium  vollständig 
frei  ist.  Bei  anhaltender  Besserung  schreitet  zugleich  die  Vernarbung  der 
Wund»-  mit  tiefer  Einziehung  vor.  Vorn  20.  März  ab  jedoch  stellt  sieb  an- 
dauernde ObeJkeit  em.  Der  Puh  verlangsamt  sich  alJrnählig  auf  04  Schläge. 
Fat  macht  den  Eindruck  grosser  Ermüdung,  antwortet  zwar  richtig,  aber 
br  langsam,  und  verfällt  bis  Mitte  April  immer  mehr  in  Stupor,  wobei 
flf  Stuhl  und  rjfffl  Batet  sich  lässt.  Arn  12.  April  5  epileptische  Anfälle. 
Inzwischen  ist  Jodtinktur  äusscrlich  in  Anwendung  gekommen.  Vom  17. 
April  ab- wird  efaj  Besserung  merkbar.  Fat.  antwortet  auf  Fragen  wieder 
ftachgernäfts,  wenn  MM  h  mit  zitternder  Zunge,  fällt  dann  aber  wieder  in 
Stupor  zurück  Abgänge  noch  immer  unbewusst.  Im  Mai  und  Juni  lang- 
ten vors<  breitende  Besserung  II.  vermag  wieder  zu  gehen,  schläft  gut, 
ifft  mit  Appetit,  befindet  sich  jedoch  beständig  wie  im  Dusel.  Als  er  am 
'2.  Juli  lad  Reoaebflfl  gelangte,  war  die  Wunde  mit  einer  etwa  3'"  tiefen 


91 


Einziehung  vernarbt.  Kr  flüstert  viel  vor  sich  hin,  zeigt  wenig  Theilnahme 
für  seine  Umgebung  und  antwortet  schwerfällig  und  anstosserid.  Auch  in 
Hamm,  wohin  Pat.  am  7.  Juli  verlegt  wurde,  wählte  bei  einem  stupiden 
(Jesiehtsausdrueke  und  constant  erweiterten  Pupillen  eine  auffällige  Ge- 
dächtnisssebwäche  noch  lange  fort  Kr  klagte  fast  beständig  über  Brech- 
neigung; bisweilen  trat  auch  Erbrechen  ein.  Gedächtnissschwäche,  Schwin- 
delgefühl  und  zeitweise  Brechneigung  bestanden  auch  noch  als  er  Mitte 
October  invalidisirt  wurde. 
Fall  2.r>.  6)  Granatsplitter-Schussbruch  des  Stirnbeines.  De- 
pression and  Splitterung  der  inneren  Tafel.  Heilung.  Musketier 

Robert  Sippel   von  der  7.  Oomp.  15.  fnf.-Reg.  wurde   in   der  Nacht  vom 

L6.  zum  i<").  Apnl  vor  Düppel  durch  einen  Granatsplitter  an  der  Stirn  links 
oben  getroffen,  [m  Grunde  der  2%u  langen  gerissenen  Wunde  ist  der  Kno- 
chen fast  tief  eingedrückt.  Hirnerscheinungen  fehlten  indess  ganz,  so 
dass  Pat.  am  21.  April  aus  dem  Lazarethe  in  Stenderup  nach  Flensburg 
verlegt  wurde.  Vorsorglich  wurde  hier  eine  energische  Antiphlogose  (Ader 
lass,  10  is  ii  in  schlüge,  Abführmittel)  eingeleitet  Krsf  Anfangs  Mai  klagt  Pat. 
über  dumpfen  Kopfschmerz  und  Schwindel  Ein  kleiner  Aderlass  und  Blut- 
egel stellen  das-  Wohlbefinden  wieder  her  Dasselbe  ist  anhaltend  bei  stren- 
gem Regime  Ohne  dass  es  zur  Abstossung  von  splittern  gekommen  wäre, 
ist  die  Ausheilung  der  Wunde  bis  Ende  Mai  -rossen  Theiles  erfolgt.  Die 
restiren  den  Granulationen  werden  jetzl  schwammiger.  Am  (Juni  wird  die 
ganze  äussere  Tafel  gelöst  gefunden  und  mit  dem  Myrthenblatte  heraus 
gehebelt.    Wenige  Tage  daraui  werden  einige  kleinere  stücke  der  inneren 

Kmochentafel  extrahirt.  Kbenso  Anfangs  Juli,  bis  wohin  bei  streng  über- 
wachtem Verhalten  das  Befinden  übrigens  angestört  blieb.  Hin  und  wieder 
besonders  nach  längerem  Gehen,  stellt  sich  dumpfer  Kopfschmerz  ein.  ob- 
wohl derselbe  wiederholten  kalten  Umschlägen  und  gelinden  Abführmitteln 

leicht  weicht,  so  bestimmt-  doch  die  ollere  Wiedel  kehr  /, 1 1 r  Application 
eine;;  1 1  ;i  ;n  sei  les  im  Nacken  (Mitte  AugUSt).  Hei  ungestörtem  Befinden 
wird  S.  am  18,  October  nach  Berlin  evaeuirt  und  von  hier,  bis  auf  zeit 
weise  Andeutungen  des  Kopfschmerzes  hergestellt,  Mitte  November  ent 

lassen. 

Fall  26.     7)    SchUSSbrUCh   des   Stirnbeines.     S  pal  e  r  Eintritt  von 

iiirnsy mptomen.  Heilung.  Grenadiei  Emil  von  Dessonneck  von 
der  \.  Comp.     Garde  Reg.  z.  F.  erhielt  am  1 8.  April  in  Schanze  No  2 

einen  Schuss  in  die  Stirn.     Bei  mangelnden  I  lirncrscheinungeii  gelangte  er 

am  28  April  nach  Kiel.   Dicht  am  llaarwuchse  eine  quere  2"  lange,  \ " 

breite  Wnnd<;  der  ircsch wollenen  und  schmerzhaften  Woiehtheilo.  Im  Orundo 
(ierHolben  liegt  der  Knochen  fllffWninge  ('iin^s  Silbergroschens  vom  Periost 
entbJöHHt.      In    der    Mitte   dieser  Stelle   ein    erbsengrosscr   81  haifrandi-cr 

Knoohendefect.  Die  Sonde  führt  auf  das  etwa  I "'  tiefer  liegende  Frag 
ment,  an  dessen  Oircumferenz  durch  das  pulsirende  Gehirn  dünner  Eiter 

ailHgetrieben  wird.  Nach  unten  war  ein  kleines  dünnes  Ulcistückcheri 
zwischen  den  Fragmenten  eingeklemmt.  Allgemeinbefinden  sehr  gut.  Nur 
beim  Liegen  klagl  l'af.  über  „Klopfen1*  an  der  Wundstclle.  Krst  am  H.  Mai 
bei  massiger  Kiebeniug  Oongcstionen  nach  dem  Kopfe  und  träger  Stuhl. 
Kisumsehlage ;  Oalomel  I  Oran  2 stündlich. 


92 


Am  11  Mai  ist  das  Wohlbefinden  hergestellt.  Der  Knochen  ist  mit 
Granulationen  bedeckt,  die  Hirnpulsatiou  nicht  mehr  wahrnehmbar.  Am 
15.  Mai  wieder  etwas  Fieber  nebst  Benommenheit  des  Kopfes,  Hitze-  und 
Schwindelgefühl,  Uebelkeit  bei  reiner  Zunge,  Esslust  und  regelmässiger 
Verdauung.  Empfindlichkeit  der  Wunde.  Eis;  Calomel  2  Gran  2 stündlich. 
Baldiger  Nachlass  der  Erscheinungen.  Bis  Ende  Mai  wird  das  Befinden 
nur  durch  zeitweises  Schwindelgefühl  gestört  Die  Wunde  ist  inzwischen 
bis  auf  eine  seehsergrosse  schwammig  granulirende  Stelle  verheilt.  Die 
Umgegend  ist  gegen  Druck  empfindlich.  Am  31.  Mai  Wiederkehr  der  obigen 
Symptome,  welche  indess  durch  Eis  und  einige  Calomelgaben  schon  fol- 
genden Tages  gemindert  sind.  Erst  am  29.  Juni  exfoliirt  sich  ein  halb- 
mondförmiger Knochensplitter.  Im  Juli  kehrt  der  frühere  Symptomencoruplex 
noch  einmal  wieder,  wird  aber  durch  die  Eisblase  und  Glaubersalzlösung 
rasch  beseitigt.  Am  26.  Juli  erfolgt  die  Ausstossung  des  sechsergrossen 
deprimirten  Knochenstückes  ohne  besondere  Beschwerde.  Am  12.  Septem- 
ber wurde  Fat.  nach  Berlin  evacuirt  und  Ende  des  Monates  als  invalide 
entlassen.  Unterhalb  der  Narbe  ist  der  Knochen  noch  etwas  aufgetrieben 
und  gegen  Druck  empfindlich.  Zuweilen  stellen  sich  auch  spontan  von 
hier  ausstrahlende  Schmerzen  ein.  Zeitweis  Gefühl  von  Schwindel,  beson- 
ders bei  Anstrengung  der  Augen.  Nach  brieflicher  Mittheilung  haben  sich 
noch  im  April  1865  Knochensplitter  exfoliirt. 
Fall  27.  b)  Schussfractur  des  Schläfenbeines.  Energische  An- 
tiphlogose.  Heilung.  Anders  Hansen,  Gemeiner  des  18.  dän.  Inf.- 
Reg  ,  wurde  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet  und  zu  Schiffe  nach  Glücks- 
burg (3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.)  transportirt,  wo  er  am  1.  Juli  eintraf.  Die 
Kugel  ist  über  dem  äusseren  Winkel  des  linken  Auges  ein  und  über  dem 
Ohre  derselben  Seite  ausgedrungen.  Längs  des  ganzen  Schusskanals  wird 
«ler  Knochen  entblösst  gefühlt.  Heftige  Kopfschmerzen.  Puls  50,  voll  und 
hart.  Zunge  trocken,  kein  Appetit,  wenig  Durst.  Eisbeutel;  Aderlass; 
Tartarus  stibiatus  (6  Gran  auf  6  Unzen  Wasser);  absolute  Nahrungsent- 
ziehung. 

Am  2.  Juli  ist  der  Zustand  nicht  verändert.  Noch  eine  Venäsection 
und  30  Blutegel  an  die  Stirn.  Am  3.  Juli  15  Blutegel  an  die  Schläfe: 
reizendes  Klystier;  Erweiterung  der  Schussöffuungen,  um  den  Abfluss  des 
Eiters  zu  ermöglichen.  Erst  nachdem  am  4.  Juli  noch  ein  Aderlass  ge- 
macht worden,  beginnt  am  5.  Juli  der  Puls  sich  etwas  zu  heben  (54).  Pat. 
klagt  weniger  über  Kopfschmerzen.  Incision  des  Schusskanals  in  der 
Mitte  zwischen  den  beiden  Endpunkten.  Am  G.Juli  wird  ein  viergroschen- 
BtflckgrOBBea  rundes  Stück  der  Schläfenbeinschuppe,  an  dessen  innerer 
Seite  die  Gefässrinnen  ausgeprägt  sind,  extrahirt.  Tags  darauf  Puls  60. 
Befinden  besser.  Appetit  beginnt.  Der  Brechweinstein  wird  nun  ausge- 
setzt. Bb  wird  Milch,  Semmel  und  etwas  Bouillon  mit  Ei  gereicht.  Am 
8.  Juli  werden  auch  die  Eisbeutel  weggelassen.  Schon  am  10.  Juli  wird 
mit  Appetit  etwas  Fleisch  gegessen.  Der  örtliche  wie  der  allgemeine  Zu- 
band erlitt  weiterhin  keine  Störuug.  Gegen  Ende  Juli  konnte  Pat.  bereits 
aufstehen.    Am  26.  August  wurde  er  geheilt  entlassen. 


93 


Wir  haben  gesehen,  dass  die  Trepanation  bei  Gregersen  auf 
die  bestehende  Beinläl;mung  keinen  unmittelbaren  Einfluss  übte. 
Dagegen  ist  bei  keinem  der  ohne  Trepanation  Geheilten  das  Sen- 
sorium  so  schnell  und  so  nachhaltig  frei  geworden.  Wenn  die  Ele- 
vation  des  deprimirten  Knochentheiles  unterbleibt,  so  braucht  das 
Gehirn  Zeit,  um  sich  zu  accommodiren.  Die  Verzögerung,  welche 
hierdurch  entsteht,  stellt  Geduld  und  Consequenz  des  nicht  trepani- 
renden  Chirurgen  bisweilen  auf  die  Probe. 

Wer  aber  trotz  der  älteren  und  der  eben  reierirten  Erfahrun- 
gen die  Trepanation  nicht  entbehren  zu  können  glaubt,  sollte  sie 
so  früh  wie  möglich  vornehmen.  Es  liegt  kein  Grund  vor,  anzu- 
nehmen, dass  die  Momente,  welche  an  den  Gliedern  das  un- 
günstige Resultat  der  grösseren  Operationen  des  dritten  bis  fünften 
Tages  bedingen,  bei  den  Schädelwunden  wirkungslos  seien.  Schon 
die  unsanfte  Untersuchung  derselben  in  jener  Periode  hat  erfahrungs- 
mä>sig  üble  Folgen.  Ein  Eingriff  wie  die  Trepanation  ist  gewiss 
noch  mehr  geeignet,  z.  B.  den  Anstoss  zum  Zerfalle  der  frischen 
Thromben  und  Embolien  zu  geben.  Bei  dem  Trepanirten  von  1864 
wurde  die  Operation  3  Tage  nach  der  Verletzung  gemacht.  Die 
lange  Leidenskette,  welche  darauf  folgte  und  mit  dem  Verluste 
eines  Armes  schloss,  ist  vielleicht  eingeleitet  durch  die  bei  der  Ope  - 
ration unvermeidliche  Beunruhigung  der  in  dem  angespiessten  Blut- 
leiter der  harten  Hirnhaut  gebildeten  Thromben. 

Der  eben  besprochenen  Gruppe  von  Schussbrüchen  sind,  wie 
gesagt,  nur  solche  Fälle  zugezählt,  in  denen  die  Betheiligung  beider 
Knochentafeln  keinem  Zweifel  unterliegt.  Was  dagegen  die  15  Fälle 
betrifft,  welche  in  der  Tabelle  V.  unter  der  Bezeichnung  „Ein- 
brüche der  äusseren  Tafel"  (B.  b.)  zusammengefasst  sind,  so 
ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  in  einigen  derselben  die  innere 
Tafel  mitverletzt  war.  Es  konnte  aber  durch  die  Untersuchung  nicht 
mit  Sicherheit  ermittelt  werden,  und  der  Sectionstisch  hatte  glück- 
licher Weise  in  keinem  dieser  Fälle  Gelegenheit,  die  Diagnose  zu 
ergänzen.  Huldigt  der  Feldarzt  dem  Grundsatze,  die  Schussbrüche 
des  Schädels,  bei  denen  die  schonende  Untersuchung  der  frischen 
Wunde  keinen  positiven  Nachweis  des  Verhaltens  der  Glastafel  lie- 
fert, mit  derselben  Vorsicht  und  Aufmerksamkeit  zu  behandeln,  wie 
die  unzweifelhaft  durchgehenden  Brüche,  so  wird  das  Interesse  der 
Verwundeten  durch  jene  Un Vollständigkeit  der  Diagnose  gewiss 
nicht  geschädigt.    Die  durch  sie  bedingte  Incorrectheit  der  späte- 


94 


ren  statistischen  Berechnung  des  Heilerfolges  ist  für  Jeden,  dem  es 
nicht  auf  ein  Prunken  mit  Letzterem  ankommt,  bedeutungslos. 

Die  fragliche  Unterscheidung  wird  namentlich  bei  den  Schuss- 
brüchen des  Stirnbeines  erschwert  durch  die  individuell  so  ver- 
schiedene Weite  und  Ausdehnung  der  Stirnbeinhöhlen. 

Fall  28.  Laugblei-Schuss  in  die  Stirn.  Geschoss  im  Knochen 
eingekeilt.  Heilung.  Untercorporal  Andreas  Jensen  vom  3.  dän. 
Reg.  wurde  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet.  O.-St. -A.  Abel  fand  auf 
dem  Verbandplatze  zu  Rönhof  das  Langblei  links  neben  der  Mitte  der 
Stirn  im  Knochen  stecken  und  zwar  so  fest,  dass  es  Mühe  machte,  das- 
selbe herauszuziehen,  obgleich  ein  6"1  langes  Stück  vorragte.  Das  Ge- 
088  hatte  sich  mit  seinem  vorderen  Ende  in  den  Knochen  gleichsam 
eingeschraubt.  Es  zeigte  nach  der  Herausnahme  eine  3'"  tiefe,  senkrecht 
zur  Längsachse  stehende  Spalte,  welche  von  dem  Knochenrande  in  das 
Blei  gegraben  war  und  das  4"'  lange  Stück,  welches  im  Knochen  gesteckt 
hatte,  abgrenzte. 

War  die  innere  Tafel  des  Stirnbeines  mit  verletzt?  Es  ist  weislich 
unterlassen  worden,  durch  iusultirende  Untersuchung  diesen  Punkt  ausser 
Zweifel  zu  setzen. 

Der  Verwundete  klagte  über  grossen  Kopfschmerz,  Benommenheit  und 
Druck  über  den  Augen.  Sonst  waren  Störungen  der  Hirnfunctiou  nicht 
vorhanden.  Kälte  genügte,  die  Reaction  in  Schranken  zu  halten.  Der 
Puls  war  vorübergehend  bis  112  beschleunigt,  am  7.  Tage  auf  56  retardirt, 
vom  11.  Tage  ab  normal,  ohne  dass  llirnerscheinungen  ähnlich  schwankend 
eintraten.  Vom  7.  bis  11.  Tage  Diarrhö.  Darauf  fühlte  sich  Pat.  —  ab- 
gesehen von  gelinder  Druckempfindung  in  der  Stirn  —  ganz  wohl,  so  dass 
er  am  11.  Juli  aus  dem  Lazarethe  zu  Ulderup  nach  Glücksburg  evacuirt 
werden  konnte.  Auch  hier  stellten  sich  weitere  Beschwerden  nicht  ein. 
Unter  starker  Eiterung  lösten  sich  mehrere  Knochensplitter.  Am  26.  Juli 
wurde  J.  ausgeliefert. 

Ich  will  noch  einen  anderen  Fall  von  Stirnbeinverletzung  mit- 
theilen, weil  ich  aus  den  Specialberichten  sehe,  dass  die  Collegen, 
welche  sie  für  einen  penetrirenden  Bruch  gehalten  haben,  sich  für 
den  ihnen  unbekannt  gebliebenen  Ablauf  interessiren. 

Kall  29.  Gefreiter  Emil  Höcker  vom  3.  Husaren-Reg.  wurde  am  17.  März 
bei  Düppel,  als  er  im  Ordonnanzdienste  hinter  der  Kirche  hielt,  verwundet. 
Reg.-A.  Ilolzhausen,  welcher  dort  die  erste  Hülfe  leistete,  coustatirte 
eine  etwa  4'"  lange  Wunde  am  inneren  oberen  Rande  der  rechten  Augen- 
höhle  und  eine  Zertrümmerung  der  äusseren  Tafel  des  Stirnbeines.  Nach 
Dilatation  der  Wunde  behufs  Entfernung  gelöster  Knochenstücke  ergab 
sich,  dass  solche  auch  in  die  Stirnbeinhöhle  eingetrieben  seien.  Ein  Pro- 
j'  .  til  war  nicht  zu  entdecken:  es  blieb  zweifelhaft,  ob  die  Verletzung  durch 
eine  Kugel  oder  durch  ein  von  der  Kirchenwand  abgesprengtes  Steinstück 
bewirkt  Bei. 

Bei  der  Aufnahme  in  das  Depot  eines  1.  F.-Lazarethes  imponirte  die 
Verwundung  als  Zertrümmerung  des  Daches  der  Orbita  und  als  penetri- 


95 


rend,  „da  die  Untersuchung  mit  dem  Finger  ergab,  dass  das  Gehirn  bloss- 
liege".  Hirnsymptome  waren  jedoch  ausser  lebhaften  Kopfschmerzen  nicht 
vorhanden. 

Jener  Befund  hat  indess  auf  einer  Gefühlstäuschung  beruht.  In 
Flensburg,  wo  der  Verw.  am  23.  März  eintraf,  Hess  sich  die  Sonde  nach 
oben  und  innen  über  Knochentrümmer  hinweg  1%U  weit  einführen  bis  in 
den  Sinus  frontalis  der  anderen  Seite.  Abgesehen  von  starker  ödematöser 
Schwellung  des  oberen  Augenlides  war  Bewegung  und  Function  des  rechten 
Auges  nicht  gestört.  Dagegen  war  der  Riechnerv  gelähmt  und  die  rechte 
Stirnhälfte  ohne  Empfindung.  Daneben  periodisch  heftige  Neuralgien  in 
beiden  Stirnseiten.  Letztere  schwanden  in  Folge  subcutaner  Morphium- 
Injectionen. 

Die  Ausheilung  der  Wunde  verlief  ohne  Störung.  Als  Pat.  Mitte  Mai 
nach  Berlin  kam,  klagte  er  über  Sehschwäche  des  rechten  Auges.  Objectiv 
war  an  dem  Auge  ausser  einiger  Erweiterung  der  Pupille  nichts  Krank- 
haftes zu  constatiren.  Die  Anästhesie  der  rechten  Stirnseite  ist  fast  ganz 
beseitigt.  H.  war  und  blieb  frei  von  allen  Gehirnerscheinungen.  Am 
14.  Juni  konnte  er  zum  Dienste  bei  der  Ersatzschwadron  seines  Regimentes 
entlassen  werden. 

In  einem  anderen  Falle  von  Fractur  der  vorderen  Wand 
der  Stirnbein  höhle, 
Fall  30.    Christian  Rassmussen  vom  22.  dän.  Inf. -Reg. ,  am  18.  April 
verwundet  und  in  Flensburg  behandelt, 

war  die  obere  Wand  der  Orbita  wirklich  mit  eingebrochen.  Bei 
consequenter  Anwendung  von  Eis  und  leichten  Abführmitteln  blie- 
ben Gehirnsymptome  auch  hier  ganz  aus.  Aber  der  Augapfel  ver- 
schrumpfte.   Schon  am  10.  Mai  konnte  R.  heimgesandt  werden. 

Nach  erfolgter  Vernarbung  ist  das  Urtheil  über  den  fraglichen 
Punkt  noch  schwerer,  selbst  an  Stellen  des  Stirnbeines,  wo  die 
Höhlen  dieses  Knochens  nicht  in  Betracht  kommen. 

Fall  31.  Musketier  Karl  Beutner  vom  18.  Inf. -Reg.  wurde  am  18.  April 
an  der  Stirn  getroffen  und  zwar  etwas  rechts  von  der  Mittellinie  an  der 
Grenze  des  Haarwuchses.  Im  Grunde  der  lf"  langen  Wunde  lag  der 
Knochen  mit  Einbruch  der  äusseren  Tafel  bloss  Bedrohliche  Erscheinungen 
fehlten.  Der  Verw.  passirte  mehrere  Lazarethe  und  traf  am  23.  April  in 
Flensburg  ein.  Das  Journal  constatirt  hier  unter  dem  9.  Mai:  »Das  rechte 
Auge  etwas  hervorgetrieben,  Sehvermögen  getrübt,  Gesichtsfeld  beschränkt". 
Am  1.  Juni  wurde  ein  nekrotischer  Splitter  extrahirt.  Ende  Juni  vernarbte 
die  Wunde.  Im  Lazarethe  zu  Magdeburg,  wohin  B.  evacuirt  ward,  fand 
O.-St.-A.  Berthold  die  Narbe  so  umfänglich  und  tief  eingezogen,  „dass 
man  ein  Taubenei  hineinlegen  konnte".  Sie  war  sehr  empfindlich.  Andere 
Beschwerden  fehlten. 

Hat  in  diesem  Falle  unter  dem  Einbrüche  der  äusseren,  später 
abgestossenen  Tafel  eine  Depression  der  inneren  bestanden?  Das 
Ausbleiben  aller  Hirnsymptome  trotz  wiederholter  Wanderung  von 


96 


Lazareth  zu  Lazareth  spricht  dagegen.  Die  Beschaffenheit  der 
Narbe  spricht  dafür.  Allein  auch  Verdickung  des  Periostes  und 
Knochenneubildung  in  der  Umgebung  des  eingebrochenen  und  ex- 
tbliirten  Stückes  der  äusseren  Tafel  können  die  Narben  sehr  vertieft 
erscheinen  lassen. 

In  den  bisher  erwähnten  Fällen  blieben  Gehirnerscheinungen 
aus  und  nach  der  Vernarbung  nicht  zurück.  Diess  trifft  jedoch 
keineswegs  in  allen  Fällen  zu,  wo  anscheinend  oder  wirklich  bloss 
die  äussere  Tafel  eingebrochen  ist.  So  war  die  Reaction  z.  B.  ziem- 
lich heftig  bei 

Kall  32.  Grenadier  Michaelis  vom  Leib -Gren. -Reg.  No.  8,  welcher  deu 
28.  März  am  Hinterkopfe  getroffen  wurde.  In  Stenderup  (1.  F.-L.  6.  Div.) 
wurde  sternförmiger  Einbruch  des  Hinterhauptsbeines  mit 
einem  Ii  u sengrossen  Defecte  constatirt  und  consequent  antiphlo- 
gistisch verfahren.  In  Rendsburg,  wohin  er  am  21.  April  verlegt  wurde, 
exfoliirte  sich  ein  kleiner  Splitter.  Besondere  Aufmerksamkeit  aber  er- 
heischten periodische  Anfälle  von  Schwindel,  Ohrensausen  und  Uebelkeit, 
meist  mit  Steigerung  der  Pulsfrequenz  verknüpft.  Kälte  brachte  in  der 
Regel  bald  Linderung,  einmal  wurde  aber  sogar  noch  ein  Aderlass  nöthig. 
Auch  nach  der  völligen  Vernarbung  der  Wunde  im  Mai  kehrten  solche  An- 
fälle noch  wieder,  wenn  auch  minder  stark.  Als  M.  am  20.  Juli  aus  dem 
Lazarethe  zu  Berlin  entlassen  wurde,  klagte  er  nur  noch  über  Schmerzen 
an  der  Narbenstelle  bei  plötzlichen  und  heftigen  Bewegungen. 

Auch  am  Schläfenbein  kommt  diese  Fracturform  vor. 
Fall  33.  Gefreiter  Kleinding  werth  vom  55.  Inf.-Reg.  erhielt  am  18  April 
einen  Streifsehuss.  Die  2"  lange  Weichtheilwrunde  verlief  schräg  von  unten 
und  vorn  nach  oben  und  hinten  auf  der  Schuppe  des  Schläfenbeines.  Der 
Knochen  liegt  bloss;  von  der  gesplitterten  äusseren  Tafel  werden  mehrere 
Stücke  entfernt.  Bei  der  vierzehntägigen  Eisbehandlung  blieben  bedeu- 
tendere Gehirnerscheinungen  aus.  Als  K.  von  Flensburg  (2.  schw.  F.-L. 
3.  A.-C),  wo  er  bis  dahin  behandelt  wurde,  am  5.  Juni  im  Hospital  zu 
Steinau  eintraf,  war  die  Vernarbung  bis  auf  eine  kleine  Stelle  am  unteren 
Ende  der  Wunde  erfolgt.  Die  Sonde  dringt  von  hier  noch  1"  weit  ein  und 
trifft  auf  rauhen  Knochen.  Erst  Anfangs  August,  bis  wohin  die  Aus- 
stossung  kleiner  Splitter  dauerte,  erfolgte  völlige  Vernarbung.  Als  K.  am 
Ö.  September  aus  dem  Lazarethe  in  Berlin  als  invalide  entlassen  wurde, 
klagte  er  noch  über  Schwindel. 

Die  richtige  Würdigung  der  Klagen,  welche  bei  der  Entlassung 
aus  den  Lazarethen,  resp.  von  der  Armee  geführt  werden,  ist,  so- 
weit sie  sich  auf  Bttbjective  Empfindungen  beziehen,  äusserst  schwie- 
rig. Jeder  Militärarzt  kennt  den  Unterschied,  der  hierbei  obwaltet, 
zwischen  den  Ofrtcieren,  deren  Interesse  sich  an  das  Verbleiben  in 
der  Armee  knüpft,  und  den  Mannschaften,  welche  ihre  Ansprüche 
auf  Invaliden-BeneficiVn  geltend  machen.    Von  den  Schädelverletzun- 


I 


97 

gen  der  nicht  gefallenen  Officiere  gehörte  keine  zu  den  schweren 
Formen  (Gruppe  B.  c.  und  C.  in  Tabelle  V.)  Die  bedeutendste  war 
die,  welche  Lieutenant  v.  S.  vom  Leib-Grenadier-Regim.  No.  8.  am 
28.  März  vor  den  Schanzen  erlitt  —  auf  demselben  Terrain,  wo  16 
Jahre  früher  sein  tapferer  Vater  gefallen  war.  Besinnungslos  nie- 
dergestürzt, gerieth  er  in  Feindes  Hand.  Ausgeliefert  traf  er  am 
2.  Mai  im  Johanniter -Lazareth  zu  Flensburg  ein,  nachdem  er  bis 
dahin  im  dänischen  Lazarethe  zu  Augustenburg  behandelt  worden 
war.  Nach  seinen  Mittheilungen  und  dem  Befunde  des  Herrn  Dr. 
Res  sei  (1.  c.  S.  23)  scheint  es  sich  nur  um  Verletzung  der  äusse- 
ren Knochentafel  gehandelt  zu  haben.  Der  Streifschuss  hatte 
auf  der  Höhe  des  Scheitels  die  Haut  weggerissen.  In  Augustenburg 
stiess  sich  eine  achtgroschenstückgrosse  Lamelle  des  Knochens  ab, 
nachdem  ein  bedeutendes  Kopf-Erysipel  überstanden  war.  Die  völ- 
lige Vernarbung  erfolgte  in  Flensburg  bis  zum  7.  Juni.  Keine  Spur 
eines  Kopfleidens  ist  zurückgeblieben.  Auf  Fälle  wie  dieser  stützt 
sich  die  Opposition,  welche  von  manchen  Seiten  gegen  die  Regel, 
Kopfverletzte  ruhig  und  diätetisch  knapp  zu  halten ,  gemacht  wird. 
Die  im  Lazareth  zu  Augusten  bürg  beliebte  Abweichung  von  dieser 
Regel  hat  dem  Verwundeten  nicht  geschadet.  Um  sie  für  andere 
nicht  verderblich  werden  zu  lassen,  sollte  man  sich  hüten,  die  diä- 
tetische Sorglosigkeit  als  bei  den  Schussbrüchen  überhaupt  zulässig 
zu  proclamiren. 

Eine  kleine  Gruppe  für  sich  bilden  die  hierher  gehörigen  Ver- 
letzungen des  Schläfenbeins,  bei  denen  sich  die  Läsion  am  War- 
ze nfortsatze  und  am  knöchernen  äusseren  Gehörgange 
concentrirt.  Der  18.  April  hat  5  solcher  Fälle  geliefert.  Der  eine 
ist  bereits  oben  unter  den  tödtlich  verlaufenen  Schädelbrüchen  s.  str. 
erwähnt  (Fall  18),  weil  eine  Fissur  im  Felsenbeine  ihn  compli- 
cirte.  Bei  den  anderen  vier  scheint  eine  solche  Complication  ge- 
fehlt zu  haben.  Ausbleiben  von  Gehirnsymptomen,  dauernde  Störung 
im  Hörapparat  und  Lähmung  des  n.  facialis  sind  ihnen  gemeinsam. 
Sie  unterscheiden  sich  durch  grössere  oder  geringere  Betheiligung 
des  Auges.    Sehr  lückenhaft  sind  die  vorliegenden  Notizen  über 

Fall  34.  1)  Niels  Peter  Christensen,  Gem.  vom  9.  dän.  Inf.-Reg.,  welcher 
am  12.  August  von  Flensburg  aus  heimkehrte.  Die  Splitterung  des 
linken  Zitzenfortsatzes  hatte  die  Vernarbung  bis  dahin  verzögert. 
Taubheit  links,  Lähmung  der  linken  Gesichtshälfte  und  „Zerstörung  des 
linken  Auges"  sind  als  Folgen  notirt. 


Genauere  Notizen  besitze  ich  über  die  anderen  3  Fälle. 

Loeffler,  Geueralbericbt.  7 


98 


Fall  35.  2)  Gewehrschuss  in  das  rechte  Ohr.  Durchbohrung 
des  Proc  mastoideus.  Exophthalmus  Atrophie  der  Netzhaut. 
Grenadier  Johann  Dachowski  vom  3.  Garde-Gren.-Reg.  (Kön.  Elisabeth) 
wurde  bis  zum  8.  Juni  in  ßroacker,  später  in  Glücksburg  und  Rendsburg 
gepflegt.  Die  Kugel  drang  in  den  äusseren  Gehörgang  rechts  und  durch- 
bohrte die  hintere  Wand  desselben  und  den  Warzenfortsatz,  hinter  welchem 
sie  4  Wochen  später  ausgeschnitten  wurde  Völlige  Lähmung  des  rechten 
Gesichtsnerven  und  Taubheit  des  rechten  Ohres  waren  die  sofortigen  Fol- 
gen. Auch  durch  die  Kopfknochen  wird  der  Ton  der  Stimmgabel  nicht 
vernommen.  Dabei  starkes  Vortreten  des  rechten  Augapfels,  so  dass  die 
Augenlider  nicht  geschlossen  werden  können.  Seitens  der  behandelnden 
Aerzte  in  Glücksburg  (St.-A.  Becker  und  Ass.-A.  Baum)  wurde  im  Juni 
eonstatirt,  dass  grössere  Gegenstände  wie  Finger  noch  erkannt  werden, 
und  dass  auf  der  Papille  des  Sehnerven  ein  kleines  Extravasat  lagert.  In 
Rendsburg,  wo  der  Verw.  bis  zum  19.  September  blieb,  wurde  die  Sehkraft 
des  Auges  völlig  erloschen  gefunden.  Die  Wundheilung  war  inzwischen 
unter  Ab^to^ung  von  Splittern  des  Warzeufortsatzes  regelmässig  fortge- 
schritten, der  Gehörgang  in  einen  schmalen  Spalt  verwandelt.  In  Spandau, 
wo  D.  demnächst  bis  zum  15.  November  verweilte,  fand  St.-A.  Hasel- 
horst eine  geringe  Abnahme  der  Faciallähmung  und,  dass  Pat.  hell  und 
dunkel  zu  unterscheiden  vermöge.  Als  derselbe  Ende  Januar  1865  von 
dem  Lazarethe  in  Berlin  als  invalide  entlassen  wurde,  war  die  Taubheit 
des  rechten  Ohres  bei  völlig  verwachsenem  äusseren  Gehörgange  vollstän- 
dig, in  Folge  der  Faciallähmung  besonders  der  Kauact  gestört,  die  Unter- 
stützung des  prolabirendeu  und  erblindeten  Augapfels  durch  ein  Band 
nöthig.  Der  Augenspiegel  wies  die  Producte  der  Chorioideitis  und  Retinitis 
atrophica  nach.  Bemerkenswerth  ist  noch,  dass  auch  Anästhesie  der 
rechten  Gesichtsseite,  welche  in  den  ersten  Monaten  nach  der  Verwundung 
fehlte,  eonstatirt  wurde  (0. -St.-A  Wendt).  Belästigt  wurde  D.  vorzugs- 
weis  durch  heftiges  Ohrensausen. 

Füll  3G.  3)  Zertrümmerung  des  Jochbogens  und  Durchbohrung 
des  äusseren  Gehörganges  und  des  Zitzenfortsatzes  durch 
Gewehrschuss.  Genesung.  Sergeant  August  Schroeder  vom  Leib- 
Gren.-Reg.  No.  8  erhielt  am  18.  April  einen  Schuss  in  die  linke  Ohrgegend 
Die  Kugel  drang  dicht  vor  dem  Ohre  ein,  hatte  den  Jochbogen  zertrüm- 
mert, dann  den  äusseren  Gehörgang  unter  Sprengung  des  Trommelfelles 
und  den  Processus  mastoideus  durchsetzt  und  war  bis  in  den  Nacken  ge- 
drungen, wo  sie  über  dem  4  Halswirbel  ausgezogen  wurde.  Ausser  den 
bald  rorflb  «gehenden  Commotionserscheinungen  war  vollständige  Lähmung 
des  linken  Hör-  und  Facialnerven  die  Folge.  Uebrigeus  verlief  die  Ver- 
letzung ohne  alle  besonderen  Erscheinungen.  Vom  Jochbogen,  knöchernen 
Gehörgange  und  Zitzenfortsatze  stiesseu  sich  allmählig  viele  Stückchen 
los;  auch  kleine  Bleistückchen  kamen  noch  zu  Tage.  Am  30.  Tage  nach 
der  Verletzung  ergab  der  Valsalva'sche  Versuch  noch  Permeabilität  des 
Trommelfelles,  acht  Tage  später  nicht  mehr.  Um  diese  Zeit  war  der  vor- 
dere Theil  des  Wundkanales  bereits  verhtilt;  dagegen  gelangte  die  Sonde 
noch  vom  Gehörgange  aus  in  den  Processus  mastoideus,  und  in  die  Nacken- 
Öffnung  gespritzte  Flüssigkeit  floss  aus  dem  Ohre  hervor.     Der  hintere 


99 


Theil  des  Kanales  war  auch  noch  nicht  ganz  geschlossen,  als  Pat.  aus 
Ulderup  (1.  F.-L.  5  Div.),  wo  er  bis  dahin  behandelt  worden,  am  1.  Juli 
in  Potsdam  eintraf.  Bei  seiner  Ende  August  erfolgten  Invalidisirung  be- 
stand Taubheit  und  Gesichtslähmung  linker  Seits  unverändert  fort.  Das 
Kauen  ist  erschwert,  das  linke  Auge  wegen  des  Lagophthalmus  reizbar, 
die  Bewegungen  des  Nackens  behindert.*) 
Fall  37.  4)  Zertrümmerung  des  Meatus  auditorius  externus, 
Streifung  des  Processus  mastoideus  durch  Gewehrschuss. 
Genesung.  Tambour  Wilhelm  Schiller  vom  18.  Inf. -Reg.  wurde  am 
18.  April  von  einer  Kugel  getroffen,  welche  an  der  linken  Wange  nahe  dem 
äusseren  Augenwinkel  eintrat,  unter  dem  Jochbogen  fortgehend  den  äusseren 
Gehörgang  durchsetzte  und  an  der  gestreiften  Vorderseite  des  Processus  • 
mastoideus  exrrahirt  wurde.  Ernstere  Hirnsymptome  blieben  aus.  Dagegen 
war  das  linke  Ohr  taub,  der  Levator  palpebrae  superioris  gelähmt,  und 
bald  stellte  sich  wegen  Parese  des  M.  rectus  externus  bulbi  Schielen  des 
linken  Auges  ein.  Die  Wundheilung  verlief  regelmässig,  wenn  auch  lang- 
sam. Noch  im  August  wurden  Knochensplitter  abgestossen.  Als  Pat.  Ende 
September  invalidisirt  wurde,  bestanden  die  erwähnten  Störungen  fort. 
Der  äussere  Gehörgang  ist  völlig  geschlossen,  die  Taubheit  links  vollstän- 
dig. Auch  durch  die  Knochenleitung  wird  keine  Tonempfindung  vermittelt. 
Die  Narbencontraction  an  der  Eintrittsstelle  der  Kugel  hat  ein  Ectropium 
des  unteren  Augenlides  bewirkt. 

Die  erwähnten  Fälle  repräsentiren  verschiedene  Formen,  in  de- 
nen die  äussere  Tafel  der  Schädelknochen  durch  Schuss  verletzt 
werden  kann.    Am  seltensten  scheint  die  Abspr engung  eines 
grösseren  Stückes  zu  sein.   Die  üblichen  Gewehrkugeln  dürften 
auch  schwerlich  eine  solche  bewirken ,  ohne  zugleich  die  innere  Tafel 
zu  lädiren.    Ich  kann  nur  über  einen  Fall  der  Art  berichten,  und 
in  diesem  traf  ein  Granatsplitter. 
Fall  38.    Dem  Oberjäger  Hermann  Uhlich  vom  3.  Jäger-Bat  wurden  durch 
einen  solchen  am  29.  Juni  in  der  Gegend  der  kleinen  Fontanelle  die 
Weichtheile  in  der  Ausdehnung  eines  Zweithalerstückes  zerrissen.  Zugleich 
war  von  der  äusseren  Tafel  des  rechten  Scheitelbeines  ein  Stück  1"  lang 
und  3'"  breit  abgesprengt.   Bei  der  Aufnahme  ins  Lazareth  (1.  F.-L.  5.  Div.) 
bot  er  keinerlei  Hirnerscheinungen  dar,  und  deren  Entwicklung  wurde 
durch  Eis  vorgebeugt.    Die  Heilung  der  Wunde  verlief  ohne  Störung  und 
war  Anfangs  August  (im  Lazareth  zu  Berlin)  vollendet. 
Durch  kurze  Dauer  und  massigen  Grad  der  ersten  Commotions- 
symptome  pflegen  selbst  die  schwereren  Verletzungen  des  Schädels 

*)  Dieser  Invalide  ist,  wie  ich  nachträglich  erfahre,  am  11.  März  1865  in 
der  Berliner  Charite  —  Abtheilung  des  Hm  Stabs-Arzt  Fischer  —  gestorben, 
nachdem  er  Tags  zuvor  plötzlich  von  Krämpfen  befallen  war.  Bewusstlosigkeit, 
Erweiterung  der  Pupillen,  klonische  Krämpfe  der  Glieder,  Ohrenfluss,  gespannter, 
aussetzender  Puls,  40,8  Temperatur  gingen  dem  Tode  voraus.  Die  Seetion  soll 
eitrige  Meningitis  und  Encephalitis  in  Folge  von  Caries  des  linken  Felsenbeines 
und  eine  Fissur  des  letzteren  ergeben  haben. 

7* 


100 


durch  Schuss  vor  denen  durch  andere  Anlässe  bewirkten  sich  aus- 
zuzeichnen —  die  Erfahrungen  von  1864  beweisen  es  von  neuem. 
Der  Grund  der  Reaction  des  Gehirns  entspricht  bei  den  Schuss- 
fracturen  wenigstens  im  Allgemeinen  der  Tiefe  der  Knochenläsion ; 
wir  fanden  dieselbe  durchschnittlich  viel  geringer  bei  den  blossen 
„Einbrüchen  der  äusseren  Tafel".  Aber  selbst  ein  noch  geringerer 
Grad  von  Knochenläsiou  gestattet  keineswegs  weniger  Vorsicht  und 
Sorgfalt  bei  der  Pflege  und  Kur.  Diess  lehren  die  Schädelschüsse, 
welche  ich  als  „Contusion  der  Schädelknochen44  in  der  sta- 
tistischen Tabelle  ad  B.  a.  zusammengefasst  habe. 

Dass  und  warum  ich  gegen  meine  Ueberzeugung,  solcher  Ver- 
letzungen seien  viel  mehr  vorgekommen,  nur  10  Fälle  in  diese 
Gruppe  aufgenommen  habe,  wurde  bereits  erwähnt.  Daraus  folgt, 
dass  die  Berechnung  des  Heilungs-  resp.  Lethalitätsverhältnisses  keine 
Bedeutung  haben  würde.  Um  so  mehr  Beachtung  verdient  in  der 
eben  erwähnten  Beziehung  der  einzige  tödtlich  verlaufene  Fall  von 
Schusscontusion  des  Schädels. 

Fall  39.  Streifschuss  am  Scheitelbeiu.  B lutextravasat.  Me- 
ningitis. Tod  Hans  Mads  Soerensen,  Gemeiner  des  5.  dän.  Inf.- 
Reg.,  34  Jahr  alt,  erhielt  auf  Alsen  am  29.  Juni  einen  Streifschuss  am 
linken  Scheitelbein  unfern  der  Pfeilnaht.  In  der  unregelmässigen  etwa  2" 
langen  Wunde  liegt  der  Knochen  bloss,  doch  anscheinend  unverletzt.  Der 
Verw.  wurde  am  30.  Juni  von  Souderburg  nach  Flensburg  trans  portirt, 
woraus  zu  schliessen  sein  dürfte,  dass  vor  dem  Transporte  bedrohliche 
Symptome  nicht  vorhanden  waren. 

In  Flensburg  angelangt  klagt  Pat  über  Schmerz,  weniger  in  der 
Wunde  als  in  der  Stirn.  Das  Sensorium  ist  sehr  benommen;  Fragen  be- 
antwortet er  confus;  bisweilen  spricht  er  unverständlich  vor  sich  hin.  Da- 
bei Fieber:  Puls  100.  Eisumschläge,  16  Blutegel  an  die  Schläfe;  Calomel 
2  Grau  dreistündlich.  Am  6.  Juli  findet  sich  der  Puls  auf  64  Schläge  re- 
ttrdirt  Wieder  16  Blutegel.  Obwohl  die  Eisumschläge  dauernd  applicirt 
werden  und  der  Puls  sich  etwas  hebt,  erscheint  das  Sprechen  am  9.  Juli 
erschwerter;  anderweitige  Lähmungserscheinungen  sind  jedoch  nicht  zu 
constatiren.  Der  fernere  Verlauf  zeigt  wenig  Veränderungen;  die  Wunde 
eitert  regelmässig.  Am  18.  Juli  treten  plötzlich  Convulsionen  ein,  denen 
schnell  Collapsus  und  Tod  folgt. 

Sectio ii:  Die  eutblösste  Knochenstelle  ist  ohne  Periost;  ringsum 
ist  dasselbe  so  gelockert,  dass  es  leicht  vom  Knochen  abgehoben  werden 
kann.  „Der  Knochen  selbst  nirgends  verletzt.«  Zwischen  ihm 
und  der  Dura  mater,  genau  der  Wundstelle  entsprechend,  ein  hühnerei- 
grosses,  theilweis  in  Eiterung  übergegangenes  Blutextravasat.  Ebenso 
zwischen  Dura  mater  und  Pia  mater.  Auf  der  ganzen  linken  Hemisphäre 
bis  zur  Basis  und  theilweis  auch  auf  der  rechten  die  Pia  mater  mit  einer 
eitrigen  Schwarte  bedeckt.   Die  Hirnsubstanz  in  der  Gegend  der  Blutextra- 


iOl 


vasate  oberflächlich  nekrotisirt;  auf  der  Oberfläche  zwei  erbseDgrosse 
Blutextravasate;  sonst  blutarm.  Iq  den  übrigen  Organen  keine  Veränderung. 
(St.-A.  Reuter;  Ass.-A.  Münnich.) 

Vermuthet  wurde  ein  Bluterguss  zwischen  Dura  mater  und 
Hirn  bei 

Fall  40.  Füsilier  Bentrup  vom  13  Inf.-Reg  ,  welcher  am  2.  Februar  vor 
Missunde  gleichfalls  am  linken  Scheitelbeine,  etwa  2"  über  dem  Ohre,  einen 
Streifschuss  erhielt.  Die  Kugel  hatte  eine  Art  Rinne  in  den  Weichtheilen 
und  in  der  äusseren  Knochentafel  gebildet.  Das  Bewusstsein  soll  Anfangs 
nicht  gestört  gewesen  sein  Die  Symptome  des  Gehirndruckes,  welche  am 
7.  Februar  constatirt  wurden,  wären  den  im  vorigen  Falle  erwähnten  ähn- 
lich. Ueberdiess  rechtsseitige  Faciallähmung  In  der  Kacht  vom  9.  zum 
10.  Februar  traten  auch  Krämpfe  ein.  Aber  durch  andauernden  Gebrauch 
der  Eisblasen,  Aderlass  und  Calomel  mit  Jalappe  gelang  es,  der  tödtlichen 
Reaction  vorzubeugen.  Erst  Anfangs  April  stiess  sich  ein  kleines  Splitter- 
chen ab  Der  Mann  ist  im  Juni  vom  Garnison-Lazarethe  in  Berlin  als  in- 
valide entlassen  worden,  weil  noch  periodisches  Kopfweh  und  eine  gewisse 
geistige  Trägheit  bestand 

Herr  Prof.  Lücke,  welcher  in  Eckernförde  die  Behandlung 
leitete,  bat  dieses  Falles  1  c.  sub  No.  64  gedacht.  Es  ist  nicht 
unwahrscheinlich,  dass  die  Aehnlichkeit  beider  Fälle  sich  auch  auf 
den  Ausgang  erstreckt  haben  würde,  wenn  der  letztere  gleichfalls 
einem  so  weiten  Transporte,  wie  der  erstere,  ausgesetzt  gewesen  wäre. 

Als  Beispiel  einer  Schuss-Knoehen-Contusion  ohne 
Wunde  erwähne  ich  den  folgenden  Fall: 

Fall  41  Der  Jäger  Heinrich  Daamen  vom  7.  Jäger-Bat.  wurde  bei  Missunde 
verletzt.  Die  Kugel  traf  die  rechte  Schuppenkette  des  Helmes,  ohne  sie 
zu  durchbohren.  Kurze  Besinnungslosigkeit  und  wiederholtes  Erbrechen 
waren  die  nächsten  Folgen.  Auch  Blutung  aus  dem  rechten  Ohre  und  aus 
dem  Munde  soll  dagewesen  sein.  Die  rechte  Schläfengegend  geschwollen 
die  Augenlider  sugillirt.  Heftige  Kopfschmerzen  mit  dem  Gefühl  von  Hitze 
und  Brausen  gaben  am  6.  Februar  Grund  zu  einem  Aderlass  Geistiger 
Torpor,  etwas  retardirter  Puls  und  träger  Stuhl  hielten  länger  an,  so  das? 
noch  Anfangs  März  die  schon  früher  stattgehabte  Application  von  Blut- 
egeln und  der  Gebrauch  von  Abführmitteln  wiederholt  werden  musste. 
Eine  erhebliche  Auftreibung  des  recnten  Schläfenbeines,  welche  zurückge- 
blieben ist,  motivirte  später  die  Invalidisirung. 

Zwischen  dieser  Verletzung  und  der  im  Falle  6  liegen  die  ver- 
schiedensten Grade  und  Formen  von  Läsion  des  Schläfenbeines 
durch  Schuss.  Man  überblickt  die  überhaupt  vorkommenden  ziem- 
lich vollständig,  wenn  man  aus  unserer  Casuistik  die  bezüglichen 
Fälle  nebeneinander  stellt. 

Aber  auch  für  die  Weicht  heil- Schüsse  ist  am  Schädel  die 
Schläfengegend  diejenige,  welche  die  Formenvariation  von  der  ein- 


102 


fachen  Quetschung  bis  zum  tiefen  und  vollkommenen  Schusskanale 
am  meisten  begünstigt.  In  den  übrigen  Regionen  sind  die  Zellge- 
webe- und  Muskel -Lagen  zwischen  Haut  und  Knochen  so  dünn, 
dase  die  Geschosse  sie  nur  ausnahmsweise  ohne  Mitverletzung  der 
Knochen  durchsetzen  können,  üebrigens  haben  die  Weichtheil- 
S, Msse  der  Schläfengegend  noch  eine  besondere  Bedeutung  wegen 
ihres  Einflusses  auf  den  Hörapparat.  Auch  nach  ihnen  bleibt, 
wie  bei  den  oben  erwähnten  Knochenläsionen,  Schwerhörigkeit  oder 
selbst  Taubheit  nicht  selten  zurück.  Ich  verzichte  auf  die  Anführung 
der  einzelnen  Fälle,  weil  aus  ihnen  für  die  Kunsthülfe  nichts  zu 
lernen  ist.  Nur  im  Allgemeinen  sei  bemerkt,  dass  die  Sprengung 
des  Trommelfelles  dabei  vorkommt,  ohne  dass  die  Annahme,  sie  sei 
durch  eine  auf  dasselbe  fortgepflanzte  Knochenerschütterung  bewirkt, 
in  der  Art  der  Verletzung  Grund  findet.  Diess  ist  z.  B.  der  Fall, 
wenn  bloss  die  Ohrmuschel  durchschossen  ist.  Hier  scheint  die 
plötzliche  und  ungewöhnlich  starke  Schwingung  der  Luftsäule  im 
nasseren  Gehörgange  die  Sprengung  zu  machen.  Gerade  die  so 
entstandene  Schwerhörigkeit  gestattet  eine  bessere  Prognose.  An- 
dere Male  führt  unzweifelhaft  die  Knochenschwingung  zur  Sprengung 
des  Trommelfelles.  Sie  kann  selbst  vom  Hinterhauptsbeine  her  bis 
dahin  sich  fortpflanzen.  Die  gewöhnliche  Combination  mit  akusti- 
scher Lähmung  trübt  in  solchen  Fällen  die  Aussicht  auf  spätere 
Besserung. 

Dass  die  Knochencontusion  am  Schädel  viel  häufiger  sei,  als 
aus  der  statistischen  Tabelle  zu  ersehen  ist,  folgt  aus  der  Thatsache, 
dass  Gehirn-  und  namentlich  Commotions- Symptome  sehr  oft  bei 
den  Schädelschüssen  vorkamen,  welche  anscheinend  bloss  die  Weich- 
theile  betrafen.  Bisweilen  sind  jene  Erscheinungen  sogar  so  an- 
haltend, dass  die  Annahme  beschränkter  Blutextravasate  innerhalb  des 
Schädels  gerechtfertigt  erscheint.  So  erhielt,  um  nur  ein  Beispiel 
anzuführen, 

Pal]  42.  (irenadier  Mathias  Längers  vom  4.  Garde  -  Gren. -Reg.  am  18. 
April  einen  \\"  langen  Streifschuss  auf  der  Höhe  des  Scheitels.  Der 
Knochen  war  blossgelcgt,  aber  unverletzt;  es  ist  auch  später  keine  Ex- 
foliation erfolgt  Im  Lazarethe  zu  Flensburg,  wohin  Pat.  noch  am  Tage 
der  Verwundung  gelaugte,  lag  er  mit  eigenthünilich  indifferentem  Ge- 
Bichtsauadruckc  bei  Stark  glänzenden  Augen  da,  ganz  theilnahmslos  für 
seine  Umgebung,  nach  Speise  oder  Trank  nicht  begehrend.  Angesprochen 
ist  er  zwar  besinnlich ,  aber  er  antwortet  sehr  langsam;  es  ist  ihm 
augenscheinlich  unangenehm,  mit  Fragen  behelligt  zu  werden.  Puls  65. 
Ausser  der  Eisblase  wird  Bittersalzlösung  gereicht.  Aber  erst  am  25. 
April  beginnt  eine  Aenderuug.    Ueber  Kopfschmerz  und  Schwindelgefühl 


103 


hat  er  zwar  noch  lange  nachher  geklagt;  am  1.  Juli  konnte  er  jedoch 
aus  dem  Hospital  in  Steinau  geheilt  entlassen  werden. 

Die  klinische  Beobachtung  und  das  Experiment  sind  zu  dem 
Ergebnisse  gelangt,  dass  das  Gehirn  und  seine  knöcherne  Hülle  in 
Betreff  der  Elasticität  Gegensätze  repräsentiren.  Die  grosse  Feder- 
kraft des  Schädels  gestattet  ein  förmliches  Ricochetiren  der 
Kugel  an  demselben  ohne  tiefere  Läsion  der  Anschlagsstelle.  So 
wurde 

Fall  43.  Sergeant  Karl  Fabinake  vom  18.  Inf. -Reg.  am  18.  April  von 
einer  Kugel  getroffen,  welche  schräg  durch  den  Reichsapfel  des  Helm- 
beschlages und  das  Helmleder  drang,  am  oberen  Theile  der  Stirn  auf- 
schlug, die  Weichtheile  bis  auf  den  freiliegenden,  aber  unverletzten  Kno- 
chen zerquetschte  und  von  diesem  abspringend  den  Helm  zum  zweiten 
Male  von  innen  nach  aussen  seiner  Spitze  nahe  durchbohrte.  Ausser 
momentaner  Betäubung  traten  bei  der  Eisbehandlung  Gehirnsymptorae 
nicht  ein.  Empfindlichkeit  der  Narbe,  Anfälle  von  Kopfweh  und  Schwin- 
delgefühl und  Schwäche  des  Gedächtnisses  motivirten  im  September 
seine  Invalidisirung. 

Was  den  Verlauf  der  Weichtheilschüsse  am  Schädel  betrifft,  so 
ergiebt  sich  aus  Tabelle  \\,  dass  alle  geheilt  wurden.  Der  Füsilier 
Trowe  vom  15.  Inf -Reg.,  welcher  am  29.  Juni  einen  Streifschuss 
der  Kopfhaut  erhielt,  ist  zwar  Mitte  August  gestorben,  jedoch  am 
Typhus,  der  sich  entwickelte,  als  die  Wunde  beinahe  vernarbt  war. 

Die  phlegmonösen  Entzündungen  der  Kopfschwarte  waren 
bei  der  allgemein  üblichen  kalten  Lokalbehandlung  nicht  häufig. 
Nur  bei  den  quetschenden  Abreissungen  grösserer  Stücke  der  Kopf- 
schwarte durch  Sprengstücke,  wie  sie  namentlich  in  den  Belage- 
rungs-Batterieen  vorkamen,  entwickelten  sich  höhere  Grade  derselben. 
Eine  Verletzung  der  Art  erlitt  am  26.  März  in  der  Enfilirbatterie  2 
(Feldzeugmeister)  der  Kanonier  Philipp  Wibbecke  von  der  4. 
Fest.-Comp.  7.  Art.-Brig.  und  zwar  durch  grosse  von  der  Brustwehr 
abgesprengte  Holzsplitter.  Die  Kopfschwarte  war  auf  dem  rechten 
Scheitelbein  handtellergross,  am  Hinterkopfe  von  der  Grösse  eines 
Zweithalerstückes  in  unregelmässigen  Lappen  vom  Schädel  abge- 
trennt. Er  starb  am  15.  April  unter  ausgeprägten  pyämischen 
Erscheinungen.  Ich  werde  auf  diesen  Fall  bei  den  Verletzungen  des 
Kniegelenkes  zurückkommen.  Wegen  der  Combination  mit  einer 
solchen  und  weil  der  pyämische  Todesprocess  mehr  von  dieser  als 
von  der  Kopfverletzung  ausgegangen  zu  sein  scheint,  habe  ich  den- 
selben statistisch  den  Kniegelenk -Verletzungen  zugezählt.  Abgese- 
hen von  diesem  Falle  sind  die  unzweifelhaften  Producte  des  pyämi- 


104 


scheu  Processefl  im  Feldzuge  1864  bei  keinem  Kopfverletzten  durch 
die  Section  constatirt  worden.  (S.  oben  Fall  18  und  19.)  Auch 
von  Leberabscess  nach  Schäd el Verletzung  ist  meines  Wis- 
sene  kein  Fall  beobachtet  worden. 

Etwas  häufiger  war  die  Complication  mit  Erysipel as  exan- 
thematicum,  wie  aus  der  angeführten  Casuistik  hervorgeht.  Wenn 
diese  Complication,  wie  nicht  selten,  mit  der  Periode  der  entzünd- 
lichen Reaction  zusammentrifft,  so  giebt  sie  dem  Krankheitsbilde  den 
Ausdruck  viel  grösserer  Bedeutsamkeit  und  erschwert  die  richtige 
Beurtheilung  und  Behandlung.  Ich  werde  dem  Erysipel,  da  es  auch 
die  Verletzung  anderer  Körpertheile  sehr  oft  complicirt  hat,  später 
einen  besonderen  Abschnitt  widmen.  Vorläufig  sei  bemerkt,  dass 
den  6  Fällen  unter  den  43  Schädelschüssen  mit  ausgesprochener 
Knochenläsion  kaum  ebenso  viel  unter  den  148  Weichtheilschüssen 
gegenüberstehen.  Uebrigens  entsprechen  Ausbreitung  des  Rothlaufs 
und  Heftigkeit  der  begleitenden  Erscheinungen  durchaus  nicht  der 
Schwere  der  Verletzung.  Diess  zeigte  sich  recht  auffallend  im  fol- 
genden Falle: 

Fall  44.  Musketier  Bork  vom  2t.  Inf. -Reg.  wurde  am  29.  Juni  leicht  am 
rechten  Ohre  gestreift.  Im  Lazarethe  zu  Oster-Satrup  war  die  Verletzung 
fast  verheilt,  als  am  8.  Juli  unter  starker  Fieberuug  der  Rothlauf  von  dem 
Ohre  aus  sich  entwickelte.  Unter  steigendem  Fieber  mit  nächtlichen  De- 
lirien ging  er  rasch  über  die  ganze  rechte  Schädel-  und  Gesichts -Hälfte. 
Salinische  Abführmittel.  Am  10.  Juli  sind  die  Delirien  anhaltend  gewor- 
den und  so  heftig,  dass  Pat.  kaum  im  Bette  zu  halten  ist.  Im  Gesichte 
erblassend,  kriecht  das  Exanthem  weiter  über  den  ganzen  Schädel  und 
nach  dem  Nacken  hin.  Calomel  wegen  Obstruction  Erst  am  12.  Juli 
nehmen  Fieber  und  Delirien  ab.  Die  Rose  aber  setzt  ihre  Wanderung  nach 
dem  Rücken  und  den  Oberarmen  hin  fort.  Am  20  Juli  endlich  ist  der 
Process  abgelaufen.    Störungen  hat  er  nicht  hinterlassen. 

Die  relative  Seltenheit  der  Störungen  im  Verlaufe  der  Schädel  - 
wanden  selbst  und  namentlich  jener  insidiösen  Formen,  welche  sich 
an  den  eitrigen  Zerfall  der  in  den  Maschen  der  Diploe  abgesetzten 
Blutextravasate  knüpfen,  ist  der  beste  Beweis  von  dem  Nutzen, 
welchen  die  von  Stromeyer  so  dringend  empfohlene  consequente 
Application  der  Kälte  mittelst  der  Eisblase  gewährt.  Sie  zeugt  auch 
davon,  «lass  die  Rathschläge  dieses  Meisters,  welche  die  schonende 
Behandlung  der  frischen  Schadelwunden  betreffen,  Seitens  unserer 
Peld&rzte  wohl  beherzigt  wurden.  Die  sonst  üblichen  diagnostischen 
und  prophylaktischen  Kreuzschnitte  galten  allgemein  für  obsolet,  und 
mu  noch  ausnahmsweise  sah  man  sich  zur  Erweiterung  der  frischen 


105 


Wunden  durch  eine  kleine  Incision  nach  einer  oder  der  anderen 
Richtung  veranlasst,  um  ganz  abgetrennte  Knochensplitter  leichter 
zu  extrahiren,  während  das  Zuwarten  Regel  war,  wo  es  sich  um 
Knochensplitter  handelte,  die  noch  adhärirten  und  durch  ihr  Zurück- 
bleiben nicht  offenbar  schadeten.  Desto  fleissiger  wurde  das  Messer 
benutzt,  wo  sich  Eiterdepots  bildeten,  welche  durch  die  Wunde  nicht 
freien  Abzug  hatten. 

Die  Verband  weise  war  allgemein  höchst  einfach.  Zur  Ver- 
meidung unnöthiger  Reizungen  der  Wundränder  durch  anklebende 
und  bei  dem  Wechsel  des  Verbandes  mühsam  zu  lösende  Charpie- 
fäden  trug  nicht  wenig  die  Benutzung  der  gefensterten  Leine- 
wand*) als  nächstes  Deckmittel  bei.  Besonders  aber  bewährten 
sich  die  Kopfnetze,  mit  welchen  unsere  Feldlazarette  seit  1859 
bedacht  sind.  Sie  sind  das  beste  Verband-Haltmittel,  weil  sie  die 
Lage  der  übrigen  Verbandstücke  ohne  jede  Pressung  und  Erhitzung 
des  Kopfes  sichern  und  dem  Verwundeten  nicht  zumuthen,  an  sich 
zu  erproben,  wie  weit  sein  Helfer  es  in  der  Bandagirkunst  gebracht, 
oder  ob  das  Heftpflaster  seine  Klebefähigkeit  bewahrt  oder  einge- 
büsst  habe. 

Von  der  umschlungenen  oder  geknöpften  Naht,  welche 
auf  den  Verbandplätzen  angelegt  wird,  werden  die  Schädelverletzten 
keinen  Nutzen  haben,  so  lange  man  sie  in  den  Lazarethen  so  wenig 
respectirt,  dass  man  bei  entstehender  Eiterung  das  Wiederau  seinan- 
derzerren  der  eben  verklebten  Ränder  einer  kleinen  Incision  daneben 
vorzieht.  Anderer  Seits  wird  das  Respectiren  der  mitgebrachten 
Nath  und  das  Verzichten  auf  eigene  gründliche  Visitation  der 
Wunden  den  Lazarethärzten  erst  dann  allgemeiner  zuzumuthen  sein, 
wenn  ihnen  vom  Schlachtfelde  mit  den  Verwendeten  zugleich  No- 
tizen über  das  Resultat  der  dort  stattgehabten  Untersuchung  zugehen. 
Eine  solche  Notiz  ist  eine  wirkliche  Wohlthat  für  den  Verwundeten. 
Wer  sich  auf  dem  Schlachtfelde  die  Zeit  nimmt,  blutige  Nähte  an- 
zulegen, wird  auch  dafür  noch  einige  Secunden  opfern 

Unter  den  Mitteln,  deren  man  sich  zur  vorbauenden  antiphlo- 


*)  Schon  seit  mehreren  Jahren  ist  im  Garnison  -Lazaretue  zu  Berlin  zur 
Fertigung  dieses  Verbandsmittels  eine  besondere  Maschine  aufgestellt,  welche 
mit  Leichtigkeit  den  Bedarf  der  ganzen  Armee  deckt.  Hiermit  nicht  bekannt, 
hat  die  private  Humanität  ein  Analogon ,  die  sog.  Gi  tte  r- Ch  arpie ,  den  La- 
zarethen zugewendet.  Dieses  Pro'dukt  zarter  Frauenhand  ist  noch  weicher  und 
schmiegsamer;  aber  die  Mühe  der  Fertigung  desselben  in  grossen  Mengen  und 
Dimensionen  lässt  si-  h  künftig  ersparen.  * 


106 


gißtisch- den vatorißcheil  Behandlung  der  Schädelverletzten  bediente, 
Bteht  obenan  das  Eis.  Da  dasselbe  nirgends  gemangelt  hat,  so 
konnte  mancher  Aderlass  erspart  werden.  Bei  der  allgemeinen 
Blutentziehung  kommt  es  ohnehin  weniger  auf  Masse  und  Häufigkeit, 
al>  auf  den  rechten  Zeitpunkt  an.  Viel  weniger  Ersatz  findet  der 
Aderlass  für  den  fraglichen  Zweck  in  den  Blutegeln  —  es  sei 
denn,  dass  man  solche  nach  französischem  Vorbilde  (Begin,  Mal- 
gaigne)  „en  permanence"  applicirt,  was  nirgends  geschehen  ist. 
Die  Militärärzte  sollten  sich  überhaupt  gewöhnen,  möglichst  ohne 
Blutegel  zu  curiren.  In  grösseren  und  von  den  Lokalverhältnissen 
weniger  begünstigten  Kriegen  ist  es  der  Administration  nicht  mög- 
lich, beliebige  Mengen  davon  präsent  zu  halten.  Dass  sie  meistens 
zu  entbehren  seien,  beweisen  die  glücklichen  Erfolge,  welche  auch 
in  den  Lazarethen  erzielt  wurden,  wo  man  ohne  Blutegel  fertig  ge- 
worden ist 

Die  Ableitung  auf  den  Darm  wurde,  wie  die  Casuistik  zeigt, 
durch  verschiedene  Mittel  —  abführende  Salzlösungen,  Sennaaufguss, 
Ricinusöl,  Calomel  mit  Jalappe  —  angestrebt.  Sehr  oft  mag  es  un- 
wesentlich sein,  ob  das  eine  oder  das  andere  gebraucht  wird.  In 
dringenden  Fällen  scheint  es  nicht  unzweckmässig,  eine  Dosis  der 
prompt  und  kräftig  wirkenden  Verbindung  von  Calomel  mit  Jalappe 
vorauszuschicken  uud  danach  durch  mildere  Mittel  den  Darmkanal 
in  gesteigerter  Function  zu  erhalten. 

Ob  und  in  wie  weit  der  Tartarus  stibiatus  für  den  fragli- 
chen Zweck  besondere  Vorzüge  besitze,  ist  eine  Frage,  zu  deren 
Lösung  unser  Feldzug  kaum  beigetragen  hat.  Er  ist  nicht  oft  ge- 
braucht worden.  Die  besondere  krankhafte  Disposition  der  Darm- 
Schleimhaut,  welche  sich  während  eines  Feldzuges  so  leicht  aus- 
bildet, und  welche  auch  1864  die  Heilung  mancher  Verwundeten, 
besonders  der  dänischen,  erschwert  hat.  macht  den  Gebrauch  dieses 
Mittels  in  der  Kriegsklinik  nicht  unbedenklich.  Der  mitgetheilte 
Fall  27,  in  welchem  der  Brechweinstein  vom  zweiten  bis  siebenten 
Tage  nach  der  Verwundung  consequent  gereicht  wurde,  war  schwer 
genug  und  verlief  glücklich.  Aber  wegen  der  gleichzeitigen  sehr 
finM-gisi-hori  allgemeinen  und  örtlichen  Blutentziehungen  bleibt  es 
fraglich,  wie  viel  von  dem  Erfolge  auf  Rechnung  des  Brechwein- 
steins zu  setzen  ist. 

Die  wiederholten  kleineren  Gaben  von  Calomel,  eventuell  bis 
zum  Speichelfluss,  sind  während  der  Keimzeit  der  entzündlichen 
Reactionen  kaum  indicirt,  wie  wenig  Concurrenten  (Jodkalium)  sie 


107 


auch  für  die  spätere  Periode  haben,  wo  es  sich  darum  handelt,  die 
Rückbildung  der  Entzündungsproducte  zu  fördern. 


2.    Die  Schuss v erletzungen  des  Gesichts. 

Die  Gesichts- Schüsse  bluten  und  schmerzen  durchschnittlich 
mehr  als  die  Schädel -Schüsse.  Rasche  und  ausgedehnte  Schwellung 
des  lockeren  subcutanen  und  submucösen  Zellgewebes,  theilweise 
oder  gänzliche  Unterbrechung  der  Function  der  Sinnesorgane,  Stö- 
rungen des  Kauens  und  Schluckens  und  Speichelfluss  kommen  hinzu, 
um  in  Verein  mit  der  durch  Zerreissung  der  Weichtheile  und  durch 
Knochenzertrümmerung  verursachten  Entstellung  Leiden  und  Leidens- 
bilder zu  schaffen,  welche  den  Verwundeten  fühlbarer  und  peinlicher 
und  mitunter  selbst  für  den  Arzt  ergreifender  anzuschauen  sind. 

Um  so  erfreulicher  ist  der  erstaunliche  Heiltrieb,  welcher  bei 
diesen  Verletzungen  der  Kunsthülfe  entgegenkommt,  und  die  Be- 
schränktheit der  Lebensgefahr,  welcher  sich  an  dieselben  knüpft. 

Die  nachstehende  Tabelle  giebt  das  numerische  Bild  von 


Tabelle  VII. 


Form  und  Verlauf  der  Gesichts -Verletzungen 

bei  den  Nichtgefallenen. 


Preussen 

Dänen 

Preussen  und 
Dänen 

Form  der  Verletzung. 

davon 

davon 

davon 

Zahl. 

geheilt. 

gestorbei 

Zahl. 

geheilt. 

gestorbei 

Zahl. 

geheilt. 

gestorbei 

A.  Verletzung  der  Weich- 

theile   

B.  Verletzung   der  Augen 

68 

68 

15 

15 

83 

83 

und  Augenhöhlen  . 

16 

16 

14 

14 

30 

30 

C.  Verletzung    der  Ober- 

D.  Verletzung  des  Unter- 

13 

13 

~~ 

6 

6 

19 

19 

kiefers   . 

11 

10 

1 

20 

18 

2 

31 

28 

3 

E.  Verletzung    des  Ober- 

und  Unterkiefers  .  . 

3 

3 

4 

3 

1 

7 

6 

1 

Summa  .  . 

in 

HO 

1 

59 

56 

3 

170 

166 

4 

108 


Die  beiden  Verletzungsformen  (D.  und  E.),  welche  Todesfälle 
geliefert  haben,  waren  somit  bei  den  Dänen  mit  40  pCt. ,  bei  den 
Preussen  nur  mit  1*2  pCt.  vertreten.  Dagegen  stehen  bei  den  über- 
liaupt  nicht  tödtlichen  Gruppen  A.,  B.  und  C.  88  pCt.  bei  den 
Preussen  und  60  pCt.  bei  den  Dänen  einander  gegenüber.  Diese 
Verhältnisse  gleichen  denen,  welche  sich  bei  den  Schädel-Verletzungen 
herausgestellt  haben  und  erklären  zur  Genüge  die  Sterblichkeits- 
Differenz.  Von  den  Preussen  starb  kaum  1  pCt.,  von  den  Dänen 
T>  pCt.  Ich  füge  hinzu,  dass _ von  den  Weichtheil  -  Verletzungen 
preussischer  Seits  26  (bei  2  (Meieren  und  bei  24  Mann)  so  leicht 
waren,  dasfi  ihre  Heilung  bei  der  Truppe  geschehen  konnte. 

Aus  der  Casuistik  der  Schädel- Verletzungen  ergab  sich,  wie  oft 
die  Geschosswirkung  vom  Schädeltheile  auf  den  Gesichtstheil  des 
Kopfes  übergreift.  Noch  schwieriger  ist  die  anatomische  Abgren- 
zung der  Gesichtsschüsse  unter  einander.  Nur  die  grösseren  Stücke 
dos  Knochengerüstes  werden  häufig  allein  getroffen,  während  die 
Verletzungen  der  kleineren  Knochen,  wie  Jochbein,  Nasenbein, 
Thräoenbein,  sehr  selten  isolirt  vorkommen.  Diess  der  Grund, 
warum  ihnen  in  der  Tabelle  kein  besonderer  Platz  eingeräumt  ist. 
In  welchem  Maasse  die  kleineren  Knochen  des  Gesichtes  betheiligt 
waren,  wird  sich  aus  den  folgenden  Notizen  entnehmen  lassen. 

Die  Weichtheile  des  Gesichtes  wurden  in  der  mannichfaltigsten 
Form  verletzt,  von  der  leichten  Hautcontusion  und  Hautritzung  bis 
zu  ausgedehnten  Zerreißungen  und  tiefen  vollkommenen  Schuss- 
kaa&len.  Letztere  waren  ohne  Knochenverletzung  nicht  gerade 
häutig,  kamen  aber  doch  sogar  ziemlich  lang  vor,  namentlich  in  der 
Richtung  von  den  Lippen  oder  Wangen  nach  hinten  bis  in  die 
Kackengegend  -  eine  Art  Contourirung  des  Knochengerüstes.  Die 
quer  laufenden  streiften  oder  durchsetzten  bisweilen  den  knorpligen 
Theil  der  Nase  und  ihrer  Scheidewand.   Derartig  wurde  z.  B. 

l  all  46  Der  Untereorporal  H.  Hauschild  vom  18.  däu.  Inf.-Reg.  am  22. 
Februar  verwundet  Die  eine  runde  zollweite  Oeffnung  befand  sich  auf 
der  Mitte  der  rechten  Wange,  die  andere  am  linken  Nasenflügel.  Durch 
Communication  mit  dem  Ductus  stenonianus  entstand  an  der  Wange  eine 
enge  SfM-ir  he  IfistH,  welche  die  Sonde  2"  tief  einzuführen  gestattete. 
Bei  dem  Tonchiren  der  üpp  gen  Granulationen,  welche  die  Wangenwunde 
füllten,  schloss  sich  die  Fistel  ohne  weiteres  Zuthun.  Schon  am  22.  März 
war  die  Heilung  vollendet. 

I  ugwieriger  ist  der  Verlauf,  wenn  eine  Verletzung  der  Speichel- 
fi rü<e  selbst  die  Wangenwunde  complicirt. 


109 


Fall  46.  Musketier  W.  Hintze  vom  60.  Inf.-Reg.  erhielt  am  2.  Februar  eiue 
2"  lange  Schussrinne,  welche  einige  Linien  vor  dem  linken  Ohre  vertikal 
verlief,  und  in  deren  Grunde  die  Acini  der  Drüse  sichtbar  waren  Speichel 
floss  aus  Unter  starker  Schwellung  der  Umgebung,  an  welcher  sich  auch 
Submaxillardrüsen  betheiligteu,  entwickelten  sich  reichliche  Eiterung  der 
Wunde  und  Abseedirungen  in  der  Nachbarschaft,  welche  dicht  vor  dem 
Ohrläppchen  und  am  Unterkieferwinkel  Einschnitte  erheischten.  Noch  Mitte 
März  floss  Speichel  aus  der  Wunde,  zeitweis  in  starkem  Strahle.  Gegen 
Ende  März  waren  jedoch  die  Schusswunde  wie  die  Incisionen  verheilt 
mit  eingezogenen  Narben,  welche  die  Bewegung  des  Unterkiefers  genirten. 
so  dass  H.  Ende  Mai  als  temporär  invalide  entlassen  wurde. 

Fälle  von  Durchsetzung  der  Mundhöhle  von  den  Wangen 
aus  ohne  jede  Neben  Verletzung  sind  meines  Wissens  nicht 
vorgekommen.  Wenigstens  einige  Zähne  pflegen  dabei  verloren  zu 
gehen. 

Fall  47.  Musketier  J.  Ringe,  vom  15.  Inf.-Reg.  wurde  am  29.  Juni  von 
einer  Kugel  getroffen,  welche  \u  vom  Mundwinkel  die  rechte  Wange  durch- 
bohrte, die  Zunge  streifte  und  ihren  Austritt  am  linken  Mundwinkel  nur 
durch  eine  leichte  Schramme  am  Lippensaume  bezeichnete.  Rechts  gingen 
drei  Zähne,  links  einer  verloren  und  wurden  in  Kiel  durch  künstliche  er- 
setzt. 

Bedeutender  war  die  Verletzung  der  Zunge  vom  Boden 
der  Mundhöhle  her  in  folgendem  Falle: 
Fall  48.  Der  dän.  Soldat  H.  Lassen  vom  20.  (oder  2.)  Inf.  Reg.  erhielt 
am  18.  April  eine  Kugel,  welche  an  der  rechten  Schulter  auf-  und  die 
Weichtheile  daselbst  2"  weit  durchsetzte,  dann  aber  am  unteren  Rande  des 
Unterkiefers,  denselben  streifend,  von  unten  her  in  die  Mundhöhle  ein- 
schlug. Sie  drang  in  die  Substanz  der  Zungenbasis  und  wurde  an  deren 
linkem  Rande  im  Lazarethe  zu  Broacker  ausgeschnitten  (St.-A.  Michel) 
Unter  lokaler  Eisbehandlung  blieb  die  Reaction  sehr  gering.  Die  Heilung 
wurde  nur  verzögert  durch  eine  oberflächliche  Nekrose  an  dem  Unterkiefer- 
rande. Der  kleine  Sequester  unterhielt  daselbst  noch  einen  feinen  Fistel- 
gang, als  L.  am  13.  August  von  Flensburg  aus  nach  Kopenhagen  entlassen 
wurde. 

Von  den  Schädigungen  des  Gehörs  war  schon  bei  den  Schädel- 
verletzungen die  Rede.  Viel  häufiger  hatte  das  Sehorgan  zu 
leiden.  Abgesehen  von  den  geringeren  Störungen  seiner  Function 
gingen  in  3  Genesungsfällen  beide  Augäpfel  zu  Grunde,  in  14  ein 
Augapfel,  und  in  4  Fällen  erfolgte  totale  Erblindung  eines  Auges 
mit  Erhaltung  der  Form. 

Von  diesen  21  Fällen  wurden  4  schon  bei  den  Verletzungen 
des  Schädels  erwähnt.  In  einem  —  Fall  30  —  bestand  neben  dem 
Einbrüche  der  äusseren  Tafel  des  Stirnbeines  Fractur  der  Pars 
orbitalis;  der  Bulbus  atrophirte    In  den  anderen  3  Fällen  handelte 


110 


es  Bich  um  Schussfracturen  des  Schläfenbeines.  Die  mit  ihr 
verknüpfte  Commotion  der  Augenhöhle  und  des  Auges 
hatte  1  Mal  eine  nicht  näher  detinirte  „Zerstörung  des  linken  Auges" 
zur  Folge  (F.  34),  2  Mal  Erblindung  des  formell  erhaltenen  Aug- 
apfels (F.  6  und  35).  Nur  von  einer  dieser  Amaurosen  ist  der 
Grund  ophthalmoscopisch  festgestellt,  nämlich  Atrophie  der  Netz- 
und  Aderhaut  in  Folge  von  B lutextr avasat  (F.  35). 

Das  Extrem  einer  solchen  Commotion  der  Augen  von  dem 
Schädelknochen  her  sahen  wir  in  dem  tödtlich  verlaufenen  Falle  8. 
Die  Kugel  hatte  den  Kopf  im  Querdurchmesser  von  einer  Schläfen- 
gegend zur  anderen  durchbohrt.  Beide  Bulbi  waren  geplatzt 
und  aufgetrieben,  die  Augenlider  durch  Blutextravasat  geschwellt. 
Die  Section,  wäre  sie  gemacht  worden,  würde  ohne  Zweifel  auch 
den  Grund  der  Augenhöhle  mit  Blut  gefüllt  ergeben  haben. 

E rschütterungs  -  Amaurosen  und  Amblyopien  ohne 
jede  Gewebsläsion  im  optischen  Apparate  giebt  es  wol 
überhaupt  nicht.  Der  directe  Nachweis  der  feineren  Apoplexien 
des  Sehnerven  wird  sich  allerdings  auf  die  innerhalb  des  Bulbus 
vorkommenden  beschränken.  Aber  auch  damit  ist  practisch  schon 
viel  gewonnen.  Der  Augenspiegel  führt  in  solchen  Fällen  frühzeitig 
zu  einer  Therapie,  welche  die  Folgen  der  Läsion  möglichst  zu  be- 
schränken geeignet  ist.  Wo  letztere  Schädel  Verletzungen  begleitet, 
welche  an  sich  ein  aufmerksames  antiphlogistisch  -  delatorisches 
Verfahren  erheischen,  wird  freilich  die  Störung  im  Sehapparate  ohne 
Weiteres  mit  ausgeglichen. 

Früher  wurde  den  Verletzungen  der  Supraorbitalgegend 
eine  besonders  üble  Rückwirkung  auf  das  Sehorgan  zugeschrieben. 
Dieser  Vorzug  beschränkt  sich  jedoch  auf  die  Folgen,  welche  sich 
an  die  Mitläsion  des  Nervus  supraorbitalis  knüpfen.  In  dem  früher 
erwähnten  Falle  29  war  dieser  Nerv  gequetscht  oder  vielleicht  theil- 
weis  getrennt.  Das  bewies  die  Anaesthesia  dolorosa  der  ent- 
sprechenden Stirnhälfte. 

Aber  hiervon  abgesehen,  hat  diese  Gegend  in  Betreff  der  Coin- 
niotionswirkung  auf  das  Sehorgan  nichts  Specitisches,  sondern  nur 
die  grössere  Häufigkeit  vor  den  anderen  voraus.  Von  den  folgenden 
beiden  Fällen  giebt  der  erste  ein  Beispiel  der  Augen -Commotion 
von  der  Supraorbitalgegend  aus  ohne  Betheiligung  des  N.  supra- 
orbitalis, der  andere  eins  von  der  Infraorbitalgegend. 

Pal]  49.    Schuss-Splitterbruch  des  oberen  äusseren  Auge  n  hü  h- 
lenraudes.     Gehirnerschütterung.     Schwachsichtigkeit  und 


III 


Schwerhörigkeit.  Sergeant  K.  König  von  der  2.  12pfdgn.  Batterie 
3.  Art.-Brig.  wurde  am  18.  April  verwundet  und  im  Lazareth  zu  Rinkenis 
(Sect.  Weise  3.  schw.  F.-L.  3  A.-C.)  aufgenommen.  Die  Weichtheilwunde 
erstreckte  sich  vom  äusseren  Ende  des  oberen  Augenhöhlenrandes  2"  weit 
nach  dem  linken  Ohre.  Die  Kugel  wurde  auf  dem  Schlachtfelde  ausgezo- 
gen. Es  sind  drei  bewegliche  Knochenstücke  fühlbar,  zwei  kleinere  vom 
oberen  Rande  der  Augenhöhle  und  ein  grösseres  —  der  abgetrennte  Proc. 
zygomaticus  des  Stirnbeines.  Das  obere  Augenlid  ecchymotisch  geschwol- 
len, die  Bindehaut  des  nicht  verwundeten  Bulbus  ecchymotisch,  die  Pupille 
erweitert,  die  Sehkraft  des  Auges  fast  aufgehoben.  Heftiger  Kopfschmerz, 
wiederholtes  Erbrechen.  Aderlass  und  Eisblase.  Am  19.  April  wurde  we- 
gen sehr  starker  Spannung  und  Schwellung  die  vordere  Wand  des  Schuss- 
kanals gespalten.  15  Blutegel;  Abführung  mit  Sennaaufguss.  Unter  fort- 
gesetzter Anwendung  der  Eisblase  nehmen  die  Erscheinungen  ab.  Die 
Pupille  wird  normal,  die  Sehkraft  hebt  sich.  Im  weiteren  Verlaufe  werden 
bei  guter  Eiterung  wiederholt  kleine  Knochenstücke  entfernt,  am  1.  Juni 
ein  zolllanges,  welches  dem  Margo  supraorbitalis  angehört.  Der  Proc.  zy- 
gamaticus  ist  dagegen  wieder  fest  geworden.  Bis  zu  diesem  Zeitpuukte 
waren  periodisch  Anfälle  heftigen  Kopfschmerzes  eingetreten,  welche  mit 
Blutegeln  und  Eisblase  bekämpft  wurden.  Als  K.  am  7.  Juni  nach  Glücks- 
burg verlegt  wurde,  war  die  Wunde  grossentheils  vernarbt.  Auch  hier 
kehrten  noch  heftige  Anfälle  der  erwähnten  Art  wieder  und  wurden  mit 
denselben  Mitteln  bekämpft.  Obwohl  die  mittelst  des  Augenspiegels  con- 
statirte,  durch  Bluterguss  bedingte  Netzhautablösung  allmählig  kleiner 
wurde  (St.-A.  Becker  und  A.-A.  Baum),  so  bestand  doch  bei  der  im 
September  erfolgten  Entlassung  eine  Beschränkung  des  Sehfeldes  nach  un- 
ten, ungefähr  dem  horizontalen  Durchmesser  des  Bulbus  entsprechend,  fort. 
Zugleich  war  bei  Verengerung  des  äusseren  Gehörganges  die  Hörfähigkeit 
des  linken  Ohres  beschränkt,  acustische  Lähmung  jedoch  nicht  vorhanden. 
Fall  50.  Gewehrschuss  durch  Oberkiefer  und  Jochbein.  Splitte- 
rung des  unteren  Orbitalrandes.  Amblyopie.  Musketier  W.  Ba- 
delt vom  24.  Inf.-Reg.  wurde  am  29.  Juni  verwundet  nnd  in  Oster-Satrup 
(Sect.  Lücke,  1.  schw.  F.-L.  3.  A.-C)  aufgenommen.  Die  Kugel  war  in 
die  Fossa  canina  des  linken  Oberkiefers  eingetreten  und  durch  den  Körper 
des  Jochbeines  wieder  hinaus.  Der  knöcherne  untere  Orbitalrand  war  zer- 
trümmert, und  es  wurden  gleich  einige  Knochensplitter  entfernt.  Das  un- 
tere Augenlid  war  völlig  erhalten.  Das  linke  Auge,  äusserlich  ganz  nor- 
mal, hatte  nur  schwache  quantitative  Lichtempfindung.  Der  Augenspiegel 
ergab  eine  bedeutende,  fleckige  und  diffuse  Trübung  des  Glas- 
körpers; es  gelang  nicht  den  Augenhiutergrund  zu  erblicken.  Die  Wund- 
heilung verlief  unter  zeitweiser  Abstossung  von  Splittern  regelmässig,  aber 
langsam.  Noch  im  October  brachen  die  Narben  wieder  auf,  um  sich  nach 
Entfernung  der  letzten  Splitter  im  November  definitiv  zu  schliessen.  Da- 
gegen wurde  der  Verlauf  dieses  Falles  durch  eine  rechtsseitige  Nephritis 
gestört,  welche  Ende  Juli  eintrat  und  von  ziemlich  heftigen  Erscheinungen, 
Blutharnen,  Nierenschmerzen,  verlangsamtem  Puls,  Delirien  begleitet  war. 
Gegen  Mitte  August  war  der  Urin  normal  geworden ,  doch  kehrten  Abends 
Hallucinationen  wieder,  und  oberhalb  des  rechten  Poupartschen-Bandes  ver- 


112 


blieb  ein  hartnäckiger  Schmerz  ohne  objectiv  nachweislichen  Grund.  Da- 
neben Obstruction.  Es  wird  am  20.  August  Calomel  verordnet.  Das 
linke  Auge,  welches  lange  geschlossen  wurde,  Hess  zwar  bei  der  Mitte  Juli 
erneuten  Untersuchung  äusserlich  nichts  Abnormes  wahrnehmen,  aber  die 
Pupille  war  träge  uud  die  quantitative  Lichtempfindung  war  schwach.  Auch 
zur  Zeit  der  Evacuiruug  des  Pat.  nach  Apenrade  —  25.  August  —  wird 
das  Sehvermögen  im  Journal  als  „fast  Null"  bezeichnet. 

In  Apenrade  hatte  ß.  zunächst  einen  sehr  hochgradigen  Spei- 
che Ifluss  zu  überstehen,  welcher  erst  Mitte  September  ganz  aufhörte. 
Eine  Verbesserung  der  Sehkraft  wurde  auch  dort  noch  nicht  gefunden. 
Dennoch  ist  eine  solche  später  erfolgt.  Pat.  blieb  im  Lazarethe  zu  Span- 
dau, wohin  er  am  2G.  September  evacuirt  wurde,  bis  zu  seiner  Invalidisirung 
am  16.  Januar  18B5.  Grössere  Gegenstände  vermochte  B.  derzeit  zu  er- 
kennen, kleinere  nur  unvollkommen.  Angestrengterer  Gebrauch  des  Auges 
ruft  Thränen  desselben  hervor  Das  Resultat  einer  ophthalmoscopischen 
Untersuchung  zu  dieser  Zeit  liegt  leider  nicht  vor. 

[ch  habe  diesen  Fall  etwas  ausführlicher  mitgetheilt,  weil  das 
Referat  von  Lücke  (1.  c.  S.  79),  welcher  denselben  in  Oster-Satrup 
behandelte,  mit  der  Evacuation  nach  Apenrade  abschliesst  und  dess- 
halb  die  Quecksilber- Wirkung  —  Speichelfluss  und  spätere 
nicht  unerhebliche  Besserung  der  Amblyopie  —  unerwähnt  lässt 
Lücke  hat  auch  der  schon  in  Oster-Satrup  erfolgten  Verabreichung 
des  Calomel  nicht  gedacht,  und  daraus  folgt  wol,  dass  kein  ab- 
sichtlicher Versuch  einer  Einwirkung  auf  die  Amblyopie  vorliegt, 
üm  so  beachtenswerter  dürfte  die  dennoch  erfolgte  sein. 

Geht  die  Commotion  des  Augapfels  von  seiner  Umgebung  aus, 
so  mnss  wenigstens  eine  Knochencontusion  stattgehabt  haben,  wenn 
auch  sinnfällig  nur  eine  Verletzung  der  Wei.chtheile  vorliegt.  Ist 
letztere  der  Art,  dass  eine  Knochencontusion  nicht  annehmbar  er- 
scheint, und  treten  dennoch  bedeutendere  Folgen  am  Augapfel  ein, 
so  handelt  es  sich  wol  um  eine  unentdeckt  gebliebene  directe 
M  i  t  Verletzung  des  Bulbus  selbst.  Nur  so  ist  der  Verlauf  des 
folgenden  Falles  erklärlich: 

Kall  51.  Streifuug  der  Gesichtshaut  durch  Granatsplitter. 
Erblindung  des  linken  Auges.  Der  dän.  Soldat  Jachimseu  vom 
11.  Inf. -Reg.  wurde  am  18.  April  von  Granatsplittern  getroffen,  welche 
links  seitlich  vom  Auge  und  in  der  rechten  Wangengegend  oberflächliche 
Hautwunden  machten.  Bereits  Anfangs  Mai  verheilten  sie  unter  Schorf- 
bildung. Dagegen  ist  das  Sehvermögen  des  linken  Auges  fast  ganz  auf- 
gehoben. Die  Bindehaut  ist  stark  injicirt,  die  Iris  nach  innen  und  unten 
abgelost.  Trotz  wiederholter  Application  von  Blutegeln  und  Eis,  trotz 
Atropin  -  Einträufelungen  und  Einreibung  von  Ung  mercuriale  in  der  Um- 
gegend, erfolgt  Verschluss  der  verzogeneu  Pupille  durch  Exsudat. 


113 


Wahrscheinlich  hatte  in' diesem  Falle  gleichzeitig  ein  kleiner, 
sofort  wieder  herausgefallener  Granatsplitter  oder  ein  Steinchen  den 
Augapfel  selbst  contundirt.  Verletzungen  der  Art  kamen  gar 
nicht  selten  vor,  ohne  jedoch  stets  so  schlimme  Folgen  zu  hinter- 
lassen. Durch  in  der  Nähe  crepirende  Sprenggeschosse  wurden 
theils  ganz  feine  Splitter,  theils  Partikel  des  aufgewühlten  Bodens 
in  die  Augen  geschleudert.  Den  oberflächlichen  Verletzungen  der 
Bindehaut  und  Hornhaut,  welche  dadurch  entstanden,  folgte  mehr 
oder  minder  heftige  Entzündung  dieser  Häute  und  schliesslich 
grössere  oder  geringere  Störung  der  Sehfähigkeit  durch  narbige  oder 
exsudative  Trübung  der  Hornhaut,  War  die  Hornhaut  nicht  mit 
verletzt,  so  blieb  die  Sehfähigkeit  ungestört.  Bei  dem  Füsilier 
K.  Pries  vom  64.  Inf.-Reg.  wurde  der  nämliche  Process  und  Aus- 
gang dadurch  hervorgerufen,  dass  am  29.  Juni  feine  Splitter  einer 
an  dem  Laufe  seines  Gewehres  zerschellten  Bleikugel  in  das  linke 
Auge  flogen. 

In  die  Categorie  der  directen  Verletzungen  des  Aug- 
apfels gehört  auch  der  Fall,  welchen  Lücke  (1.  c.  S.  80)  als 

Fall  52.   Streifschuss  gegen  die  äussere  Orbitalwand;  Atrophio 
des  Bulbus.    Grenadier  Carl  Krüger  vom  4.  Garde-Regiment  z.  F. 

mit  dem  Bemerken  erwähnt  hat,  dass  er  über  die  Art,  wie  das 
Auge  zu  Grunde  ging,  nichts  angeben  könne,  weil  Mitte  Mai,  als 
der  Fall  in  seine  Behandlung  gelangte,  der  Bulbus  schon  atrophirt 
war  bei  völliger  Intactheit  der  Orbita  und  der  Augenlider.  Krüger 
wurde  nämlich  am  18.  April  verwundet  und  zuerst  in  Ulderup  (1. 
F.-L.  5.  Div.)  gepflegt.  Ein  Granatsplitter  hatte  ein  umfängliches 
Stück  der  Gesichtshaut  nahe  dem  rechten  Auge  weggerissen;  ein 
anderer  hatte  den  Augapfel  selbst  getroffen,  die  Cornea  perforirt 
und  Vorfall  der  Linse  bewirkt.  Das  künstliche  Auge,  welches  K. 
später  in  Berlin  erhielt,  wurde  mittelst  des  verbliebenen  Bulbus- 
Rudimentes  sehr  gut  bewegt. 

In  der  nämlichen  Art  verlor  der  am  29.  Juni  vermeintlich  durch 
einen  Kolbenschlag  verwundete  dän.  Soldat  F.  Olsen  vom  3.  Inf.- 
Reg.  sein  linkes  Auge.  Dass  es  sich  nicht  um  blosse  Commotion 
oder  Contusion  handele,  wurde  jedem  Zweifel  entrückt,  als  es  am 
6.  Juli  gelang,  aus  der  Hornhautwunde  ein  Geschossstück  zu  ent- 
fernen. 

Wenn  Kugeln  oder  grössere  Projectilstücke  die  Augen  strei- 
fen, so  werden  die  Augenlider  mehr  oder  weniger  zerrissen  und 

Loeffler,  Generalbericht.  8 


114 


der  Augapfel  geht  in  Folge  der  erlittenen  Quetschung  zu  Grunde. 
So  verlor  der  dän.  Soldat  Hans  Petersen  vom  20.  Inf.-Reg.  sein 
linkes  Auge  fain  18.  April  verwundet,  am  11.  Juli  heimgesandt), 
der  Untercorporal  Jens  Fr  Oberg  vom  9.  dän.  Reg.  das  rechte 
Auge  (am  18  April  verwundet,  am  12.  August  heimgesandt). 

Die  gerade  von  vorn  treffenden  Kugeln  dringen  fast  immer 
tiefer  und  in  die  Schädelhöhle.  Im  Feldzuge  von  1864  ist  wenigstens 
kein  Fall  von  Liegenbleiben  der  Kugel  im  Grunde  der  Orbita  vor- 
gekommen. 

Viel  häutiger  als  isolirte  Quetschungen  des  Bulbus 
durch  Streifschuss  sind  die  mit  Schussfracturen  der  Or- 
bita verknüpften  Verwundungen  des  Auges.  Unter  den 
30  Fällen  der  Gruppe  B.  unserer  Tabelle  sind  12  der  Art.  Nur  3 
davon  kommen  auf  den  preussischen  Antheil,  9  auf  den  dänischen, 
und  in  dem  letzteren  gingen  3  Mal  beide  Augen  verloren,  während 
in  allen  übrigen  Fällen  ein  Auge  erhalten  blieb. 

Nur  2  von  diesen  Verletzungen  verliefen  unter  bedenklichen 
auf  einer  Betheiligung  des  Gehirnes  beruhenden  Erscheinun- 
gen. Eine  derselben  ist  die  einzige,  welche  durch  Sprengstücke 
entstand. 

Fall  53.  1.  Zertrümmerung  des  Jochbeines,  Zerreissung  des 
Bulbus  und  unteren  Augenlides  der  linken  Seite  und  Spaltung 
der  Unterlippe  durch  Granatsplitter  mit  Einlagerung  solcher 
am  Unterkiefer  rechter  Seits  Musketier  C.  Acksel  vom  64.  Inf.- 
Reg.  wurd»*  am  16.  März  verwundet  und  in  Broacker  (1.  F. -L.  der  Cav- 
Div.)  aufgenommen  Die  Granatsplitter  trafen  ihn  von  der  linken  Seite 
her  Der  eine  schlug  von  der  Schläfengegend  her  durch  das  Jochbein,  den 
Augapfel  und  das  untere  Augenlid,  welches  mit  Substanzverlust  zerrissen 
wurde.  Ausserdem  ist  die  Unterlippe  in  der  Mitte  senkrecht  einen  Zoll 
weit  und  bis  auf  die  Schleimhaut  gespalten.  Drei  Schneidezähne  des  Un- 
terkiefers sind  dabei  verloren  gegangen.  Anfangs  scheinen  Kopfsymptome 
gefehlt  zu  haben.  Schon  am  18.  März,  wurde  der  Verw  fieberhaft  unruhig, 
vom  19.  ab  aber  verlangsamte  sich  der  Puls  unter  steigender  Benommen- 
heit des  Kopfes  allmählig  bis  zu  41  Schlägen  in  der  Nacht  vom  20.  zum 
21  März.  Ausser  der  Eisblase  wurde  Calomel  gereicht.  Erst  am  25  März 
erreichte  der  Puls  wieder  die  normale  Frequenz  bei  völlig  freiem  Senso- 
rium.  Unter  mit  verdünnter  Arnica-Tinctur  getränkten  Compressen  und 
eiskalten  Ueberschlägen  war  die  bedeutende  Schwellung  der  Augenlider 
inzwischen  so  gemindert,  dass  eine  Besichtigung  des  Augapfels  möglich 
wurde.  Man  fand  ihn  seines  Inhalts  beraubt  völlig  collabirt.  Am  26  März 
wurde  A.  nach  Flensburg  ver'egt.  Weitere  Hirnsymptome  stellten  sich 
nicht  ein,   wol  aber  Ausfluss  aus  dem  linken  Ohre.    Die  Lippenwunde 


115 


war  theilweis  geschlossen  An  der  rechten  Seite  ist  zwischen  Wange  und 
Unterkiefer  ein  fremder  Körper  fühlbar.  Mittelst  Incision  der  Schleimhaut 
werden  drei  Eisenstücke,  darunter  eins  von  der  Grösse  eines  Zweigroschen- 
stückes, extrahirt  Ein  Erysipel,  welches  am  5.  April  vom  rechten  Ohre 
aus  beginnt,  läuft  in  4  Tagen  ab.  Am  12.  April  werden  mehre  gelöste 
Stücke  des  zertrümmerten  Jochbeins  und  mit  ihnen  ein  schmaler  Bleistrei- 
fen (vom  Granat  -  Mantel)  von  \"  Länge  entfernt.  Die  Ausheilung  schritt 
dessenungeachtet  äusserst  langsam  vor.  Besonders  hartnäckig  bestand  eine 
ödematöse  Schwellung  des  ectropirten  unteren  Augenlides.  Im  Lazarethe 
zu  Berliu,  wohin  A.  am  19.  Juli  gelangte,  konnte  desshalb  erst  Ende  Januar 
1865  eine  Operation  des  Ectropium  versucht  werden.  Wegen  des  theil- 
weisen  Verlustes  des  Knorpels  war  der  Erfolg  nicht  bedeutend.  Um  so 
besser  wirkte  die  Wiederholung  der  Operation  im  März  (O.-St.-A.  Wendt), 
so  dass  A.  am  5.  Mai  1865  mit  einem  künstlichen  Auge  entlassen  werden 
konnte. 

Die  Combination  mit  Erscheinungen  de?  Gehirndruckes  hatte 
in  diesem  Falle  ihren  Grund  wahrscheinlich  in  einer  von  der  frac- 
turirten  Orbitalwand  bis  zur  Schädelhöhle  sich  erstreckenden  Fissur. 

Alle  übrigen  Verwundungen  der  fraglichen  Kategorie  geschahen 
durch  Gewehrkugeln.  Der  Typus  dieser  Verletzungen  variirt  einiger- 
massen,  je  nachdem  das  Geschoss,  wie  in  dem  eben  mitgetheilten 
Falie.  durch  die  äussere  Orbitalwand  oder  durch  die  Nasenwurzel 
L"  in  die  Augenhöhle  dringt.  Der  letztere  Typus  ist  der  seltenere:  er 
fand  sich  unter  unseren  12  Fällen  nur  3  Mal. 

Fall  54.  2)  Schuss  durch  die  Nasenwurzel.  Zertrümmerung 
der  Nasen-  und  Thränen -Beine  Verlust  des  rechten  Auges. 
Heilung.  Füsilier  H.  Lechtken  vom  55.  Inf. -Reg.  wurde  am  29.  Juni 
verwundet.  Die  Kugel  schlug  am  inneren  Winkel  des  linken  Auges  ein, 
zertrümmerte  beider  Seits  die  Thränenbeine  und  Nasenknochen,  zerriss  den 
rechten  Augapfel  und  trat  durch  die  Lidspalte  dieser  Seite  wieder  hinaus. 
Das  linke  Auge  unverletzt.  Unter  Eisumschlägen  mindert  sich  die  schmerz- 
hafte Schwellung  der  Nasenwurzel  sehr  bald,  das  Allgemeinbefinden  wurde 
gar  nicht  gestört.  Schon  am  7.  Juli  konnte  die  Evacuation  von  ßroacker 
nach  Flensburg  erfolgen.  Abnahme  der  Sehkraft,  Flimmern  und  Funken- 
sehen liesseu  hier  eine  Zeit  lang  auch  für  das  nur  erschütterte  linke  Auge 
fürchten.  Es  blieb  indes»  sehkräftig.  Im  Hospital  zu  Münster,  wohin  L. 
am  25.  August  gelangte,  wurde  das  durch  Narbenzusammenziehung  ent- 
standene Ectropium  des  linken  unteren  Augenlides  von  Herrn  Medicinal- 
rath  Dr.  Riefenstahl  mit  Erfolg  operirt,  und  das  verlorene  rechte  Auge 
durch  ein  künstliches  ersetzt- 

Denselben  Lauf  nahm  die  Kugel,  nur  in  umgekehrter  Richtung, 
in  folgendem  Falle. 
Fall  55.    3)  Schuss  durch  die  Nasenwurzel.    Zertrümmerung  der 
Naseuknochen.    Verlust  des  linken  Auges.    Heilung.  Musketier 
Christian  Schaekel  vom  55.  Inf.-Reg.  wurde  am  17.  März  bei  Rackebüll 

8* 


116 


verwundet.  Die  Kugel  schlug  am  inneren  Winkel  des  rechten  Auges  ein, 
zertrümmerte  subcutan  die  Nasenknocheu  und  trat  unter  Zerstörung  des 
Augapfels  an  der  linken  Seite  aus.  Auch  hier  blieb  die  allgemeine  Re- 
aetion  ganz  aus.  Die  massige  Bindehautentzündung  des  rechten  Auges 
schwand  unter  Verschluss  desselben.  Als  S.  im  October  vom  Lazareth  zu 
Frankfurt  a.  0.  entlassen  wurde,  war  die  Nasenwurzel  zwar  wenig  verun- 
staltet, aber  das  rechte*  Nasenbein  noch  nicht  ganz  fest  und  gegen  Druck 
noch  empfindlich. 

Je  näher  der  Augenaxe  die  Kugel  bei  diesem  Verletzungstypus 
einsetzt,  desto  mehr  droht  der  Verlust  beider  Augen. 

Fall  56.  4)  Schuss  durch  die  Nasenwurzel.  Verlust  beider  Au- 
gen. Beilung.  Hans  Nielsen,  Gemeiner  vom  dän.  Kanonenboot  Nr.  18. 
wurde  bei  einem  Landuugsversuche  am  29.  März  bei  Warnitz  verwundet. 
Das  Langblei  trat  links  unter  Zerstörung  des  Augapfels  ein,  durchbohrte 
unter  Zertrümmerung  der  Nasenknochen  die  Wurzel  der  Nase  und  streifte 
beim  Heraustreten  den  rechten'  Augapfel.  Das  Allgemeinbefinden  wurde 
im  Verlaufe  nicht  gestört.  Die  örtliche  Reaction  war  rechts  lebhaft.  Die 
-tarke  und  sehr  schmerzhafte  Wulstung  des  gequetschten  Auges  machte 
eine  Incision  nöthig.  Als  Pat.  am  16.  Juni  von  Apenrade  heimgesandt 
wurde,  war  die  Vernarbung  nahezu  vollendet. 

In  den  übrigen  8  Fällen  schlug  das  Gesehoss  durch  die  äussere 
Wand  einer  der  beiden  Augenhöhlen.  Mehr  oder  weniger  ausge- 
dehnte Zertrümmerung  des  Jochbeines  der  betreffenden  Seite 
war  also  die  consrante  Knochenläsion.  Von  dem  Aufschlagswinkel 
hängt  es  ab,  welche  Ausdehnung  die  Verletzung  erreicht.  Ist  der- 
selbe stumpf,  so  wird  nur  das  Auge  dieser  Seite  mitverletzt  (4  Fälle); 
je  mehr  er  sich  dem  rechten  nähert,  desto  weiter  dringt  das  Ge- 
sehoss auch  durch  die  Nasenwurzel  (2  Fälle)  oder  durch  Nasen- 
wurzel und  zweites  Auge  (1  Fall).  Bei  rechtwinkligem  Einschlag 
endlich  dringt  das  Gesehoss  quer  durch  beide  Augenhöhlen,  beide 
Jochbeine  und  die  Nasenwurzel  durchschlagend  (1  Fall).  Der  An- 
blick dieser  Verletzungen  wird  um  so  ergreifender,  je  mehr  die 
Augenlider  dabei  mitzerrissen  sind.  Zur  ersten  dieser  Gruppen 
gehörten : 

Fall  57.  5)  Gemeiner  Peter  Jensen  vom  20.  dän.  Inf.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet,  mit  Verlust  des  linken  Auges  am  2G.  Juli  geheilt  aus  Flens- 
burg entlassen. 

Kall  68.  0)  Gemeiner  Jene  Petersen  vom  20.  dän.  Inf.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet  und  mit  Verlust  des  linken  Auges  fast  geheilt  von  Flensburg 
aus  am  12.  August  heimgesandt  Eine  am  28  Juni  behufs  Restauration 
<ies  zerrissenen  unteren  Augenlides  versuchte  plastische  Operation  blieb 
erfolglos,  weil  sich  nach  derselben  noch  ein  nekrotisches  Stück  des  un- 
teren Augenhöhlenrandes  ablöste. 


117 


Fall  59.  7)  Gemeiner  Sören  Sörensen  vom  20.  dän.  Inf. -Reg  ,  am  18. 
April  verwandet  und  mit  Verlust  des  rechten  Auges  am  24.  Juni  von  Flens- 
burg aus  geheilt  entlassen. 

Fall  60.  8)  Gemeiner  Lorenz  Christiansen  vom  18.  dän.  Inf. -Reg.,  am 
29.  Juni  verwundet  und  mit  Verlust  des  rechten  Auges  von  Glücksburg 
am  26.  August  geheilt  entlassen. 

In  keinem  dieser  Fälle  ist  der  Verlaul  durch  besondere  Zufälle 
gestört  worden.  In  den  folgenden  beiden  wurde  die  Nasenwurzel 
mitzertrümmert. 

Fall  61  9)  Gemeiner  Jens  Petersen  vom  2.  dän.  Inf.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet.  Die  Kugel  drang  am  rechten  Jochbogen  ein,  zerschmetterte 
ihn  und  durchbohrte  dann  das  rechte  Auge,  das  Thränenbein,  die  Nasen- 
scheidewand und  trat  durch  das  linke  Nasenbein  aus.  Rasche  Atrophie 
des  Bulbus,  lang  dauernde  Geschwulst  des  ectropirten  oberen  Augenlides 
und  reichliche  Eiterung  folgten,  aber  keine  fieberhafte  Reaction.  Vom 
Jochbein,  oberen  Orbitalrande,  vom  Nasenfortsatze  des  Stirnbeins  und  von 
der  Nasenscheidewand  lösten  sich  Splitter  und  wurden  nebst  Bleistück- 
chen zum  Theil  mittelst  besonderer  Incisionen  entfernt  (Baurup;  Apenrade). 
Nach  vollendeter  Ausheilung  erfolgte  die  Auslieferung  von  Rendsburg  aus 
am  26.  August. 

Noch  bedeutender  und  theils  wegen  der  damit  verknüpften,  von 
Seiten  des  Gehirnes  drohenden  Gefahr,  theils  wegen  der  Combina- 
tion  mit  3  anderen  Schussverletzungen  von  besonderem  Interesse 
war  die  folgende  Verwundung. 

Fall  62.  10)  Schuss  durch  die  rechte  Augenhöhle  mit  Zertrüm- 
merung des  Siebbeines  und  Jochbeines  und  des  Augapfels. 
Meningitis.  Heilung.  Gemeiner  Christian  Andersen  vom  4.  dän. 
Inf.-Reg.  wurde  am  29  Juni  verwundet  und  in  Oster-Satrup  (Sect.  Lücke 
des  1.  schw.  F.-L.  3.  A-C)  aufgenommen.  Er  hatte  4  Schüsse  zugleich 
erhalten:  einen  Streifschuss  an  der  rechten  Schulter,  einen  anderen  am 
rechten  Oberschenkel,  einen  Haarseilschuss  an  der  Aussenseite  des  rech- 
ten Knies  und  den  Schuss  durch  das  rechte  Auge.  Die  Kugel  hatte  den 
rechten  Jochbogen  zerschmettert,  das  obere  und  untere  Augenlid  zum 
Theil  weggerissen,  den  Bulbus  vernichtet,  beide  Nasenbeine  und  den  Na- 
senfortsatz des  Stirnbeines  weggerissen  uud  das  Siebbein  zersplittert.  Nach 
Entfernung  der  gelösten  Knochensplitter  lag  die  Dura  mater  frei,  so  dass 
die  Pulsationen  des  Gehirns  deutlich  zu  erblicken  waren. 
Das  Sensorium  war  indess  völlig  frei.  Am  1.  Juli  sehr  frequenter  Puls, 
grosse  Unruhe  des  Kranken,  der  fortwährend  den  Verband  abreisst.  Trotz 
des  vorgenommenen  Aderlasses  Zunahme  der  Unruhe  am  2.  Juli;  Pat. 
wirft  sich  im  Bette  umher,  schleudert  den  Verband  von  sich.  Puls  voll 
und  frequent.  Aderlass,  Klysma,  Calomel.  Die  Symptome  nehmen  erst 
ab,  dann  aber  wieder  zu;  dritte  Venaesection.  Erst  am  13.  Juli  ist  das  Sen- 
üoriura  wieder  frei  bei  guter  Esslust.    Später  wurde  das  Befinden  nur  noch 


118 


durch  hartnäckigen  Durchfall  gestört.  Unter  reichlicher  Eiterung  und  zeit- 
weiser Abstossung  kleiner  Sequester  füllt  sich  der  grosse  Defect  an  Nase 
und  Auge  allmählig  mit  Granulationen.  Die  übrigen  Wunden  heilen  sehr 
langsam.  Auch  von  dem  Kopfe  des  Wadenbeines  exfoliirten  sich  nekro- 
tische Stücke.  Am  28.  August  konnte  Pat.  nach  Apenrade  evacuirt  und 
von  hier  mit  fast  vernarbten  Wunden  und  ungestörtem  Allgemeinbefinden 
am  17.  September  in  seine  Heimath  entlasssen  werden. 

In  folgenden  beiden  Fällen  wurden  beide  Augen  verwundet 

und  vernichtet: 

Fall  H3.  11)  Corporal  Jörgen  Jürgensen  vom  18.  dän.  Tnf.-Reg.,  erhielt 
am  29.  Juni  einen  Schuss  durch  beide  Augen  und  wurde  in  ßroacker  auf- 
genommen. Die  Kugel,  von  der  rechten  Schläfengegend  durch  die  äussere 
Orbitalwand  dringend,  zerquetschte  den  rechten  Bulbus,  durchbohrte  dann 
das  Siebbein  und  trat  unter  Zerreissung  des  linken  Bulbus  durch  die  Lid- 
spalte dieser  Seite  aus.  An  den  Augeulidern  war  nur  die  Bindehaut  theil- 
weis  abgerissen.  Eine  fieberhafte  Reaction  trat  nicht  ein.  Die  Geschwulst 
der  Augenlider  war  zwar  sehr  bedeutend,  aber  die  Schmerzhaftigkeit  un- 
ter den  Eisaufschlägen  auffallend  gering.  Schon  am  7.  Juli  konnte  Pat. 
nach  Flensburg  evacuirt  und  am  9.  August  von  hier  geheilt  und  mit  wohl- 
erhaltenen Augenlidern  heimgesandt  werden. 

Den  furchtbarsten  Anblick  aber  bot  die  letzte  dieser  traurigen 
Verstümmelungen : 

Fall  G4.  12.  Schuss  quer  durch  beide  Augen.  Zerstörung  beider 
Augäpfel  Zertrümmerung  beider  Jochbeine.  Durchbohrung 
der  Nasenwurzel.  Zerreissung  der  Augenli  der.  Heilung.  Der 
dän.  Soldat  Soeren  Ereksen  vom  8.  Inf.  -  Reg.  wurde  am  29.  Juni  im 
Gefecht  bei  Kjaer  auf  Alsen  von  einer  Kugel  getroffen,  welche  von  der 
rechten  Seite  den  äusseren  Rand  der  Augenhöhle  zertrümmerte,  die  Augen- 
lider und  den  Bulbus  zerriss,  die  Nasenwurzel  durchbohrte  und  nun  in 
umgekehrter  Folge  die  linke  Augenhöhle,  an  deren  äusseren  Wand  durch- 
schlagend, ebenso  zurichtete.  Die  Augenlider  hingen  in  grossen  Fetzen 
herunter:  zahlreiche  Knochenstückchen  füllten  die  Augenhöhlen,  von  denen 
nur  noch  die  linke  ein  Rudiment  des  Augapfels  enthielt.  Die  Nase  er- 
schien plattgedrückt:  die  Oberkiefer  gegen  den  Schädel  beweglich.  Den- 
noch wurden  weder  auf  dem  Verbandplätze  noch  bei  der  Aufnahrae  in 
Sandberg  (1.  F.  -  L.  5.  Div )  Zeichen  von  Hirnerschütteruug  bemerkt.  Das 
Beneorinm  war  völlig  frei.  Die  losen  Knochensplitter  wurden  entfernt,  die 
Augenlidfetzen  nicht  geheftet,  sondern  nur  durch  einen  weichen  Charpie- 
Verband  leicht  angedrückt. 

Auch  im  weiteren  Verlaufe  traten  keinerlei  Hirnsymptome  ein.  Selbst 
die  Fieberung  blieb  sehr  gering.  Ebenso  überraschend  war  der  Wundver- 
lauf. Die  sämratlichen  Wunden  der  Augenlider  heilten  per 
primam  inten tionem.  Zahlreiche  Knochensplitter  stiessen  sich  nach 
den  Augenhöhlen  zu  los.  während  eines  die  Haut  der  Nasenwurzel  durch- 
bohrte und  hier  ausgezogen  wurde.    Vom  12.  Juli  ab  hinderte  ein  Trismus 


119 


spurius,  durch  Schwellung  der  Kiefergelenke  bedingt,  nur  mehrere  Tage  das 
Oeffnen  des  Mundes.  Anfangs  August  war  die  Consolidation  der  Knochen 
schon  so  weit  vorgeschritten,  dass  die  Oberkiefer  nicht  mehr  gegen  den 
Schädel  bewegt  werden  konnten.  Der  Unglückliche,  welcher  an  der  Hoffnung 
auf  Wiederkehr  des  Augenlichtes  festhielt  ,  wurde  am  26.  August  nach 
Apenrade  evacuirt  und  von  hier  am  17.  September  in  seine  Heimath  ent- 
lassen. 


Die  Schussverletzungen  der  Kiefer 

bilden  nach  unserer  Tabelle  ca.  33  pCt.  der  Gesichtsverietzungen. 
Ein  erheblich  höherer  Satz  würde  sich  ergeben,  wenn  man  den  An- 
theil  mitberechnete,  welchen  namentlich  die  Oberkiefer  an  den  so 
eben  besprochenen  Verwundungen  hatten.  Es  leuchtet  von  seibst 
ein  und  ist  desshalb  nicht  immer  ausdrücklich  betont,  dass  die 
meisten  jener  Schussfracturen  der  Orbita  den  Processus  zygomaticus 
oder  nasalis  der  Oberkiefer  oder  beide  nicht  unberührt  Hessen. 
Eine  minutiöse,  jedoch  practisch  werthlose  Berechnung  des  An- 
theiles  der  einzelnen  Stücke  des  Antlitzskelettes  würde  wol  auch 
die  Differenz  beseitigen,  welche  scheinbar  zwischen  den  Ergebnissen 
unseres  und  des  italienischen  Krieges  von  1859  besteht,  wenn 
Demme  die  Schussfracturen  des  Oberkiefers  als  die  häufigsten  von 
allen  Schussbrüchen  des  Gesichtes  bezeichnet,  während  dieselben 
nach  unserer  Tabelle  gegen  die  des  Unterkiefers  in  der  Minorität 
erscheinen. 

Wichtiger  ist,  dass  die  Schussbrüche  der  Oberkiefer  allein  nicht 
leicht  das  Leben  bedrohen.  In  den  vier  Fällen  von  tödtlich 
verlaufener  Kieferverletzung,  welche  die  Tabelle  nachweist, 
war  der  Unterkiefer  allein  oder  mitverletzt.  Die  Gefahr  knüpft  sich 
indess  auch  da  nicht  an  die  Knochenverletzung  als  solche.  Er- 
stickung und  Blutung  sind  die  Momente,  welche  einzeln  oder 
vereint  bei  den  Kieferschüssen  das  Leben  bedrohen.  Worauf  jene 
beruht  und  von  welchem  Punkte  diese  ausgeht,  wird  selbst  bei  der 
Section  nicht  immer  mit  Sicherheit  ermittelt. 

Fall  05.  1)  Sehuss  durch  Unterkiefer,  Zunge  und  Oberkiefer: 
plötzlicher  Tod  am  3.  Tage.  Gemeiner  Mathias  Philippsen  vom 
22.  dän  Inf. -Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Schuss,  welcher  an  der  einen 
Seite  durch  den  aufsteigenden  Ast  des  Unterkiefers  eindrang,  Zunge  und 
Schlund  verletzte  und  durch  den  Oberkiefer  der  anderen  Seite  austrat. 
Rasch  folgte  eine  enorme  bis  zum  Brustbein  sich  ausdehnende  Schwellung. 
Eisblase  und  Eispillen.    Der  Tod  erfolgte  plötzlich  in  der  Nacht  zum 


I 


120 

81.  April.  Ein  Protokoll  über  die  in  Rinkenis  gemachte  Section  liegt  nicht 
vor.  Es  ist  nur  uotirt,  dass  es  nicht  möglich  gewesen  sei,  die  Todesursache 
zu  ermitteln. 

Fall  GG.  2)  Schussfractur  beider  Unterkieferhälften.  Querwunde 
der  Zunge.  Plötzlicher  Tod  am  3.  Tage.  Christian  Haim  vom 
1.  (län.  Inf.-Reg.  wurde  am  29.  Juni  verwundet.  Die  Kugel  war  quer  über 
beide  Unterkieferwinkel  gegangen.  Die  Zunge  schien  nur  wenig  verletzt. 
Die  massige  Blutung  wurde  durch  in  den  Mund  genommenes  kaltes  Wasser 
bald  gestillt.  Bis  auf  erschwertes  Schlingen  fühlte  sich  H.  nicht  unwohl. 
Am  Morgen  des  1.  Juli  wurde  er  todt  im  Bette  gefunden.  Die  Section  er- 
gab, dass  die  Zungen wurzel  durch  die  Kugel  gespalten  war;  der  obere 
dünne  Lappen  Hess  sich  leicht  nach  hinten  über  den  Kehldeckel  zurück- 
schlagen. Die  Lungen  waren  völlig  frei  von  Blutgerinseln  oder  Jauche. 

Herr  Prof.  Lücke,  welcher  diesen  Fall  im  Lazareth  zu  Oster- 
Satrup  beobachtete,  bemerkt  bei  Erwähnung  desselben  (1.  c.  S.  99), 
dass  die  Erstickung  wol  durch  Zurückrollen  des  oberen  Zungen- 
lappens über  den  Kehldeckel  entstanden  sei  und  vielleicht  zu  verhüten 
gewesen  wäre,  wenn  die  Lageänderung  des  Lappens  mittelst  einer 
Fadenschlinge  verhindert  gewesen  wäre  —  so,  wie  es  bei  der  Re- 
section  des  Mittelstückes  der  Mandibula  mit  der  ganzen  ihres  Haltes 
beraubten  Zunge  geschieht.  Dieser  Rath  ist  sicherlich  beherzigens- 
wert!), wenn  Schussfracturen  des  Unterkiefers  jener  Resection  ähn- 
lich die  Zunge  haltlos  machen.  In  dem  fraglichen  Falle  vermisst 
man  indess,  abgesehen  davon,  dass  der  Zungenlappen  in  der  ge- 
fährlichen Lage  nicht  gefunden  wurde,  die  Bedingungen  jenes  Er- 
stickungsmodus. 

Fall  G7.  3)  Einseitige  Schussfractur  des  Unterkiefers  mit  Ver- 
letzung der  Zunge  und  Zurückbleiben  der  Kugel.  Blutungen. 
Tod  durch  Erstickung  nach  14  Tagen.  J  Rasmussen  vom  7. 
<län.  Inf.-Reg.,  am  17.  März  bei  Düppel  verwundet,  wurde  bis  zum  23.  März 
in  Broacker,  dann  in  Flensburg  gepflegt.  Die  Kugel  hat  die  rechte 
Hälfte  des  Unterkiefers  zertrümmert,  ihr  weiterer  Verlauf  in  der  Mundhöhle 
war  jedoch  nicht  zu  ermitteln.  Die  am  23.  März  erfolgte  Verlegung  lässt 
Bchliessen,  dass  bis  dahin  drohende  Erscheinungen  nicht  eintraten.  Der 
weitere  Verlauf  aber  zeichnet  sich  durch  häufige  und  mitunter  beträcht- 
liche Blutungen  aus,  welche  sich  jedoch  durch  Einspritzungen  von  Eis- 
waeser  Btillen  Heesen.  Eine  bedenkliche  Schwäche  trat  erst  ein,  als  am 
29.  Mär/,  wieder  drei  heftige  Blutungen  erfolgten.  Energische  Anwendung 
der  Kälte  stillte  auch  sie.  Am  1.  April  Morgens  stellte  sich  plötzlich 
grosse  Athemnoth  ein,  welche  sich  schnell  zur  Erstickung  steigerte.  Die 
Sectio  n  ergab  ausser  der  Comminutivfractur  des  Unterkiefers  Zerreissungen 
an  der  rechten  Seite  der  Zunge  und  des  Schlundes.  Quelle  der  Blutungen 
waren  wahrscheinlich  die  zerrissenen  Art.  lingualifl  und  inframaxillaris. 
An  der  hinteren  Seite  des  Schlundes  ausgedehnte  Blutextravasate.  Die 
Kugel  wird  zwischen  Zungenbein  und  Schildknorpel  aufgefunden. 


121 


Die  Kugel  hat  sich  wahrscheinlich  allmählig  bis  zu  dieser  Stelle 
gesenkt  und  da  angekommen  die  plötzliche  Erstickung  bewirkt. 

Fall  68.  4)  Schuss  durch  den  Gelenkfortsatz  des  rechten  Unter- 
kiefers. Zurückbleiben  der 'Kugel.  Blutungen.  Drohende  Er- 
stickung. Extraction  der  Kugel  nach  vorheriger  Unterbindung 
der  Carotis.  Tod  am  6.  Tage.  Unteroffizier  Johannes  Meissner  vom 
Leib-Gren.-Reg.  No.  8.  wurde  am  18.  April  verwundet  und  in  Flensburg 
(2.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Sect.  Fischer)  aufgenommen.  Die  Kugel  war 
durch  den  Gelenkfortsatz  des  rechten  Unterkiefers  eingedrungen.  Der  un- 
tersuchende Finger  gelangt  in  eine  grosse,  der  Flügel- Gaumen-Grube  ent- 
sprechende Höhle.  Massige  Schlingbeschwerden  bei  sonstigem  Wohlbefinden- 
Eis.  In  den  nächsten  Tagen  schwillt  die  rechte  Wange  unter  zunehmenden 
Schlingbeschwerden.  Pat.  ist  sehr  unruhig  und  heiser.  Am  21.  April  nö- 
thigt  die  zunehmende  Schwellung  der  Wange  zu  Incisionen.  Am  22.  April 
leichte  Blutung  aus  dem  Schusskanale.  Sie  wiederholt  sich  öfters  im  Laufe 
des  Tages,  steht  aber  nach  Tamponade.  Gegen  Mittag  wird  sie  profus. 
Pat.  collabirt.  Zugleich  erreichen  die  Schlingbeschwerden  einen  hohen 
Grad  und  Athemnoth  mit  lautem  Stridor  und  seltenen,  abnorm  tiefen  und 
langen  Athemzügen  tritt  hinzu.  St.-A.  Fischer  unterband  zunächst  die 
Carotis  communis.  Dessenungeachtet  kam  es  bei  der  nachfolgenden  Er- 
weiterung des  Schusskanales  zu  einer  heftigen  Blutung,  welche  die  Unter- 
bindung der  Maxillaris  interna  erforderte.  Nach  Entfernung  der  Knochen- 
splitter, darunter  fast  der  ganze  Gelenkfortsatz,  wurde  die  deformirte 
Kugel  in  der  Tiefe  gefunden  und  ausgezogen. 

Nach  der  Operation  geringer  Nachlass  der  Athemnoth,  aber  fort- 
dauernder Stridor,  grosse  Anämie  und  furibunde  Delirien.  Letztere  wichen 
demnächst  einem  somnolenten  Zustande,  welcher  am  24.  April  unter  den 
Erscheinungen  der  Lungenlähmung  mit  dem  Tode  endigte. 

Bei  der  Section  fand  sich  neben  dem  zerschmetterten  Gelenkfortsatze 
der  Kronenfortsatz  intact.  Oberkiefer  gestreift,  ebenso  das  Keilbein  in  der 
Gegend  des  Foramen  caroticum.  Die  Carotis  interna  nicht  verletzt.  Die 
Kugel  hatte  retropharyngeal  in  der  Gegend  der  Tonsille  gesessen  und  den 
weichen  Gaumen  von  rechts  nach  links  gedrängt.  Starke  Blutextravasate 
waren  nach  abwärts  an  der  Pharynxwand  und  der  rechten  Hälfte  der  Glottis 
und  Epiglottis  gelagert. 

Die  Blutungen  aus  jener  Region,  welche  von  dem  aufsteigen- 
den Aste  des  Unterkiefers  nach  vorn  und  aussen  gedeckt  wird  — 
Fossa  pterygopalatina,  sphenomaxillaris  und  temporomaxillaris  — , 
stehen  schon  längst  in  üblem  Rufe.  Um  jeden  künstlichen  Anlass 
zu  denselben  zu  vermeiden,  wird  allgemein  empfohlen,  möglichst 
zögernd  und  vorsichtig  an  die  Extraction  von  Knochensplittern  und 
Projectilen  zu  gehen.  Demme  sucht  diesen  Rath  noch  zu  unter- 
stützen, indem  er  bemerkt,  „mehrere  Fälle"  zu  kennen,  in  denen 
sich  Projectile  dort  Monate  lang  der  Nachforschung  entzogen  und 


122 


dann  hei  bestimmten  Bewegungen  des  Unterkiefers  zugänglich  wurden 
oder  durch  Senkung  und  Abscedirung  nach  der  Mundhöhle  durch- 
brachen. 

Im  vorerwähnten  Falle  begann  die  Blutung  am  5.  Tage,  obwohl 
andauernd  Ei^  applicirt  war.  Ihre  schnellen  Wiederholungen  wirkten 
erschöpfend,  und  das  Leben  war  gleichzeitig  bedroht  durch  Er- 
stickung. Letztere  schien  bedingt  durch  das  in  der  Tiefe  sitzende 
Geschoss.  Um  zu  demselben  zu  gelangen,  war  keine  Resection  des 
Unterkieferastes  nöthig:  die  Herausnahme  der  Knochenstucke  genügte. 
Zur  Verhütung  erneuter  Blutung  während  dieser  Operation  unter- 
band man  vorher  die  Carotis  communis  ohne  Erfolg.  Die  Maxil- 
laris  interna  blutete  bei  der  Erweiterung  des  Schusskanales  doch 
und  musste  unterbunden  werden. 

Ebenso  erfolglos  blieb  die  Unterbindung  der  Carotis  in  einem 
zweiten  Falle  von  secundärer  Blutung  der  fraglichen  Region,  ob- 
wol  derselbe  übrigens  glücklich  verlief. 

Fall  Quersehuss  durch  den  Unterkiefer.  Secundäre  Blutun- 
gen. Unterbindung  der  Carotis  communis.  Erneute  Blutung. 
Isolirte  Unterbindung  der  blutenden  Aeste  Heilung.  Grena- 
dier Karl  Wittig  vom  3.  G.-Gren.-Reg.  K.  E.  wurde  am  18.  April  ver- 
wundet Die  Kugel  hat  den  linken  Unterkiefer  seinem  Winkel  nahe  zer- 
schmettert und  ist  an  der  rechten  Seite,  den  unteren  Rand  streifend, 
ausgetreten.  In  Flensburg,  wohin  Pat.  am  20.  April  gelangte,  bot  der  Ver- 
lauf bis  zum  28  April  nichts  Ungewöhnliches.  An  diesem  Tage  aber  trat 
eine  starke  Blutung  aus  der  Eingangsöffnung  ein  Sie  stand  auf  Tampo- 
nade. Am  29.  April  folgten  wiederholte  und  starke  Blutungen  aus  der 
Ausgangsöffnung.  Weder  der  einfache  noch  der  mit  Liquor  Ferri  sesqui- 
chlorati  getränkte  Tampon  halfen.  St.-A.  Fischer  unterband  desshalb  die 
Carotis  communis  dextra.  Die  Blutung  stand  danach  nur  kurze  Zeit. 
Durch  weite  Dilatation  der  Ausgangsöffnung  wurde  nun  der  Weg  zu  den 
blutenden  Arterien  gebahnt.  Es  wurden  mehrere  unterbunden:  welche,  ist 
aus  dem  Journale  nicht  zu  ersehen.  Unter  fortgesetzter  Eisauflegung  blieb 
der  weitere  Verlauf  ungestört.  Die  letzte  Ligatur  löste  sich  am  11.  Tage 
nach  der  Operation;  es  war  die  der  Carotis.  Im  Juni  wurde  noch  die  In- 
ciriOD  eines  kleinen  JSenkungsabscesses  an  der  Ligaturseite  des  Halses  nö- 
thig. Anfangs  August  war  der  Unterkiefer  völlig  cousolidirt.  Bei  der  An- 
fangs Ortober  in  Berlin  erfolgten  Entlassung  war  das  Oeffnen  des  Mundes 
durch  Narbencontractur  noch  etwas  behindert. 

Die-*  Bwei  Unterbindungen  der  Carotis  sind  meines 
Wissens  die  einzigen,  welche  1864  auf  unserer  Seite  gemacht  sind. 
Sie  fordern  nicht  auf  zur  Wiederholung  in  einer  künftigen  Feld- 
praxis, wenn  es  sich  um  secundäre  Blutungen  handelt.  Man  wird, 


123 


muss  einmal  operativ  eingeschritten  werden,  nur  sicher  gehen,  wenn 
man  die  blutenden  Aeste  selbst  behufs  der  Unterbindung  zu  er- 
reichen sucht  —  nöthigen  Falles  mittelst  der  Resection  des  Unter- 
kiefers. 

Obwohl  noch  eine  Reihe  von  Kieferverletzungen,  an  denen  die 
Aderstämme  der  fraglichen  Region  resp.  der  Zunge  betheiligt  sein 
mussten,  vorgekommen  ist,  so  bleiben  doch  die  letzterwähnten 
beiden  Fälle  die  einzigen,  in  welchen  Eis  und  Tampon  nicht  aus- 
reichten, Secundär- Blutungen  zu  verhüten  oder  zu  stillen.  Es  ist 
wol  mehr  als  blosser  Zufall,  dass  sie  in  der  Periode  nach  dem 
Sturmtage,  wo  die  momentane  Ueberfüllung  der  Lazarethe  in  Flens- 
burg die  Entvvickelung  der  pyämischen  Disposition  begünstigte,  vor- 
kamen. 

Primäre  arterielle  Blutungen,  bei  welchen  die  Unter- 
bindung der  Carotis  nach  den  Erfahrungen  im  ersten  schleswig- 
holsteinischen Kriege  viel  mehr  Aussicht  auf  Erfolg  bietet  und  von 
Pirogoff  wegen  der  Unsicherheit  der  Erkenntniss  des  verletzten 
Aderzweiges  als  prophylactisches  Mittel  dringend  empfohlen  wird, 
sind  in  einem  das  operative  Einschreiten  fordernden  Grade  1864 
nicht  vorgekommen.*)  Stärkere  und  wiederholte  venöse  Blutungen 
begleiteten  mitunter  die  frischen  Verletzungen  der  Zunge;  aber  der 
Eisbeutel  und  die  Eispille  genügten  zu  ihrer  Stillung. 

Was  die  Erstickung  betrifft,  welche  in  unseren  4  Todesfällen 
den  Ausschlag  gab,  so  blieb  die  Ursache  derselben  im  ersten  Falle 
trotz  der  Section  un ermittelt ,  in  den  anderen  drei  Fällen  wurden 
mechanische  Momente  —  Zurückrollen  eines  Zungenlappens  über 
den  Kehldeckel,  Senkung  des  Geschosses  bis  zur  Stelle  zwischen 
Zungenbein  und  Schildknorpel,  Verengerung  des  Aditus  laryngo- 
pharyngealis  durch  die  hinter  der  Tonsille  liegende  Kugel  —  theils 
vorausgesetzt,  theils  gefunden.  Nirgends  erwähnen  die  Beobachter 
dieser  Fälle  ein  Moment,  welches  namentlich  von  Pirogoff  betont 
wird  —  das  acute  submucöse  Oedem.  Es  bleibt  bei  den  Kieler- 
verletzungen, welche  die  Mund-  oder  Rachenhöhle  tangiren,  in  der 


*)  In  dem  erwähnten  offiziellen  Berichte  aus  dem  amerikanischen  Kriege 
werden  Nachblutungen  als  die  häufigste  Todesursache  bei  den  Gesichtsver- 
letzungen bezeichnet.  Die  Ligatur  der  Carotis  pflegte  den  tödtlichen  Ausgang 
nur  einige  Zeit  zu  verzögern.  Unter  1579  Gesichtsschüssen  mit  Knochenläsion 
endeten  107  tödtlich;  von  581  ist  der  Ausgang  unbekannt. 


124 


That  kaum  jemals  ganz  aus  und  trägt  durch  die  Schlingbeschwer- 
den, welche  es  hervorruft,  nicht  wenig  zur  Steigerung  der  Leiden 
dieser  Verwundeten  bei.  Sollte  nicht  das  Fortschreiten  dieses  Oedems 
auf  die  Stimmritze  auch  an  einem  oder  dem  anderen  unserer  Todes- 
falle Antheil  gehabt  haben?  Die  Frage  ist,  glaube  ich,  nicht  ohne 
practische  Bedeutung.  Wo  man  mechanische  Ursachen  der  gedachten 
Art  nicht  constatiren  oder  augenblicklich  nicht  beseitigen  kann, 
oder  wo  nach  Beseitigung  derselben  die  Zeichen  fortbestehen,  sollte 
man  nicht  zögern,  mittelst  der  Tracheotomie  einzuschreiten,  um 
Zeit  zu  gewinnen.  Diese  Operation  hat  möglicher  Weise  bei  dem 
traumatischen  Oedema  glottidis  mehr  Aussicht  auf  Erfolg, 
als  bei  manchen  anderen  Indicantien  derselben. 


Die  Schussfracturen  des  Oberkiefers 

haben,  wie  gesagt,  ihren  alten  Ruf  als  wenig  gefährliche  und  wun- 
derbar gut  heilende  Verletzungen  auch  1864  bewährt.  Und  doch 
gab  es  eine  kleine  Gruppe  derselben,  bei  welcher  das  Geschoss  ge- 
rade jene  verhängnissvolle  Region,  von  welcher  eben  die  Rede  war, 
durchsetzte.  Es  kamen  3  Fälle  vor,  in  denen  die  Kugel  dicht 
unter  dem  Ohre  zwischen  dem  Zitzenfo  rtsatze  des 
Schläfenbeines  und  dem  aufsteigenden  Aste  des  Unter- 
kiefers einschlug  und  nach  der  Mundhöhle  vordringend 
den  harten  Gaumen  zertrümmerte.  Der  weitere  Verlauf  der 
Kugel  war  verschieden.  Einmal  trat  sie  in  ziemlich  gerader  Rich- 
tung den  Alveolarfortsatz  durchschlagend  dicht  unter  der  Nase  zu 
Tage,  zweimal  drang  sie  schräg  gerichtet  in  den  Körper  des  Ober- 
kiefers der  anderen  Seite,  um  in  dem  einen  Falle  durch  die  vordere 
Wand  desselben  auszutreten,  im  anderen  monatelang  in  dem  Antrum 
Bighmori  Quartier  zu  nehmen. 

Fall  70.  1)  Schussf ractur  des  harten  Gaumens.  Einseitige 
Taubheit  und  Faciallähmung.  Heilung.  Martin  Paulsen  vom 
2.  däii  [nf.-Reg.  wurde  am  18.  April  verwundet  und  in  Broacker  aufge- 
nommen. Die  Engel  ist  dicht  unter  dem  linken  Ohre  zwischen  der  Spitze 
des  Zitzenfortsatzos  und  dem  hinteren  Rande  des  Unterkieferastes  einge- 
drungen und  dicht  unter  der  Nase  durch  die  Oberlippe  ausgetreten.  Sie 
hat  auf  diesem  Wege  den  harten  Gaumen  in  seiner  ganzen  Länge  zer- 
trümmert und  3  Schneidezähne  herausgeschlagen.  Das  linke  Ohr  ist  taub, 
das  Trommelfell  gesprengt,  die  linke  Gesichtsseite  gelähmt.    Nicht  uner- 


125 


hebliche  Atheni-  und  Schling-  Besch  werden  erregten  Anfangs  Besorgniss. 
Pat.  konnte  nur  aufrecht  sitzend  ausdauern,  fand  aber  in  der  Benutzung 
des  über  seinem  Bette  aufgehängten  Irrigators  zum  beständigen  Ausspülen 
des  Mundes  das  wohlthuendste  Hülfsmittel.  Gegen  Ende  Mai  war  der 
ziemlich  bedeutende  Defect,  der  im  harten  Gaumen  entstand,  dem  Ver- 
schlusse nahe. 

Fall  71.  2)  Schussfractur  des  harten  Gaumens  und  Oberkiefer- 
körpers. Heilung.  Füsilier  Heinrich  Knauer  vom  15.  Inf.-Reg.  erhielt 
am  17.  März  bei  Rackebüll  eine  Kugel,  welche  hinter  dem  rechten  Ohr- 
läppchen ein  und  an  der  linken  Wange  unterhalb  des  Jochbeines  austrat. 
Sie  hatte  auf  dem  Wege  den  hinteren  Theil  des  harten  Gaumens  zertrüm- 
mert, die  obere  Fläche  der  Zunge  gestreift  und  das  Antrum  Highmori 
durchsetzt.  Pat.  wurde  zuerst  in  Baurup,  später  in  Apenrade  gepflegt. 
Die  Schwellung  des  Gesichtes  und  Halses  war  sehr  bedeutend,  die  Kräfte 
nahmen  wegen  der  gehemmten  Ernährung  sehr  ab,  aber  eine  fieberhafte 
Reaction  wurde  kaum  merkbar.  Gegen  Ende  Mai  war  der  Defect  im  harten 
Gaumen  bis  auf  Sechsergrösse  verkleinert.  Von  da  ab  ging  die  Ausheilung 
langsamer.  Noch  in  Münster,  wo  Pat.  Ende  Juni  eintraf,  konnte  er  nur 
mit  Mühe  einige  Speisen  zu  sich  nehmen.  Grosse  Erleichterung  gewährte 
der  künstliche  Verschluss  des  Gaumenloches  mittelst  einer  an  den  Zähnen 
befestigten  Goj.dplatte.  Unter  ihr  verkleinerte  sich  jedoch  der  Defect  noch 
weiter,  so  dass  K.  Ende  October  feste  wie  flüssige  Nahrung  nehmen, 
rauchen  und  verständlich  sprechen  konnte. 

Fall  72.  3)  Schussfractur  des  harten  Gaumens.  Sieben  Monate 
später  Extraction  der  Kugel  aus  dem  Antrum  Highmori. 
Heilung.  Musketier  0.  Spillecke  vom  60.  Inf.-Reg.  wurde  am  18.  April 
verwundet.  Die  Kugel  ist  hinter  dem  linken  Ohrläppchen  eingedrungen 
und  hat  das  Gaumengewölbe  fracturirt.  Eine  AusgangsötTnung  ist  nicht 
vorhanden.  Gleich  nach  der  Verwundung  war  die  rechte  Gesichtshälfte 
stark  geschwollen,  so  dass  schon  auf  dem  Verbandplatze  versucht  wurde, 
die  Kugel  mittelst  einer  Incision  an  der  rechten  Wange,  wo  man  sie  ver- 
muthete,  zu  entfernen.  Man  fand  sie  jedoch  nicht.  Im  Lazarethe  zu 
Flensburg  war  der  Verlauf  unter  consequenter  Eisanwendung  sehr  milde. 
Schmerz  sehr  gering  Der  Eiter  fliesst  durch  Mund  und  Nase  ab.  Ende 
April  ist  die  Schuss-  wie  die  Schnittwunde  geschlossen.  Die  Bruchstücke 
des  harten  Gaumens  haben  sich  gut  an  einander  gelagert,  die  Weichtheile 
desselben  der  Heilung  nahe.  Als  Pat.  Mitte  Mai  evacuirt  wurde,  war  von 
den  Folgen  der  Verletzung  nichts  weiter  übrig,  als  ein  massiger  Eiter- 
abfluss  aus  der  Nase.  Ohne  Schmerz  oder  andere  Beschwerden  be- 
stand dieser  noch  im  November,  als  man  im  Garnisonlazarethe  zu  Berlin 
mit  der  Sonde  auf  einen  festen  Körper  im  rechten  Antrum  Highmori  traf. 
Er  Hess  sich  mit  der  Pincette  fassen,  aber  nicht  ausziehen.  Am  23.  No- 
vember wurde  in  der  v.  Lan gen beck 'sehen  Klinik  der  Nasenflügel  ein- 
geschnitten und  die  grosse  an  der  Spitze  gespaltene  Kugel  ausgezogen. 
Die  geheftete  Schnittwunde  heilte  grossen  Theiles  ohne  Eiterung.  Am 
4.  Januar  1865  wurde  S.  geheilt  entlassen. 


126 


Die  Erfahrung,  dass  Geschosse  lange  und  ohne  Beschwerden 
zu  machen  in  der  Höhle  des  Oberkiefers  verweilen  können,  ist  nicht 
neu.  Die  Indolenz  dieser  Knochenhöhle  bewährt  sich  selbst  bei 
langen  und  scharfen  Fremdkörpern,  so  dass  solche  sich  darin  ver- 
stecken können,  auch  wenn  sie  durch  die  Gesichts  wand  eindringen. 
Fall  73.  Anscheinend  unbedeutende  ßajonnet  -  Stich  wunde  der 
Wange.  Sechs  Monate  später  Extraction  eines  mehre  Zoll 
langen  Bajon netstückes  aus  der  Kieferhöhle.  Heilung.  Mus- 
ketier Martin  Rzy  mi an  o wicz  vom  18.  Inf. -Reg.  wurde  am  15.  April  bei 
Düppel  verwundet.  Das  Geschoss  hatte  das  Bajonnet  seines  Gewehres 
zerschmettert  und  den  rechten  Zeigefinger  gestreift.  An  der  linken  Wange 
hatte  er  eine  anscheinend  von  einem  Bajonnetstiche  herrührende  Haut- 
wunde. Beide  Verletzungen  erschienen  so  unbedeutend,  dass  er  in  rascher 
Folge  die  Lazarethe  in  Stenderup,  Rinkenis  und  Flensburg  durch 
Evacuation  passirte.  In  Rendsburg,  wo  er  am  21.  April  anlangte,  wurde 
Einbruch  der  vorderen  Wand  des  linken  Oberkiefers  constatirt. 
Schmerz  im  Kiefer  und  Lockerung  der  Zähne  erschwerten  das  Kauen.  In 
dem  heimischen  Reserve -Lazarethe  zu  Burg,  wo  R.  vom  12.  Mai  bis  12. 
September  gepflegt  wurde,  stiessen  sich  bei  massiger  Eiterung  wiederholt 
kleine  Knochensplitter  ab.  Bei  der  Aufnahme  in  das  Lazareth  zu  Posen 
am  14.  Septbr.  bestand  dicht  unter  dem  linken  Infraorbitalrande  etwas  nach 
innen  von  der  Mittellinie  ein  fistulöses  Geschwür  mit  einer  etwa  2"'  wei- 
ten Oeffnung,  durch  welche  die  Sonde  auf  eine  rauhe  harte  Fläche  traf. 
Es  wurde  wenig  dünnflüssiger  Eiter,  der  einzelne  schwarze  Partikel  ent- 
hielt, abgesondert.  Die  Umgebung  erschien  normal;  Zeichen  entzündlicher 
Reizung  fehlten.  Pat.  klagte  jedoch  über  ein  dauerndes  Gefühl  von  Schwere 
im  Kiefer  und  über  Schmerz  bei  jedem  Kauversuche.  Am  5.  October 
drängte  ein  schwarzer  Fremdkörper  in  die  Geschwürsöffnung  vor.  Er  Hess 
sich  jedoch  nicht  ordentlich  fassen  und  sass  sehr  fest.  Die  Schmerzen 
bei  jeder  Kieferbewegung  wurden  jetzt  heftiger.  Nach  einer  Dilatation  der 
Geschwürsöffnung  trat  der  Fremdkörper  weiter  vor,  so  dass  am  11.  October 
die  rauhe  dreieckige  Bruchfläche  eines  Bajonnetstückes  deutlich  zu  erkennen 
war.  Man  konnte  es  gut  fassen,  aber  es  sass  so  fest,  dass  es  dem  Zuge 
nicht  folgte.  Folgenden  Tages  sollte  es  in  der  Chloroform  -  Narkose  ent- 
fernt werden.  Unmittelbar  vorher  fasste  O.-St.-A.  Roland  den  noch  etwas 
weiter  vorgetretenen  Körper  knapp  mit  den  Fingern;  er  folgte  jetzt  dem 
Zuge  in  schräger  Richtung  nach  der  Nase  ganz  leicht.  Ein  2\"  langes, 
3  Loth  schweres  Bajonnetstück  wurde  entwickelt.  Es  passte  genau  zu 
dem  etwa  2"  langen  Stücke,  welches  nebst  der  Tülle  am  Gewehr  verblieben 
war.  Aus  der  Richtung  des  erfolgreichen  Zuges  ergab  sich,  dass  das 
Eisenstück  schräg  von  vorn  und  innen  nach  hinten  und  aussen  in  der 
Kieferhöhle  gelagert  hatte. 

Schmerzen  und  Kauhinderniss  waren  nun  beseitigt.  Unter  mässiger 
Eiterung  stiessen  sich  von  Zeit  zu  Zeit  noch  kleine  Sequester  ab.  Ein 
kleiner  Fistelgang  bestand  noch  als  R.,  übrigens  völlig  wohl  und  gekräftigt, 
am  3.  Mai  1865  als  temporär  invalide  entlassen  wurde. 


127 


Geschosse,  welche  gerade  von  vorn  treffen,  müssen  sehr 
matt  sein,  wenn  ihre  Wirkung  auf  den  Gesichtstheil  des  Kopfes  be- 
schränkt bleiben  soll;  sonst  dringen  sie  weiter  in  den  Schädeltheil 
mit  mehr  oder  weniger  schnell  tödtlichen  Folgen,  unter  denen  die 
Sprengung  der  Schädelbasis  obenansteht. 

Die  meisten  Verletzungen  des  Oberkiefers  entstehen  durch  Ge- 
schosse, welche  von  der  Seite  einschlagen.  Mitunter  wird  dabei 
nur  die  vordere  Wand  der  Kieferhöhle  tangential  eingedrückt. 
An  und  für  sich  ungefährlich,  lassen  Comminutivfracturen  der  Art 
um  so  grössere  Entstellungen  durch  Narbeneinziehung  zurück,  je 
gründlicher  die  Splitterausziehung  beim  ersten  Verbände  betrieben 
ist.  Granatsplitter  wirken  in  dieser  Beziehung  besonders  übel  wegen 
ihrer  Zerfetzung  der  Weichtheile.  In  den  Belagerungs-Batterien  vor 
Düppel  sind  sehr  ausgedehnte  Verletzungen  der  Art  vorgekommen. 

Ist  der  Aufschlagswinkel  weniger  stumpf,  so  gesellen  sich  zu 
der  Zerschmetterung  des  Oberkiefer-Körpers  in  der  Regel  weitere 
Verletzungen,  namentlich  des  Knochengerüstes  oder  des  Knorpel- 
theiles  der  Nase,  des  Ober-  oder  des  Unterkiefers  der  anderen  Seite. 

Nach  Ochwadt  (1.  c.  S.  331)  sind  in  den  Flensburger  Laza- 
rethen,  obwohl  durch  sie  die  meisten  Verwundeten  passirten,  „Ver- 
letzungen beider  Oberki efer  durch  ein  von  der  Seite  ein- 
gedrungenes Projectil"  gar  nicht  beobachtet  werden.  Danach 
könnte  es  scheinen,  als  sei  diese  Verletzungsform  besonders  selten. 
Diess  ist  jedoch  nicht  der  Fall.  Jene  Notiz  trifft  auch  nur  zu  für 
die  amtlichen  Lazarethe  in  Flensburg.  In  dem  dortigen  Johanniter- 
Lazarethe  sind  zwei  Verwundete  der  Art  behandelt.*) 

Fall  74.  Der  eine  —  v.  S.,  Hauptmann  vom  64.  Inf.-Reg.  —  wurde  am  18.  April 
verletzt.  Die  Gewehr-Kugel  war  in  der  linken  Naso-Labialfalte  einge- 
drungen, und  nach  Durchbohrung  des  Nasenfortsatzes,  der  Nasenscheide- 
wand und  des  Oberkieferkörpers  der  anderen  Seite  oberhalb  des  rechten 
Kiefergelenkes  ausgetreten.  Der  harte  Gaumen  war  nirgends  perforirt; 
aber  die  schmerzhafte  Schwellung  desselben  verrieth,  dass  seine  obere  Fläche 
von  dem  Geschosse  gestreift  sei.  Die  Heilung  erfolgte  sehr  rasch.  Schon  am 
13.  Mai  waren  die  Wunden  geschlossen. 

Kürzlich  sah  ich  diesen  Offizier  auf  dem  Kriegstheater  in 
Böhmen  wieder.  Die  Spuren  jener  Verletzung  sind  fast  völlig  ver- 
wischt. 


*)  S.  J.  Ressel  1.  c.  S.  22  u.  18. 

Loeffler,  Generalbericht. 


9 


128 


Bedeutender  war  die  Verletzung,  welche 
Fall  75.,  Oberstlieut.  v.  G.,  vom  preuss.  Leib-Reg.  Nr.  8,  am  28.  März  erlitt. 
Am  linken  Jochbeine  eingedrungen,  hatte  die  Kugel  den  linken  Oberkiefer 
schräg  von  oben  und  aussen  nach  unten  und  innen  durchbohrt,  dann  an 
der  Grenze  zwischen  hartem  und  weichem  Gaumen  in  die  Mundhöhle 
tretend,  diese  ohne  Zungenverletzung  durchsetzt,  und  nach  Zertrümmerung 
des  hinteren  Abschnittes  des  Alveolarfortsatzes  vom  rechten  Überkiefer 
durch  die  Mitte  der  rechten  Wange  ihren  Ausweg  genommen.  Bedeutender 
Blutverlust,  starke  Eiterung,  Speichelrluss  und  erschwerte  Ernährung  wirkten 
bei  dem  vorgerückten  Alter  (54  Jahre)  schwächend  genug.  Dennoch  ver- 
lief die  Ausheilung  ungestört.  Am  1.  Mai  waren  die  Wunden  fast  ge- 
schlossen. Der  silbergroschengrosse  Gaumen-.Defect  verkleinerte  sich 
unter  Touchiren  mit  Höllenstein  langsam  aber  stetig  und  verheilte  Anfangs 
Juli  vollständig. 

Ausser  diesen  beiden  sind  noch  4  andere  und  theilweis  schwerere 
Verletzungen  der  Art  vorgekommen. 
Fall  76.  Schuss  quer  durch  beide  Oberkiefer.  Erschütterung 
des  rechten  Auges.  Heilung.  Grenadier  Midrit  vom  3.  G.-G.-R. 
Königin  Elisabeth  wurde  am  8.  März  vor  Friedericia  verwundet  und  in 
Kolding  (schw.  F.-L.  des  Garde-Corps;  Sect.  St.-A.  Wolff)  gepflegt.  Die 
Kugel  ist  dicht  unter  dem  r.  Jochbeine  ein-  und  fast  genau  an  derselben 
Stelle  der  linken  Seite  ausgetreten,  hat  beide  Kieferhöhlen  und  die  Nasen- 
höhle durchsetzt,  den  Gaumenfortsatz  aber  unberührt  gelassen.  Die  Sehkraft 
des  rechten  Auges  ist  geschwächt,  die  Pupille  erweitert  und  schief  nach 
unten  und  aussen  verzogen.  Die  Ausheilung  des  Schusskanals  verlief 
ohne  Störung.  Als  M.  am  27.  Juni  in  Wittenberge  eintraf,  waren  die 
Wundöffnungen  vernarbt.  Aus  der  Nase  kommt  noch  etwas  Eiter.  Bei 
der  am  8.  September  in  Berlin  erfolgten  Entlassung  war  die  Sehkraft  des 
rechten  Auges  noch  geschwächt,  die  Pupille  noch  erweitert,  aber  nicht 
mehr  verzogen. 

Fall  77.  Schuss  quer  durch  beide  Oberkiefer.  Heilung.  Gren. , 
Schwarz  vom  Leib-Gren.-Reg.  No.  8  erlitt  am  18.  April  eine  der  vorigen 
sehr  ähnliche  Verwundung.  Die  Schussöffnungen  lagen  nur  dem  Orbital- 
rande etwas  näher,  so  dass  rechts  ein  kleines  keilförmiges  Stück  desselben 
vorgedrängt  war.  Allgemeine  Reaction  wurde  kaum  merkbar.  Die  Eiterung, 
In  den  ersten  14  Tagen  stark,  währte  am  längsten  aus  der  Nase.  Bereits 
Ende  Mai  waren  die  Schussöffnungen  vernarbt.  Nachdem  er  die  Lazarethe 
zu  Baurup,  Apenrade,  Steinau  passirt  hatte,  wurde  S.  am  25.  Juli  von 
Berlin  als  invalide  entlassen,  weil  Unwegsamkeit  der  rechten  Nasenhöhle 
und  in  Folge  derselben  Erschwerung  des  Athmens  bei  Anstrengungen 
restirte. 

Die  andern  beiden  Fälle  waren  mit  Gaumen- Verletzung 
complicirt. 

Fall  78.  Schuss  quer  durch  beide  Oberkiefer.  Zertrümmerung 
des  linken  Gaumen-  und  Zahnfortsatzes.  Heilung.  Musketier 
Grewe  vom  GO.  Inf.-Reg.  wurde  am  2.  Februar  vor  Missunde  dicht  unter 


129 


i]e,iu  rechten  proo.  orbitalis  von  einer  Kugel  getroffen,  welche  beide  Kiefer- 
höhlen  nennt  der  zwischen  ihnen  liegenden  Nasenhöhle  durchschlug.  Da« 
vordere  Stück  des  linken  proe.  alvcolaris  und  der  Gaumenfortsatz  die, er 

Seite  wind  abgesprengt,  so  das*  hier  Mund-.,  Nahen-  und  Kieferhohle  corn- 
munkm-n.  Heftige  örtliche  Reaetion,  Fieber  rnäsaig  und  nur  in  den  ersten 
Tagen.  Nach  starker  Eiterung  und  häufiger  Losung  kleiner  Sequester 
waren  am  28.  März,  bis  wohin  0.  in  Kckernförde  und  KieJ  gepflegt  wurde, 
nicht  bloss  die  beiden  äusseren  Scbu.-.söflnungen,  sondern  au  eh  die  Gaumen- 
verlet'/ung  vernarbt,  hie  Narben -Contractu?  führte  zu  Ketropien  beider 
unteren  Augenlider,  welche  am  9.  Mai  die  Invalidisirung  in  Berlin  motivirten. 
Fall  71*.  Querschuss  durch  beide  Oberkiefer  im  Bereiche  der 
Gaumen-  und  A  I  v  e  o  1  a  r  for  ts  ätz  e.  Grosser  Defeet  im  harten 
G  a  u  m  e  n.  Heil  u  n  g.  Waffenmeister  F.  S  c  h  m  i  sar  vom  22.  Gän.  Inf  - 
Regt,  wurde  am  18.  April  verwundet.  Kingangsöffnung  klein  und  rund  in 
der  Mitte  der  linken  Wange:  Ausgangsöffnung  an  der  entsprechenden  Stelle 
der  rechten  Wange,  aber  gerissen  und  H"  lang.  Gie  Kugel  hat  links  den 
Zahnfortsatz  im  Bereiche  sämmtlicher  Backenzähne  herausgeschlagen  und 
den  Gaumenforteatz  so  zertrümmert,  daea  ein  t"  laiiger,  j"  breiter  Defeet 
mit  scharfen  Knochenrändern  besteht.  Auf  der  rechten  Seite  bezeichnet 
ein  mehre  Linien  breiter,  quer  über  die  untere  Seite  des  harten  Gaumens 
gehender  Weichtheil-  und  Pcriost-Defect  den  weiteren  Lauf  der  Kugel, 
welche  schliesslich  das  die  ersten  beiden  Backenzähne  tragende  Stück 
des  Zahnfortsatzes  dieser  Seite  abgesprengt  hat,  ohne  die  Kieferhöhle  zu 
öffnen.  Im  Lazareth  Rinken is  Wörde  die  Vereinigung  der  rechten  Wangen- 
wunde nach  Ebenung  der  Ränder  durch  Nähte  versucht.  Sie  gelang 
grössten  Theiles.  Fieber  trat  kaum  ein.  Die  Ausheilung  ging  in  Glücks- 
burg,  wohin  S.  am  5.  Mai  verlegt  wurde,  ohne  Störung  und  so  günstig 
vor  sich,  dass  gegen  Knde  Juni  selbst  der  Sehluss  des  Gaumen-Defektes 
vollendet  war.  Am  3.  Juli  wurde  S.  heimgesandt, 
[m  italienischen  Kriege,  von  1850  waren  nach  der  Mittbeflnng 
von  Demme  zur  Heilang  der  Gaumen- befeetc  plastische  Ope- 
rationen sehr  beliebt.  Die  Erfahrung  von  1864  beweist,  dass  solche 
bei  der  traumatischen  Form  dieses  Uebels  in  der  Regel  nicht  er- 
forderlich sind. 

Wenn  die  den  Oberkiefer  von  der  Seite  treffende  Kugel  die  diago- 
nale Richtung  nach  dem  Unterkiefer  der  anderen  Seite  nimmt,  so  pas- 
sirt  sie  die  Mundhöhle.  Ks  kommt  vor,  dass  sie  hier  liegen  bleibt,  ohne 
weitere  Zerstörung  anzurichten.  So  geschah  es  z.  B.  bei  dem 
Jäger  F.  Seh  w  ick  vom  3.  Jäger-Bataillon  am  Juni.  In  der 
Kegel  aber  sind  die  combinirten  Sch  ussfracturen  des  0 ber- 
und Unterkiefers  mit  mehr  oder  weniger  bedeutenden  Ver- 
letzungen in  der  Mund-  resp.  Rachen-Höhle  verknüpt.  Ein  tödtlich 
verlaufener  Fall  der  Art  ist   bereits   erwähnt  (Fall  65;  S.  119), 

Sechs  andere  nahmen  einen  glücklichen  Ausgang.    Wegen  des  be- 

9* 


130 


sonderen  Interesse,  welches  sich  an  sie  knüpft,  hebe  ich  einige  der- 
selben hervor. 

Fall  80.    Schussfractur  des  Ober-  und  Unterkiefers.  Gauraen- 
defect.    Zungenriss.    Heilung.    Niels  Christian  Jensen  vom  3.  Dan. 
Inf.-Regt.  wurde  am  29.  Juni  verwundet.    Das  Langblei  drang  an  der 
linken  Wange  ein,  durchbohrte  den  Körper  des  Oberkiefers,  schlug  ein 
rundes  Loch  durch  den  harten  Gaumen,  riss  die  Zunge  links  unten  auf, 
fracturirte  den  rechten  Horizontalast  des  Unterkiefers  mit  Verlust  des 
Eckzahnes  und  der  beiden  ersten  Backenzähne  und  ging  dann  an  dessen 
Aussenseite  abwärts  bis  dicht  vor  dem  Muse,  scalenus  anticus,  wo  sie 
ausgeschnitten  wurde.     Unter  dem  linken  Jochbeine  wurde  ein  Zünd- 
spiegel gefunden.    Die  Zungenwunde   snchte  man  durch  ein  Heft  von 
Silberdraht  zu  vereinigen.   Schmerzen,  Gesichtsschwellung  und  die  Unmög- 
lichkeit zu  sprechen  und  zu  schlucken,  machten  Anfangs  viel  Beschwerde. 
Aber  der  Zungenriss  heilte  schnell;  das  Gaumenloch  war  am  10.  August 
geschlossen,  so  dass  J.  am  12.  August  von  Broacker  (1.  F.  L.  13.  Divis.; 
St.-A.  Hagemann)  heimgesandt  werden  konnte. 
Fall  81.  Schussfractur  des  Ober-  und  Unterkiefer  s.  Abreissung 
einer  Tonsille.  Heilung.  Sergeant  Kro essin  vom  35.  Füs.-Reg.  wurde 
am  18.  April  verwundet  und  in  Baurup  (1.  schw.  F.-L.,  3.  A.-Corps;  Sect. 
St.-A.  Lücke)  aufgenommen.  Die  Kugel  schlug  durch  den  Zahnfortsatz  des 
rechten  Oberkiefers  in  der  Gegend  der  hinteren  Backenzähne,  streifte  den  har- 
ten Gaumen,  riss  die  linke  Tonsille  ab  und  trat  durch  den  linken  Ast  des  Unter- 
kiefers dem  Winkel  nahe  aus.   Knochenzertrümmerung  und  Zerreissung  der 
Weichtheile  waren  hier  so  bedeutend,  dass  man  mit  zwei  Fingern  in  den  Mund 
greifen  konnte.  Die  Carotis  pulsirte  nahezu  blossgelegt  im  hinteren  Wundwin- 
kel. Die  abgerissene  Tonsille  war  zwischen  den  Zähnen  eingeklemmt  und  wurde 
mittelst  der  Kornzange  von  dem  Schleimhaut-Stiele,  an  welchem  sie  noch  haf- 
tete, abgedreht.  Der  Verlauf  der  Wundheilung  blieb  ungestört.  Aber  mit  der 
vorschreitenden  Vernarbung  wurde  der  Unterkiefer  unbeweglicher  durch 
Narbenstränge  zwischen  ihm  und  dem  Oberkiefer.    Durch  Einschneiden 
derselben  und  Einschieben  eines  Holzkeiles,  besonders  während 
der  Nacht,  gelang  es,  die  Beweglichkeit  zu  erhalten. 
Dieses  von  Lücke  mit  Erfolg  geübte  Verfahren  gegen  Narben- 
Ankylose  des  Unterkiefers  verdient  prophylactisch  besondere  Beach- 
tung bei  den  Schussverletzungen  der  Gegend  des  Unterkieferwinkels. 
Die  Ankylose  droht  namentlich  bei  combinirter  Schussfractur  des 
Ober-  und  Unterkiefers  derselben  Seite  —  einer  allerdings  nicht 
häufigen  Verletzungsform. 

Fall  82.  Schussfractur  des  Ober-  und  Unterkiefers  rechter 
Seits.  Falsche  Ankylose  des  letzteren.  Heilung.  Pionier  Jon. 
Borchardt  vom  2.  Pionier-Bat.  wurde  am  29.  Juni  verwundet  und  in 
Os t er- S a tr u p  (1.  schw.  F.-L.  3.  A.-C;  Sect.  St.-A.  Lücke)  aufgenommen. 
Die  Kugel  trat  von  oben  her  durch  die  rechte  Wange  und  den  Zahnfort- 
satz des  rechten  Oberkiefers  in  den  Mund,  streifte  und  fracturirte  den  auf- 


131 


steigenden  Ast  des  Unterkiefers  derselben  Seite  und  drang  unter  der  Haut 
des  Halses  weiter  abwärts  bis  hinter  das  Brustbeinende  des  rechten 
Schlüsselbeines.  Die  deformirte  Kugel  wurde  hier  ausgeschnitten.  Dicht 
unter  ihr  lag  die  Art.  subclavia,  deren  Pulsation  in  der  Schnittwunde 
längere  Zeit  sichtbar  blieb.  Knochenstücke  und  Zahntheile  waren  bis 
hierher  mit  fortgerissen  und  wurden  nach  und  nach  extrahirt.  Anfangs 
August  wurde  wegen  des  sehr  erschwerten  Oeffnens  des  Mundes  ein  harter 
Narbenstrang  zwischen  den  Kiefern  durchgeschnitten.  Stücke  vom  Oberkiefen 
Kugelfragmente  und  ein  grosser  Sequester  vom  Unterkiefer  wurden  nun 
gefunden  und  allmählig  entfernt.  Durch  consequentes  Tragen  von 
Holzkeilen  zwischen  den  Zähnen  wurde  die  Wiederkehr  der  falschen 
Ankylose  verhütet.  Gegen  Ende  August  ist  der  Unterkiefer  zum  Kauen 
wieder  brauchbar.  Erst  Anfangs  November  schloss  sich  die  Schnittwunde 
an  der  Clavicula.  Schon  im  August  hatte  durch  Contractur  der  Narben 
und  des  Kopfnickers  ein  Caput  obstipum  der  rechten  Seite  begonnen. 
Es  bestand  noch,  als  B.  Ende  December  von  Berlin  entlassen  wurde. 

SchussverletziiDgen  des  Unterkiefers 

sind,  abgesehen  von  den  als  Combinationen  der  Oberkiefer-Schüsse 
schon  erwähnten,  nach  der  statistischen  Tabelle  VII.  (pag.  107) 
31  vorgekommen.  Unter  diesen  bewirkten  6  keine  vollständige 
Unterbrechung  der  Continuität  des  Kieferbogens;  es  handelte  sich 
bei  ihnen  vielmehr  nur  um  Absprengung  grösserer  oder  kleinerer 
Knochenstücke.  Die  übrigen  25  waren  wirkliche  Fracturen  resp. 
Zertrümmerungen,  welche  den  Kieferbogen  mehr  oder  weniger  weit 
unterbrachen.  14  davon  betrafen  einen  oder  den  anderen  Seiten- 
theil  des  Kiefers  (incl.  aufsteigender  Ast),  5  waren  Doppelfracturen 
beider  Seitentheile,  6  concentrirten  sich  auf  den  Kinntheil. 

Von  welchen  Momenten  die  Lebensgefahr  bei  diesen  Ver- 
letzungen abhängt,  ist  unter  Mittheilung  der  3  resp.  4  tödtlich  ver- 
laufenen Fälle  bereits  erörtert  worden  (v.  pag.  119  ff.).  Art  und 
Ausdehnung  der  Knochenverletzung  selbst  sind  kaum  von  Einfluss 
darauf.  Die  Schussfracturen  in  der  Nähe  der  Winkel  und  an  den 
aufsteigenden  Aesten  des  Knochens  sind  nur  deshalb  gefährlicher, 
weil  sie  leichter  und  häufiger  mit  solchen  Neben  Verletzungen,  welche 
das  Leben  —  durch  Blutung  oder  Erstickung  —  bedrohen, 
complicirt  sind. 

Bei  den  profusen  Eiterungen,  welche  sich  an  die  schwereren 
Verletzungen  des  Unterkiefers  knüpfen,  und  welchen  die  stete  Bei- 
mischung des  in  Masse  secernirten  Speichels  den  foetiden  Charakter 
verleiht,  ist  es  auffallend,  dass  die  Pyämie  kein  Opfer  unter  den 


132 


Verletzten  dieser  Categorie  zu  fordern  pflegt.  Noch  auffallender 
aber  und  die  gängige  Erklärung  mancher  plötzlichen  Todesfälle 
bei  Resectionen  am  Kinntheile  des  Unterkiefers  in  Frage  stellend 
ist  die  Erfahrung,  dass  den  Schussverletzungen,  welche  den  Kinn- 
theil  des  Knochens  zerstören  und  die  an  demselben  haftenden  Mus- 
keln ihres  Haltes  berauben,  diese  Gefahr  nicht  eigen  ist.  Beson- 
ders lehrreich  sind  in  dieser  Beziehung  die  umfänglichen  Zerstörun- 
gen des  Kiefers,  welche  Legouest  erwähnt  und  theilweis  durch 
Bilder  erläutert  hat  (1.  c.  pag.  898  ff.). 

Dergleichen  Prachtexemplare  sind  unter  unseren  Verwundeten 
glücklicher  Weise  nicht  vorgekommen.  Die  bedeutendste  Verletzung 
der  Art  war  die  folgende. 

Fall.  83.  Zertrümmerung  des  Unterkiefer- Kinntheiles.  Grosser 
Knochen-  und  Haut-Defect.  Plastische  Op  eration.  Heilung. 
Grenadier  F.  Trebbin  vom  4.  Garde-Reg.  z.  F.  wurde  am  18.  April  durch 
Granatsplitter  verwundet,  zunächst  im  Lazareth  zu  Stenderup  (1.  F.  L. 
6.  Divis,  aufgenommen  und  vom  22.  April  ab  in  Baurup  (1.  schw.  F.  L. 
3.  A.  C. ;  Sect.  Lücke)  gepflegt.  An  der  Volarfläche  des  linken  Vorder- 
arms war  ein  fast  handtellergrosses  Hautstück  weggerissen,  das  Mittelstück 
des  Unterkiefers  3  Finger  breit  herausgesprengt,  die  umgebenden  Weich- 
theile  umfänglich  zerrissen.  Heftige  Blutungen,  welche  hier  eintraten,  wur- 
den durch  mit  Liq.  ferri  sesquichlorati  getränkte  Charpie-Tampons  gestillt. 
Der  Knochendefect  reichte  vom  linken  ersten  Backzahn  bis  zum  rechten 
Eckzahn,  der  indess  auch  nebst  dem  ersten  Backzahne  mit  herausgerissen 
war.  In  der  Wundfläche  lagen  mehrere  halb  lose  Knochenfragmente.  Die 
Lippe  hing  nur  am  rechten  Mundwinkel  an,  völlig  getrennt  von  der  Kinn- 
haut. Darunter  ein  zollbreiter  Hautdefect  und  ein  abgerissener  mit  der 
rechten  Wange  durch  eine  Hautbrücke  zusammenhängender  Lappen.  Links  war 
die  Kinnhaut  abgelöst  und  zusammengerollt;  sämmtliche  Lappen  hatten 
gangränöse  Ränder.  (S.  die  Abbildung  bei  Lücke  1.  c.  p.  102).  Ein  scheuss- 
licher  Gestank  steigerte  das  Widerwärtige  des  Anblickes  dieser  Verletzung. 
Sorgfältige  Reinigung;  Verband  mit  Chlorwasser.  Trotz  noch  bestehender 
starker  Infiltration  nahm  Lücke  schon  am  24.  April  eine  plastische  Ope- 
ration vor.  Die  gangränösen  Ränder  der  Hautlappen  wurden  abgetragen 
und  durch  Nähte  so  vereinigt,  dass  die  Unterlippe  restaurirt  war  und 
nur  rechts  in  der  Kinngegend  ein  Defect  blieb,  der  durch  Granulation  er- 
setzt werden  sollte.  (S.  fig.  2  bei  Lücke  1.  c.  pag.  103).  Die  prima 
intentio  gelang  bis  auf  einen  kleinen  Punkt.  Schon  am  18.  Mai  war  auch 
der  Kinndefect  durch  Granulation  geschlossen.  Anfangs  Juni  wurde  T. 
von  Gesichtsrose  befallen,  welche  erst  mit  der  Ablösung  eines  grossen  Se- 
questers vom  Unterkiefer  zum  Abschluss  gelangte.  Inzwischen  hatte  er 
auch  einen  tiefen  Abcess  in  der  linken  Hinterbacke  glücklich  überstanden. 
Mitte  Juli  war  die  Vernarbung  vollständig.  Eine  knöcherne  Verbindung 
der  Kieferenden  hat  sich  nicht  hergestellt.    Das  rechte  Ende  ist  mit  der 


133 


Unterlippe  verwachsen.  Das  Kauen  fester  Speisen  ist  gestört  durch  den 
Umstand,  dass  die  stehengebliebenen  Zähne  des  Unterkiefers  auf  die  cor- 
respondirenden  des  Oberkiefers  nicht  passen. 

Auch  bei  weniger  bedeutenden  Verletzungen  des  Kieferknochens 
wird  durch  die  Zerfetzungen  der  Weichtheile,  welche  Granatsplitter 
zu  bewirken  pflegen,  die  Frage  gestellt,  welcher  Zeitpunkt  für  die 
erforderlichen  plastischen  Operationen  zu  wählen  sei.  Man 
ist  darüber  keineswegs  einig.  Lücke  empfiehlt,  diese  Operationen 
möglichst  früh  zu  machen,  d.  h.  sobald  die  Sicherheit  da  ist, 
dass  keine  weiter  schreitende  Gangrän  den  Effect  mehr  stören  kann 
—  besonders  weil  wegen  des  allmähligen  Schrumpfens  der  Wund- 
lappen später  weit  verletzendere  Operationen  erforderlich  werden,  um 
den  Zweck  zu  erreichen.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  dass  das 
Stadium  der  Infiltration  kein  absolutes  Hinderniss  der  prima  in- 
tentio  ist. 

Eine  Schussfractur  des  Unterkiefers,  besonders  wenn  sie  dop- 
pelseitig und  mit  mehr  oder  weniger  bedeutenden  Verletzungen  in 
der  Mundhöhle  complicirt  ist,  pflegt  den  Verletzten  alsbald  in  die 
peinlichste  Lage  zu  bringen.  Zu  der  Störung  im  Kauen,  Schlucken 
und  Sprechen  und  zu  der  raschen  Schwellung  des  subcutanen  und 
submucösen  Zellgewebes  gesellt  sich  ein  profuser  Speichelfluss,  wel- 
cher ihn  zum  erquickenden  Schlafe  nicht  kommen  lässt. 

Der  Esmarch'sche  Irrigator  wird  in  diesem  Zustande  zum 
Wohlthäter  in  zwiefacher  Richtung.  Er  gestattet  dem  Verwundeten, 
die  Behaglichkeit  des  Mundausspülens  sich  beliebig  oft  zu  verschaf- 
fen und  flüssige  Nahrung  zu  nehmen,  ohne  die  zur  Einführung  der 
Schlundsonde  jedes  Mal  nöthige  Assistenz.  Die  Erfahrung  hat  ge- 
lehrt, dass  die  Verwundeten  sehr  schnell  den  Irrigator-Schlauch  zu 
dem  Zwecke  handhaben  lernen. 

Von  complicirten  Apparaten  und  Verbandweisen  zum  Zwecke 
der  Fixirung  der  Bruchenden  wurde  allgemein  abgestanden,  weil 
sie  von  den  Verwundeten  fast  nie  vertragen  werden,  wenn  sie  so 
angelegt  sind,  dass  sie  den  Zweck  erfüllen  können,  am  wenigsten 
von  Denen,  welche  ihrer  am  Dringendsten  zu  bedürfen  scheinen. 
Das  dreieckige  Tuch  war  das  einfachste  und  gebräuchlichste 
Haltmittel.  Mitunter  gewährten  Schlingen  von  Silberdraht, 
um  die  Zähne  geschlungen,  mit  Gutta-Percha-Rinnen  einigen 
Vortheil.  In  1  Falle  hat  man  die  zu  dem  Zwecke  durchbohrten 
Bruchenden  selbst  mittelst  Silberdraht  in  Contact  zu  erhalten  ver- 


134 


sucht.  Die  Consolidation  war  nach  2  Monaten  vollständig;  allein 
die  Einfachheit  des  Bruches  in  diesem  Falle  lässt  vermuthen,  dass 
die  Heilung  auch  ohne  die  Knochennaht  erfolgt  sein  würde. 

Resectionen  des  Unterkiefers  zu  machen,  lag  niemals  genü- 
gender Grund  vor  —  es  sei  denn,  dass  man  auch  die  Wegnahme 
grösstenteils  oder  ganz  gelöster  Knochensplitter  und  die  Glättung 
lädirender  Knochensplitter  durch  Knochenzange  oder  Säge  so  nennt, 
wie  es  missbräuchlich  bisweilen  geschieht. 

Die  Nebenverletzungen  in  der  Mundhöhle  und  namentlich  die 
der  Zunge  erheischen  eine  sorgsame  Beachtung  bei  der  Kur  der 
Schussbrüche  des  Unterkiefers.  Sie  sind  häufig,  weil  bei  der  Zer- 
trümmerung eines  so  harten  Knochens  wie  der  Unterkiefer  Stücke 
desselben  und  der  in  ihm  wurzelnden  Zähne  fortgeschleudert  und 
zersprengt  in  die  nachbarlichen  Weichtheile  eingetrieben  werden. 
Ohne  Zweifel  ist  es  gerathen,  bei  bedeutenden  Zerreissungen  der 
Art  Nähte  anzulegen.  Aber  gerade  bei  der  Zunge  ist  besondere 
Vorsicht  nöthig,  um  den  in  ihr  etwa  gebetteten  und  nicht  immer 
leicht  aufzufindenden  Fremdkörpern,  den  spontanen  Austritt  nicht 
zu  erschweren.    Derselbe  erfolgt  ohnehin  bisweilen  langsam  genug. 

Fall  84.  Einseitige  Schussfractur  des  Unterkiefers.  Ver- 
sprengung  von  Kiefer-  nnd  Zahn-Theilen  in  den  weichen  Bo- 
den der  Mundhöhle  und  in  die  Zunge.  Langsame  Elimination 
durch  Abscessbildung.  Heilung.  Grenadier  W.  Rauch  vom  Leib- 
Gren.-Reg.  No.  8  wurde  am  28.  März  von  einer  Miniekugel  getroffen  und 
zunächst  in  Stenderup  (1.  F. -L.  6.  Div.)  aufgenommen.  Die  Kugel  hat 
den  rechten  Horizontalast  des  Unterkiefers  in  der  Gegend  der  ersten  Back- 
zähne zertrümmert  und  ein  vier  Zähne  tragendes  Stück  des  Zahnfortsatzes 
auf  ihrem  Wege  quer  durch  die  Mundhöhle  unter  der  Zunge  weg  mitfort- 
gerissen. Eine  Ausgangsöffuung  ist  nicht  vorhanden,  die  Kugel  nirgends 
zu  fühlen.  Ihr  Sitz  verräth  sich  erst  durch  eine  allmählig  sich  entwickelnde 
schmerzhafte  Schwellung  an  der  linken  Seite  des  Halses.  Der  Abscess 
wurde  am  4.  April  vorsichtig,  als  handele  es  sich  um  den  Voract  zur 
Unterbindung  der  Carotis,  eröffnet.  In  der  Tiefe  desselben  fanden  sich 
dicht  an  der  nach  aussen  gedrängten  Schlagader  ausser  der  Kugel  mehre 
Knochen-  und  Zahn-Stücke.  Uebrigens  war  der  Verlauf  zunächst  der  bei 
solchen  Verletzungen  gewöhnliche.  Als  R.  am  22.  April  in  dem  heimischen 
Reserve-Lazarethe  zu  Havelberg  anlangte,  war  die  Schussöffnung  rechter 
Seits  bereits  vernarbt.  Die  Schnittwunde  an  der  linken  Seite  und  eine 
zweite  unter  dem  Kinne  granulirten  üppig.  Die  Verbindung  der  Bruch- 
enden war  bereits  ziemlich  fest;  immer  aber  an  der  Bruchfläche  des  Zahn- 
fortsatzes waren  noch  mehre  kleine  Sequester  zu  fühlen,  deren  Berührung 
Schmerzen  macht.  Der  Mund  kann  nur  wenig  geöffnet  werden.   Das  Spre- 


135 


chen  ist  sehr  erschwert,  das  Kauen  unmöglich.  Das  Allgemeinbefinden 
gut,  der  Schlaf  aber  durch  den  beständigen  Speichelfluss  gestört.  Die 
Zunge  ist  geschwollen,  wenig  beweglich  und  zeigt  am  rechten  Rande  eine 
stark  eiternde  Geschwürsöffnung.  Der  Boden  der  Mundhöhle  ist  infiltrirt 
und  hinter  dem  Kinne  tritt  rechts  eine  schmerzhafte  Geschwulst  vor. 
Warme  Breiumschläge  mindern  nicht  bloss  die  Schmerzen,  sondern  bewir- 
ken auch,  dass  der  Mund  etwas  weiter  geöffnet  werden  kann.  Am  3.  Mai 
lässt  sich  die  Geschwürsöffnung  an  der  Zunge  erweitern.  Es  ge- 
lingt, die  gesunden  Kronen  des  ersten  und  zweiten  Backzahnes  aus 
dem  Grunde  zu  extrahiren.  Folgenden  Tages  tritt  aus  der  Schnittwunde 
unter  dem  Kinn  ein  Stück  Zahnwurzel  zu  Tage  und  wird  von  dem  Kran- 
ken selbst  vollends  herausgenommen.  Nach  mehrtägigen  lebhafteren 
Schmerzen  geschieht  das  Nämliche  am  9.  Mai.  Hiernach  und  nach  Eröff- 
nung des  hinter  dem  Kinne  entwickelten  Abscesses  trat  grosse  Erleich- 
terung ein.  Am  25.  Mai  konnte  wieder  eine  sehr  lange  Zahnwurzel  aus 
der  Zunge  entfernt  werden.  Während  des  Juni  bemühte  man  sich,  die 
Zunge  etwas  beweglicher  zu  machen  durch  Trennung  der  Adhäsionen, 
welche  sie  am  Boden  der  Mundhöhle  fixirten.  Erst  Anfangs  Juli  klagte 
R.  von  neuem  über  Schmerzen  im  hinteren  Theile  der  Zunge.  Die  Unter- 
suchung ergiebt  auf  der  oberen  Fläche  einen  bereits  geöffneten  Abscess 
Nach  Erweiterung  der  Oeffnung  wird  am  4.  Juli  die  Krone  eines  Back- 
zahnes entfernt,  der  also  über  ein  Vierteljahr  in  der  Zunge  logirt  hatte. 
Die  völlige  Ausheilung  erlitt  nun  keine  Störung  weiter.  Der  Mund  konnte 
alsbald  vollständig  geöffnet  werden.  Die  wiederholten  Versuche,  der  hart- 
näckigen Neigung  der  rechten  Zungenhälfte  zum  Verwachsen  mit  dem 
Boden  der  Mundhöhle  mittelst  des  Messers  entgegenzuwirken,  führten 
endlich  dahin,  dass  zur  Zeit  der  Entlassusg  (11.  September)  die  Zunge 
wenigstens  bis  zur  Unterlippe  vorgestreckt  werden  konnte.  Die  Sprache 
war  dadurch  erheblich  gebessert. 


Zweites  Capitel. 

Die  Schussverletzungen  der  oberen  Glieder. 

Aus  den  vorausgeschickten  statistischen  Nachweisen  (v.  Tab. 
III,  IV  u.  V.)  ergab  sich,  dass  die  Schussverletzungen  der  Ober- 
glieder nächst  denen  der  unteren  Extremitäten  die  häufigsten  sind, 
in  der  Skala  der  Tödtlichkeit  dagegen  die  letzte  Stelle  einnehmen. 
Wie  die  einzelnen  Glied -Regionen  sich  in  diesen  Beziehungen  zu 
einander  verhalten,  zeigt  die  folgende  Uebersicht. 


136 


Tabelle  VIII. 


Preussen 

Dänen 

Getroffene 
Glied  -  Region 

verwundet 

gestorben 

verwundet 

gestorben 

Zahl 

pCt. 

Zahl 

pCt. 

Zahl 

pCt. 

Zahl 

pCt. 

155 

25 

22 

14,2 

110 

35 

27 

24,5 

Oberarm  

168 

28 

20 

11,9 

102 

32 

22 

21,5 

122 

20 

9 

7,3 

66 

21 

7 

10,6 

365 

27 

4 

2,4 

39 

12 

6 

15,4 

Summa  . 

610 

55 

9 

317 

62 

19,5 

Allgemeinen  Vergleichswerth  haben  von  den  vorstehenden  Zah- 
len natürlich  nur  die  den  preussischen  Antheil  betreffenden,  weil 
nur  sie  alle  an  den  Armen  durch  Schuss  Verletzte  umfassen,  auch 
die  beiden,  welche  auf  dem  Schlachtfelde  starben.  Beide  hatten 
Schult  er -Schüsse.  Ausgeschlossen  sind  nur  die  Glied -Schüsse, 
welche  mit  Brust-Schüssen  von  grösserer  Bedeutung  complicirt 
waren;  sie  sind  statistisch  bei  letzteren  in  Ansatz  gebracht. 

Die  Differenzen  der  Betheiligung  der  einzelnen  Gliedabschnitte 
sind  nicht  sehr  erheblich.  Dass  die  Hand  trotz  geringeren  Umfan- 
ges  mit  Schulter  und  Oberarm  concurrirt,  erklärt  sich  leicht  aus 
dem  Umstände,  dass  sie  in  der  Action  am  meisten  exponirt  ist. 

In  den  Procentzahlen  der  Mortalität  prägt  sich  das  bekannte 
Gesetz  aus,  nach  welchem  die  Gefährlichkeit  der  Gliederverletzungen 
mit  ihrer  Rumpfnähe  steigt.  Die  Zahlen  für  die  Dänen  habe  ich 
daneben  gestellt,  um  den  wesentlichsten  Grund,  warum  die  Tödtlich- 
keit  ihrer  Armschüsse  mehr  als  doppelt  so  gross  ist,  ersichtlich  zu 
machen.  Die  lethalste  Gruppe  ist  bei  ihnen  um  10  pCt.  mehr,  die 
ungefährlichste  um  15  pCt.  weniger  als  bei  den  Preussen  vertreten. 
Auch  innerhalb  der  einzelnen  Gruppen  finden  sich  bedeutende  Dif- 
ferenzen. Die  leichter  Verletzten  aller  Gruppen,  besonders  aber 
die  der  wenigst  lethalen  Gruppe,  entgingen  der  Gefangenschaft. 

Noch  deutlicher  prägen  sich  diese  Verhältnisse  aus  in  der 
nächsten  Tabelle,  welche  die  Arm -Schüsse  nach  ihrem  specielleren 
anatomischen  Character  gruppirt.  Vorweg  zu  bemerken  ist,  dass 
dabei  die  2  gefallenen  Preussen  und  dänischer  Seits  gleichfalls 
2  Schulter- Verletzte,  welche  bald  nach  der  Verwundung  starben, 
ausgeschlossen  sind,  weil  genauere  Data  über  sie  in  den  amtlichen 
Nachweisen  nicht  zu  finden  sind. 


137 


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I  I  I 


I  I  I 


Zahl  der 
Verw. 


Zahl  der 
Verw. 


Zahl  der 
Verw. 


CfQ 


Er- 
schöpfung 

Septi- 
caemie 


Pyaemie 


Brand 


Trisraus 


Accesso- 
rische 
Leiden 


CD 

2  » 

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CD  p 

p  B 
P 


B 
B 

gö 
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B 

PS 


138 


Nur  der  preussische  Antheil  in  der  vorstehenden  Tabelle  ist 
natürlich  brauchbar,  um  das  Häuh'gkeits-  resp.  Gefährlichkeits-Ver- 
hältniss  zu  berechnen,  in  welchem  die  bezeichneten  Gruppen  der 
Armschüsse  von  1864  zu  einander  stehen. 

Häufigkeit.  Mortalität. 
Gruppe  B   57  pCt.       1,1  pCt. 

-  E   31    -       11,3  - 

-  F     7    -       39,5  - 

-  Ä     3    -       40,0  - 

-  D     0,5-      100,0  - 

Häufigkeit  und  Gefahr  stehen  im  entgegengesetzten  Verhältnisse. 

Zur  Rubrik  „Todesursachen"  bemerke  ich,  dass  ich 
„Brand"  und  „Septicämie"  trotz  des  in  der  Regel  analogen 
Todesprocesses  getrennt  habe,  weil  die  Entmischung  des  Blutes 
durch  Jaucheresorption  gerade  bei  den  Schusswunden  so  oft  ohne 
die  gewöhnlichen  Zeichen  des  örtlichen  Brandes  vorkommt.  Die 
Trennung  der  „Septicämie"  von  der  „Pyämie"  bedarf  keiner  Recht- 
fertigung. Sind  auch  die  Relationen,  in  welchen  diese  beiden  Pro- 
cesse  zu  einander  stehen,  noch  nicht  vollständig  geklärt,  so  ist  doch 
die  Differenz  zwischen  den  reinen  Formen  klinisch  wie  pathalogisch- 
anatomisch  prägnant  genug.  Wohl  aber  bedarf  es  der  Entschuldi- 
gung, dass  ich  das  Sammelwort  „Pyämie"  beibehalten  habe,  obwohl 
es  keinem  Zweifel  mehr  unterliegt,  dass  genetisch  differente  Pro- 
cesse  darin  zusammengefasst  sind.  Die  klinische  Sonderung  hat  je- 
doch wegen  der  vielen  Mischformen  ihre  grosse  Schwierigkeit,  be- 
sonders in  der  Kriegsklinik,  deren  Sectionsbefunde  aus  nahe  lie- 
genden Gründen  nur  ausnahmsweis  für  feinere  Distinctionen  der 
Art  ausreichen.  Was  die  Kriegsklinik  von  1864  an  nutzbarem  Ma- 
terial zur  Beleuchtung  der  Pyämie- Frage  ergeben  hat,  werde  ich 
später  in  einem  besonderen  Capitel  zusammenfassen. 

Der  Kunsthülfe  wird  von  den  Schussverletzungen  der  oberen 
Extremitäten  ein  weites  und  dankbares  Feld  geboten.  Auf  ihm 
concentriren  sich  denn  auch  die  meisten  und  schönsten  Triumphe 
der  erhaltenden  Kunst. 

Die  äusseren  Umstände,  welche  bei  deren  Erzielung  von  Ein- 
fluss  sind,  können  im  Kriege  kaum  günstiger  sein,  als  sie  1864 
waren.  Das  Studium  der  in  diesem  Feldzuge  gewonnenen  Resul- 
tate wird  dadurch  um  so  belehrender. 


139 


A.    Abreissungen  und  Zermalmungen  grösserer  Glied- 
abschnitte. 

Die  Gruppe  der  Arm-Schüsse,  welche  die  gliederhaltende  Kunst 
unbedingt  ausschliessen,  —  möge  ein  grösserer  Gliedabschnitt  durch 
das  Geschoss  völlig  abgerissen  oder  nur  durch  Zermalmung  seiner 
Lebensfähigkeit  beraubt  sein  —  war  1864  trotz  des  vorwiegenden 
Belagerungskampfes  preussischer  Seits  nicht  allzu  zahlreich  (3  pCt. 
vgl.  Tab.  IX).  In  dem  Berichte  vonDjörup  ist  diese  Verletzungs- 
Categorie  nicht  gesondert.  Wir  erfahren  also  nicht,  wie  zerstörend 
die  Vollkugeln  und  die  Sprenggeschosse,  welche  von  unsern  Bela- 
gerungs-Batterien  jenseits  der  Düppeler  Schanzen  in  die  dänischen 
Reihen  und  Blockhäuser  schlugen,  auf  die  Arme  gewirkt  haben. 
Unter  den  in  unsere  Lazarethe  gelangten  Gefangenen  war  keiner 
mit  einer  solchen  Armverletzung. 

Die  preussischer  Seits  vorgekommenen  sind 

Abreissungen  Zermalmungen 
der  Hand  ....  1  2 
des  Unterarms  .  4  4 
des  Oberarms    .  1  8 
Summa  6  14 
Unter  den  später  zu  besprechenden  „Schuss-Fracturenu 
und  namentlich  unter  den  durch  Kartätschen  grossen  Calibers 
bewirkten,  sind  zwar  nicht  wenige,  welche  die  Lebensfähigkeit  des 
Gliedes  gleichfalls  vorweg  in  Frage  stellten.   Aber  im  Interesse  der 
Frage,  wie  weit  der  Feldarzt  mit  seiner  gliedconservirenden  Ten- 
denz gehen  dürfe,  habe  ich  in  diese  Gruppe  ausser  den  Abreissun- 
gen nur  wirkliche  Zermalmungen  der  Knochen  und  Weichtheile 
solchen  Umfanges  und  solcher  Tiefe  aufgenommen,  welche  selbst 
bei  dem  entschiedensten  Feinde  des  Amputationsmessers  die  Con- 
servirungsidee  nicht  aufkommen  lassen.   Eine  subcutane  Zermal- 
mnng  war  nicht  darunter. 


Tabelle  X. 


Art 
der 
Verletzung 

Zahl 
der 
Ver- 
letzten 

nicht 
am- 
putirt 

im  Hand 
gelenk 

Davo 

im 
Unterarm 

n  sind 
amputir 

im 
Oberarm 

t 

im  Schul- 
tergelenk 

am-  | 
putirt| 

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N 

N 

+ 

3 

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CSJ 

+ 

3 

öS 

N 

+ 

in 
Summa 

von 

4- 

Abreissun- 
gen u.  Zer- 
malmungen 

Hand  .  . 
Unterarm 
Oberarm 

3 
8 
9 

2 

2 

1 

2 
2 

6 
3 

3 
2 

4 

1 

3 
8 
7 

3 
3 

Summa 

20 

2 

2  |  1  |-|  4  |-|  9  |  5  |  4  |  1 

18 

6 

140 


In  2  Fällen  ist,  wie  die  Tabelle  zeigt,  nicht  amputirt.  In 
dem  einen  gebot  momentane  Erschöpfung  durch  Blutverlust  bei  Zer- 
malmung des  Oberarmes  das  Zögern  mit  der  indicirten  Absetzung 
im  Schultergelenk ;  der  Tod  kam  der  Operation  zuvor.  In  dem  an- 
deren (Füsilier  Fricke  vom  Füs.-Reg.  35)  hatte  am  18.  April  ein 
Granatstück  den  rechten  Oberarm  circa  4  Zoll  unter  dem  Schulter- 
gelenk abgerissen.  Die  dabei  durchrissene  Art.  brachialis  lag  wie 
torquirt  mit  dem  pulsirenden  Ende  circa  1  Zoll  lang  frei  im  Stumpfe. 
Man  beschränkte  sich  auf  einfachen  Verband  und  Eisblase.  Blu- 
tung trat  nicht  ein.  Erst  am  21.  Mai  erfolgte  der  Tod  durch 
Pyämie,  welche  der  Zeit  in  Broacker  manchen  kunstgerecht  Ampu- 
tirten  viel  schneller  wegraffte. 

Nur  ausnahmsweis  dürfte  indess  ein  Granatstück  so  gut  am- 
putiren,  dass  der  Chirurg  nicht  Anlass  hat,  behufs  der  Lebenser- 
haltung und  Bessergestaltung  des  Wundverlaufes  nachzuhelfen. 

Die  übrigen  18  Verwundeten  dieser  Categorie  sind  denn  auch 
primär  amputirt  worden  theils  auf  den  Verbandplätzen,  theils 
in  den  von  diesen  nicht  weit  entfernten  Depots  der  leichten  Feld- 
lazarette. 

Es  waren  2  Doppel-Amputationen  darunter.  Der  Gefreite 
Ludwig  Grünenthal  vom  Leib -Gren.- Reg.  8  erlitt  am  18.  April 
durch  Sprengstücke  eine  Zermalmung  der  linken  Hand  nebst  unte- 
rem Ende  des  Unterarms  und  eine  Zerschmetterung  des  rechten 
Fusses  nebst  Knöchel.  Auf  dem  Verbandplatze  des  1.  F.-L.  5.  Div. 
wurde  der  linke  Unterarm  im  oberen  Drittheil  (von  St.-A.  Dr. 
Siegert),  der  rechte  Unterschenkel  hoch  oben  (vom  Chefarzt 
Dr.  Abel)  amputirt.  Der  Verlauf  war  ein  glücklicher,  obwohl 
auch  das  linke  Schienbein  eine  Absplitterung  erlitten  hatte. 

Dem  Kanonier  Karl  Schale  von  der  3.  Art.-Brgd.  wurden  am 
3.  April  in  einer  Belagerungs-Batterie  vor  Düppel  durch  eine  beim 
Laden  crepirende  Granate  die  Weichtheile  des  Gesichtes  zerfleischt 
und  beide  Unterarme  zerrissen. 

Auf  dem  Verbandplatze  des  1.  F.-L.  der  Garde-Div.  zu  Wiel- 
hoi  wurde  alsbald  der  linke  Unterarm  hoch  oben  (vom  St.-A. 
Dr.  Grasnick)  und  der  rechte  Oberarm  in  der  Mitte  (vom  Chef- 
arzt Dr.  Ulrich)  amputirt.  Allein  die  Erschöpfung  führte  schon 
am  nächsten  Tage  zum  Tode.  (In  der  Tabelle  X.  ist  dieser  Fall 
als  Oberarm-Amputation  gezählt.) 

Die  anderen  5  Todesfälle  kommen  auf  Rechnung  der  Pyämie, 


141 


welche  nach  dem  18.  April  in  Folge  von  Ueberfüllung  mit  Schwer- 
verletzten in  mehreren  Lazarethlokalen  zu  Broacker  sich  ent- 
wickelte Von  den  in  anderen  Lazarethen  gepflegten  Amputirten 
dieser  Categorie  ist  keiner  gestorben. 

Am  Schlüsse  dieses  Kapitels  werde  ich  eine  Uebersicht  aller 
an  den  oberen  Extremitäten  ausgeführten  Operationen  geben  und 
Bemerkungen  über  die  operative  Technik  etc.  daran  knüpfen.  Hier 
beschränke  ich  mich  deshalb  auf  ein  kurzes  Verzeichniss  jener  Am- 
putirten, welche  geheilt  wurden. 

1)  p.  Grünenthal  vgl.  oben  „ Doppelamputation". 

2)  Füs.  Friedrich  Schulz  IV.  vom  64.  Inf.-Reg  Zermalmung 
der  rechten  Hand  durch  Granatsplitter  am  18.  April;  eodem  Ex- 
articulation  im  Handgelenk  im  schw.  F.-L.  des  Garde.-C.  zu 
Broacker  (St.-A.  Dr.  Michel).  Völlige  Vernarbung  am  5.  Juli 
in  Glücksburg.  Verblieb  bis  zum  4.  October  in  Kiel  behufs 
Empfanges  einer  künstlichen  Hand. 

3)  Füs.  Heinr.  Daubenspeck  vom  13.  Inf.  Reg.  Zerreissung 
der  linken  Hand  am  2.  Februar  vor  Missunde.  Amputation 
des  Unterarms  nahe  über  dem  Handgelenk,  im  Depot  des  1. 
F.-L.  der  Kav.-Div.  zu  Cosel  (vom  Chefarzt  Dr.  Neubaur).  Traf 
am  31.  März  mit  völlig  vernarbter  Wunde  in  Berlin  ein. 

4)  Gefreiter  Gottlieb  Bock  vom  Füs.  -  Reg.  35.  Vor  Mis- 
sunde am  2.  Februar.  Zermalmung  im  linken  Handgelenk. 
Amputation  des  Unterarmes  auf  dem  Truppen  -  Verbandplatze  in 
der  Ornumer  Mühle  (vom  Reg.-Arzt  Dr.  Bein).  Bei  seinem  Ein- 
treffen in  Berlin  am  29.  März  war  die  Vernarbung  vollendet. 

5)  Kanonier  Gottfried  Stürmer  von  der  3.  Art.-Brg.,  erlitt  am 
19.  April  durch  das  beim  Entladen  eines  gezogenen  Geschützes  ex- 
plodirende  Geschoss  ausser  Verbrennungen  im  Gesicht  und  am 
rechten  Oberschenkel  eine  Zermalmung  des  rechten  Unterar- 
mes im  unteren  Drittheil.  Amputation  des  Unterarmes  im 
oberen  Dritt  heil  im  L  F.-L.  der  6.  Division  (vom  Chefarzt  Dr. 
Taubner).  Völlige  Vernarbung  am  20.  Juni.  Blieb  in  Kiel  zum 
Empfange  eines  künstlichen  Armes  bis  zum  20.  October. 

6)  Musk.  Wilhelm  Wittstock  vom  60.  Inf.-Reg.,  erlitt  am 
17.  März  bei  Düppel  eine  Zermalmung  des  rechten  Unterar- 
mes durch  Granatsplitter  und  wurde  sofort  auf  dem  Kampfplatze 
vom  St.-A.  Dr.  Rosenzweig  im  unteren  Drittheil  des  Ober- 
armes amputirt.   Die  Wunde  wurde  durch  Nähte  nicht  vereinigt. 


142 


Im  Lazareth  zu  Broacker  Umhüllung  des  Stumpfes  mit  Watte.  Ver- 
narbung Mitte  Juli  vollendet.  Blieb  in  Kiel  zum  Empfange  eines 
künstlichen  Armes  bis  zum  4.  October. 

7)  Musk.  Heinrich  Kasan  vom  18.  Inf.-Reg.  Am  28.  März 
vor  Düppel  Abreissung  des  rechten  Unterarms  mit  Zerreissung 
der  Weichtheile  am  Oberarm.  Sofortige  hohe  Amputation  des 
Oberarmes  mittelst  Cirkelschnitt  auf  dem  Verbandplatze  des 
1.  F.-L.  6.  Div.  in  der  „Grützmühle"  (St. -A.  Dr.  Bött  ich  er). 
Heilung  p.  p.  i.  bis  auf  die  Canäle  der  Ligaturfäden.  Ende  Mai 
(im  Res.-Lz.  zu  Burg)  abscedirende  phlegmone  am  Stumpf.  De- 
finitive Vernarbung  am  18.  Juli. 

3)  Musk.  Emil  Till  vom  Leib-Gren.-Reg.  8.  Abreissung 
des  linken  Unterarms  am  18.  April.  Abends  Amputation 
des  Oberarms  im  Depot  des  1.  F.-L.  13.  Div.  zu  Wester-Schna- 
beck  (St.-A.  Dr.  Hage  mann).  Definitive  Vernarbung  nach  Extra- 
ction  von  zwei  Ligaturfäden  am  8.  Juli  in  Kiel,  wo  er  zum 
Empfang  eines  künstlichen  Armes  bis  2.  October  verblieb. 

9)  Füs.  Friedrich  Wittike  vom  Leib-Gren.-Reg.  8  erlitt 
am  13.  April  vor  Düppel  eine  Zermalmung  des  rechten  Ober- 
armes im  Ellenbogengelenk  durch  Granatsplitter.  Hohe 
Amputation  des  Oberarmes  im  1.  F.-L.  6.  Div.  zu  Stende- 
rup  (Chefarzt  Dr.  Taubner).  Vernarbung  am  18.  Juni  vollendet. 
Blieb  in  Kiel  bis  4.  October  zum  Empfange  eines  künstlichen 
Armes. 

10)  Grenadier  Karl  Kühn  vom  4.  Garde-Reg.  z.  F.  wurde  am 
23.  Februar  auf  Strandwacht  bei  Stenderup  von  einer  Schiffs-Voll- 
kugel  getroffen.  Reg.-A.  Dr.  Grosse  exarticulirte  sofort  den  zer- 
malmten rechten  Oberarm  im  Schultergelenk.  Heilung  am 
15.  Juni  in  Berlin  vollendet. 

11)  Füs.  Friedrich  Trieb  vom  35.  Füs.-Reg.  Am  18.  April 
Zermalmung  des  linken  Oberarmes  durch  Granatsplitter.  Exarti- 
culation  im  1.  F.-L.  Cav.-Div.  durch  Chefarzt  Dr.  Neubaur. 
Vernarbung  5.  Juli.    Heimgesandt  über  Kiel  am  15.  August. 

12)  Musk.  Joseph  Piskoroz  vom  18.  Inf.-Reg.  Zermalmung 
des  linken  Oberarmes  durch  Granatsplitter  am  18.  April.  Selben 
Tags  Exarticulation  im  1.  F.-L.  13.  Div.  zu  Wester -Schnabeck 
durch  St.-A.  Dr.  Hagemann.  Vollständige  Vernarbung  im  Juli 
zu  Kiel,  wo  er  bis  zum  4.  September  verblieb. 


143 


B.  Weichtheil-Schüsse. 

Bei  unsern  Verwundeten  gehört  nach  Tab.  IX.  mehr  als  die 
Hälfte  (57  pCt.)  der  Arm-Schüsse  zu  den  einfachen  d.  h.  den- 
jenigen, welche  sowohl  die  grösseren  Nerven-  und  Gefäss  -  Stämme 
als  die  Knochen  und  Gelenke  verschont  haben.  Sie  bilden  den  Ge- 
gensatz der  eben  besprochenen  Gruppe.  Ich  habe  sie  in  leichte 
und  schwere  gesondert  und  ersteren  alle  oberflächlicheren  Prell- 
schüsse, Streifschüsse  und  Haut- Haarseilschüsse,  letzteren  die  aus- 
gedehnteren Hautzerreissungen ,  die  tiefer  wirkenden  Prellschüsse 
und  alle  in  die  Muskulatur  tiefer  eindringenden,  resp.  dieselbe 
durchdringenden  Verletzungen  zugezählt.  Tabelle  IX  ergiebt,  dass 
in  diesem  Sinne  2  Drittheile  der  Weichtheilschüsse  leichte,  ein  Drit- 
theil schwere  waren.  Bei  7  Officieren  und  84  Mann  war  die  Ver- 
letzung so  leicht,  dass  Pflege  im  Lazareth  nicht  nöthig  wurde.  Bei 
dem  dänischen  Antheile  finden  wir  diese  Verhältnisse  umgekehrt. 
Die  Weichtheilschüsse  repräsentiren  nur  45  pCt.  und  die  Zahl  der 
„schweren"  darunter  ist  grösser  als  die  der  leichten. 

Alle  die  bekannten  Variationen  in  Form,  Richtung  und  Aus- 
dehnung waren  unter  diesen  Verletzungen  vertreten;  ich  verschone 
indess  den  Leser  mit  numerischen  Angaben  darüber,  weil  ein  prak- 
tisches Interesse  sich  kaum  daran  knüpfen  dürfte.  Nur  was  die 
Schusskanäle  betrifft,  sei  bemerkt,  dass  die  blinden  viel  seltener 
waren  als  die  mit  2  Oeffnungen.  Das  Langblei  macht  durchschnitt- 
lich viel  kleinere  Hautlöcher  als  die  dänische  Spitzkugel  grösseren 
Calibers.  Dieses  Moment  ist  namentlich  bei  den  Schüssen  des  Ober- 
schenkels von  Einfluss  auf  den  Verlauf  gewesen;  bei  den  Arm- 
schüssen lässt  sich  ein  solcher  nicht  nachweisen.  Wenigstens  wa- 
ren Eitersackungen  in  Folge  der  tieferen  Weichtheilschüsse  am 
Arme  bei  unseren  Verwundeten  durchaus  nicht  seltener  als  bei  den 
dänischen. 

Besonders  bei  den  tieferen  Schüssen  der  Schultergegend 
erfordert  diese  Complication  des  Verlaufes  die  grosseste  Aufmerk- 
samkeit, weil  sie  nicht  bloss  die  Dauer  und  die  Beschwerden  des 
Wundlagers  sehr  vergrössern,  sondern  selbst  das  Leben  gefährden 
kann. 

Fall  85.  Tiefer  Weiehtheilschuss  durch  die  Schulter.  Eiter 
Senkungen.  Blutungen.  Zellgewebe- und  Muskel-Verjauchung. 
Tod.    Pionier  Christian  Schumacher  vom  2.  Pion.-Bat.  erhielt  am 

Loeffler,  Generalbericht.  10 


144 


18.  April  einen  Gewehrschuss  durch  die  rechte  Schulter.  Eingang  in  der 
rechten  Subclaviculargend,  Ausgang  am  hinteren  Rande  des  Deltamuskels. 
Obwohl  im  Lazareth  (Flensburg)  wegen  der  Nähe  des  Schultergelenks  eine 
intensive  und  consequente  Eisbehandlung  eingeleitet  wurde,  stellte  sich 
eine  starke  Eiterung  mit  Sackungen  in  der  Achselhöhle  ein.  Incision  und 
Fortsetzung  der  Eisumschläge.  Trotzdem  weitere  Senkung  des  Eiters  nach 
dem  Oberarme  wie  an  der  Brustwandung.  Der  Eiter  selbst  wird  jauchig 
und  statt  des  bis  zum  8.  Tage  kaum  getrübten  Allgemeinbefindens  tritt  die 
acute  Wundhectik  mit  kleinem  frequentem  Pulse  und  profusen  Schweissen 
ein.  Auch  weitere  Incisionen  vermögen  dem  Verjauchungsprocesse  nicht 
Schranken  zu  setzen.  Anfangs  Mai  gesellen  sich  wiederholte  und  heftige 
Blutungen  hinzu,  welche  die  Kräfte  vollends  erschöpfen.  Tod  am  7.  Mai. 
Bei  der  Section  fand  sich  eine  weitausgedehnte  Verjauchung  des  Zellge- 
webes und  der  Muskulatur  an  Schulter,  Oberarm  und  Brustwandung. 

Fall  86.  Tiefe  Weichtheilverle  tzung  an  der  Schulter  durch 
Granatsplitter.  Eitrige  Infiltration.  Thrombotische  Pneu- 
monie. Tod.  U.-O.  Friedrich  Schräder  vom  4.  Garde.-Reg.  z.  F. 
wurde  am  4.  April  vor  Düppel  von  einem  Granatsplitter  an  der  rechten 
Schulter  dicht  unter  dem  Acromion  getroffen.  Das  Geschoss  hatte  sich 
in  den  Deltamuskel  eingebohrt  und  war  alsbald  extrahirt.  Die  örtliche 
Reaction  war  heftig.  Die  Schwellung  und  schmerzhafte  Infiltration  er- 
streckte sich  rasch  über  den  ganzen  Arm  trotz  der  Eisapplication.  Schon 
am  7.  April  wurde  durch  3  Incisionen  viel  dünnflüssiger  Eiter  entleert. 
Schmerzen  und  Fieber  ermässigen  sich  danach.  Am  9.  April  werden  den 
fluctuirenden  Stellen  entsprechend  weitere  Incisionen  gemacht.  Der  Eiter 
wird  nun  jauchig.  Chinin  und  Wein,  örtlich  Einspritzungen  einer  Lösung 
des  Kali  hypermanganicum  wirken  sichtlich  günstig.  Aber  am  16.  April 
treten  die  Erscheinungen  einer  Pneumonie  hinzu,  welche  unter  rapid  stei- 
gender Dyspnö  am  19.  April  zum  Tode  führt.  Section:  Bronchien  mit 
Schleim  gefüllt;  rechte  Lunge  hyperämisch;  im  oberen  und  unteren  Lap- 
pen pneumonische  Heerde  von  der  Oberfläche  keilförmig  nach  Innen  ge- 
hend.   Oberer  Lappen  der  linken  Lunge  eitrig  infiltrirt. 

Der  Verlauf  des  ersten  Falles  fällt  in  die  Periode  der  Lazareth- 
überfüllung  nach  dem  18.  April.  Da  besondere  örtliche  Anlässe 
wenigstens  nicht  erwiesen  sind,  darf  angenommen  werden,  dass  er 
sich  unter  dem  Einflüsse  des  Hospital -Miasma  so  ungünstig  gestal- 
tete. Im  zweiten  Falle  stellt  die  schnell  nach  der  Verletzung  über 
den  ganzen  Arm  ausgedehnte  Schwellung  ausser  Zweifel,  dass  der 
in  den  Deltamuskel  gedrungene  Granatsplitter  einen  Nervenstamm 
gequetscht  habe.  Die  Form  der  Pneumonie  ist  die  thrombotische. 
Fehlt  auch  der  Nachweis  im  Sectionsprotokoll,  so  wurde  sie  doch 
ohne  Zweifel  durch  den  Zerfall  des  in  der  gequetschten  Vene  ent- 
standenen Thrombus  herbeigeführt. 


145 


Fall  87.  Tiefer  Weichtheilschuss  in  der  Hohlhand.  Eitersen- 
kungen. Pyäraie.  Tod.  Untercorporal  Jonas  Frederiksen  vom  18. 
dän.  Iuf.-Reg.,  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet.  Die  Kugel  war  tief  in 
die  Muskulatur  an  der  Volarseite  des  linken  Daumen  eingedrungen  und 
wurde  extrahirt.  Luxation  des  Carpo-metarcarpus-Gelenkes.  Im  Lazarethe 
zu  Glücksburg  wurde  Anfangs  Eis  applicirt,  später  das  permanente  Warm- 
wasserbad benutzt.  Guter  Verlauf  bis  zum  8.  Tage.  Die  Eiterung  wurde 
nun  jauchig.  Zugleich  entstanden  Eitersenkungen  in  allen  Richtungen,  be- 
gleitet von  typhusartigen  Zufällen.  Am  12.  Juli  erster  Schüttelfrost,  am 
13.  der  zweite.  Tod  am  14.  Juli.  Die  Section  ergab  zerfallene  Throm- 
ben in  der  Axillarvene  und  Eiterheerde  in  Lunge  und  Leber. 

Dieser  Fall  repräsentirt  eine  Combination  der  Septicämie  mit 
thrombotischer  Pyämie.  Die  Salubrität  der  Lazarethe  in  Glücks- 
burg war  unmittelbar  nach  dem  Kampfe  auf  Alsen,  von  welchem 
rasch  sehr  viel  Verwundete  dahin  gelangten,  nicht  die  beste.  Das 
Hospital -Miasma  würde  indess  mit  mehr  Sicherheit  als  Ursach  der 
Septicämie  in  diesem  Falle  bezeichnet  werden  können,  wenn  nicht 
die  Luxation  neben  der  Weichtheilverletzung  bestanden  hätte  und, 
da  das  Sectionsprotokoll  über  den  Lokalbefund  schweigt,  fraglich 
Hesse,  welchen  Einfluss  eine  etwaige  Mitverletzung  des  luxirten  Ge- 
lenkes auf  den  Verlauf  gehabt  hat. 

Nur  drei  Todesfälle  der  Art  unter  490  Verletzten.  Die  Opfer, 
welche  der  pyämische  Process  unter  den  nicht  complicirten  Weich- 
theilschüssen  der  oberen  Extremitäten  fordert,  erscheinen  danach 
als  Ausnahmen,  um  so  mehr,  da  ich  eine  sehr  grosse  Zahl  von 
Fällen  gegenüberstellen  könnte,  in  denen  trotz  ausgedehnter  Infil- 
trationen und  Eitersackungen,  trotz  wiederholter  Blutungen  während 
der  Eiterungsperiode  die  Heilung  gelang  —  in  den  nämlichen  La- 
zarethen  und  in  denselben  Perioden,  welchen  die  vorerwähnten  To- 
desfälle angehören.  Der  früh-  und  rechtzeitige  Gebrauch  des  Mes- 
sers und  der  Irrigator  haben  zu  diesem  Resultate  nicht  wenig  bei- 
getragen. Aber  der  Umstand,  dass  verbreitete  Eitersenkungen  bei 
einfachen  Weichtheilschüssen  überhaupt  häufig  waren,  obgleich  eine 
genügende  örtliche  Antiphlogose  durch  Eis-Application  die  Kur  fast 
allgemein  eröffnete,  verdient  Beachtung.  Die  üble  Manier,  den 
Eiter  auszudrücken,  ist  noch  nicht  vollständig  verbannt.  Nur 
ausnahmsweis  sah  ich  dieselbe  bei  einem  Arzte;  um  so  strenger 
werden  die  Gehülfen  zu  instruiren  und  zu  controlliren  sein.  Wie 
schwer  es  ist,  alte  Gewohnheiten  auszurotten,  sieht  man  an  dem 
Gebrauche  der  Schwämme.    Der  Irrigator  wird  ihnen  hoffentlich 

10* 


146 


die  Thür  zu  den  Wundlazarethen  verschliessen,  wäre  es  auch  nur, 
um  zu  verhüten,  dass  die  Hand,  welche  den  Schwamm  erfasst  hat, 
um  die  Peripherie  einer  eiternden  Fläche  zu  reinigen,  trotz  des  be- 
reiten Irrigators  nach  alter  Gewohnheit  auch  über  die  zarten  Gra- 
nulationen zerstörend  hinfährt.  Dergleichen  Unsitten  bedrohen  nicht 
immer  das  Leben;  aber  sie  stören  und  verzögern  unnöthig  den 
Heilproeess. 

Uebrigens  möchte  ich  nicht  dafür  einstehen,  dass  alle  Fälle 
von  tiefen  Weichtheilschüssen,  welche  ich  in  Tab.  X.  als  solche 
bezeichnet  habe,  ganz  einfache  gewesen  sind.  Hier  und  da  mag 
eine  unentdeckt  gebliebene  Knochen  -  Streifung  oder  Contusion  die 
Ursache  langer  Eiterung  mit  Senkungen  gewesen  sein.  Wie  sehr 
die  sehnen-  und  sehnenscheidenreichen  Regionen  der  Hand  dazu 
neigen,  ist  bekannt. 

Stromeyer  hat  in  seinen  Maximen  (S.  480)  auf  eine  beson- 
dere Art  der  Verletzung  des  Schultergelenkes  aufmerksam  gemacht, 
nämlich  die  zufällige  Eröffnung  der  Kapsel  bei  einer  In- 
cision,  welche  den  die  lange  Sehne  des  Biceps  begleiten- 
den Fortsatz  derselben  trifft.  Da  dergleichen  Fälle  nicht  häufig 
sein  dürften,  so  will  ich  einen  mittheilen,  dessen  Verlauf  kaum  an- 
ders zu  erklären  ist. 

Fall  88.    Tiefer  Weichtheilschuss  im  oberen  Drittheile  des 
Oberarms.    Heilung  mit  Luxation  des  Humerus.    Der  Lazareth- 
gehülfe  August  Mewes  vom  3.  Jäger-Bat.  wurde  am  29.  Juni  auf  Als en 
verwundet  und  zunächst  in  Sandberg  (1.  F.-L.  5.  Div.)  aufgenommen. 
Die  Kugel  ist  am  linken  Oberarm  im  oberen  Drittheil  an  der  hinteren  Seite 
eingedrungen  und  an  der  vorderen  inneren  Seite  in  derselben  Höhe  aus- 
getreten.   Humerus  und  Schultergelenk  erscheinen  unverletzt.  Reaction 
sehr  gering;  ungestörter  Verlauf  bis  zum  9.  Juli,  wo  eine  kleine  venöse 
Blutung  aus  der  vorderen  Wundöffnung  eintrat.  Dieselbe  wurde  leicht  ge- 
stillt, wiederholte  sich  aber  ziemlich  stark  in  der  folgenden  Nacht  und 
stand  erst  nach  längerer  Compression.  Pat.  will  auch  sonst  nach  leichten 
Verletzungen  stark  geblutet  haben  und  giebt  an,  mehrere  Verwandte  mit 
gleicher  Neigung  zu  besitzen.  Es  wurde  Mixt,  sulph.  acid.  verordnet.  Nur  noch 
einmal  kehrte  die  Blutung  wieder.    Demnächst  verlief  die  Ausheilung 
der  Schusswunde  normal,  so  dass  am  23.  Juli  die  Evacuation  nach  Flens- 
burg erfolgen  konnte.    Man  fand  M.  hier  anämisch,  an  Brustkatarrh  und 
nächtlichen  Schweissen  leidend  —  die  Wunde  aber  sehr  massig  und 
gut  eiternd,  die  Bewegungen  des  Schultergelenkes  vollkom- 
men frei  und  schmerzlos.    Bis  Mitte  August  keine  wesentliche  Aen- 
derung.  Aber  die  Fortdauer  des  Fiebers  mit  nächtlichen  Schweissen  erregt 
den  Verdacht  auf  sich  entwickelnde  Tuberculose  der  Lungen. 


147 


Am  17.  August  wird  eine  Eitersackung  in  der  Gegend  der  In- 
sertion des  Deltamuskels  constatirt  und  eine  Incision  gemacht. 
Hiernach  und  beim  Gebrauche  von  China  besseres  Allgemeinbefinden  trotz 
fortdauernder  Schweisse.  Am  3.  September  erheischt  eine  Infiltration  an 
der  unteren  äusseren  Seite  des  Oberarmes  eine  neue  Incision.  Derselbe 
Vorgang  in  der  Achselhöhle  am  12.  und  17.  September  und  gegen  Ende 
des  Monates  wieder  an  der  äusseren  Seite  des  Armes.  Dabei  sinken  die 
Kräfte.  Auch  im  October  kommt  es  noch  wiederholt  zur  Bildung  von 
Eiterdepots  bald  an  der  inneren  bald  an  der  äusseren  Seite  des  Armes 
und  ebenso  oft  zu  Incisionen.  Erst  im  November  lässt  die  Eiterung  merk- 
lich nach.  Am  15.  December  1864  wird  Pat.  von  dem  Cantonnements-La- 
zareth  des  11.  Grenadier-Reg.  in  Flensburg  übernommen.  Es  wurde  eine 
nicht  zu  reponirende  Luxation  des  Humerus  nach  vorn  con- 
statirt. Die  eine  Schussöffnung  und  die  meisten  Incisionswunden  sind 
geschlossen.  Cachectisches  Aussehen,  grosse  Abmagerung,  Hectik;  physi- 
kalische Zeichen  von  Infiltration  der  Lungenspitzen.  Bei  dem  Gebrauche 
von  Ol.  jecoris  und  Ferrum  lacticum  langsame  Besserung.  Anfangs  Januar 
1865  schliesst  sich  die  letzte  Incisionswunde.  Gegen  Ende  Januar  verlie- 
ren sich  die  nächtlichen  Schweisse.  Der  im  Februar,  März  und  April  fort- 
gesetzten sorglichen  diätetischen  und  arzneilichen  Pflege  gelingt  es,  jede 
Spur  des  schweren  Allgemeinleidens  zu  verwischen.  Bei  der  Entlassung 
am  13.  Mai  1865  sah  M.  blühend  und  kräftig  aus.  Der  luxirte  Ober- 
arm steht  freilich  unbeweglich  fest,  nur  den  Bewegungen  der  Sca- 
pula  folgend.  Die  Muskeln  desselben,  namentlich  der  Deltoideus,  sind  sehr 
atrophisch.  Die  Bewegungen  des  Unterarms  und  der  Hand  sind  ziem- 
lich frei. 

Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass  in  diesem  Falle,  des- 
sen glücklicher  Ausgang  ein  schönes  Zeugniss  der  Sorgfalt  ist,  mit 
welcher  er  behandelt  und  gepflegt  wurde,  eine  Vereiterung  des 
Schultergelenkes  stattgefunden  hat.  Da  jedes  Zeichen  einer 
Affection  des  Gelenkes  bis  zu  der  ersten  Incision  am  17.  August 
fehlte,  so  darf  jene  von  dieser  datirt  werden. 

Aus  Tabelle  IX  ist  ersichtlich,  dass  von  den  113  Todesfällen 
nach  Schussverletzungen  der  oberen  Extremitäten  10  =  circa  9  pCt. 
auf  Rechnung  des  Trismus  kommen.    Auch  dieser  Wundcompli- 
cation  wird  später  ein  besonderes  Capitel  gewidmet  werden.  Unter 
jenen  Todesfällen  war  nur   eine  Hand-,   keine  Finger- Ver- 
letzung.   Zwei  davon  gehören  zur  Gruppe  der  einfachen  Weichtheil- 
schüsse  in  der  Schultergegend. 
Fall  89.   Weichtheilschuss  an  der  Schulterhöhe.   Tetanus.  Tod. 
Musk.  Friedrich  Paetzke  vom  48.  Inf. -Reg.  erhielt  am  15.  März  beim 
Uebergange  nach  Fehmarn  eine  Kugel,  welche  haarseilartig  die  Weich- 
theile  über  Clavicula  und  Scapula  gerade  von  vorn  nach  hinten  linker 
Seits  durchsetzte.  Der  Verlauf  der  anscheinend  leichten  Verletzung  zeigte 


148 


im  Lazarethe  zu  Oldenburg  (Holstein)  während  der  ersten  8  Tage  keine 
ungewöhnliche  Erscheinung.  Am  24.  März  kam  aus  der  hinteren  Wund- 
öffnung ein  Papierpfropf  zu  Tage.  Am  25.  März  die  ersten  Zeichen  des 
Trismus.  Die  tetanischen  Anfälle  tödteten  bereits  nach  48  Stunden. 
Fall  90.  Haarseilschuss  an  der  Schulter.  Tetanus.  Tod.  Sergeant 
Heinrich  Schwan  vom  Leib-Gren.-R.  No.  8  wnrde  am  28.  März  in  dem 
Nachtgefecht  vor  Düppel  an  der  Aussenseite  der  rechten  Schulter  getroffen. 
Das  Geschoss  hatte  dort  die  Weichtheile  haarseilartig  durchsetzt.  Kanal 
gegen  3  Zoll  lang.  Im  Lazarethe  zu  Stenderup  wurde  am  29.  März  ein 
Zündspiegel  extrahirt.  Ungewöhnliche  Aufregung  und  Reizbarkeit  bei 
der  anscheinend  nicht  schweren  Verletzung.  Die  ersten  Symptome  des 
Trismus  stellten  sich  am  6.  April  ein.  Schon  nach  2  Tagen  erfolgte  der 
Tod  durch  Tetanus. 

In  beiden  Fällen  ist  leider  durch  die  Section  nicht  aufgeklärt, 
ob  die  Läsion  eines  grösseren  Nervenastes  im  Wundbereiche  die  an 
und  für  sich  leichten  Haarseilschüsse  complicirt  habe. 

Günstiger  verlief  die  Trismus  -  Complication  in  einem  dritten 
Falle  von  Schulter  -  Weichtheilschuss,  obgleich  dabei  ein  grösserer 
Nervenstamm  vorübergehend  insultirt  wurde. 

(Lieut.  Carl  S.  vom  53.  Inf. -Reg.,  am  18.  April  verwundet.) 
Herr  Dr.  Res  sei  hat  denselben  (1.  c.)  ausfürlich  mitgetheilt.  Die 
Kugel  war  am  vorderen  Rande  der  rechten  Achselhöhle  eingetreten 
und  wurde  am  sechsten  Tage  eine  Hand  breit  über  dem  Cond.  int. 
hum.  an  der  innern  Seite  des  Oberarmes  entdeckt  und  ausgeschnit- 
ten. Sie  hatte  nur  die  Weichtheile  verletzt,  wahrscheinlich  aber 
den  N.  ulnaris  insultirt,  da  Schmerzen  im  Laufe  dieses  Ner- 
ven vor  dem  Ausschneiden  der  Kugel  bestanden  hatten. 
Oertlich  wie  allgemein  war  die  Reaction  von  Anfang  an  sehr  hef- 
tig, und  die  Ausheilung  verzögerte  sich  durch  Eitersenkungen.  Am 
5.  Mai  wurde  Schwierigkeit  und  Schmerz  beim  Mundöffnen  empfun- 
den; am  6.  Mai  Hess  sich  kaum  ein  Finger  zwischen  die  Zahn- 
reihen einschieben.  Es  wurden  Blutegel  im  Nacken  gesetzt  und 
zweistündlich  \  Gr.  Morphium  gereicht.  Am  9.  Mai  waren  die 
Trismussymptome  verschwunden. 

Solche  abortive  Trismusformen  sind  im  Feldzuge  von  1864 
auch  bei  Verletzungen  anderer  Regionen  mehrfach  vorgekommen 
und  —  bei  sehr  verschiedener  Therapie  —  glücklich  vorüberge- 
gangen. Nicht  immer  gehen  peripherische  Neuralgien  im  Ver- 
letzungs-gebiete  voraus. 


149 


C.    Weichtheilschüsse  mit  Verletzung  von 
Nervenstämmen. 

Die  Mitverletzung  grösserer  Gefäss-  und  Nervenstämme  ist  bei 
den  Knochen-  und  Gelenkschüssen  der  Glieder  eins  der  wesentlich- 
sten Hindernisse  der  conservativen  Chirurgie.  Wir  werden  später 
sehen,  wie  oft  sie  1864  Anlass  war,  dem  Amputationsmesser  eine 
Concession  zu  machen.  Werden  bloss  Weichtheile  von  dem  Ge- 
schosse getroffen,  so  weichen  die  durch  ihre  Scheiden  geschützten 
Ader=  und  Nervenstämme  in  der  Regel  glücklich  aus.  Was  insbe- 
sondere die  letzteren  betrifft,  so  beweist  die  kleine  Zahl  von  9  Mit- 
verletzungen grösserer  Nervenstämme,  welche  Tabelle  IX.  unter  c. 
500  Weichtheilschüssen  der  Arme  constatirt,  dass  sie  auch  der 
Spitzkugel  und  dem  Langblei  oft  genug  entgehen.  Gerade  an  den 
oberen  Extremitäten  verlaufen  die  Nervenstämme  streckenweis  so 
exponirt,  dass  die  Seltenheit  ihrer  Läsion  sehr  auffallend  ist.  Ohne 
Zweifel  werden  die  vorübergehenden  Folgen  von  Commotion  oder 
Contusion  besonders  der  Gefühlsnerven  nicht  selten  übersehen,  und 
was  die  Neuralgien  betrifft,  so  kann  man  mit  Sicherheit  nur 
solche  Fälle  als  primitive  Nervenläsion  bezeichnen,  in  denen  die- 
selben zu  den  unmittelbaren  Consequenzen  des  Schusses  gehören. 

Unter  unsern  9  Fällen  ist  nur  1  solcher.  (Gefr.  Heinr.  Kel- 
termann vom  35.  Füs.-Reg.,  am  18.  April  verwundet,  in  Glücks- 
burg behandelt.)  Ein  Haarseilschuss  an  der  innern  Seite  des  linken 
Oberarmes  c.  2  Zoll  über  der  Ellenbogenbeuge  war  von  vornherein 
von  heftigen  Schmerzen,  besonders  in  Daumen  und  Zeigelinger  be- 
gleitet. Die  Ausheilung  der  einfachen  Verletzung  verlief  ganz  nor- 
mal; aber  die  Neuralgie  hat  allen  dagegen  versuchten  Heilmitteln 
widerstanden  und  die  Vernarbung  überdauert. 

In  den  übrigen  Fällen  war  Lähmung  (des  Gefühls  oder  der 
Bewegung  oder  beider)  die  primitive  Consequenz.  In  keinem  Falle 
ist  die  vollständige  Heilung  derselben  gelungen,  nur  in  wenigen 
wurde  Besserung  erzielt.  Vier  davon  sind  Verletzungen  der  am 
Oberarm  herabsteigenden  Aeste  des  Plexus  brachialis  (2  Mal  des 
N.  ulnaris);  in  den  übrigen  wurde  dieser  selbst  getroffen. 

Fall  91.  Grenadier  August  Retsch  vom  Leib-Gren.-R.  No.8  wurde  am  28. März 
von  einer  Gewehrkugel  getroffen,  welche  am  inneren  Rande  des  rechten 
Biceps  1^  Zoll  oberhalb  der  Ellenbogenbeuge  eindrang  und  {  Zoll  über 
dem  Cond.  int.  humeri  austrat,  ohne  den  Knochen  zu  verletzen.  Anästhesie 


150 


und  motorische  Parese  im  Bereich  des  N.  ulnaris.  Ausheilung  der  Wunde 
verläuftu  ngestört.  Die  Folgen  der  Nerven-Verletzung  bestehen  aber  fort. 
Periodisch  heftige  Schmerzempfindung  im  Unterarm.  Anfangs  Mai  kam 
Pat.  mit  ganz  vernarbter  Wunde  in  das  Garnison-Lazareth  zu  Frankfurt  a.  0. 
Die  vordere  1  Zoll  lange  Narbe  ist  beweglich  und  gegen  Druck  nicht 
schmerzhaft.  Die  hintere  \\  Zoll  lang,  schwielig,  adhärent  und  sehr  empfind- 
lich. Die  Muskeln  an  der  Ulnarseite  des  Vorderarmes  reagiren  auf  den 
electrischen  Strom  fast  gar  nicht.  Die  Sensibilität  an  der  Hand  und  den 
Fingern  ist  in  der  Bahn  des  ulnaris  vollständig  erloschen.  Mittelst  der 
mehre  Monate  consequent  fortgesetzten  electrischen  Behandlung  gelang  es, 
wenigstens  das  Tastgefühl  in  der  Ulnaris-Bahn  wiederherzustellen. 

Auch  die  Lähmungen  in  Folge  der  Verletzung  des  Plexus 
brachialis  selbst  widerstehen  in  der  Regel  allen  Kurversuchen. 
Mit  der  Zeit  kehrt  wohl  in  einer  oder  der  andern  Region  des  Glie- 
des die  Sensibilität  wieder,  und  einzelne  Muskelgruppen,  die  nicht 
ganz  gelähmt  waren,  gewinnen  eine  ausgiebigere  Functionsfähigkeit. 
Es  ist  jedoch  sehr  zu  bezweifeln,  dass  die  Heilkunst  diese  Besse- 
rung sich  zuschreiben  darf.  Die  durch  ein  Geschoss  zerquetschten 
Nervenfasern  scheinen  nie  regenerirt  zu  werden;  die  spätere  parti- 
elle Besserung  beschränkt  sich  auf  Faserzüge,  in  denen  die  Leitung 
nicht  durch  Continuitätstrennung,  sondern  nur  durch  mässige  Com- 
motion  oder  Contusion  gestört  wurde.  Um  so  erfreulicher  ist  es, 
dass  unter  den  265  Schüssen  (Tab.  VIII.),  welche  die  Schulterge- 
gend in  allen  möglichen  Richtungen  und  Tiefen  durchsetzt  haben, 
nur  5  sich  finden,  bei  denen  unzweifelhaft  eine  mehr  oder  weniger 
ausgedehnte  Zerreißsung  des  Plexus  brachialis  statt  hatte.  Ausser 
den  4  Weich theilschüssen ,  welche,  wie  erwähnt,  durch  diese  Ver- 
letzung complicirt  waren,  und  von  denen  einer  wegen  gleichzeitiger 
Verletzung  der  A.  axillaris  im  nächsten  Abschnitte  (Fall  92)  Er- 
wähnung finden  wird,  ist  nämlich  noch  eine  Schussfractur  des 
Schlüsselbeines  von  der,  wie  es  scheint,  ziemlich  vollständigen  Zer- 
reissung  des  Plexus  begleitet  gewesen.  Dieser  Fall  (Pr.-Lieutenant 
Hugo  S.  vom  Leib-Gren.-Reg.  8,  am  18.  April  verwundet),  ist  aus- 
führlich von  Herrn  Dr.  Res  sei  (1.  c.  p.  85  ff.),  geschildert  worden. 
In  meiner  Statistik  steht  er  unter  den  Schussfracturen  des  Schlüssel- 
beins.   (Tabelle  IX.,  E.)*) 


*)  In  Begleitung  von  Knochenschüssen  kommt  die  Verletzung  der  einzel- 
nen Nerven -Stämme  des  Armes  ohne  Zweifel  nicht  selten  vor,  aber  sie  wird 
nicht  immer  von  vornherein  constatirt,  weil  die  Knochen-Verletzung  selbst  die 
Aufmerksamkeit  fesselt  und  weil  die  schleunige  Immobilisirung  des  Gliedes  die 


151 


Die  quetschende  Gewalt  braucht  nicht  die  Continuität  aufzuhe- 
ben, um  die  Leitung  in  einem  Nervenstamme  für  immer  zu  zer- 
stören. Die  momentane  Zusammenschnürung  durch  einen  Faden 
genügt,  um  bleibende  Lähmung  zu  bewirken.  Dies  zeigt  sich  bei 
Gefüssunterbindungen,  bei  denen  aus  Versehen  ein  Nervenstamm 
mitgefasst,  aber  gleich  darnach  wieder  befreit  wurde.  Ich  werde 
in  dem  folgenden  Kapitel  einen  solchen  Fall  mittheilen. 

Der  Verlauf  der  Weichtheilschüsse  wird  durch  die  complicirende 
Nervenstammverletzung  kaum  merkbar  beeinflusst.  Ausheilung  wie 
Vernarbung  pflegt  ebenso  rasch  vor  sich  zu  gehen,  wie  wenn  die 
Complication  fehlt.  Bei  Paralysen  durch  Mitverletzung  des  Plexus 
brachialis  erheischt  jedoch  die  Lagerung  des  Gliedes  bei  den  schwe- 
reren Weichtheilverletzungen  besondere  Aufmerksamkeit  wegen  der 
durch  die  Lähmung  bedingten  besonderen  Neigung  der  Haut  zum 
Absterben  durch  Druck.  In  einem  der  vorerwähnten  Fälle  erreichte 
der  Decubitus  an  der  innern  Seite  des  Ellenbogens  den  Umfang 
einer  Handfläche. 

D.    Weichtheilschüsse  mit  Verletzung  von 
Gefässstämmen. 

Sieht  man  ab  von  den  tödtlich  verlaufenen  Fällen  des  Wund- 
starrkrampfes,  für  dessen  Entstehung  und  Verlauf  wenigstens  die 
Grösse  des  verletzten  Nerven  von  ganz  untergeordneter  Bedeutung 
ist,  so  kann  man  sagen,  dass  die  Complication  der  Weichtheil- 
schüsse mit  Nervenverletzungen  das  Leben  nicht  gefährde.  Anders 
verhält  es  sich  mit  den  Läsionen  der  Aderstämme.  Sie  setzen  nicht 
bloss  bei  den  Knochen-  und  Gelenkschüssen  dem  Bestreben,  die 
Glieder  zu  erhalten,  eine  Schranke,  deren  Nichtachtung,  wie  wir 
sehen  werden,  höchst  bedenklich  ist;  sie  prägen  auch  dem  Weich- 
theilschüsse den  Charakter  der  Lebensgefährdung  auf. 

Die  Mit  Verletzung  der  A.  subclavia  wird  nicht  leicht  Gegen- 
stand kriegsklinischer  Beobachtung.  Sehr  wahrscheinlich  sind  auch 
die  beiden  Preussen,  welche  durch  „Schulterschuss"  1864  auf  dem 
Schlachtfelde  fielen,  durch  rasche  Verblutung  aus  der  Subclavia  ge- 
storben. 

Nerven-Verletzung,  wenn  sie  sich  nicht  gerade  durch  Neuralgie  oder  Trismus 
offenbart,  zu  verdecken  pflegt.  Nachträglich  constatirte  Neuralgien  oder  Pa- 
ralysen lassen  sich  oft  auf  andere  Ursachen  als  primitive  Mitverletzung  des 
Nerven  zurückführen. 


152 


Die  Axillaris  verhält  sich  schon  anders.  Eine  Verletzung 
dieser  Arterie,  wie  beschränkt  sie  auch  sei,  wird  stets  von  bedeuten- 
der primärer  Blutung  begleitet  sein ;  allein  sowohl  für  die  künstliche 
wie  für  die  natürliche  Hülfe  bleibt  Zeit,  sich  geltend  zu  machen. 
Von  den  2  Beobachtungen,  welche  dafür  sprechen,  ist  die  interes- 
santere leider  nur  sehr  aphoristisch  aufgezeichnet. 

Fall  92.  Gewehrschuss  durch  die  Achselhöhle.  Starke  primäre 
Blutung.  Lähmung  im  Bereich  des  Plexus  brachialis.  Hei- 
lung. Gem.  Karl  Paulsen  vom  8.  dän.  Inf. -Reg.  erhielt  am  17.  März 
vor  Düppel  einen  Schuss  durch  die  rechte  Achselhöhle.  Eingang  vorn  auf 
der  rechten  Brustseite  in  der  Höhe  der  3.  Rippe,  Ausgang  an  der  hinteren 
Seite  des  rechten  Oberarmes,  der  Ansatzstelle  des  M.  teres  major  entspre- 
chend. Als  derselbe  am  24.  März  nach  Flensburg  kam,  wurde  ausser 
hochgradiger  Anämie  und  theilweiser  Lähmung  des  rechten  Ar- 
mes Fehlen  des  Radialpulses  constatirt.  Die  Blutung  unmittelbar 
nach  der  Verletzung  soll  sehr  bedeutend  gewesen,  aber  durch  Druck  ge- 
stillt worden  sein.  Starke  Eiterung,  hochgradiges  Oedem  des  ganzen  Glie- 
des und  Druckbrand  am  Ellenbogen,  welcher  den  Umfang  eines  Handtel- 
lers erreichte,  complicirten  den  weiteren  Verlauf  unter  bedenklicher  Con- 
sumtion  der  Kräfte.  Am  25.  Juli  konnte  P.  jedoch  bis  auf  die  Armläh- 
mung geheilt  ausgeliefert  werden. 

Die  hochgradige  primäre  Blutung,  das  später  constatirte  Feh- 
len des  Pulses  und  das  Ausbleiben  einer  Nachblutung  machen  es 
wahrscheinlich,  dass  in  diesem  Falle  die  Axillaris  vollständig 
durchrissen  wurde,  denn  dies  ist  die  Form  der  Arterienverletzung, 
bei  welcher,  wie  die  Erfahrung  an  abgerissenen  Gliedern  lehrt,  die 
spontane  Hämostase  am  wenigsten  unsicher  ist.    In  dem  andern 
Falle  handelte  es  sich  nur  um  einen  Riss  in  derselben  Ader. 
Fall  93.   Gewehrschuss  durch  die  Achsel.    Starke  primäre  Blu- 
tung.   Wiederholte  arterielle  Nachblutungen.  Unterbindung 
der  Axillaris.  Heilung.    Gem.  Hans  Fabian  vom  18.  dän.  Inf.-Reg., 
am  22.  Februar  verwundet.    Eingang  des  Schusskanals  in  der  Mitte  der 
linken  Achselhöhle,  Ausgang  vorn  über  der  Achselfalte.    Die  bedeutende 
Blutung  wurde  auf  dem  Verbandplatze  durch  Druckverband  gestillt,  der 
Verwundete  noch  an  demselben  Tage  nach  Flensburg  transportirt  und  hier 
in  das  dänische  Lazareth  aufgenommen.    Obwohl  die  Blutung  auf  dem 
Transporte  nicht  wiedergekehrt  war,  bestand  Anämie  hohen  Grades.  Es 
stellten  sich  in  verschiedenen  Zwischenräumen,  zuerst  nach  5  Tagen,  klei- 
nere und  stärkere  Nachblutungen  ein,  welche  von  dem  behandelnden  dä- 
nischen Arzte  (Dr.  Salomon)  mit  Eis  und  Druckverband  bekämpft  wurden. 
Als  am  18.  März  die  4.  Nachblutung  aus  der  Eingangsöffnung  eintrat, 
wurde  letztere  erweitert  und  oberhalb  wie  unterhalb  der  schlitzförmi- 
gen Oeffnung,  welche  sich  in  der  Axillaris  fand,  ein  Faden  umgelegt. 


153 


Ausserdem  musste  noch  ein  Seitenast  unterbunden  werden.  Die  Blutung 
kehrte  nicht  wieder. 

Der  weitere  Verlauf  ist  vom  Herrn  Dr.  Heine,  welcher  die 
Behandlung  am  21.  März  übernahm,  schon  veröffentlicht  worden 
(1.  c.  pag.  101).  Ich  hebe  daraus  hervor,  dass  die  Ausheilung 
bis  zum  September  gedauert  hat,  dass  der  eine  Ligaturfaden  erst 
am  13.  Mai  sich  löste,  weil  der  N.  radialis  von  ihm  mitgefasst 
war,  und  dass  die  dadurch  entstandene  Lähmung  im  Gebiete  dieses 
Nerven,  namentlich  die  Paralyse  der  Extensoren  der  Hand  und 
Finger,  die  Vernarbung  der  Wunde  überdauert  hat. 

Grösser  ist  die  Zahl  der  Fälle,  in  welchen  eine  Verletzung 
der  Art.  brachialis  den  Weichtheilschuss  complicirte  —  5.  Es 
ist  aber  nur  1  Heilung  darunter.  Ich  erwähne  ihn  zuerst,  weil  er 
sowohl  durch  die  Rumpfnähe  der  Verletzung,  als  durch  die  Mit- 
unterbindung eines  Nerven  dem  vorigen  am  nächsten  steht. 

Fall  94.  Weichtheilschuss  am  Oberarm  dicht  unter  der  Achsel. 
Blutung  am  12.  Tage.  Unterbindung  der  Axillaris.  Heilung. 
Christian  Josephson  vom  17.  dän.  Inf. -Reg.,  am  18.  April  verwundet. 
Das  Langblei  hat  die  Weichtheile  an  der  inneren  Seite  des  rechten  Ober- 
armes dicht  unter  der  Achselhöhle  von  vorn  nach  hinten  durchbohrt.  Auf- 
nahme in  Flensburg  am  19.  April.  Der  Verlauf  hatte  unter  der  bei  Weich- 
theilschüssen  üblichen  Behandlung  bis  zum  30.  April  nichts  Ungewöhnliches. 
An  diesem  Tage  —  12.  nam  der  Verwundung —  zeigte  sich  eine  Blutung 
aus  der  hinteren  Oeffnung,  welche  jedoch  unter  einem  Druckverbande  steht. 
Als  nach  der  Abnahme  des  letzteren  am  folgenden  Tage  die  gebildeten 
Coagula  entfernt  wurden,  drang  arterielles  Blut  aus  beiden  Schussöffnun- 
gen. Sofort  wurde  zur  Unterbindung  der  Axillaris  (Incision  am  Rande 
des  Haarwuchses)  geschnitten.  Nach  Schliessung  des  Fadens  Neuralgie 
und  Lähmung  des  Armes.  Die  Ligatur  wurde  schnell  gelöst  und  die  Arterie 
isolirt  unterbunden. 

Blutungen  sind  nicht  wiedergekehrt.  Wohl  aber  stellten  sich  vom 
3.  Mai  ab  Schüttelfröste  ein,  die  sich  bis  zum  10.  Mai  trotz  Chinin  täglich 
wiederholten,  ohne  dass  die  Eiterung  sich  verschlechterte.  Gleichwohl  ent- 
stehen Eiterdepots  unter  dem  grossen  Brustmuskel,  am  rechten  Ellenbogen 
und  in  der  rechten  Hinterbacke.  Die  letzteren  werden  mit  Tct.  Jodi  bepin- 
selt. Weitere  pyämische  Erscheinungen  haben  sich  nicht  gezeigt.  Die  Aus- 
heilung währte  bis  Ende  Juli.  Die  Lähmung,  besonders  die  der  Flexoren 
und  Extensoren  der  Hand,  war  bis  dahin  kaum  merklich  vermindert. 

In  diesem  Falle  war  die  Brachialis  von  dem  Geschosse  höchst 
wahrscheinlich  nur  gestreift  worden,  und  die  Abstossung  eines 
nekrotisirten  Stückchens  der  Wandung  wurde  die  Ursache  der  Blu- 
tung am  12.  Tage, 


154 


Fall  95.  Weichtheilschuss  am  Oberarm  dicht  ander  Achsel.  Blu- 
tung aus  der  zerrissenen  Art.  brachialis.  Unterbindung  der 
Axillaris.  Brand.  Tod.  Der  Gefreite  Ernst  Prochnow  vom  35. 
Füs.-Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Gewehrschuss  durch  die  Weichtheile 
an  der  inneren  Seite  des  linken  Oberarmes  dicht  an  der  Achselfalte  und 
wurde  im  Depot  des  1.  F.-L.  6.  Div.  in  Stenderup  aufgenommen.  Die 
wiederkehrende  Blutung  bei  fehlendem  Radialpulse  nöthigte  noch  an  dem- 
selben Tage  zur  Unterbindung  der  Axillaris.  Der  Arm  wurde  jedoch 
schnell  brandig,  und  am  24.  April  erfolgte  der  Tod. 

Bei  der  Schnelligkeit,  mit  welcher  nach  Unterbindung  der  Ar- 
terienstämme in  der  Continuität  der  collaterale  Kreislauf  sich  ent- 
wickelt, kann  jene  allein  nicht  der  zureichende  Grund  sein,  wenn 
bald  darauf  Brand  des  Gliedes  eintritt.  Welches  Moment  im  vor- 
stehenden Falle  zu  diesem  Ausgange  boigetragen,  ist  aus  den  da- 
rüber vorliegenden  Daten  nicht  erkennbar,  da  sie  nichts  enthalten 
über  etwaige  Mitverletzung  der  Nerven-  und  Venen -Stämme. 
Wenn  mit  dem  Hauptarterienstamme  des  Armes  der  ganze  Plexus 
brachialis  zerrissen  ist,  so  wird  wohl  die  Entwickelung  des  collate- 
ralen  Kreislaufes  wegen  der  mangelnden  Innervation  ausbleiben  und 
das  Glied  absterben.  Es  ist  jedoch  nicht  wahrscheinlich,  dass  ein 
solches  Verhältniss  in  dem  fraglichen  Falle  bestanden  habe.  Die 
Zeichen  desselben  sind  characteristisch  genug,  und  wären  sie  vor- 
handen gewesen,  so  würde  man  ohne  Zweifel,  statt  die  Axillaris 
zu  unterbinden,  den  Arm  im  Schultergelenk  exarticulirt  haben. 

Dass  partielle  Lähmungen  des  Armes  die  Erhaltung  des 
Gliedes  bei  dem  Verschluss  der  Axillaris  gestatten,  geht  aus  den 
oben  referirten  Beobachtungen  (Fall  92,  93  und  94)  hervor. 

Sehr  wahrscheinlich  war  ausser  dem  Arterien-  der  Venen- 
stamm  verletzt.  Die  gleichzeitige  oder  rasch  aufeinander- 
folgende Unterbrechung  der  zu-  und  abführenden  Blut- 
bahn scheint  fast  immer  zum  Brande  zu  führen. 

Fall  96.  Der  Obergefr.  Seering  von  der  3.  Art.-Brg.  wurde  am  19.  April 
beim  Entladen  eines  gezogenen  Geschützes  durch  die  Explosion  des  auf 
die  Erde  fallenden  Geschosses  verwundet  und  in  Stenderup  (1.  F.-L. 
6.  Inf.-Div.)  aufgenommen.  Ausser  einer  complicirten  Fractur  des  rechten 
Radius  und  ausser  mehren  Weichtheilzerreissungen  an  den  Beinen  bestand 
eine  solche  auch  an  der  vorderen  Seite  des  linken  Oberarmes.  Arteria 
und  Vena  brachialis  waren  mitzerrissen.  Die  folgende  Gangrän 
des  Gliedes  nöthigte  am  22.  April  zur  Amputation  des  Oberarmes 
im  oberen  Drittheil.  Die  Amputationswunde  heilte  schnell  bis  auf  die  Ca- 
näle  der  Ligaturfäden.  Die  übrigen  Verletzungen  verliefen  durchaus  gün- 
stig, die  Fractur  des  rechten  Radius  im  permanenten  Wasserbade.  Am 


155 


8.  Mai  schwoll  plötzlich  der  Amputationssstumpf  stark  an;  zugleich  wurde 
die  Eiterung  an  demselbeu  profus  und  jauchig  —  während  die  übrigen 
Wunden  ihr  gutes  Aussehen  behielten.  Erst  am  12.  Mai  verlieren 
auch  diese  ihre  Heiltendenz  unter  steigernder  Schwellung  des  Stumpfes 
bis  über  das  Schulterblatt.  Nach  dem  am  16.  Mai  erfolgten  Tode  fand  sich 
die  Vena  brachialis  und  axillaris  thrombosirt. 

Für  die  Pyämiefrage  sind  dergleichen  Fälle  von  gleichzeitiger 
Verletzung  mehrerer  Körpertheile  sehr  belehrend,  weil  die  Reihen- 
folge der  Erscheinungen  über  den  Ausgangspunkt  des  Processes 
keinen  Zweifel  lässt.  Hier  interessirt  zunächst  die  Frage,  ob  die 
sofortige  Amputation  mehr  Aussicht  auf  Lebenserhaltung  geboten 
haben  würde.  Wäre  der  Humerus  zugleich  fracturirt  gewesen,  so 
würde  man  wahrscheinlich  mit  der  Amputation  nicht  gezögert 
haben.  Die  Quelle  der  Gefahr,  welche  sich  an  die  sogenannten 
intermediären  Amputationen  bei  Schlussfracturen  knüpft,  ist 
aber  so  ziemlich  dieselbe,  aus  welcher  hier  der  Todesprocess  resul- 
tirte  —  die  Venen-Trombose. 

Es  ist  leider  nicht  immer  leicht,  bei  frischen  Verletzungen  zu 
constatiren,  ob  und  wie  ausser  dem  Arterienstamme  der  entspre- 
chende Venenstamm  mitverletzt  sei,  wenn  nicht,  wie  in  dem  eben- 
erwähnten Falle,  die  verletzte  Stelle  wegen  der  Weichtheilzerstörung 
dem  Auge  blossliegt.  Wenn  erst  die  ausgedehnte  Schwellung  des 
Gliedes,  welche  den  Brand  einleitet,  ausgeprägt  ist,  pflegt  die  Kunst- 
hülfe zu  spät  zu  kommen. 

Fall  9  7.    Füsilier  Rante  vom  15.  Inf.-Reg.  wurde  am  17.  März  bei  Satrup 
von  einem  Granatsplitter  am  rechten  Oberarm  getroffen.    Es  waren  nur 
Weichtheile  verletzt,  aber  bei  dem  Fehlen  des  Pulses  an  der  Radialis  liess 
die  bedeutende  Blutung  und  eine  starke  Blutergiessung  in  das  Zellgewebe 
auf  die  Mitverletzung  der  A.  brachialis  schliessen.   Die  gangränescirende 
Schwellung  des  ganzen  Gliedes  bestimmte  am  22.  März  zur  Exarticu- 
lation  des  Schultergelenks  nach  vorgängiger  Unterbindung 
der  Axillaris.    Schon  am  25.  März  erfolgte  der  Tod. 
Wenn  das  der  verletzten  Arterie  entsrömende  Blut  auf  dem 
Wege  zu  den  Oeffnungen  eines  Schusskanales  einem  Hindernisse  des 
Abflusses  nach  aussen  begegnet,  wie  es  namentlich  an  den  Armen 
schon  durch  veränderte  Haltung  des  Gliedes  gesetzt  werden  kann, 
so  gesellt  sich  zu  den  spontanen  hämostatischen  Mitteln  die  Tam- 
ponade durch  Coagula.    Die  Blutung  steht;  aber  handelt  es 
sich  um  den  Hauptarterienstamm  des  Gliedes,  so  kann  Brand  ein- 
geleitet werden  durch  die  Mitcompression  der  daneben  liegenden 
Hauptvene,  wenn  diese  auch  nicht  selbst  mitgetroffen  wurde. 


150 


Fall  98.  Gera.  Jürgen  Soerensen  vom  22.  dän.  Tnf.-R.  erhielt  am  18.  April 
einen  Gewehrschuss  durch  den  rechten  Oberarm  ohne  Knochenverletzung 
und  wurde  in  Flensburg  aufgenommen.  Der  Radialpuls  fehlte;  es  hatte 
sich  ein  sogenanntes  Aneurysma  traumaticum  primitivum  gebildet.  Am 
20.  April  unzweifelhafte  Zeichen  der  Gangrän.  Exarti  culation  im 
Schultergelenk.  Verlauf  Anfangs  sehr  günstig.  Eine  Eitersackung  er- 
heischt am  24.  April  Lösung  der  verklebten  Wuudränder.  Das  Allgemein- 
befinden ist  nur  durch  Diarrhö  etwas  alterirt.  Am  1.  Mai  erfolgt  plötzlich 
eine  Blutung  aus  der  A.  axillaris,  welche  in  wenigen  Minuten  tödtet.  Bei 
der  Section  fand  sich  keine  Spur  von  Thrombenbildung  in  der  A.  axillaris, 
übrigens  aber  ausser  der  Blutleere  kein  pathologischer  Zustand  der  inne- 
ren Organe. 

Man  kann  in  Frage  stellen,  ob  es  nicht  in  derartigen  Fällen 
gerathener  sei,  die  Enden  der  Arterie  im  Schusskanale  aufzusuchen, 
um  sie  zu  unterbinden,  und  mittelst  der  dazu  nöthigen  Incision  die 
Blutcoagula  zu  entfernen  und  dadurch  die  Vene  zu  entlasten.  Die- 
ser Act,  der  wenigstens  an  der  Brachialis  nicht  allzugrossen  Schwie- 
rigkeiten begegnet,  würde  jeden  Falles  ein  milderer  Eingriff  sein, 
als  die  durch  Zuwarten  nöthig  werdende  Absetzung  des  Gliedes. 
Man  läuft  nur  Gefahr,  ihr  vergeblich  zu  machen,  weil  es,  wie  ge- 
sagt, schwer  oder  unmöglich  ist,  sich  vorweg  von  der  Unversehrtheit 
der  Vene  zu  überzeugen,  wenn  die  verletzte  Aderstelle  mehr  oder 
weniger  tief  in  einem  Schusskanale  verborgen  liegt. 

Ausser  den  vorerwähnten  Fällen  von  Verletzung  der  Art.  axil- 
laris (2)  und  brachialis  (5),  welche  Weichtheilschüsse  begleiteten, 
sind  noch  1  der  Axillaris  als  Complication  von  Schultergelenkschuss 
und  7  der  Brachialis  neben  Schussbrüchen  des  Humerus  zur  Beob- 
achtung gelangt  —  im  Ganzen  also  15  Verletzungen  des  Hauptar- 
terienstammes  der  oberen  Glieder  —  dies  sind  1,6  pCt.  aller  Schuss- 
verletzungen der  oberen  Extremitäten,  2,8  pCt.  aller  Schulter-  und 
Oberarmschüsse  —  nach  Abzug  der  9  Abreissungen  resp.  Zermal- 
muugen  des  Oberarmes  (v.  Tab.  X.). 

Den  die  Gelenk-  und  Knochenschüsse  behandelnden  Kapiteln 
vorgreifend,  bemerke  ich,  dass  die  Axillarisverletzung,  welche  die 
Zertrümmerung  des  Gelenktheiles  der  Scapula  begleitete,  wegen 
Blutung  am  5.  Tage  zur  Unterbindung  der  Subclavia  veranlasste  und 
tödtlich  ablief.  Die  7  Verletzungen  der  Brachialis  neben  Schuss- 
fracturen  des  Humerus  nöthigten  früher  oder  später  zur  Amputation 
. —  4  Mal  mit  tödtlichem  Ausgange. 

Somit  haben  von  den  15  Verwundeten,  welche  eine  Schuss- 
Verletzung  des  Hauptschlagaderstammes  der  oberen  Extremität  er- 


157 


litten,  nur  3  Leben  und  Glied,  3  das  Leben  mit  Verlust  des  Glie- 
des behalten.  Merkwürdiger  Weise  war  den  3  ersteren  der  Besitz 
des  Gliedes  durch  die  nämliche  Complication  —  partielle  Lähmung 
durch  Läsion  des  Plexus  brachialis  —  gestört. 

Die  Statistik  würde  die  Bedeutung  der  Complication  mit  Ader- 
verletzung sehr  mangelhaft  beleuchten,  wenn  sie  die  Läsionen  der 
Hauptstämme  nicht  von  denen  der  Gefässe  niederer  Ordnung  son- 
derte. Ausser  der  erheblichen  Differenz  in  Betreff  der  Folgen  für 
Glied  und  Leben  nöthigt  dazu  die  Unmöglichkeit,  auch  nur  annä- 
hernd genau  zu  ermitteln,  wie  oft  die  Arterien  niederer  Ordnung 
mitverletzt  wurden. 

Bedeuteudere  primäre  Blutungen  kommen  auf  den  Verband- 
plätzen schon  bei  Verletzungen  der  grösseren  Stämme  selten  zur 
Beobachtung,  weil,  wenn  sie  nicht  alsbald  von  selbst  oder  auf  pro- 
visorische Compression  ständen,  die  Zeit  zwischen  Verletzung  und 
Ankunft  auf  dem  Verbandplatze  mehr  als  genügen  würde,  Verblu- 
tung zu  gestatten.  Arterien  zweiter  Ordnung,  wie  die  Radialis  und 
Ulnaris  pflegen  zur  Beobachtung  bedeutender  primärer  Blutuug  nur 
Anlass  zu  geben,  wenn  sie  an  oberflächlichen  Strecken  ihres  Ver- 
laufes (dicht  über  dem  Handgelenk)  blos  angeschossen  oder  durch 
Knochensplitter  angerissen  werden,  und  ein  paar  Ligaturen  dieser 
Gefässe  an  dieser  Stelle,  von  Truppenärzten  ausgeführt,  waren  1864 
meines  Wissens  die  einzigen,  welche  die  an  den  Armen  Verletzten 
von  den  Kampfplätzen  in  die  Lazarethe  mitbrachten. 

Die  grössere  Entfernung  vom  Centrum  schützt  die  primären 
Thromben  in  den  Arterien  niederer  Ordnung  viel  mehr  vor  dem  in 
der  Reactionsperiode  gesteigerten  Stosse  der  Blutwelle.  Die  inter- 
mediären Blutungen  aus  diesen  Adern  sind  daher  sehr  selten. 
Erst  in  der  Eiterungsperiode  vom  8.  Tage  ab,  wenn  die  Schuss- 
brandschorfe sich  lösen,  wenn  gequetschte  Stellen  der  Aderwand 
sich  nekrotisch  abstossen,  Gerinnsel  oder  Fremdkörper,  welche  Risse 
verstopften,  sich  lockern,  kommen  auch  aus  den  den  verletzten 
Arterien  niederer  Ordnung  Secundärblutungen  zu  Stande*). 

Letzteres  geschieht  besonders  bei  tiefen  Schüssen  muskelrei- 
cher Regionen  des  Armes,  namentlich  bei  den  tieferen  Schüssen 
der  Schulter,  des  oberen  Drittheiles  des  Unterarmes  und  des  Dau- 

*)  Von  den  sogenannten  pyämisch  en  Blutungen  ist  hier  nicht  die  Rede; 
ich  werde  dieselben  erst  in  dem  Capitel  über  Pyämie  gesondert  in  Betracht 
ziehen. 


158 


mens,  mögen  die  Knochen  mitverletzt  sein  oder  nicht.  Erhöhte 
Lage,  Kälte,  Compression,  namentlich  auch  die  digitale  des  zufüh- 
renden Aderstammes,  genügen  in  der  Regel  zur  Stillung  der  Blu- 
tung, wenn  keine  Phlebostase  im  Spiele  ist.  In  vielen  Fällen  der 
Art  ist  es  sehr  schwer,  genau  den  Aderzweig,  welcher  blutete, 
nach  dem  Schema  der  descriptiven  Anatomie  zu  bestimmen.  Nicht 
selten  sind  es  Nebenästchen,  welche  erst  in  Folge  der  Verwundung 
und  der  darauf  folgenden  Reaction  zu  ungewöhnlicher  Entwickelung 
gelangt  sind.  Wie  bedeutend  diese  sein  und  wie  rasch  sie  erfolgen 
kann,  sieht  man  am  besten  bei  intermediären  Amputationen  (4.  bis 
6.  Tag). 

Aus  Alledem  folgt,  dass  es  unmöglich  ist,  für  die  Häufigkeit 
der  Mitverletzung  von  Gefässen  niederer  Ordnung  einen  sicheren 
Massstab  zu  gewinnen.  Ich  habe  in  der  Tabelle  IX.  sub  D.  nur 
3  Fälle  der  Art  mitberechnet,  weil  die  verletzte  Aderbahn  nicht 
zweifelhaft  ist,  und  weil  ihr  Verlauf  von  dem  gewöhnlichen  ab- 
weicht. Verletzungen  ähnlicher  Art  sind  ohne  Zweifel  viel  häufi- 
ger gewesen;  aber  die  allgemein  übliche  kalte  Behandlung  der  fri- 
schen Wunden  hat  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  sie  unschädlich 
zu  machen. 

Fall  99.    Weichtheilschuss  am  Handrücken.    Arterielle  Blutung 
am  5.  Tage.    Unterbindung  in  loco.    Pyämie.    Tod.    Gem.  Bunte 
vom  5.  dän.  Inf.-Reg.  erhielt  am  29.  Juni  auf  Alsen  einen  Langbleischuss 
an  der  rechten  Hand.    Eingang  in  der  Mitte  der  Dorsalseite  des  Handge- 
lenks; Ausgang  am  Rande  der  Hautfalte  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger. 
Das  Geschoss  hatte  nur  Weichtheile  verletzt  und  nach  seinem  Austritte 
noch  die  Haut  am  Ulnarrande  des  Daumen  gestreift.    B.  kam  am  1.  Juli 
nach  Glücksburg,  bis  dahin  waren  nur  kalte  Umschläge  gemacht;  hier 
wurde  ein  Eisbeutel  aufgelegt.  Am  3.  Juli  Morgens  fand  man  den  ganzen 
Schusskanal  wurstförmig  aufgetrieben;  aus  der  Ausgangöffnung  ragte  ein 
Blutpfropf  hervor.    Als  man  denselben  entfernte,  erfolgte  eine  heftige  ar- 
terielle Blutung.  Nach  Compression  der  Brachialis  wurde  der  Schusskanal 
gespalten  und  das  blutende  Gefäss  —  der  ramus  dorsalis  der  A.  radialis 
—  in  loco  unterbunden.    Eisbeutel.    Der  Blutverlust  war  gross  genug 
gewesen,  um  die  Verabreichung  von  Wein  und  Eisen  zu  fordern.  Am 
15.  Juli  Schüttelfrost,  der  sich  in  den  nächsten  Tagen  bei  lebhafter  Fie- 
berung wiederholte.    Pyämische  Nachblutungen.    Tod  am  20.  Juli.  Bei 
der  Section  fanden  sich  grosse  Lungen-  und  Leber-Abscesse. 
Ader  und  Langblei  liefen  in  der  nämlichen  Richtung;  wahr- 
scheinlich war  erstere  deshalb  nur  an-,   nicht  durchgeschossen. 
Hätten  die  Umstände  eine  frühzeitige  und  consequente  Eisapplica- 
tion  gestattet,  so  würde  trotzdem  wohl  ein  festerer  Verschluss  des 
Aderlumens  durch  den  Thrombus  zu  Stande  gekommen  sein.  Ohne 


159 


Frage  war  die  Unterbindung  in  loco  hier  indicirt;  vielleicht  wäre  es 
besser  gewesen,  sie  zu  verschieben,  —  da  die  temporäre  Beherr- 
schung der  Blutung  nicht  schwer  war  —  um  eventuell  nach  Ablauf 
der  intermediären  Periode  zu  operiren.  Besonders  in  Lazarethen, 
deren  Sanität  wegen  momentaner  Ueberfüllung  zweifelhaft  ist,  wie 
es  derzeit  die  des  Lazarethes  in  Glücksburg  war,  geben  auch  der- 
artige Operationen  leicht  den  Anstoss  zur  Entwickelung  der  Pyä- 
mie,  wenn  sie  am  4.  oder  5.  Tage  gemacht  werden. 

Fall  100.  Weichtheilschuss  im  oberen  Drittheil  des  Unterar- 
mes. Blutung  am  12.  Tage.  Unterbindung  der  Brachialis. 
Heilung.  Peter  Lund  vom  22.  dän.  Inf.  Reg.  wurde  am  18.  April  ver- 
wundet. Das  Langblei  ist  am  linken  Ellenbogen  in  der  Gegend  des  Cond, 
ext.  humeri  eingetreten,  2  Zoll  tiefer  an  der  Volarseite  des  Unterarmes 
ausgetreten.  Trotz  der  in  Flensburg  eingeleiteten  Eisbehandlung  entstand 
eine  Phlegmone;  um  dem  Eiter  besseren  Abzug  zu  verschaffen,  wurde  die 
Wundöffnung  am  Vorderarm  am  26.  April  dilatirt,  wonach  die  Schwellung 
rasch  abnahm.  In  der  Nacht  vom  30.  April  zum  1.  Mai  starke  Blutung 
aus  beiden  Wundöffnungen,  deren  Stillung  Mühe  machte.  Es  wurde  ver- 
sucht, die  blutende  Arterie  —  wahrscheinlich  der  Stamm  der  Radialis  — 
in  loco  zu  unterbinden;  es  gelang  indess  nicht,  sie  aufzufinden.  St.-A. 
Dr.  Besser  unterband  deshalb  die  A.  brachialis.  Die  Blutung  ist  nicht 
wiedergekehrt;  der  Ligaturfaden  löste  sich  am  11.  Mai.  Im  Juni  war  der 
Radialpuls  noch  nicht  wiedergekehrt.  Die  Vernarbung  aller  Wunden  war 
Mitte  Juli  vollendet. 

Die  Unterbindung  in  loco  hat  bei  frischen  Schusswunden  we- 
niger Schwierigkeit,  und  mit  Piro g off  müsste  man  deshalb  wün- 
schen, dass  sie  in  allen  den  Fällen,  wo  über  die  Mitverletzung 
eines  Arterienstammes  kein  Zweifel  waltet,  schon  auf  den  Verband- 
plätzen geschehe,  wenn  auch  die  Primärblutung  augenblicklich  steht. 
Das  oben  berührte  Verhalten  der  Primärblutungen  in  Verbindung 
mit  der  bekannten  Arbeitshäufung  auf  den  Verbandplätzen  wird 
aber  wohl  auch  künftig  die  Primärligaturen  in  loco,  wie  in  der  Con- 
tinuität  selten  machen.  Das  Aufsuchen  kleinerer  und  tief  liegender 
Arterien  nach  Beginn  der  Eiterung  —  von  der  Gefahr  dieses  Actes 
in  der  Reactionszeit  war  schon  die  Rede  —  ist  wegen  der  dann 
noch  vorhandenen  Schwellung  und  Infiltration  der  durchschossenen 
Gewebe  sehr  viel  schwieriger  und  zugleich  viel  verletzender  als  die 
Unterbindung  des  zuführenden  Stammes  in  der  Continuität.  Selbst 
die  Blutung  aus  kleineren  Aesten,  wenn  sie  bedeutend  und  durch 
Anastomosen  zum  Widerstande  gegen  andere  Blutstillungsmittel  be- 
fähigt wird,  kann  unter  diesen  Umständen  zur  Ligatur  des  Haupt- 
stammes nöthigen. 

Löffler,  Generalbericht,  u 


160 


Fall  101.    Weichtheilschuss  am  Oberarm.    Blutung  am  12.  Tage. 
Unterbindung  der  A.  brachialis.    Heilung.  Hans  Jürgense n vom 
18.  dän.  Inf. -Reg.  erhielt  am  29.  Juni  einen  Gewehrschuss  am  unteren 
Drittheil  der  inneren  Seite  des  linken  Oberarmes,  welcher  nur  Weichtheile 
durchbohrte  und  in  keiner  Weise  von  Bedeutung  schien.    Am  12.  Tage 
nach  der  Verletzung  trat  arterielle  Blutung  ein  aus  einem  der  in  jener 
Gegend  aus  der  Brachialis  abgehenden  Gelenk-Aeste.    Die  Blutung  stand 
erst,  nachdem  der  Stamm  der  Brachialis  dicht  über  dem  Schusskanale  un- 
terbunden wurde.  (St.-A.  Dr.  Loe wenhardt).  Der  weitere  Verlauf  blieb 
ungestört.    J.  wurde  am  16.  August  geheilt  ausgeliefert. 
Für  die  Frage,  wie  bald  nach  Ligaturen  in  der  Continuität  die 
Blutbahn  in  den  grösseren  Aesten  des  unterbundenen  Stammes  wie- 
der betreten  wird,  können  die  Beobachtungen  an  der  Brachialis  am 
leichtesten  benutzt  werden,  weil  der  Radialpuls  einen  bequemen 
Massstab  bietet. 

Es  ist  bekannt,  dass  dieses  Verhältniss  sehr  variabel  ist,  und 
dass  bisweilen  Dasein  und  Fehlen  des  Pulses  wiederholt  wechselte. 
In  dem  eben  erwähnten  Falle  hat  Herr  O.-St-A.  Dr.  Abel  schon 
am  Tage  nach  der  Operation  eine  leise  Pulsation  der  Radialis 
constatirt.  Der  Puls  ist  auch  bei  dem  längeren  Aufenthalte  im 
Lazarethe  zu  Ulderup  gefühlt,  aber  sehr  viel  schwächer  als  an  der 
gesunden  Seite.  Als  der  Operirte  am  25.  Juli  durch  Evacuation 
nach  Apenrade  gelangte,  war  der  Puls  nicht  fühlbar,  und  in  dem 
betreffenden  Journale  wird  der  4.  August  ausdrücklich  als  der  erste 
Tag  bezeichnet,  an  welchem  sich  ein  schwacher  Pulsschlag  in  der 
Radialis  gezeigt  habe. 

Als  Complication  der  Knochen-  und  Gelenkschüsse  hat  die  Mit- 
verletzung der  Gefässe  niederer  Ordnung  zwar  nicht  die  Bedeutung 
eines  fast  absoluten  Hindernisses  der  Gliederhaltung;  aber  ihr  er- 
heblicher Einfluss  auf  Verlauf  und  Ausgang  jener  Verletzungen  wird 
sich  in  den  folgenden  Kapiteln  deutlich  genug  herausstellen. 

E.  Knochenschüsse  der  oberen  Extremitäten. 
Nach  der  in  Tabelle  IX.  vorausgeschickten  Uebersicht  waren 
von  den  Schussverletzungen  der  Oberglieder  preussischer  Seits 
31  pCt.  mit  Knochenläsion  complicirt.  Dies  ist  nicht  ganz  genau, 
weil  bei  den  zu  einer  besonderen  Categorie  (F)  vereinigten  Schuss- 
verletzungen der  drei  grösseren  Gelenke  des  Armes  gleichfalls  fast 
ausnahmslos  die  articulirenden  Knochenenden  mitbetheiligt  sind,  und 
weil  es  sich  auch  in  der  bereits  besprochenen  Gruppe  der  „Ab- 
reissungen  und  Zermalmungen"  durchweg  um  Mitverletzung  der 


161 


Knochen  handelt.  Stellt  man  blos  2  Categorien  —  Schüsse  mit 
und  ohne  Knochenverletzungen  —  einander  gegenüber,  so  kommen 
an  den  oberen  Gliedern  41  pCt.  auf  erstere,  59  pCt.  auf  letztere. 

Bei  dem  dänischen  Antheile  ist  das  Häufigkeitsverhältniss  um- 
gekehrt —  53  pCt.  mit,  47  pCt.  ohne  Knochenläsion.  Dies  ist 
jedoch  für  die  vergleichende  kriegschirurgische  Statistik  bedeutungs- 
los, weil  die  Ausgleichung  in  dem  nicht  in  Kriegsgefangenschaft 
gerathenen  Theile  der  dänischen  Verwundeten  gegeben  ist.  Man 
darf  also  z.  B.  aus  dieser  Differenz  nicht  ohne  Weiteres  den  Schluss 
ziehen,  dass  das  Langblei  häutiger  die  Knochen  verletze  als  die 
Spitzkugel. 

Viel  auffallender  ist  die  Differenz  des  Mortalitätsverhältnisses 
der  Knochenschüsse  auf  beiden  Seiten.  Es  stellt  sich  nach  Tab.  IX. 
für  die  Gruppe  E.  preussischer  Seits  auf  c.  11  pCt.,  dänischer  Seits 
auf  c.  26  pCt.  Zum  Theil  erklärt  sich  dies  aus  dem  numerischen 
Ueberwiegen  der  an  sich  lethaleren  Knochenschussformen  dänischer 
Seits.  Dies  sind,  wie  bekannt,  und  wie  sich  aus  Tabelle  IX.  deut- 
lich genug  ergiebt,  die  Knochenschüsse  der  Schulter  und  des  Ober- 
armes. Dieselben  verhalten  sich  numerisch  zu  den  Knochenschüssen 
des  Unterarmes  und  der  Hand  preussischer  Seits  wie  46 :  54,  dä- 
nischer Seits  wie  56  :  44. 

Was  die  Lethalitäts-Scala  der  Knochenschüsse  nach  den  Glied- 
abschnitten betrifft,  so  stellt  sich  nach  der  Tabelle  bei  den  Preussen, 
wie  bei  den  Dänen  heraus,  dass  die  am  Oberarm  etwas  lethaler 
waren,  als  die  an  den  Schultern.  Dies  widerspricht  dem  bekann- 
ten Gesetze,  dass  die  Lethalität  der  Gliederschüsse  mit  der  Rumpf- 
nähe steigt.  Aber  der  Widerspruch  ist  nur  ein  scheinbarer.  Was 
die  Knochenschüsse  der  Schulter  ohne  Mitverletzung  der  Gelenk- 
enden an  Bedeutung  verlieren,  das  holen  sie  doppelt  und  dreifach 
nach  in  der  Categorie  der  Gelenkschüsse.  Tabelle  IX.  zeigt,  dass 
die  Schussverletzungen  des  Schultergelenkes  bei  den  Dänen  eine 
Mortalität  von  60  pCt.  erreichten  und  bei  den  Preussen  nicht  we- 
niger als  55  pCt. 

Aber  auch  abgesehen  von  dem  Mortalitätsverhältniss  bieten  die 
Knochenschüsse  der  verschiedenen  Gliedregionen  vom  technischen 
Standpunkte  so  erhebliche  Differenzen  dar,  dass  es  ohne  gesonderte 
Betrachtung  derselben  unmöglich  ist,  die  Praxis  von  1864  und  ihre 
Resultate  richtig  zu  beleuchten. 

11* 


162 


E.  1.    Schussbrüche  der  Schulterknochen. 


Tabelle  XI. 


Nationalität 

Zahl 
der 

Verwundeten 

V 

Schlüsselbein 

3rletzte  Knoch 
Schulterblatt 

en 

Schlüsselbein 

und 
Schulterblatt 

Summe  der 
Gestorbenen 

V. 

+ 

V. 

+ 

V. 

+ 

Preussen  .  . 
Dänen    .  .  . 

40 

26 

7 
6 

28 
14 

2 
5 

5 
6 

4 

5 

6 
10 

Summa 

66 

13 

42 

7 

11 

9 

16 

Die  vorstehenden  Zahlen  bezeichnen  nicht  ganz  genau  die 
Häutigkeit  der  Schüsselbein-  und  Schulterblattbrüche.  Es  fehlen 
darin  diejenigen,  welche  neben  B  ru  st  Verletzungen  vorgekommen 
sind.  An  solchen  ist  besonders  das  Schulterblatt  gar  nicht  selten 
betheiligt,  ohne  dass  die  Verletzung  desselben  an  sich  auf  Verlauf 
und  Ausgang  in  concreto  entscheidend  einwirkt  Wer  sich  trotz- 
dem für  ganz  exacte  Zahlen  der  Art  interessirt,  wird  die  ergän- 
zenden Data  in  dem  Kapitel  über  die  Brustschüsse  finden. 

Ueberhaupt  ist  die  K nochenläsion  bei  diesen  Verletzungen 
nicht  dasjenige  Moment,  welches  die  Wachsamkeit  und  Thätigkeit 
der  Kunsthülfe  besonders  in  Anspruch  nimmt.  Es  giebt  nur  eine 
Form  derselben,  welche  an  und  für  sich  die  Erhaltung  des  Lebens 
wie  des  Gliedes  in  Frage  stellt,  nämlich  die  Verletzung  des 
Schu ltergelenktheiles  der  Scapula.  Dieselbe  wird  in  dem 
Kapitel  über  die  Schultergelenkschüsse  die  ihrer  Bedeutung  entspre- 
chende Berücksichtigung  linden  und  ist  deshalb  in  Tab.  IX.  gleich- 
falls ausgeschlossen. 

An  den  übrigen  Theilen  des  Schulterblattes  sowie  am  Schlüssel- 
beines bewährt  sich  der  aus  der  Friedenspraxis  bekannte  Heiltrieb 
derselben  auch  bei  den  Schussbrüchen,  obwohl  letztere  fast  immer 
mit  bedeutender  Splitterung  verknüpft  sind.  Die  ausgedehntesten 
Zertrümmerungen  der  Art  gelangten  zur  Consolidation.  Unter  den 
50  Heilungsfällen  von  1864  belinden  sich  nur  2,  in  welchen  kleine 


163 


abgesprengte  Stücke  (einmal  vom  Acromion,  das  andere  Mal  vom 
äusseren  Rande  des  Schnlterblattkörpers),  ohne  nekrotisch  zu  wer- 
den, beweglich  geblieben  sind. 

Dazu  kommt,  dass,  um  zu  diesem  Ziele  zu  gelangen,  die  Schul- 
terknochen in  ihren  Ansprüchen  an  die  Bandagirkunst  höchst  be- 
scheiden sind.  Um  den  Bruchstücken  die  nöthige  Ruhe  zu  sichern, 
genügt  zweckentsprechende  Lagerung  resp.  Haltung  des  Glie- 
des durch  das  dreieckige  Tuch,  die  sogenannte  Mitelle. 

Nichtsdestoweniger  haben  die  Schussverletzungen  dieser  Cate- 
gorie  auch  ihre  Schattenseiten.  Schon  ein  Blick  auf  Tabelle  XI. 
lehrt,  dass  in  unserm  Feldzuge  c.  21  pCt.  derselben  tödtlich  ver- 
laufen sind,  obwohl  die  Repräsentanten  der  Complication  mit 
Brust-  und  mit  Schultergelenk- Verletzung  nicht  darin  stehen. 

Ist  dies  ein  gutes  oder  das  gewöhnliche  oder  ein  schlechtes 
Resultat?  Nur  der  Vergleich  mit  den  Resultaten  aus  anderen  Feld- 
zügen kann  darauf  antworten.  Um  so  mehr  bedauere  ich,  kaum 
eine  brauchbare  Parallele  in  der  kriegschirurgischen  Literatur  ge- 
funden zu  haben.  In  der  Tabelle  der  „Resultate  der  Knochen- 
verletzungen der  Extremitäten  mit  und  ohne  Operation",  welche 
Stromeyer  für  den  ersten  schleswig-holsteinischen  Krieg  seinen 
„Maximen"  zugefügt  hat,  fehlen  autiallender  Weise  die  Schuss- 
brüche der  Clavicula  und  Scapula  ganz.  Der  ofticielle  Rapport  aus 
dem  jüngsten  amerikanischen  Unionskriege  weist  in  der  Classifica- 
tion der  Verletzungen  389  „Schussfracturen  der  Scapula  und  Cla- 
vicula ohne  Verletzung  der  Brusthöhle"  nach;  aber  in  den  späteren 
Heilungs-  resp.  Mortalitätsnachweisen  fehlen  die  Zahlen  für  diese 
Categorien. 

In  dem  „Tableau  des  Blessures  de  TEpaule"  bei  Chenu(l.  c) 
stehen  für  die  3  Categorien  „Fractures  des  os  de  l'epaule  —  Fr. 
de  l'omoplate  —  Fr.  de  la  clavicule"  aus  dem  Krimmkriege:  Pen- 
sionnes  60  —  Sortis  gueris  ou  evacues  (!)  135  —  Morts  165. 
Daraus  berechnet  sich  eine  Mortalität  von  46  pCt.  Allein  einer- 
seits ist  fraglich,  in  wie  weit  die  mit  Brustverletzung  complicirten 
Fälle  mitberechnet  oder  ausgeschlossen  ^ind;  andererseits  registrirt 
die  Tabelle  unter  den  „Plaies  ou  Fractures  indeterminees 
161  Todesfälle.  Bringen  wir  ohne  Rücksicht  hierauf  blos  die  Frac- 
turen  des  Schulterblattes  und  des  Schlüsselbeines  durch  Gewehr- 
kugeln in  Ansatz,  so  bleibt  immer  noch  ein  Sterblichkeitsverhältniss 
von  35  pCt. 


164 


In  Tabelle  XI.  habe  ich  die  Schussfracturen  der  Schulterkno- 
chen in  3  Gruppen  gesondert  —  Schussfracturen  des  Schlüsselbeins, 
des  Schulterblatts,  beider  Knochen  zusammen.  Die  Zahlen  der  Todes- 
fälle daneben  bilden  eine  Art  Climax  (von  0  —  80  pCt).  Es  wäre 
aber  ein  grosser  Irrthum,  wenn  man  daraus  schlösse,  dass  diese 
Zahlen  den  Einfluss  repräsentiren,  welchen  die  Knochenläsionen  als 
solche  auf  den  Verlauf  dieser  Verletzungen  haben.  Die  Schussfrac- 
turen beider  Schulterknochen  sind  nur  darum  bedeutsamer  als  die 
der  einzelnen  Knochen,  weil  Richtung  und  Tiefe  der  Schüsse,  welche 
jene  erzeugen,  häufiger  der  Art  ist,  dass,  wie  gering  auch  die  Kno- 
chenläsion selbst  sei,  deletäre  Wundverhältnisse  sich  entwickeln. 
Ein  Blick  auf  die  vorgekommenen  Todesprocesse  wird  dies  deut- 
lich machen. 

Vorweg  sind  diejenigen  auszusondern,  welche  durch  Neben - 
krankheiten  herbeigeführt  wurden. 

Der  Unterofficier  Carl  Sander  vom  15.  Inf.-Reg.,  welcher  am 
29.  Juni  auf  Alsen  eine  auf  den  äusseren  Rand  des  Schulterblattes 
beschränkte  Schussfractur  erlitt  und  bis  zum  9.  Juli  im  1.  F.  -  L. 
5.  Div.  zu  Sandberg  gepflegt  wurde,  erkrankte  später  im  Johanni- 
ter -  Lazareth  zu  Flensburg  am  Typhus  nnd  starb  daran  den 
17.  August. 

Gem.  Peter  Bjelke  vom  16.  dän.  Inf.-Reg.  wurde  am  18.  April 
verwundet  und  in  Blan  s  (1.  F.-L.  5.  Inf.-Div.)  aufgenommen.  Quer- 
schuss  in  der  linken  Fossa  infraspinata  mit  2  Oeffnungen  und  Fractur 
der  Scapula.  Am  4.  Tage  stellte  sich  Delirium  tremens  ein. 
In  der  Nacht  entsprang  er  dem  Wärter,  und  längere  Zeit  nachher 
wurde  er  in  einem  nahen  Pfuhle  ertrunken  gefunden. 

Das  Delirium  tremens  ist  bei  den  verwundeten  Preussen 
1864  gar  nicht,  bei  den  Dänen  nur  einige  Mal  zur  Beobachtung  ge- 
kommen. Es  ist  am  Wundbette  bisweilen  schwer,  zu  entscheiden, 
ob  es  sich  um  diesen  Krankheitsprocess  oder  um  das  die  Septicämie 
einleitende  delirium  traumaticum  handele. 

Auch  der  Trismus  hat  unter  den  Verwundeten  dieser  Kate- 
gorie ein  Opfer  gefordert.  (Untercorporal  Friedrich  Petersen 
vom  3  dän.  Inf.-Reg.,  am  29.  Juni  verwundet  —  Zertrümmerung  des 
Körpers  der  linken  Scapula,  —  am  6.  Juli  in  Sonderburg  gestor- 
ben). Die  peripherische  Nerven-Läsion  ist  durch  die  Section  nicht 
constatirt. 

Bei  Erwähnung  der  multiplen  Schusswunden  habe  ich  des 


165 


extremsten  Falles  der  Art  von  1864  gedacht  (vgl.  S.  47).  Der 
schwedische  Officier  Lundegreen  hatte  am  18.  April  ausser  ver- 
schiedenen anderen  Verletzungen  auch  einen  Schuss  durch  die  rechte 
Schulter  mit  Streifung  des  Schlüsselbeines  erhalten.  Sein  Tod 
erfolgte  erst  nach  9  Tagen  vorzugsweis  in  Folge  der  Erschöpfung 
durch  den  bedeutenden  Blutverlust  am  Kampftage.  Aber  der  Um- 
stand, dass  von  der  Schulterwunde  aus  eine  Eitersenkung  in  den 
Pleurasack  eintrat,  hat  mich  bestimmt,  diesen  Fall  statistisch  den 
Schulterschüssen  zuzuzählen. 

Von  den  übrigen  12  Todesfällen  repräsentiren  3  eine  der  übelsten 
Seiten  der  Schulterschüsse  —  die  Gefahr  hartnäckiger  arterieller 
Secundärblutungen  im  Eiterungsstadium.  Der  Gefässreichthum 
der  Schultergend  und  die  vielfachen  Anastomosen,  durch  welche 
die  Aderzüge  untereinander  verbunden  sind,  erschweren  die  Erkennt- 
niss  der  Blutungsquelle  und  deren  Sistirung  in  hohem  Grade,  be- 
sonders wenn  es  sich  um  lange  und  tiefliegende  Schusskanäle  han- 
delt.   Schon  bei  den  Weichtheilschüssen  wurde  darauf  hingewiesen. 

Fall  102.  Gewehrschuss  durch  die  Fossa  subscapularis.  Arteri- 
elle Secundärblutung  am  10.  Tage.  Unterbindung  der  Subcla- 
via. Gangrän.  Tod.  Musketier  Wilhelm  Hoppe  vom  24.  Inf.-Reg.  er- 
hielt am  29.  Juni  auf  Alsen  einen  Gewehrschuss  in  die  linke  Schulter. 
Die  Kugel  war  an  der  innern  Seite  des  Oberarmes  hart  am  Schulterge- 
lenke eingetreten  und ,  zwischen  Brustwand  und  Schulterblatt  schräg  nach 
innen  und  unten  verlaufend,  bis  zum  inneren  Rande  des  letzteren  gedrun- 
gen. Sie  wurde  hier  mittelst  Incision  extrahirt.  Das  mittlere  Drittheil 
dieses  Randes  war  gesplittert. 

Im  Lazareth  zu  Glücksburg  (3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.)  wurde  neben  ein- 
fachem Wundverbande  zuerst  Eis  applicirt;  später  laue  Umschläge. 
Bei  ungestörtem  Allgemeinbefinden  blieb  der  Verlauf  regelmässig  bis  zum 

9.  Juli.  Plötzlich  arterielle  Blutung,  welche  trotz  der  Stillungsversuche 
durch  Tamponade  und  Kälte  so  oft  und  heftig  wiederkehrt,  dass  am 

10.  Juli  zur  Unterbindung  der  A.  subclavia  oberhalb  des  Schlüs- 
.   selbeines  geschritten  wurde.    (Chef-Arzt  Hochauf).   Das  Befinden  ist 

in  den  nächsten  Tagen  bis  auf  Schlaflosigkeit  gut.  Am  13.  Juli  Morgens 
trat  jedoch  von  neuem  eine  heftige  arterielle  Blutung  aus  der  Ausgangs- 
öffnung des  Schusskanales  ein.  Charpietamponade,  Eis.  Zu  der  Schwäche 
durch  Blutverlust  gesellt  sich  jetzt  Appetitlosigkeit  und  Durchfall.  Der 
Arm  schwillt  ödematös  an.  Am  14.  Juli  Abends  nochmals  arterielle  Blu- 
tung. Iüjection  von  Liquor  Ferri  sesquichlorati  in  den  Schusskanal.  Am 
15.  Juli  Tod  bei  entwickelter  Gangrän  des  Armes. 

Bei  der  Section  fand  sich  in  der  Subclavia  oberhalb  der  Ligaturstelle 
dünnflüssiges  Blut,  unterhalb  ein  Thrombus  und  eine  merkliche  Erweite- 
rung der  abgehenden  Aeste.    Der  Arm  ist  bis  zum  Thorax  gangränös, 


166 


ebenso  die  Muskulatnr  der  Brustseite  und  der  Fossa  subscapularis,  während 
die  Muskulatur  der  Fossa  supra-  und  infraspinata  gesund  erschien.  An  der 
Scapula  fand  sich  ausser  weiter  Periostablösung  nur  der  innere  Rand  ge- 
splittert. 

Die  Knochenläsion  spielt  in  dem  Verlaufe  dieses  Falle  gar  keine 
Rolle.  Um  das  Ausgangsmoment  des  Todesprocesses,  die  arterielle 
Secundärblutung  in  der  Eiterungsperiode  möglichst  zu  verhüten, 
thut  man  wohl,  bei  den  tiefen  Schüssen  dieser  Gegend,  mag  die 
Knochenläsion  bedeutend  oder  gering  sein  oder  auch  ganz  fehlen, 
und  mag  sich  der  Verlauf  noch  so -günstig  gestalten,  die  Anwen- 
dung des  Eises,  wo  man  es  haben  kann,  möglichst  lange  fortzu- 
setzen. 

Es  ist  in  Frage  gestellt,  ob  es  nicht  gerathen  sei,  in  solchen 
Fällen  behufs  der  Blutstillung  die  Scapula  von  der  fossa  infraspi- 
nata aus  zu  reseciren,  um  die  blutende  A.  subscapularis  aufzusu- 
chen und  an  Ort  und  Stelle  zu  unterbinden.  Begreiflicher  Weise 
gehört  indess  besonderes  Glück  dazu,  wenn  die  Operation  ihren 
Zweck  erfüllen  soll. 

Fall  103.  Schussfractur  des  Akromialen des  der  Clavicula  und 
des  Körpers  der  Scapula.  Arterielle  Secundärblutung  am 
8.  Tage.  Resection  der  Scapula.  Unterbindung  der  A.  subcla- 
via. Gangrän.  Tod.  Gefreiter  Ernst  Riese  vom  4.  G.-Reg.  zu  Fuss 
wurde  am  6.  April  bei  Düppel  verwundet  und  in  Broacker  (schw.  F.-L.  des 
G.-C.)  aufgenommen.  Das  Geschoss  ist  über  dem  Akromialende  des  rech- 
ten Schlüsselbeins  ein-  und  c.  1|  Zoll  über  dem  Angulus  scapulae  ausge- 
treten. Das  äussere  Ende  der  Clavicula  ist  fracturirt,  die  Scapula  an  der 
Ausgangsstelle  von  der  Fossa  subscapularis  her  durchbohrt  und  gesplittert. 
Einfacher  Verband;  Mitelle;  kalte  Umschläge.  Am  7.  April  lebhafte  Fie- 
berung mit  leichten  Delirien.  Mehr  Ruhe  am  folgenden  Tage.  Am  9.  April 
mässige  aber  schmerzhafte  Schwellung  des  Armes  bei  geringer  Fieberung. 
Einwkkelung  des  Armes;  Eisbeutel.  Der  weitere  Verlauf  unter  reichlicher 
und  guter  Eiterung  bis  zum  14.  April  regelmässig.  An  diesem  Tage  stellte 
sich  eine  mässige  Blutung  aus  der  Ausgangeöffnung  ein  und  eine  Eiter- 
sackung  nach  unten,  welche  sich  durch  Druck  aus  jener  entleeren  lässt. 
Mit  der  eingeführten  Sonde  entdeckt  man,  dass  der  Scapulakörper  längs 
des  Schusskanales  gesplittert  ist.  In  Folge  wiederholter  Blutung  wird  am 
20.  April  behufs  Aufsuchung  der  Quelle  vom  Herrn  Gen.  -  Arzt  Dr.  von 
Langenbeck  durch  einen  Längsschnitt  in  der  Fossa  infraspinata  die 
zersplitterte  Scapula  blossgelegt.  Nach  Entfernung  der  Bruchstücke  finden 
sich  die  Weichtheile  mit  in  eitrigem  Zerfalle  begriffenen  Blntextravasaten 
durchsetzt.  Die  blutende  Arterie  wird  nicht  gefunden.  Darauf  wird  die 
Eingangöffnung  des  Schusskanales  am  Schlüsselbein  mit  dem  Pott'schen 
Bistouri  nach  rechts  und  links  erweitert,  ein  gelöstes  Bruchstück  der  Cla- 


167 


vicula  entfernt  und  schliesslich  die  A.  subclavia  ihrem  Ursprünge  mög- 
lichst nahe  unterbunden.  Am  22.  April  wurde  der  Arm  theilweis  blau  uud 
kalt,  und  unter  fortschreitender  Gangrän  erfolgte  der  Tod  am  27.  April, 

Diese  beiden  Unterbindungen  der  Subclavia  schliessen  sieh  den 
3  im  ersten  schleswig-holsteinischen  Kriege  zu  demselben  Zwecke 
vergeblich  gemachten  an.  Der  erste  Fall  zeigt,  dass  diese  Ope- 
ration nicht  einmal  die  Sistirung  der  Blutung  garantirt,  wenn  die 
Unterbindung  nicht  ganz  nahe  dem  Ursprünge  der  Ader  geschieht. 
Es  hat  übrigens  1864  nicht  an  Fällen  arterieller  Nachblutung  bei 
Schulter-Schussfracturen  gefehlt,  in  denen  die  Ausdauer  in  der  An- 
wendung der  bekannten  sonstigen  Blutstillungsmittel  von  Erfolg 
gekrönt  wurde.  Einer  der  bemerkenswerthesten  ist  von  Herrn 
Dr.  Res  sei  im  Johanniter- Lazareth  zu  Flensburg  behandelt  und 
(1.  c.  pag.  91  ff.)  ausführlich  beschrieben.  Ich  beschränke  mich 
darauf,  die  auf  die  Blutung  bezüglichen  Data  zu  referiren. 

Fall  104.  Schussfractur  des  Schlüsselbeins.  Arterielle  Se- 
cundärblutung  am  9.  Tage.  Viermalige  Wiederholung.  Hei- 
lung. Prem.-Lieut.  Ernst  v.  B.  vom  15.  Inf.-Reg.  erhielt  am  29.  Juni  auf 
Alsen  einen  Gewehrschuss  durch  die  rechte  Schulter.  Die  eine  Oeffuung 
des  Schusskanals  zwischen  Wirbelsäule  und  innerem  Rande  der  Scapula 
in  der  Höhe  des  zweiten  bis  dritten  Brustwirbels,  die  andere  auf  dem 
massig  gesplitterten  Schlüsselbein  an  der  Grenze  des  äusseren  und  mitt- 
leren Drittheils.  Bei  gutem  örtlichem  und  allgemeinem  Zustande  in  der 
Nacht  vom  7.  zum  8.  Juli  erste  arterielle  Blutung  aus  der  vorderen 
Wundöffnung.  Blutverlust  c.  \  Pfund.  Die  Blutung  stand  von  selbst, 
kehrte  auch,  nachdem  folgenden  Tages  die  Coagula  entfernt  waren,  nicht 
wieder  bis  zum  12.  Juli  Abends.  Kurz  nach  einem  Besuche  naher  Ver- 
wandter kam  ein  massiger  Blutstrom  aus  der  vorderen  Wundöffnung  unter 
der  deckenden  Charpie  hervor.  Irrigation  mit  Eiswasser ;  Tampo- 
nade und  Verstärkung  der  letztern  auf  kurze  Zeit  durch  Di- 
gitalcompression. Die  Blutnng  steht  leicht.  Am  13.  Juli  Nachmit- 
tags neue  Blutung  in  einem  kräftigen  arteriellen  Strahle.  Irrigation  mit 
Eiswasser  vergeblich.  Dilatation  der  Wunde  nach  oben  und  hinten  durch 
c.  2  Zoll  lange  Incision,  wobei  4  oberflächlich  gelegene  kleine  Arterien 
unterbunden  werden  mussten.  Die  Blutung  steht.  Als  aber  zur  Probe  mit 
warmem  Wasser  irrigirt  wird,  dringt  wieder  ganz  aus  der  Tiefe  in  der 
Nähe  des  hinteren  oberen  Winkels  der  Scapula  ein  kräftiger  Blutstrahl 
hervor,  ohne  Zweifel  aus  der  A.  dorsalis  scapulae.  Bei  der  beständigen 
Ueberschwemmung  der  Tiefe  gelang  es  nicht,  dieselbe  zu  fassen.  Tam- 
ponade der  ganzen  Wunde,  dazu  Compression  mittelst  der 
über  die  Schulter  gelegten  Hand  mehre  Stunden;  daneben  Eis- 
beutel. Die  Blutung  steht.  Am  15.  Juli  Morgens  Reinigung  der  Wunde 
von  Coagulis;  letztere  sehen  etwas  unrein  und  blass  aus.    Verband  mit 


168 


Inf.  Chamom.,  Rothwein  und  Campher- Mischung.  Vierte  kleine  Blutung 
am  16.  Juli  Abends  aus  der  vorderen  Wunde  in  Folge  einer  etwas  raschen 
Bewegung  des  Patienten.  Leichte  Stillung  durch  Irrigation  und  Tampo- 
nade. Eine  Stunde  später  jedoch  ziemlich  starke  fünfte  Blutung. 
Nur  kräftige  Tamponade  mit  Digitalcompression  blieb  übrig. 
Letztere  wurde  4  Stunden  lang  fortgesetzt.  Die  Blutung  ist  seit- 
dem nicht  wiedergekehrt.  Der  weitere  Ausheilungsprocess  erfolgte  ohne 
Störung.  Nach  wiederholter  Ablösung  grösserer  und  kleinerer  Fragmente 
der  fracturirten  Clavicula  konnte  Pat.  am  5.  Sept.  in  die  Heimath  reisen. 
Die  hintere  Oeffnung  des  Schusskanals  war  vernarbt;  die  vordere  Wunde 
bis  zur  Grösse  einer  Erbse  verkleinert. 

Es  liegt  freilich  auf  der  Hand,  dass  die  Hülfen,  deren  conse- 
quente  Anwendung  in  diesem  Falle  zum  Ziele  führte,  namentlich 
die  Tamponade  und  die  stundenlange  Digital-  resp.  Manual  -Com- 
pression,  bei  Blutungen,  deren  Quelle  in  der  fossa  supra-  oder  infraspi- 
nata  liegt,  viel  mehr  Chancen  des  Erfolges  haben,  als  bei  Blutun- 
gen aus  der  fossa  subscapularis,  deren  Quelle  von  ihnen  nur  sehr 
mittelbar  erreicht  werden  kann.  Aber  auch  bei  jenen  Blutungen 
wird  die  Freude  an  dem  Erfolge  leicht  durch  ein  Moment  getrübt, 
dessen  Zutritt  durch  die  bei  den  fraglichen  Hülfsarten  unvermeid- 
liche Insultation  der  eiternden  Wunde  und  deren  Umgebung  wenn 
nicht  direct  herbeigeführt,  so  doch  gefördert  werden  kann.  Ich 
meine  den  septicämischen  und  pyämischen  Process.  Der 
folgende  Fall  liefert  ein  Beispiel  davon  und  zugleich  von  arte- 
rieller Spätblutung. 

Fall  105.  Schuss  auf  der  Schulterhöhe  mit  leichter  Absplitte- 
rung der  Spina  Scapulae.  Arterielle  Blutung  am  38.  Tage. 
Septicämie.  Tod.  Christian  Petersen  vom  2.  dän.  Inf.-Reg.  erhielt 
am  18.  April  einen  Gewehrschuss  durch  die  linke  Fossa  supraspinata  von 
hinten  nach  vorn  und  wurde  in  Flensburg  aufgenommen.  Einschussöffnung 
am  inneren  Drittheil  der  Spina  scapulae,  Ausschussöffnung  über  der  Cla- 
vicula c.  1£  Zoll  vom  Sternalende  derselben.  Letztere  ist  nicht  verletzt; 
die  Eingangsöffnung  führt  auf  die  abgesplitterte  Spina.  Der  Wundverlauf 
war  sehr  langsam,  bot  aber  bis  zur  Mitte  Mai  nichts  Ungewöhnliches. 
Während  der  Zeit  hatte  sich  eine  derbe  gegen  Druck  sehr  empfindliche 
Infiltration  der  Umgebung  der  vorderen  Wundöffnung  gebildet.  Behandlung 
mit  Breiumschlag.  Die  Infiltration  wird  dadurch  beseitigt.  Allgemeinbe- 
finden ungetrübt.  Am  26.  Mai  Morgens  arterielle  Blutung  aus  der  vor- 
deren Wundöffnung.  Sie  steht  durch  Tamponade.  Eisbeutel;  Acid. 
phosphoric.  innerlich.  Nachmittags  wiederholt  sich  die  Blutung.  Sie 
schien  aus  kleinen  Arterienästchen  der  inneren  Wandung  des  Schusskanals 
nahe  der  vorderen  Mündung  zu  kommen.  Stillung  durch  ümstechung. 
Am  28.  Mai  neue  Blutung  aus  der  Tiefe  des  Schusskanales.    Druck  ge- 


169 


gen  den  Processus  transversus  des  letzten  Halswirbels,  wo  Pulsation  ge- 
fühlt wird,  stillt  die  Blutung.  Darauf  wird  der  Schusskanal  mittelst 
Waschschwamm  tamponirt. 

Der  Blutverlust  hat  eine  merkliche  Herabsetzung  der  Kraft  herbeige- 
geführt.  Wegen  starker  Jauchung  der  Wunden  wurden  am  30.  Mai  die 
oberflächlichen  Tampons  entfernt;  die  tieferen  blieben  liegen.  Verband  mit 
Chlorwasser.  Wiederkehr  der  Blutung  am  1.  Juni  in  starkem  arteriellen 
Strahle  aus  der  Tiefe.  Druck  gegen  den  letzten  Halswirbel  sistirt  ihn. 
Darauf  von  neuem  Tamponade  und  Compression.  Am  4.  Juni  wer- 
den einige  Schwammstückchen  aus  der  Wunde  entfernt.  Unter  der  hintern 
Schussöffnung  hat  sich  eine  Eitertasche  gebildet.  Incision  am  6.  Juni. 
Die  Blutung  kehrt  nicht  wieder;  der  Puls  wird  kräftiger,  der  Appetit  hebt  sich. 
Am  7.  Juni  entwickelt  sich  jedoch  unter  lebhafter  Fieberung  eine  über  die  linke 
Seite  des  Gesichtes,  des  Nackens  und  der  Brust  sich  ausdehnende  Schwel- 
lung. Dieselbe  steigt  rapide.  Am  9.  Juni  ist  der  ganze  linke  Arm  öde- 
matös.  Die  Haut  am  äusseren  Rande  des  Schulterblattes  gangränescirt. 
Behufs  der  Jaucheentleerung  tiefe  Incision.  Tod  am  10.  Juni.  Bei  der 
Section  fanden  sich  in  den  inneren  Organen,  abgesehen  von  der  Blut- 
leere, keine  Krankheitsproducte.  Die  Gefässe  des  stark  ödematösen  Ar- 
mes zeigten  keine  Abnormität.  An  der  Verbindungsstelle  der  Vena  sub- 
clavia und  jugularis  communis  ein  starkes  weissliches  etwas  rauhes  Ge- 
rinnsel, welches  sich  bis  ins  rechte  Herz  erstreckt.  Venenwandung  glatt. 
Ein  rabenkieldicker  Arterienast,  aus  dem  Truncus  thyreo-cervicalis  entsprin- 
gend, verläuft  nach  hinten  bis  zum  Schusskanal,  der  in  dem  infiltrirten 
Gewebe  nicht  weiter  zu  verfolgen  ist.  (A.  transversa  scapulae).  Starke 
entzündliche  Infiltration  der  linken  Wangen-  und  Nacken-Seite.  Der  Schuss- 
kanal stellt  eine  grosse  jauchige  Höhle  mit  infiltrirten  Wänden  dar.  Am 
inneren  Drittheil  der  Spina  scapulae  sind  einige  Splitter  abgebrochen. 

Der  Vergleich  dieses  Falles,  in  welchem  die  geringe  Knochen- 
läsion höchstens  als  Grund  des  langsamen  Wundverlaufes  in  der 
ersten  Periode  in  Betracht  kommt,  mit  dem  sub  No.  103  skizzirten 
dürfte  nicht  ohne  Interesse  sein.  Das  Schema  der  Hülfsleistung 
gegen  die  Blutung  ist  das  nämliche.  Aber  die  Execution  zeigt 
manche  Differenzen.  Man  thut,  glaube  ich,  gut,  dieselben  in  Be- 
treff ihres  Einflusses  auf  den  Ausgang  nicht  zu  unterschätzen.  Die 
Individualität  des  Verwundeten  und  die  Constitution  des  Hospitals, 
in  welchem  er  behandelt  wird,  sind  ohne  Zweifel  sehr  wichtige 
Potenzen  bei  der  Genesis  der  Septicämien ;  aber  die  lokalen  Wund- 
verhältnisse machen  ihnen  eine  sehr  beachtenswerthe  Concurrenz. 
Die  noch  nicht  erwähnten  9  Todesfälle  kommen  gleichfalls  auf 
Rechnung  der  Septicämie  und  Pyämie  Auch  in  ihrem  Ver- 
laufe hat  es  an  Blutungen  nicht  gefehlt;  dieselben  waren  indess 
anderen  Ursprunges,  als  die  bisher  besprochenen,  nämlich  Producte 


170 


jener  Processe  selbst,  deren  tödtlicher  Verlauf  durch  sie  nur  be- 
schleunigt wurde,  sogenannte  pyämische.  Von  ihnen  wird  in 
dem  Capitel  über  Pyämie  die  Rede  sein.  Dort  werde  ich  auch  auf 
jene  Fälle  selbst,  soweit  sie  für  die  Pyämie -Frage  von  Interesse 
sind,  zurückkommen. 

Der  Grund,  dass  diese  Processe  zu  den  Schussfracturen  der 
Schulterknochen  sich  verhältnismässig  oft  gesellen,  ist  viel  weni- 
ger als  bei  den  Verletzungen  anderer  Theile  des  Skelettes  in  der 
Knochenläsion  selbst  zu  suchen.  Die  Structur  jener  Knochen  ist 
ihrer  Entstehung  sehr  wenig  günstig.  Um  so  mehr  eignen  sich 
die  langen  und  tiefen  Schusskanäle  der  gefässreichen  Schultergegend 
zu  Keimstätten  derselben.  Sehr  oft  mögen  kleinere  Blutungen,  ohne 
zu  Tage  zu  treten,  das  Material  zur  Bildung  von  Jaucheheerden 
in  der  Tiefe  vermehren.  Und  erwägt  man  die  in  der  Regel  lange 
Dauer  der  Eiterung,  welche  sich  an  die  Splitterbrüche  der 
Schulterknochen  trotz  ihrer  Geneigtheit  zum  Wiederersatz  und  zur 
Consolidation  zu  knüpfen  pflegt,  sowie  die  Eitersenkungen, 
welche  ihren  Verlauf  zu  begleiten  pflegen,  so  dürfte  die  Zahl  der 
Opfer,  welche  die  Pyämie  bei  dieser  Categorie  von  Verwundeten 
1864  gefordert  hat,  als  gross  kaum  zu  bezeichnen  sein. 

Lange  Dauer  der  Eiterung  und  Eitersenkungen  bilden  in  der 
That  eine  weitere  Schattenseite  der  Schussfracturen  der  Schulter- 
knochen. Ich  will  den  Leser  nicht  ermüden  durch  Mittheilung  von 
Krankengeschichten,  welche  beweisen,  dass  die  vollständige  Aus- 
heilung trotz  erfolgter  Consolidation  über  Jahr  und  Tag  sich  verzö- 
gern kann. 

Fall  106.  Schusszertrümmerung  des  Schlüsselbeins  in  seiner 
Länge.  Lange  Eiterung.  Abscessbildung  an  anderen  Körper- 
stellen. Heilung.  Christian  Friedrichsen  vom  L  dän.  Iuf.-Reg. 
wurde  am  6.  Februar  bei  Oeversee  verwundet,  in  das  dänische  Lazareth 
zu  Flensburg  aufgenommen  und  später  mit  diesem  von  dem  2.  schw.  F.-L. 
3.  A.-C.  übernommen.  Das  Geschoss,  in  der  Gegend  des  rechten  Steruo- 
claviculargelenks  eingedrungen  und  auf  der  Höhe  des  Acromion  derselben 
Seite  ausgeschnitten,  hatte  die  Clavicula  in  ihrer  ganzen  Länge  zersplit- 
tert. Unter  der  Behandlung  Anfangs  mit  den  in  der  dänischen  Chirurgie 
noch  eine  grosse  Rolle  spielenden  Breiumschlägen,  später  mit  sogenannten 
hydropathischen  Umschlägen  verlief  der  Eiterungsprocess  zwar  sehr  lang- 
sam, aber  ohne  wesentliche  Störungen.  Eine  Menge  grösserer  und  kleine- 
rer Splitter  war  allmählig  gelöst  und  entfernt.  Die  Consolidation  resp: 
der  Wiederersatz  war  im  Mai  so  vollständig,  dass  die  Schulterstellung  nor- 
mal blieb.    Auch  in  den  folgenden  Monaten  handelte  es  sich  bei  gutem 


171 


Allgemeinbefinden  nur  noch  um  periodische  Splitterextractionen.  Ära 
6.  August  wurde  ein  sehr  spitzer  Splitter  mit  der  Zange  aus  einer  Fistel- 
öffnung gezogen.  Eine  Entzündung  der  Gegend  über  dem  Schlüsselbeine 
entwickelte  sich.    Trotz  Eisapplication  lebhafte  Fieberung. 

Am  10.  August  zeigte  sich  eine  schmerzhafte  Schwellung  neben  dem 
rechten  Schienbein.  Am  13.  August  wurde  der  Eiter  durch  Incision  ent- 
leert. Darauf  Abscedirung  im  rechten  Daumenballen.  Incision.  Zu  wei- 
terer Bildung  von  Eiterheerden  kam  es  nicht;  aber  die  einmal  eröffneten 
Eiterungsquellen  versiegten  nur  sehr  langsam  unter  allraähliger  Abnahme 
des  Fiebers.  Die  Vernarbung  war  noch  nicht  vollendet,  als  F.  am  3.  Oc- 
tober,  übrigens  wieder  gekräftigt,  in  seine  Heimath  zurückkehrte. 

Die  multiple  Ab  sc  essbildung  an  anderen  Körperstellen 
mit  glücklichem  Ausgange  ist  1864  öfters  auch  bei  anderen  Ver- 
letzungen vorgekommen.  Ihr  Verhältniss  zum  pyämischen  Processe 
wird  mit  diesem  später  besprochen  werden.  Uebrigens  mahnt  der 
Fall  an  die  Vorsicht,  welche  auch  späte  Splitterextractionen  erhei- 
schen. . 

Zu  der  langwierigen  durch  die  Splittermenge  unterhaltenen 
Eiterung  gesellt  sich  besonders  bei  den  Schussbrüchen  der  Scapula 
die  Neigung  zu  Eitersenkungen,  um  die  Kräfte  zu  consumiren  und 
die  Gefahr  der  Pyämie  zu  unterhalten.  Zwei  Arten  der  Scapula- 
Schüsse  zeichnen  sich  in  dieser  Beziehung  besonders  aus.  Die  eine 
ist  eine  Unterart  einer  ziemlich  häutigen  Verletzungsform  —  Schuss- 
fractur  des  Schulterblattkörpers  in  der  fossa  infraspi- 
nata  mit  blindem  Schusskan ale,  welcher  den  Längs- 
durchmesser des  Knochens  gerade  oder  mehr  weniger 
schräg  kreuzt.  Gewöhnlich  ist  es  die  linke  Scapula,  welche  in 
dieser  Weise  getroffen  wird,  was  sich  wohl  erklärt  durch  die  Hal- 
tung beim  Anschlagen  des  Gewehres.  Verlief  die  Kugel  dabei  an 
der  hinteren  Seite  der  Scapula,  diese  tangential  zerdrückend,  so 
steckt  sie  oberflächlich  am  inneren  Rande  der  Scapula  oder  unter  der 
Haut  zwischen  diesem  und  der  Wirbelsäule  oder  selbst  mehr  oder 
weniger  jenseits  der  letzteren.  Da  Auffindung  und  Excision  in  der 
Regel  leicht  ist,  so  unterscheidet  sich  der  weitere  Verlauf  bei  die- 
sen Blindkanälen  sehr  wenig  von  dem  bei  den  doppelmündigen. 
Anders,  wenn  das  Geschoss  in  der  fossa  infraspinata  den  Knochen 
durchschlägt  und  an  dessen  Vorderseite  weiter  dringt.  Unter  den 
Verwundeten  von  1864  hatten  6  derartige  Schussfracturen.  Das 
Loch  in  der  Scapula  war  einige  Mal  cirkelrund.  Zwei  Mal  blieb 
das  Geschoss  unter  dem  inneren  Rande  der  Scapula  sitzen  und 


% 


172 


wurde  nach  Wochen  mittelst  tiefer  Incision  herausbefördert,  nach- 
dem sich  die  Stelle  durch  Abscedirung  marquirt  hatte.  In  den  übri- 
gen Fällen  dauerte  es  länger,  ehe  die  Kugel  entdeckt  wurde,  am 
längsten  in  dem  folgenden  Falle,  welcher  zugleich  der  einzige  ist, 
in  welchem  das  Geschoss  bis  über  die  Wirbelsäule  hinausgedrungen 
war,  ohne  sie  zu  verletzen. 

Fall  10  7.  Füsilier  Friedrich  Birkholz  vom  35.  Füs.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet.  Die  Kugel  ist  dicht  unter  der  linken  Spina  scapula  eingetre- 
ten, hat  in  die  Scapula  ein  kaum  für  den  Finger  durchgängiges  Loch  mit 
zackigen  Rändern  geschlagen.  Ihr  weiterer  Lauf  ist  nicht  markirt.  Es 
gelang  nicht,  sie  aufzufinden;  nur  Knochenstückchen  wurden  einige  Mal 
extrahirt.  Die  Eiterung  war  'stark.  Auch  entstanden  im  Mai  Senkungen 
hinter  dem  Schulterblatte,  denen  durch  Incision  2  Zoll  unter  dem  Angulus 
scapulae  Abfluss  verschafft  werden  musste.  Im  Juni  entwickelte  sich  von 
der  Wunde  aus  unter  mässiger  Fieberung  ein  bis  zum  Hinterkopf  gehendes 
Erysipel,  welches  jedoch  in  7  Tagen  ablief.  Als  B.  Ende  Juni  von  Apen- 
rade im  stehenden  Kriegslazareth  zu  Rendsburg  eintraf,  bestand  neben 
Anämie  noch  profuse  Eiterung  aus  der  Incisionsöffnung  unterhalb  des 
Schulterblattes.  Nach  längerer  Beobachtung  fand  man  nahe  dem  oberen 
inneren  Winkel  der  rechten  Scapula  eine  kleine  tiefliegende  Geschwulst, 
welche  bei  vollständiger  Annäherung  des  Armes  an  den  Thorax  unter  der 
Scapula  verschwindet.  Punktion  mit  der  Nadel  trifft  auf  einen  Widerstand, 
welcher  von  einem  festen  Körper  herzurühren  scheint.  Da  indess  jede 
sonstige  Spur  des  Laufes  der  Kugel  bis  hierher  fehlt,  Beschwerden  auch 
mit  jener  Geschwulst  nicht  verknüpft  sind,  wird  von  der  Incision  Abstand 
genommen.  Bis  zum  24.  Juli  war  die  Ausheilung  der  Wunde  so  vorge- 
schritten, dass  B.  behufs  seiner  Kräftigung  nach  Bad  Cudowa  geschickt 
werden  konnte.  Erst  am  30.  Januar  1865  ist  die  Kugel  im  Lazarethe  zu 
Berlin  ausgeschnitten  und  zwar  an  der  bereits  in  Rendsburg  punktirten 
Stelle.  Die  früheren  Wunden  hatten  sich  bis  zu  kleinen  Fistelgängen  ge- 
schlossen, aber  noch  Monate  währte  die  Eiterung  aus  ihnen  fort,  unter- 
halten durch  kleine  Splitter  und  periodisch  verstärkt,  so  oft  ein  solcher 
sich  ablöste. 

Der  Verlauf  der  übrigen  Fälle  war  ähnlich.  In  allen  6  ist 
Genesung  erfolgt. 

Noch  bedenklicher  sind  die  Schussfracturen  des  sogenannten 
Halses  der  Scapula.  Das  Geschoss,  welches  sie  bewirkt,  dringt 
gewöhnlich  in  der  regio  infraclavicularis  oder  von  der  fossa  supra- 
spinata  aus  ein.  Mehr  oder  weniger  starke  Primärblutung,  arterielle 
Secundärblutungen  und  Eitersenkungen  nach  allen  Seiten,  beson- 
ders nach  der  Achselhöhle  hin,  pflegen  den  Verlauf  dieser  Ver- 
letzungen zu  begleiten,  während  eines  langen  Wundlagers  die  Le- 
bensgefahr zu  unterhalten  und  die  Geduld  des  Arztes  wie  des  Kran- 


173 


ken  auf  eine  schwere  Probe  zu  stellen.  Sie  ist  1864  wiederholt 
glücklich  bestanden  worden.  Einen  der  schwersten  Fälle  dieser 
Art  hat  Herr  Dr.  Res  sei  (1.  c.  S.  97  ff.)  ausführlich  beschrieben. 
Die  Heilung  desselben  kann  als  ein  schöner  Triumph  unermüdlicher 
ärztlicher  und  vorzüglicher  diätetischer  Pflege  gelten.  Ich  verweise 
deshalb  auf  ihn,  ohne  damit  das  in  der  Beschreibung  mehrfach  be- 
tonte Ausdrücken  der  Eitersackungen  als  nachahmungswerth  zu 
empfehlen. 

Den  starken  und  lange  dauernden  Eiterungen  schliesst  sich 
nach  den  fraglichen  Schulterschüssen  trotz  bester  Knochenheilung 
eine  mehr  oder  weniger  hochgradige  und  lange  anhaltende  Störung 
der  Gebrauchsfähigkeit  des  Gliedes  an,  bedingt  durch  Narbenver- 
löthung  und  Muskelschwund.  Deshalb  stellen  diese  Verletzungen 
ein  verhältnissmässig  grosses  Contingent  zu  den  Invaliden. 

Schon  längst  ist  in  Frage  gestellt,  ob  durch  activeres  chirur- 
gisches Einschreiten,  namentlich  durch  partielle  Resectionen  der 
Knochen  eine  Kürzung  des  Verlaufes  zu  erzielen  sei.  Theoretisch 
kann  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  frühzeitige  und  voll- 
ständigere Entfernung  der  Splitter  und  Fremdkörper,  welche  da- 
durch in  manchen  Fällen  ermöglicht  wird,  ein  Mittel  sei,  profusen 
und  langwierigen  Eiterungen  und  Senkungen  vorzubeugen.  Allein 
gerade  in  den  Fällen,  wo  diese  Hülfe  am  nöthigsten  wäre,  droht 
die  Ausführung  die  mit  diesen  Verletzungen  verknüpften  Gefahren 
zu  steigern,  wenn  sie  nicht  der  Verwundung  sehr  bald  folgt. 
Ich  wage  kaum,  den  vielen  Aufgaben,  welche  die  heutige  Kriegs- 
chirurgie in  den  ersten  48  Stunden  nach  Gefechten  gelöst  wissen 
will,  noch  diese  hinzuzufügen.  Was  den  Erfolg  betrifft,  so  hat  die 
Kriegsklinik  von  1864  kein  Erfahrungsmaterial  zu  seiner  Würdigung 
geliefert.  Grosse  Vorsicht  und  Zurückhaltung  beim  Extrahiren  von 
Bruchstücken  und  Fremdkörpern  aus  den  frischen  Wunden,  auf- 
merksame Beachtung  der  sich  bildenden  Eitersackungen  und  früh- 
zeitige Herstellung  des  Abzuges  durch  das  Messer,  allmählige  Ent- 
fernung der  Sequester  nach  ihrer  völligen  Lösung  während  der 
Eiterungsperiode  waren  in  der  Praxis  von  1864  allgemein  befolgte 
Grundsätze.  Das  Resultat  mag  nicht  glänzend  sein;  aber  es  giebt 
meines  Wissens  keinen  Feldzug,  in  welchem  ein  besseres  oder  auch 
nur  ein  so  gutes  erzielt  wurde. 

Der  Verlauf  einiger  von  den  in  der  Tabelle  XI  statistisch  ver- 
rechneten Schulterschüssen  war  noch  durch  Nebenverletzungen  com- 


174 


plicirt.  Von  der  Mitverletzung  des  Plexus  brachialis  ist  schon  die 
Rede  gewesen.  Commotion  und  Contusion  resp.  Streifung  der  Lunge, 
jene  namentlich  bei  den  Schüssen  durch  die  fossa  subscapularis, 
diese  durch  Geschosse,  welche  den  Raum  zwischen  Schlüsselbein 
und  erster  Rippe  passirten,  werden  in  dem  Abschnitte  des  Berich- 
tes über  die  Brustschüsse  Erwähnung  finden. 

E.  2.  Schussverletzungen  des  Oberarm-Knochens. 
In  der  numerischen  Uebersicht  der  Schussverletzungen  der 
oberen  Glieder  —  Tabelle  IX  —  sind  nur  79  Knochen -Schüsse 
des  Oberarmes  aufgeführt.  Dies  ist  insofern  nicht  ganz  correct, 
als  solche  auch  in  der  später  zu  besprechenden  Gruppe  „Gelenk- 
Schüsse"  stehen,  nämlich  alle,  welche  die  obere  oder  untere  Epi- 
physe  des  Humerus  oder  so  nahe  an  letzterer  getroffen  haben,  dass 
die  Splitterung  resp.  Fissuren  bis  in  das  Ellenbogengelenk  reich- 
ten. Am  oberen  Ende  des  Humerus  ist  auch  1864  meines  Wissens 
keine  Ausnahme  von  dem  durch  Stromeyer  ermittelten  Gesetze, 
wonach  die  Schussbrüche  unter  dem  sogenannten  chirurgischen  Halse 
des  Humerus  das  Schultergelenk  durch  Fissuren  nicht  bedrohen,  con- 
statirt  worden. 

Auch  nicht  alle  79  Schussverletzungen,  welche,  weil  die  Gelenke 
nicht  betheiligt  waren,  hier  in  Betracht  kommen,  waren  Schuss- 
Brüche  in  dem  Sinne,  dass  die  Continuität  des  Knochens  in  sei- 
ner Längsaxe  ganz  unterbrochen  wurde.  Ich  habe  jedoch  nur 
5  Fälle  ermittelt  (3  Preussen,  2  Dänen),  in  denen  es  sich  bloss 
um  eine  peripherische  Absplitterung  gehandelt  hat.  So- 
genannte Lochschüsse,  wie  sie  an  dem  Femur,  namentlich  am 
unteren  Ende  desselben,  und  am  Kopfe  der  Tibia  vorgekommen 
sind,  hat  der  Humerus  1864  nicht  dargeboten.  Schon  bei  Bespre- 
chung der  Weichtheilschüsse  wurde  bemerkt,  dass  keineswegs  in 
allen  Fällen,  welche  als  solche  aufgeführt  sind,  dafür  gebürgt  wer- 
den könne,  dass  der  Knochen  ganz  unberührt  geblieben  sei.  Bei 
manchen  durch  ungewöhnlich  lange  Eiterung  und  Neigung  zu  Eiter- 
senkungen ausgezeichneten  Fällen  lag  die  Vermuthung  nahe,  dass 
Contusion  des  Knochens  oder  beschränkte  Periostabstreifung  im 
Spiele  sei. 

Was  nun  zunächst  jene  5  Absplitterungen  betrifft,  so  ge- 
hören dieselben,  eine  ausgenommen,  dem  unteren  Drittheil  des  Kno- 
chens an  und  zwar  den  Condylen  resp.  ihren  leistenartigen  oberen 


175 


Ausläufen.  Die  örtliche  Reaction  war  Anfangs  ziemlich  lebhaft,  so 
dass  die  Betheiligung  des  Gelenkes  in  Frage  kam.  Bei  der  üb- 
lichen Behandlung  mit  Eis  klärte  jedoch  der  weitere  Verlauf  bald 
darüber  auf.  Mehr  oder  weniger  bedeutende  Störung  der  Gebrauchs- 
fähigkeit des  Gliedes  in  Folge  der  Anlöthung  der  Narben  am  Kno- 
chen pflegt  die  Ausheilung  kürzere  oder  längere  Zeit  zu  über- 
dauern. 

Der  fünfte  Fall  betrifft  das  obere  Ende  des  Knochens.  Er  ist 
unter  der  Bezeichnung  „unvollkommene  Fractur"  von  Herrn 
Dr.  Ressel  (1.  c.  S.  105)  beschrieben.  Nach  der  Digitaluntersu- 
chung schien  das  Geschoss,  welches  2  Zoll  nach  aussen  und  oben 
von  der  linken  Brustwarze  ein-  und  neben  der  hinteren  Achselfalte 
an  der  hinteren  Fläche  des  Oberarmes  austrat,  an  der  inneren  Seite 
des  chirurgischen  Halses  einen  Halbkanal  in  den  Knochen  geschlagen 
zu  haben.  Unter  wiederholter  Ausstossung  von  Knochensplittern 
währte  die  Eiterung  über  3  Monat.  Eine  Nachkur  im  Bade  Landeck 
hatte  die  gute  Wirkung,  dass  bereits  im  September  —  die  Verwun- 
dung datirte  vom  18.  April  — *  die  Gebrauchsfähigkeit  des  Armes 
völlig  hergestellt  war. 

Die  übrigen  74  Verletzungen  des  Humerus  waren  wirkliche 
Schussfracturen.    Ich  gebe  zunächst  eine 


Uebersicht  der  Schussbrüche  des  Oberarmknochens 
nach  Nationalität,  Kurart  und  Ausgang. 

Tabelle  XII. 


d 

<v 

Art 

d 

3  r 

3  e  h  an 

d  1  u  n  g 

d 

d 

o> 
d 
o> 

<v 

o> 

+-> 

Nationa- 
lität 

der  Verwunc 

nicht 
operativ 

primär 
amputirt 

nicht  pri- 
mär am- 
putirt. 

in  der 
Continuität 
resecirt. 

im  Schul- 
tergelenk 
resecirt 

ima  der  Gehei 

ia  der  Gestoi 

a 

SJ 

Zahl 

.d 

wd 

+ 

Zahl 

,d 

<u 
WD 

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Zahl 

j= 

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WD 

+ 

Zahl 

-d 

<v 
WD 

+ 

Zahi 

-d 

WD 

+ 

c 
s 

n 

a 

3 

Preussen 

42 

32 

26 

6 

7 

5 

2 

1 

1 

2 

2 

9 

Dänen 

32 

21 

16 

5 

1 

1 

4. 

1 

3 

3 

3 

3 

1 

2 

18 

14 

Summa 

74 

53 

42 

11 

8 

5 

3 

5 

1 

4 

5 

2 

3 

3 

1 

2 

51 

23 

Loeffler,  Generalbericht.  12 


176 


Für  die  Kur  der  Schussbrüche  des  Oberarmknochens  hatte  die 
schleswig-holsteinische  Kriegsklinik  von  1848  —  1850  folgende  Sätze 
ergeben: 

1)  Alle  Schussfracturen  des  Humerus  durch  Kleingewehrfeuer 
oder  Kartätschen  ohne  Mitverletzung  der  Art.  brachialis  gestatten 
die  Conservativkur ; 

2)  Die  Mitverletzung  der  Art.  brachialis  erheischt  frühzeitige 
Absetzung  des  Gliedes; 

3)  Die  Continuitäts-Resection  als  Mittel  der  Conservativkur 
ist  zu  verwerfen. 

4)  Die  primäre  Extraction  der  Splitter  ist  auf  die  kleinen  voll- 
ständig abgetrennten  und  leicht  erreichbaren  zu  beschränken. 

5)  Eine  kräftige  und  consequente  Antiphlogose,  besonders  die 
örtliche  durch  Eis,  ist  heilsam  und  nothwendig. 

6)  Frühzeitige  feste  Contentiv verbände  sind  unnöthig  und 
schädlich. 

Die  Praxis  von  1864,  obwohl  im  Allgemeinen  auf  diesen  Sätzen 
fussend,  ist  mehrfach  von  ihnen  abgewichen.  Ob  dies  heilsam  ge- 
wesen ist,  und  in  wie  weit  die  Abweichungen  einen  Fortschritt  in 
der  Behandlung  der  Schussbrüche  des  Humerus  bezeichnen,  wird 
sich  aus  der  folgenden  Betrachtung  der  Resultate  ergeben. 

Aus  der  Zahl  der  Primäramputirten  lässt  sich  auf  den 
Umfang  schliessen,  in  welchem  das  Streben  nach  Gliederhal- 
tung sich  bethätigt  hat.  Sie  beträgt  10  pCt.  der  Verwundeten 
(8  von  74).  Conservativkur  ist  also  bei  90  pCt.  der  Schuss- 
brüche des  Humerus  versucht  worden. 

Die  Primäramputationen  lassen  sich  nach  dem  Motiv  in 
zwei  Gruppen  sondern.  In  3  Fällen  bewog  Ausdehnung  der 
Splitterung  nebst  bedeutender  Läsion  der  Weichtheile 
zum  Verzichten  auf  die  Conservation  des  Gliedes ;  es  ist  wenigstens 
die  Mitverletzung  der  A;  brachialis  in  den  Journalen  nicht  aus- 
drücklich bemerkt.  In  Berücksichtigung  des  Umstandes,  dass  die 
Verwundungen  theils  von  Gewehrkugeln  (2  Mal),  theils  von  einer 
Kartätschkugel  herrührten,  lässt  sich  vielleicht  in  Frage  stellen,  ob 
in  diesen  Fällen  die  absolute  Nothwendigkeit  der  Primäramputation 
vorlag.  Man  darf  indess  nicht  vergessen,  dass  die  plumpere  Sorte 
der  dänischen  Spitzkugel  und  die  Kartätschkugel  grösseren  Calibers 
in  der  Zerreissung  der  Weichtheile  bisweilen  mit  den  Granatsplittern 
concurrirten. 


177 


In  den  übrigen  5  Fällen  war  die  Art.  brachialis  mit  ver- 
letzt. Die  Verwundungen  rührten  her  von  Granatstücken  (2  Mal) 
und  Kartätschen  (3  Mal). 

Verlauf  und  Ausgang  dieser  primären  Oberarm- Ampu- 
tationen ergiebt  sich  aus  den  folgenden  Notizen  über  die  einzel- 
nen Fälle. 

Fall  108.  1.  Musk.  Wilhelm  Henschel  vom  13.  Inf.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet,  in  Westet  -  Schnabeck  (1.  F.-L.  13.  Div.)  aufgenommen.  Zer- 
schmetterung des  rechten  Oberarmes  mit  bedeutender  Zer- 
reissung  der  Weichtheile  durch  eine  Kartätsche;  Weichtheil- 
schuss  durch  den  linken  Deltamuskel.  Am  nämlichen  Tage 
Amputation  des  rechten  Oberarmes  an  der  Grenze  zwischen  1.  und  2. 
Drittheil  mittelst  Cirkelschnitt.  (St.-A.  Dr.  Schroeder).  Regelmässiger 
Verlauf.  Am  9.  Juni  Ablösung  eines  nekrotischen  Knochenringes  vom 
Sägeende  des  Humerus.    Invalidisirung  am  9.  August. 

Fall  109.  2.  Feldwebel  Julius  Kromraschmidt  vom  50.  Inf. -Reg.,  am 
3.  Juli  bei  Lundby  verwundet  durch  eine  grosse  dänische  Spitzkugel,  im 
Lazareth  zu  Hobro  aufgenommen.  Zertrümmerung  des  rechten  Hu- 
merus in  der  Mitte  mit  grossem  Substanzverluste  der  Weich- 
theile. Hohe  Amputation  des  Oberarmes  am  4.  Juli.  Ungestörster  Ver- 
lauf. Traf  am  28.  August  mit  völlig  vernarbtem  Stumpfe  behufs  Empfanges 
eines  künstlichen  Ersatzes  in  Kiel  ein. 

Fall  110.  3.  Gemeiner  Jens  Westphal  vom  22.  dänischen  Inf.-Reg.,  am 
18.  April  verwundet,  in  Broacker  (1.  F.-L.  Cav.  Div.)  aufgenommen.  Zer- 
schmetterung des  rechten  Oberarmes  im  unteren  Drittheil 
durch  Langblei.  Sehr  bedeutender  Blutverlust.  Am  20.  April 
Amputation  des  Oberarmes  in  der  Mitte  (A.-A.  Dr.  Fuchs).  Verlauf  in 
den  ersten  8  Tagen  günstig.    Dann  Pyämie.    Tod  am  10.  Juni. 

Fall  111.  4.  Musk.  Friedrich  Heisterkamp  vom  55.  Inf.-Reg.,  verwundet 
vor  Düppel  am  16.  April,  aufgenommen  in  Stenderup  (1.  F.-L.  6.  Div.). 
Zerschmetterung  der  unteren  Hälfte  des  rechten  Humerus 
durch  ein  Granatstück;  Art.  brachialis  durch  ein  Knochen- 
stück angespiesst.  Selbigen  Tages  hohe  Amputation  des  Oberarmes 
mittelst  Cirkelschnitt.  (St.-A.  Dr.  Bötticher.)  Trotz  sorgfältigster  Unter- 
bindung 8  Stunden  nach  der  Operation  Nachblutung,  welche  zur  Wieder- 
öffnung der  durch  Nähte  vereinigten  Operationswunde  und  zur  Anlegung 
von  noch  5  Ligaturen  zu  den  früheren  8  nöthigte.  (Die  Unterbrechung 
des  Blutlaufes  in  der  Brachialis  scheint  eine  Entwickelung  des  Collateral- 
kreislaufes  von  seltener  Rapidität  zur  Folge  gehabt  zu  haben.)  Nichts- 
destoweniger verlief  die  Heilung  nicht  blos  ungestört,  sondern  ungewöhn- 
lich schnell.  W.  kam  am  18.  Juni  mit  definitiv  vernarbtem  Stumpfe  be- 
hufs Empfanges  eines  künstlichen  Armes  in  Kiel  an. 

Fall  112.  5.  Kan.  Wilhelm  Schwettmann  von  der  7.  Art -Brgd. ,  am 
26.  März  in  der  Gammelmarkbatterie  durch  ein  Granatstück  oder  durch 
ein  von  dem  Batteriedache  losgeschlagenes  Stück  Holz  verwundet,  in  Bro- 

12* 


178 


acker  (1.  F.-L.  d.  Cav.-Div.)  aufgenommen.  Zerschmetterung  des 
linken  Oberarmes  in  der  Mitte;  das  untere  Bruchstück  sieht 
aus  der  zerrissenen  Haut  hervor;  Radialpuls  nicht  fühlbar. 
Sofortige  hohe  Amputation  mittelst  Zirkelschnitt.  (St.-A.  Dr  Neuhaus) 
Tod  durch  Pyaemie  am  1.  Mai. 
Fall  113.  6.  Füs.  Emil  Krüger  vom  8.  Leib-Gren.-Reg.  8.,  im  Machtge- 
fechte des  28.  März  durch  eine  Kartätschkugel  verwundet;  in  Stende- 
rup  (1.  F.-L.  6.  Div.)  aufgenommen.  Ausgedehnte  Zerschmetterung 
des  linken  Oberarmes  mit  grossem  Blutverluste  aus  der  ver- 
letzten A.  brach ialis.  Am  29.  März  hohe  Amputation  mit  Bildung 
eines  inneren  Lappens,  während  der  Schnitt  an  der  Aussenseite  wegen  der 
Zerstörung  der  Weichtheile  in  halbem  Cirkel  geführt  werden  musste. 
(St.-A.  Dr.  Asche.)  Ungestörter  Verlauf.  Definitive  Vernarbung  am 
4.  Juni. 

Fall  114.  7.  Musk.  Wilhelm  Süssmilch  vom  60.  Inf.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet,  in  Stenderup  (1.  F.-L.  6.  Div.)  aufgenommen.  Eine  Kar- 
tätsche hat  den  rechten  Humerus  zerschmettert,  Art.  brachi- 
alis  und  N.  medianus  zerrissen.  Erst  am  20  April  giebt  Patient 
operatives  Einschreiten  zu.  Der  Arm  war  kalt  und  an  der  Hand  zeigten 
sich  bereits  Spuren  der  Gangrän  Hohe  Amputation  mit  Bildung  eines 
äusseren  Lappens.  Thrombenbildung  in  Art.  und  V.  brachialis  hoch  hinauf. 
Tod  durch  Septicaemie  am  25.  April. 

Fall  115.  8.  Füs.  Christian  Koepke  vom  64.  Inf.-Reg.,  am  18.  April  ver- 
wundet, in  Stenderup  (1.  F.-L.  6.  Div.)  aufgenommen.  Zwei  schwere  Ver- 
letzungen durch  Kartätschen.  Der  rechte  Oberarm  ist  zerschmet- 
tert, die  A  brachialis  mitverletzt  An  der  linken  Hand  sind 
das  2.,  3.  und  4.  Os  metacarpi  nebst  dem  vorderen  Theil  des 
Carpus  zerschmettert,  der  Daumenballen  zerrissen.  Am 
20.  April  wird  der  rechte  Oberarm  dicht  unter  dem  Schultergelenk  unter 
Bildung  eines  inneren  und  eines  äusseren  Lappens  amputirt.  (St.-A.  Dr. 
Bötticher.)  Die  linke  Hand  wird  in  das  permanente  Wasserbad  gelegt, 
um  die  Conservation  zu  versuchen. 

Der  Verlauf  war  überraschend  günstig.  Die  Amputationswunde  schloss 
sich  bis  auf  die  Ligaturkanäle  p.  p.  int.  und  war  bereits  Mitte  Mai  defini- 
tiv vernarbt.  Die  Ausheilung  der  Handwunde  vollendete  sich  erst  im  No- 
vember; das  Handgelenk  wurde  ankylotisch. 

Von  diesen  8  Primäramputationen  des  Oberarmes,  die  fast  alle 
hohe  waren,  haben  also  3  (37,5  pCt.)  den  tödtlichen  Ausgang  ge- 
nommen. Die  Septicämie,  welche  in  Fall  7  denselben  herbeiführte, 
würde  vielleicht  verhütet  worden  sein,  wenn  der  Verwundete  die 
Operation  nicht  verweigert  hätte,  bis  die  Zeichen  des  Brandes  sich 
einstellten.  Die  beiden  andern  Todesfälle  kommen  auf  Rechnung 
der  Pyämie  inBroacker,  von  deren  Einflüsse  auf  den  Verlauf  der 
Primäramputationen  bereits  in  dem  Abschnitte  „  Abreissungen  und 
Zermalmungen"  berichtet  ist. 


179 


Das  Motiv,  welches  bei  den  5  letzten  der  angeführten  Ver- 
wundungen zur  frühzeitigen  Absetzung  des  Gliedes  bestimmt  hat, 
die  Mitverletzung  derA.  brachialis,  wird  von  einzelnen  Chi- 
rurgen angefochten  in  dem  Streben,  für  die  gliedconservirende  Kunst 
noch  mehr  Terrain  zu  gewinnen.  Die  nicht  zu  leugnende  That- 
sache,  dass  nach  Unterbindungen  der  A.  brachialis  der  Kreislauf 
sich  in  der  Regel  schnell  wiederherstellt,  erregt  die  Hoffnung,  dass 
die  Mitverletzung  keine  nachhaltige  Störung  der  Heilung  der  Schuss- 
fractur  bedinge,  und  Legouest  (Traite  de  Chirurgie  d' Armee,  p.  689) 
formulirt  den  zu  befolgenden  Grundsatz  noch  specieller,  indem  er 
sagt:  „Si  Fartere  brachiale  est  lesee  au-dessous  des  tendons  des 
muscles  grand-rond  et  coraco-brachial,  la  grande  collaterale  externe 
et  la  grande  artere  nourriciere  de  l'humerus  restent  intactes,  reta- 
blissent  assez  facilement  et  assez  rapidement  la  circulation  pour 
autoriser  la  conservation  du  membre.  Si,  au  contraire,  l'artere 
brachiale  est  ouverte  au-dessus  de  l'origine  de  ces  vaisseaux,  il 
faut  pratiquer  Tamputation." 

Bis  jetzt  hat  meines  Wissens  die  kriegschirurgische  Literatur 
keinen  Fall  von  Gliederhaltung  nach  einer  mit  Verletzung  der  A. 
brachialis  complicirten  Schussfractur  des  Humerus  aufzuweisen.  Auch 
Legouest  führt  keinen  an;  seine  Indication  ist  vielmehr  nur  das 
Ergebniss  eines  aprioristischen  Calculs,  welcher  überdies  den  Feh- 
ler hat,  dass  er  ein  Moment,  welches  von  wesentlichem  Einflüsse 
auf  den  Verlauf  derartiger  Verletzungen  ist,  ausser  Rechnung  lässt, 
nämlich  das  Verhalten  der  Vena  brachialis,  welche  wenigstens  bei 
Schussbrüchen  nicht  leicht  unversehrt  bleibt,  wenn  die  Arterie  ge- 
troffen wird.  Die  blosse  Mitquetschung  genügt,  um  der  Vene  einen 
erheblichen  Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Verwundung  zu  sichern. 

Was  nun  den  Verlauf  der  Schussbrüche  des  Humerus 
bei  Verletzung  der  Art.  brachialis  ohne  frühzeitige  Am- 
putation betrifft,  so  kann  ich  aus  dem  Feldzuge  von  1864  drei 
Fälle  anführen,  welche  um  so  instructiver  sind,  da  bei  zwei  von 
ihnen  die  von  Legouest  gestellte  Bedingung  zutrifft. 
Fall  116.  1.    Schussfractur  des  Oberarmes  im  u uteren  Drittheil 
mit  Verletzung  der  A.  brachialis.    Gangrän  am  3.  Tage.  Hohe 
Amputation  am  6.  Tage.     Heilung.    Peter  Rasmus  Christensen 
vom  16.  dän.  Inf. -Reg.,  am  18.  April  verwundet,  in  Wester-Schnabeck  (l. 
F.-L.  13.  Div.)  aufgenommen.    Ein  Langblei  hatte  den  rechten  Humerus 
nahe  über  dem  Ellenbogengelenke  zersplittert.  Lagerung,  Eis.  Am  3.  Tage 
Gangrän,  welche  rasch  bis  zur  Mitte  des  Oberarmes  fortschritt,  hier  aber 


180 


stillstand.  Am  23.  April  wurde  deshalb  der  Oberarm  im  oberen  Drittheil 
mittelst  Cirkelschnitt  abgesetzt  (St.-A.  Dr.  Schroeder).  Die  Ausheilung 
der  Amputationswunde  ist  ohne  erhebliche  Zwischenfälle  erfolgt,  so  dass 
am  26.  August  die  Auslieferung  erfolgen  konnte. 

Fall  117.  2.  Gewehrschussfractur  des  Oberarmes  im  mittleren 
Drittheil.  Gangrän.  Arterielle  Blutung.  Amputation  am  10. 
Tage.  Tod  durch  Pyämie.  Musk.  Joseph  Rottkarap  vom  55.  Inf.- 
Reg.,  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet,  in  Broacker  aufgenommen.  Der 
rechte  Humerus  ist  unter  der  Mitte  gesplittert.  Nur  eine  Schussöffnung. 
Der  Verwundete  ist  durch  eine  starke  Primärblutung,  welche  durch  Druck 
sistirt  wurde,  sehr  angegriffen.  Unter  starker  Schwellung  des  Gliedes  ent- 
wickelt sich  Gangrän,  welche  jedoch  nach  oben  nicht  über  die  Schussge- 
gend hinausgeht.  Am  8.  Juli  tritt  heftige  arterielle  Blutung  aus  der  Schuss- 
wunde ein,  welche,  da  die  Compression  der  Subclavia  nicht  nachhaltig 
wirkt,  die  hohe  Amputation  nöthig  macht.  Das  Geschoss  findet  sich 
im  Knochen  eingekeilt.  Nach  dem  am  17.  Juli  durch  Pyämie  erfolg- 
ten Tode  fanden  sich  erweichte  Thromben  in  der  Vena  subclavia  und  in 
den  kleinen  Achselvenen,  sowie  eitrige  Lungeninfarcte. 

Fall  118.  3.  Schussfractur  des  Humerus  im  unteren  Drittheile 
mit  Verletzung  der  Art.  brachialis.  Gangrän.  Exarticulatio 
humeri  am  25.  Tage.  Tod  durch  Septicämie.  Ole  Peter  Ras  - 
müssen  vom  4.  dän.  Iuf.-Reg.,  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet,  in  Oster- 
Satrup  (1.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Section  St.-A.  Lücke)  aufgenommen. 
Der  linke  Humerus  ist  durch  eine  Gewehrkugel  zersplittert.  Die  Kugel 
ist  circa  H  Zoll  über  dem  Cond.  int.  ein-  und  etwas  höher  an  der  Aussen- 
seite  mit  thalergrosser  Oeffnung  ausgetreten.  Extraction  mehrer  Splitter; 
Verband  mit  Schienen  von  Cigarrenkistenholz.  Wegen  beträchtlicher  Ge- 
schwulst des  Armes  und  weil  der  Radialpuls  fehlt,  wird  dieser  Verband  am 
3.  Juli  abgenommen.  Die  kühle  Temperatur  der  Hand  steigt  danach,  aber 
der  Radialpuls  stellt  sich  nicht  ein.  Am  6.  Juli  gute  Temperatur  in  dem 
geschwollenen  Gliede;  Ausgangsöffnung  noch  unrein.  Gipsverband  mit 
Fenstern.  Am  10.  Juli  Abnahme  des  Verbandes  wegen  erhöhter  Schmerz- 
haftigkeit.  Die  Umgebung  der  Wunde  ist  geröthet,  die  Schwellung  des  kühlen 
Vorderarmes  gesteigert.  An  dem  Vorderarme  geht  eine  den  Venen  folgende 
Schwellung  bis  in  die  Achselhöhle.  Schienenverband  mit  Watteeinwickelung. 
Starkes  Fieber.  In  der  Wunde  käsig  bröckelige  Massen,  weniges,  stinkendes 
Secret.  Die  Schwellung  des  Armes  nimmt  im  weiteren  Verlaufe  zu;  der- 
selbe gleicht,  wie  Herr  Lücke  in  seiner  Mittheilung  über  diesen  Fall  (1.  c. 
p.  76)  sagt,  dem  Beine  einer  Wöchnerin  bei  Phlegmasia  alba  dolens.  Blu- 
tung aus  der  Wunde;  Extraction  eines  Knochensplitters;  Incision  wegen 
Senkung  am  Cond.  ext.  Die  Schwellung  steigt  bis  über  die  Schulter.  Am 
21.  Juli  erhöhte  Spannung  und  Röthung  des  Oberarmes;  Hand  kalt  und  ge- 
fühllos ;  lebhaftes  Fieber.  Zur  Entspannung  7  Incisionen,  durch  welche  viel 
Serum  entleert  wird.  Die  Hand  schwillt  ab,  doch  tritt  Gascrepitation  und 
Gangrän  in  der  Umgegend  des  Ellenbogengelenkes  ein.  Deshalb  am  23.  Juli 
Exarticulation  im  Schultergelenk.  Nach  2  Tagen  gangränescirte  der  obere 
Lappen.   Unter  fortschreitender  Gangrän  Tod  am  28.  Juli. 


181 


In  dem  abgesetzten  Arme  fand  sich  die  Art.  brachialis  quer  durch- 
schossen; der  Nervus  raedianus  ging  als  freier  Strang  durch  die  Wund- 
höhle, die  Venen  des  Oberarmes  waren  mit  festen  Thromben  gefüllt.  In 
der  Leiche  fanden  sich  die  Ven.  axillaris  und  jugularis  links  mit  matschen 
braunrothen  Thromben  und  etwas  dünner  jauchiger  Flüssigkeit  gefüllt,  in 
welcher  zahlreiche  Fetttropfen  schwimmen.  In  den  Luogenarterien  und  im 
Herzen  dünnes  dunkelrothes  Blut.  Leber  blass;  Milz  nicht  vergrössert. 
In  beiden  Pleurahöhlen  geringer  Erguss. 

Der  letzte  Fall  ist  um  so  interessanter,  weil  er  deutlich  zeigt, 
welche  Rolle  die  Venenthrombose  in  den  fraglichen  Verletzun- 
gen spielt.  Der  arterielle  Strom  hatte  sich  olfenbar  schon  collateral 
entwickelt,  als  die  Venen  Verstopfung  zu  Brand  und  Verjauchung 
führte. 

Keiner  dieser  Fälle  repräsentirt  ein  absichtliches  Experi- 
ment, das  Glied  trotz  der  Mitverletzung  des  Arterienstammes  zu 
conserviren.  Das  Fehlen  des  Radialpulses  ist  erst  entdeckt,  als 
die  Zeit  für  die  primäre  Amputation  vorüber  war.  Ich  denke  aber 
auch,  dass  in  diesen  Beobachtungen  keine  Aufforderung  liegt,  ein 
solches  Experiment  anzustellen.  Es  war  ein  besonderes  Glück,  dass 
im  ersten  Falle  das  Leben  noch  erhalten  wurde  trotz  der  verspäte- 
ten Amputation.  Somit  darf  nach  wie  vor  als  Grundsatz  gelten, 
dass  in  jedem  Falle  von  Schussfractur  des  Humerus  vor 
Allem  das  Verhalten  der  Art.  brachialis  constatirt  und 
wo  eine  Verletzung  derselben  sich  herausstellt,  sofort 
amputirt  werde. 

Ausser  den  bisher  erwähnten  sind  noch  2  Amputationen  wegen 
Schussfractur  des  Humerus  gemacht  worden.  Die  eine  am  5.  Tage 
nach  der  Verletzung  (Anders  Lassen  vom  5.  dän.  Inf. -Reg.,  am 
29.  Juni  auf  Alsen  verwundet  und  in  Sonderburg  aufgenommen) 
mittelst  Cirkelschnitt  im  oberen  Drittheil.  Das  Motiv  der  Operation 
ist  aus  den  vorliegenden  Notizen  nicht  ersichtlich.  Am  6.  Tage 
nach  derselben  führte  Trismus  den  Tod  herbei.  In  dem  anderen 
Falle  (Christian  Wissing  vom  9.  dän.  Inf.-Reg.,  am  18.  April  ver- 
wundet, in  Rinkenis  (3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C. ,  Section  St.-A. 
Weise)  aufgenommen)  bestand  neben  der  Schussfractur  des  rech- 
ten Oberarmes,  von  einem  Langbleischuss  herrührend,  eine  aus- 
gedehnte Quetschung  der  Weich th eile  der  rechten  Brust- 
seite durch  B ombenstreifung,  welche  trotz  Eis  und  Arnica 
zu  einer  enormen  Verjauchung  führte.  Da  auch  die  Armwunde  zu 
jauchen  anfing,  wurde  am  6.  Tage  der  Oberarm  hoch  mittelst  Lap- 


182 


penschnitt  abgesetzt.  Allein  trotz  der  Beseitigung  des  einen  Jau- 
cheheerdes reichte  der  andere  aus,  die  Kräfte  rasch  zu  consumiren 
(Tod  am  3.  Mai). 

Bei  den  übrigen  64  Schussfracturen  des  Humerus  blieb  das 
Aniputationsmesser  ausgeschlossen.  Die  Erhaltung  des  Gliedes  wurde 
consequent  verfolgt.  Arterielle  Secundärblutungen  aus  Aesten 
der  A.  brachialis  sind  in  der  Eiterungsperiode  mehre  Male  vorge- 
kommen. Die  methodische  Digitalcompressi  on  des  Haupt- 
stammes hat  namentlich  dazu  beigetragen,  die  Ligatur  des  letz- 
teren unnöthig  zu  machen. 

Die  Conservativkur  hat  jedoch  nicht  immer  auf  operative 
Acte  verzichtet.  Zu  diesen  gehörte  auch,  trotz  der  warnenden  frühe- 
ren Erfahrung,  die  Continuitäts-Resection.  Tabelle  XII  er- 
giebt,  dass  sie  in  5  Fällen  ausgeführt  wurde.  Das  Resultat  ist  in- 
dess  durch  die  3  Todesfälle,  welche  die  Tabelle  nachweist,  noch 
nicht  ausreichend  bezeichnet;  die  beiden  Ueberlebenden  behielten 
ein  falsches  Gelenk. 

Die  3  Gestorbenen  (Jürgen  Guttorm,  Jürgen  Clans en  und 
Hans  Soerensen  vom  5.  dän.  Inf. -Reg.)  wurden  auf  Alsen  am 
29.  Juni  durch  Langblei  verwundet,  und  in  das  nämliche  Lazareth 
aufgenommen.  Durch  die  bedeutende  Splitterung  Hess  man  sich 
bestimmen,  eine  Wundöffnung  durch  Incision  hinreichend  zu  erwei- 
tern, die  Splitter  sorgfältig  auszuziehen  und  die  Bruchenden  „mit 
möglichster  Schonung  des  Periostes"  zu  reseciren,  wodurch  Kno- 
chenlücken von  2  bis  3  Zoll  Länge  entstanden.  Der  Verlauf  war 
in  allen  3  Fällen  trotz  des  sofort  angelegten  Gypsverbandes  der 
nämliche  —  baldige  Verjauchung  und  Tod  durch  Septicämie.  Dieser 
Ausgang  dürfte  jedoch  weniger  der  Operation  selbst,  als  vielmehr 
dem  Umstände  zuzuschreiben  sein,  dass  sie  in  der  Reactionsperiode 
am  4.  resp.  5.  Tage  nach  der  Verletzung  ausgeführt  wurde.  Wird 
die  Resection  primär  oder  in  der  Eiterungsperiode  gemacht,  so  be- 
droht sie  weniger  das  Leben  als  die  Brauchbarkeit  des  conservirten 
Gliedes.  Derartig  waren  die  beiden  anderen  Continuitätsresectionen 
des  Humerus. 

Fall  119.  Dem  Sergeant  August  Scheibner  vom  35.  Füs.-Reg.  wurde  am 
17.  März  bei  Düppel  der  linke  Oberarm  durch  ein  Granatstück  zerschmet- 
tert. Auf  dem  Truppen-Verbandplatze  in  Wielhoi  wurden  sofort  die  durch 
Zerreissung  der  Weichtheile  an  der  Aussenseite  des  Armes  blossgelegten 
Knochenenden  resecirt,  so  dass  ein  Knochendefect  von  über  2  Zoll  ent- 


183 


stand.  Schienenverband.  InRinkenis,  wo  S.  aufgenommen  wurde,  wurde 
Eis  applicirt  uud  nach  acht  Tagen  statt  der  Schienen  ein  Gypsverband 
mit  einem  grossen  Fenster  angelegt.  Der  Verlauf  wurde  durch  ungewöhn- 
liche Erscheinungen  nicht  gestört.  Am  15.  Juni  war  die  Vernarbung  voll- 
ständig. Allein  obwohl  vorher  wie  nachher  die  Fixirung  des  Gliedes  durch 
den  Gypsverband  unterhalten  wurde,  der  Knochenersatz  blieb  aus.  S.  wurde 
am  15.  Juli  mit  dem  falschen  Gelenke  aus  dem  Lazarethe  zu  Burg  ent- 
lassen. 

Fall  120.  Sergeant  Georg  Cachandt  vom  4.  G.  Gren.-Reg.  erhielt  am 
18.  April  zwei  Gewehrschüsse.  Die  eine  Kugel  fracturirte  das  linke  Schlüs- 
selbein am  Akromialende,  und  die  später  öfters  eintretenden  Anfälle  von 
Bluthusten  bewiesen,  dass  zugleich  Commotiou  der  linken  Lunge  stattge- 
funden habe.  Die  andere  Kugel  durchbohrte  den  linken  Oberarm  in  sei- 
nem oberen  Drittheil  und  fracturirte  den  Humerus.  Aufnahme  in  Wester- 
Schnabeck.  Lagerung.  Eis.  Blutverlust,  Schmerzen  und  Schlaflosigkeit  be- 
wirkten ein  rasches  Sinken  der  Kräfte,  dem  wegen  mangelhafter  Verdauung 
diätetisch  nur  unvollkommen  begegnet  werden  konnte.  Die  Armwunde  eiterte 
profus,  und  nachdem  sich  das  Periost  mehr  gelockert  hatte,  stellte  sich 
eine  viel  bedeutendere  Splitterung  heraus,  als  die  erste  Untersuchung  ver- 
muthen  Hess.  Am  22.  Mai,  also  erst  34  Tage  nach  der  Verwundung  schritt 
man  deshalb  zur  Resection,  wobei  die  Ablösung  des  mit  möglichster  Sorg- 
falt conservirten  Periostes  ohne  Schwierigkeit  geschah.  Der  obere  Säge- 
schnitt lag  circa  1  Zoll  unter  dem  Kopfe  des  Humerus.  Der  Knochende- 
fect  betrug  nach  der  Operation  3^  Zoll.  Gefensterter  Gypsverband.  Das 
Allgemeinbefinden  besserte  sich  merklich,  und  der  Ausheilungsprocess  ver- 
lief ohne  Störung.  Allein  obwohl  auch  in  den  Lazarethen,  wohin  C.  spä- 
ter durch  Evacuation  gelangte  (am  19.  Juli  nach  Berlin)  die  Behandlung 
mit  Contentivverbänden  fortgesetzt  wurde,  der  Knochendefect  hat  sich  nicht 
ersetzt.  Bei  der  Invalidisirung  am  1.  Februar  1865  fanden  sich  die  Kno- 
chenenden nur  durch  eine  weiche  circa  2  Zoll  lange  Zwischensubstanz  ver- 
bunden. 

Diesen  Resultaten  der  Continuitäts  -  Resection,  von  welchen  das 
letzte  diejenigen  Collegen,  welche  auf  Grund  früherer  Untersuchung 
den  Knochenersatz  für  gesichert  gehalten  haben,  besonders  interes- 
siren  wird,  hat  die  Praxis  von  1864  keinen  Heilungsfall  ohne  Pseud- 
arthrose  gegenüberstellen. 

Ich  habe  natürlich  die  Fälle,  bei  denen  gelegentlich  ein  oder 
das  andere  Knochenspitzchen  abgetragen  wurde,  als  „Resectionen" 
nicht  berechnet.  Dagegen  ist  ausser  den  erwähnten  5  noch  eine 
förmliche  Continuitäts-Resection  gemacht  worden.  Der  weitere  Ver- 
lauf des  Falles  wurde  aber  durch  die  nachträgliche  Resection  des 
Schultergelenkes  unterbrochen.  Ich  werde  über  denselben  am 
Schlüsse  des  Capitels  berichten.    (S.  Fall  128). 

In  der  Zeit  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Schleswig -hol- 


184 


steinischen  Kriege  ging  in  der  Friedenspraxis  eine  vollkommene  Um- 
wandelung  der  Grundsätze  für  die  Kur  der  Knochenbrüche  vor  sich. 
Was  der  Seutin'sche  Kleisterverband  der  antiphlogistischen  Vor- 
behandlung an  Terrain  noch  übrig  liess,  nahm  der  Gyps verband 
vollends  weg.  Er  wurde  bei  den  gewöhnlichen  einfachen  und  com- 
plicirten  Brüchen  der  Röhrenknochen  souverain,  und  die  Anlegung 
desselben  sobald  wie  möglich  nach  der  Verletzung  stellte 
sich  als  das  beste  Mittel  heraus,  die  reactive  Schwellung  und  Entzün- 
dung vorbeugend  im  Zaume  zu  halten. 

Der  Gedanke,  durch  dasselbe  Mittel  die  Behandlung  der  Schuss- 
fracturen  zu  vereinfachen  und  zu  vervollkommnen,  war  also  den  Feld- 
ärzten von  1864  nahe  genug  gelegt.  Dadurch  entstand  eine  leb- 
hafte Concurrenz  mit  der  durch  die  frühere  Kriegsklinik  auf  dem- 
selben Boden  sanctionirten  Praxis,  deren  wesentlichste  Züge  ich 
oben  angedeutet  habe.  Während  einige  Feldärzte  an  der  letzteren 
festhielten,  versuchten  viele  andere  mit  mehr  oder  weniger  Conse- 
quenz,  den  Gypsverband  zur  Geltung  zu  bringen.  Es  ist  denn  auch 
in  keinem  früheren  Feldzuge  verhältnissmässig  so  viel  Gyps  ver- 
braucht worden.  Unter  den  64  Fällen  von  Schussfractur  des  nu- 
merus, welche  vom  Amputationsmesser  verschont  blieben,  sind 
äusserst  wenige  ohne  jeden  Antheil  an  diesem  Consum  geblieben. 

Von  den  vielen  Gypsverbänden  repräsentiren  jedoch  verhält- 
nissmässig wenige  eine  wirkliche  Concurrenz  mit  den  früheren  Be- 
handlungsgrundsätzen. In  den  späteren  Perioden  des  Verlaufes  der 
Schussbrüche  machte  auch  die  frühere  Praxis  Gebrauch  von  Con- 
tentivverbänden.  Der  Gypsverband  ist  ohne  Zweifel  allen  übrigen 
vorzuziehen,  und  da  demselben  trotz  mehrfacher  Fensterung  aus- 
reichende Festigkeit  gegeben  werden  kann,  so  lässt  er  sich  viel 
früher  benutzen,  als  andere.  Man  braucht  nicht  zu  warten,  bis  die 
Ausheilung  so  weit  vorgerückt  und  die  Eiterung  soweit  vermindert 
ist,  dass  der  Wundverband  auf  Tage  verschoben  werden  kann. 

Von  principieller  Bedeutung  ist  vor  Allem  die  Frage,  ob  und 
unter  welchen  Bedingungen  auch  die  Schussbrüche  die  sofor- 
tige Anlegung  des  Gyps  Verbandes  gestatten,  und  ob 
letzterer,  sofort  nach  der  Verletzung  angelegt,  im  Stande 
sei,  der  sonst  den  Schussbrüchen  folgenden  mehr  oder 
minder  starken  reactiven  Schwellung  und  Entzündung 
vorzubeugen. 

Es  wäre  ohne  Zweifel  ein  ausserordentlicher  Fortschritt,  wel- 


185 


chen  die  Kriegschirurgie  dem  Feldzuge  von  1864  zu  danken  haben 
würde,  wenn  die  in  letzterem  geübte  Praxis  eine  zuverlässige  be- 
jahende Antwort  auf  diese  Frage  lieferte. 

Dies  ist  nicht  der  Fall.    Ich  will  den  Illusionen,  welche  man 
sich  über  jenen  Punkt  gemacht  hat,  nicht  die  Behauptung  gegen- 
überstellen, dass  die  Erfahrung  von  1864  die  Frage  verneine.  Die 
Wahrheit  ist,  dass,  wenigstens  bei  den  Schussbrüchen  des  Oberar- 
mes, kaum  ein  Fall  vorliegt,  in  welchem  der  fragliche  Behandlungs- 
versuch so  gemacht  ist,  dass  sein  Verlauf  als  massgebend  betrach- 
tet werden  kann.     Dazu  wäre  nöthig  gewesen,  dass  man  gleich 
auf  den  Verbandplätzen  z.  B.  den  von  Pirogoff  (1.  c.  S.  777) 
empfohlenen  „leichten  fenestrirten  (d.  h.  nicht  gefensterten, 
sondern  nur  die  Fensterung  gestattenden)  Gypsverband  auf  die 
ganze  Extremität"  gelegt  hätte.  Beiden  mässigen  Dimensionen 
der  Kämpfe  und  bei  der  Präsenz  verhältnissmässig  vieler  Ambulan- 
cen  würde  man  gerade  im  Feldzuge  von  1864  gewiss  alle  Hinder- 
nisse zu  überwinden  gesucht  haben,   wenn  Pirogoff  im  Stande 
gewesen  wäre,  seinen  Rath  durch  überzeugende  Thatsachen  aus  der 
Kriegspraxis  selbst  zu  unterstützen.    Ohne  solche  konnte  sein  Rath 
nur  als  Vorschlag  erscheinen,  der  nicht  unbedenklich  ist.   Man  hat 
sich  1864  begnügt,  die  Verwundeten  dieser  Categorie  mit  einfachen 
Stütz-  oder  Haltverbänden  versehen  den  Lazarethen  zu  überweisen. 
Dieselben  waren  zum  Theil  den  Kampfplätzen  sehr  nahe;  allein  die 
Stunden,  welche  dennoch  zwischen  Verwundung  und  Ankunft  im 
Lazareth  zu  liegen  pflegten,  und  die  weiteren  Stunden,  welche  ver- 
fliessen,  bis  die  ärztliche  Revision  im  Lazareth  zu  diesen  Verwun- 
deten gelangt,  sind  nichts  weniger  als  indifferent.    In  sehr  vielen 
Fällen  genügten  sie,  um  beträchtliche  Schwellung  der  Glieder  ent- 
stehen zu  lassen. 

Die  Praxis  von  1864  halte  ich  unter  diesen  Umständen  nicht 
für  competent,  über  die  Wirkung  der  sofortigen  nicht  gefen- 
sterten Gypsverbände  bei  den  Schussfracturen  des  Humerus  zu  ent- 
scheiden. Was  aber  den  frühzeitigen  d.  h.  vor  der  Eiterungs- 
periode angelegten  gefensterten  Gypsverband  betrifft,  so  lässt 
sich  nicht  sagen,  dass  die  Beobachtungen  von  1864  ihm  zur  be- 
sonderen Empfehlung  gereichen. 

Es  fehlt  nicht  an  einigen  durch  beschränkte  Splitterung 
des  Knochens  ausgezeichneten  Fällen,  in  denen  dieser  Verband  ver- 
tragen wurde.    Gewöhnlich  aber  nöthigten  die  Erscheinungen 


186 


sehr  bald  zur  Abnahme  desselben,  und  das  Anlegen  und  Wieder- 
abnehmen wechselte  bisweilen  so  oft,  dass  das  Princip  der  Ruhe, 
welchem  der  Gypsverband  vorzugsweis  zu  dienen  berufen  ist,  viel 
weniger  verwirklicht  wurde  als  durch  Lagerungsapparate  (Drahtrinnen) 
oder  durch  die  einfache  Lagerung  auf  Spreukissen  mit  dem  Thorax 
als  Stütze. 

Falll21.  Schussfractur  des  Humerus  im  unteren  Drittheil.  Früh- 
zeitiger gefensterter  Gypsverband.  Gangrän  der  Haut  im  Fen- 
ster. Pyämie.  Tod.  Gren.  Friedrich  Seneke  vom  4.  Garde-Reg.  z.  F. 
wurde  am  4.  April  vor  Düppel  verwundet.  Das  Geschoss  war  an  der  hinteren 
Seite  des  rechten  Oberarmes  in  der  Mitte  circa  \\  Zoll  über  dem  Olecranon 
eingedrungen  und  wurde  auf  dem  Verbandplatze  extrahirt.  Bei  der  Aufnahme 
in  Broacker  gelangte  der  untersuchende  Finger  im  Grunde  der  Wunde  auf 
den  fracturirten  Knochen.  Am  5.  April  wurde  ein  gefensterter  Gypsverband 
angelegt.  Eisblase  auf  dem  Feuster.  Gutes  Allgemeinbefinden  und  Schmerz- 
losigkeit  in  den  nächsten  beiden  Tagen.  Am  7.  April  beginnt  die  Wunde  zu 
eitern.  Die  umgebende  Haut  ist  blauschwärzlich  gefärbt,  gegen 
Druck  nicht  empfindlich.  Da  die  missfarbige  Stelle  sich  weiter  aus- 
dehnt und  sich  unter  der  abgelösten  Epidermis  mortificirtes  Gewebe  findet, 
so  wird  am  9.  April  der  Gypsverband  durch  Aufschneiden  gelockert.  Der 
Hautbrand  ist  beschränkt  auf  den  im  Fenster  gelegenen  Kreis.  Unter 
Umschlägen  von  Chlorkalklösung  erfolgt  allmählig  die  Abstossung  des  Bran- 
digen. Am  12.  April  liegt  die  davon  bedeckt  gewesene  Parthie  des  Tri- 
ceps  bloss.  Das  Gewebe  des  Muskels  ist  dunkel  geröthet  und  mit  eiuigen 
missfarbigen  Stellen  durchsetzt.  Das  Allgemeinbefinden  ist  kaum  gestört. 
Abnahme  des  Gypsverbandes  und  Lagerung  in  einer  Hohlschiene.  Die 
Eiterung  bessert  sich  und  die  ganze  Wundtiäehe  bedeckt  sich  rasch  mit 
gesunden  Granulationen.  Dessenungeachtet  bekommt  Pat.  am  20.  April 
einen  Schüttelfrost,  welcher  die  Entwickelung  der  Pyämie  einleitet.  Tod 
am  2.  Mai. 

Die  Pyämie  mag  in  diesem  Falle  viel  weniger  durch  das  Wund- 
verhältniss  als  durch  die  Constitution  des  Lazarethes,  in  welchem 
er  gepflegt  wurde,  bedingt  gewesen  sein;  immerhin  repräsentirt  er 
einen  der  Nachtheile,  welche  gefensterte  Contentiv verbände  her- 
beiführen können,  wenn  sie  vor  oder  im  Beginne  der  Reactions- 
periode  nach  Fracturen  angelegt  werden.  Das  lockere  Anlegen 
über  einer  Schicht  von  Watte  bewahrt  dagegen  nicht  sicher.  Der 
Grad,  in  welchem  das  sehwellende  Glied  gegen  die  ihm  angelegte 
Fessel  andrängen  wird,  lässt  sich  am  allerwenigsten  bei  den  Schuss- 
fracturen  voraus  bemessen.  Verzichtet  man  einmal  durch  Fenste- 
rung  des  Verbandes  auf  die  unbestreitbare  Wirksamkeit  einer  gl  eich - 
massigen  Compression  gegen  die  reactive  Schwellung,  so  kann 


187 


der  wenigstens  bei  den  Armbrüchen  auch  durch  andere  unbedenk- 
liche Mittel  erreichbare  Zweck,  das  Glied  in  Ruhe  zu  erhalten, 
nicht  als  ausreichendes  Motiv  gelten,  die  Folgen  unberücksichtigt 
zu  lassen,  welche  ungleichmässiger  Druck,  Beschränkung  der  ört- 
lichen Antiphlogose  und  die  der  Beobachtung  entzogene  Entstehung 
von  Eitersackungen  bei  der  fraglichen  Verbandart  so  leicht  herbei- 
führen können. 

Fall  122.  Schussfractur  des  Humerus  im  oberen  Drittheil.  Früh- 
zeitiger gefeusterter  Gypsverband.  Eitersackungen.  Tod 
durch  Erschöpfung.  Grenadier  Franz  Micklei  vom  Leib -Gren  -Reg. 
No.  8  erhielt  am  28.  März  einen  Schuss,  welcher  circa  \\  Zoll  unter  dem 
Proc.  coracoideus  an  der  linken  Brustseite  ein-  und  an  der  hinteren  Seite  des 
linken  Oberarmes  im  oberen  Drittheil  austrat.  Die  Splitterung  des  Hume- 
rus war  von  der  hinteren  Oeffnung  aus  durch  den  Finger  zu  constatiren. 
Am  29.  März  wurde  im  Lazarethe  zu  Broacker  ein  Panzergypsverband 
mit  Fenstern  für  die  Schussöffnungeu  angelegt.  Am  31.  März  ist  das 
Allgemeinbefinden  durch  Schlaflosigkeit,  Appetitmangel,  Bronchialcatarrh 
und  Fieber  gestört.  Die  Ausgangsöffnung  sondert  reichlich  ab.  Am  1.  April 
heftiger  Schüttelfrost.  Abnahme  des  Gypsverbandes.  Chinin.  Am  2.  April 
Fluctuation  unter  der  linken  Brustwarze.  Obgleich  der  Schüttelfrost  nicht 
wiedergekehrt  ist,  lebhafte  Fieberung  mit  gastrischen  Störungen  und  Nei- 
gung zur  Somnolenz.  Der  Arm  ist  bis  zur  Mitte  des  Vorderarmes  bedeu- 
tend geschwollen.  Entleerung  einer  grossen  Eitermenge  durch  tiefe  Inci- 
sion  unter  der  Brustwarze.  In  den  nächsten  Tagen  ist  die  Absonderung 
aus  den  Schussöffnungen  jauchig.  Die  Kräfte  sinken  merklich  trotz  Chinin 
und  Wein.  An  verschiedenen  Stellen  des  Oberarmes  und  der  Brustseite 
werden  Incisionen  nöthig,  um  Eiterdepots  Abzug  zu  verschaffen.  Gegen 
Mitte  April  scheint  sich  das  Allgemeinbefinden  etwas  zu  bessern,  so  dass 
am  20.  April  die  Evacuation  nach  Flensburg  (wegen  Ueberfüllung  der  La- 
zarethe in  Broacker)  erfolgen  kann.  Aber  auch  dort  gelingt  es  bei  dem 
fortwährend  profusen  Eiterverluste  der  sorgfältigsten  Pflege  nicht,  den 
Kraftverfall  aufzuhalten.  Decubitus.  Tod  am  7.  Mai.  Die  Section  erwies, 
dass  die  Splitterung  bis  hoch  hinauf,  aber  nicht  in  das  Schultergelenk 
reichte.  An  den  vom  Eiter  umspülten  Bruchenden  war  eine  Calluspro- 
duction  nicht  nachweisbar. 

Jeder  Contentivverband,  mag  er  durch  Gyps  oder  durch  Gutta- 
percha- oder  anderes  Schienen-Material  hergestellt  werden,  kann  in 
der  ersten  7tägigen  Periode  nach  der  Verwundung  dadurch  scha- 
den, dass  er  die  Kälte- Application  abschwächt  oder  ganz  hindert, 
und  dass  er  dem  Auge  des  Arztes  die  Vorgänge  entzieht,  welche 
ein  rasches  Einschreiten  erheischen,  wenn  sie  nicht  verderbliche 
Folgen  haben  sollen.  Dass  aus  dem  Feldzuge  von  1864  trotz  vie- 
ler Versuche  mit  diesen  Früh  verbänden  derartige  Folgen  nur  aus- 


188 


nahmsweis  entstanden,  rührt  einfach  daher,  dass  glücklicher  Weise 
Niemand  die  Dreistigkeit  hatte,  ihre  Entwicklung  ruhig  abzuwar- 
ten. Man  beeilte  sich  vielmehr  bei  den  ersten  verdächtigen  Symp- 
tomen, die  Verbände  durch  Aufschneiden  zu  lockern,  d.  h.  sie  in 
einfache  Lagerungs-Apparate  zu  verwandeln,  oder  ganz  zu  entfer- 
nen. Da  dies  nun  wegen  des  bei  Schussfracturen  obwaltenden  und 
mit  seltenen  Ausnahmen  von  dem  bei  gewöhnlichen  Fracturen  be- 
stehenden sehr  verschiedenen  Wundverhältnisses  in  der  Praxis  von 
1864  fast  immer  nöthig  geworden  ist,  so  scheint  es  mir  für 
die  Zukunft  nicht  rathsam,  jene  Versuche  zu  wieder- 
holen. 

Unter  den  61  Schussfracturen,  um  welche  es  sich  handelt,  wa- 
ren in  der  That  nur  4  (2  durch  Granatstücke),  welche  den  gewöhn- 
lichen complicirten  Fracturen  dadurch  sich  näherten,  dass  das  Ge- 
schoss  selbst  nur  an  den  Knochen  gedrungen  war  und  Bruch  mit 
geringer  Splitterung  bewirkt  hatte.  Die  übrigen  waren  mit  bedeu- 
tender Splitterung  verknüpft,  nicht  wenige  verdienten  die  Bezeich- 
nung comminutive.  Dennoch  gehörte  starke  und  hartnäckige 
Dislokation  der  Bruchenden, .  welche  als  zwingendes  Motiv 
zur  mechanischen  Correctur  durch  festen  Verband  gelten  könnte, 
zu  den  seltenen  Ausnahmen.  Die  Schussbrüche  des  Humerus  unter- 
scheiden sich  hierdurch  wesentlich  z.  B.  von  denen  des  Femur. 

Um  die  Vorzüge,  welche  die  Behandlung  ohne  frühzeitige 
Contentivverbände  hat,  in  Erinnerung  zu  erhalten,  will  ich  nur  ein 
paar  Fälle  kurz  erwähnen. 

Fall  123.  Einfache  hohe  Schu ssfractur  des  Humerus.  Behand- 
lung ohne  Contentivverband.  Rasche  Heilung.  Musk.  Heinrich 
Wilkening  vom  55.  Inf. -Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Gewehrschuss 
dnrch  den  rechten  Oberarm  dicht  unter  dem  Schultergelenk.  Obwohl  ein 
einfacher  Querbruch  des  Humerus  vorzuliegen  scheint,  wird  in  Flens- 
burg (2.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Sect.  St.-A.  Reuter),  um  einer  Bethei- 
ligung des  Gelenkes  an  der  Entzündung  vorzubeugen,  während 
der  ersten  8  Tage  energisch  und  consequent  Eis  applicirt  bei  Lagerung 
des  Gliedes  auf  einem  Spreukissen.  Die  Infiltration  bleibt  sehr  gering; 
das  Allgemeinbefinden  wird  kaum  getrübt.  Am  3.  Mai  kann  Pat.,  den  Arm 
in  einer  Mitelle  auf  dem  Stromeyer'schen  Kissen  gelagert,  das  Bett  ver- 
lassen. Die  Eiterung  ist  sehr  gering.  Die  Wundheilung  ist  bereits  Ende 
Mai  vollendet.  Am  12.  Juni  ist  die  Consolidation  so  vorgeschritten,  dass 
Pat.  den  Arm  zu  heben  vermag.  Nachträgliche  Ablösung  von  Sequestern 
ist  nicht  erfolgt. 

Dies  war  ohne  Zweifel  ein  Fall,  in  welchem  auch  der  früh- 


189 


zeitige  Gyps verband  vertragen  sein  würde.  Aber  es  nicht  ein- 
zusehen, in  welcher  Beziehung  er  den  Verlauf  noch  günstiger  hätte 
gestalten  können.  Ja  es  ist  sehr  fraglich,  ob  die  örtliche  und  all- 
gemeine Reaction  in  dem  Grade  beschränkt  geblieben  wäre,  wenn 
wegen  des  Gypsverbandes  auf  die  energische  Einwirkung  der  Kälte 
verzichtet  worden  wäre. 

Fall  124.  Splitter-Schussfractur  des  Humerus  im  mittleren  Drit- 
theil. Behandlung  mit  Eis  und  einfacher  Lagerung.  Rasche 
Cosolidation.  Gren.  August  Di  er  vom  Leib -Gren.- Reg.  No.  8  erhielt 
am  18.  April  einen  Gewehrschuss  durch  den  linken  Oberarm.  In  Flens- 
burg (2.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Section  Reuter)  wurde  eine  ausgedehnte 
Zerschmetterung  des  Mittelstückes  des  Humerus  constatirt.  Die  Kugel 
war  ziemlich  quer  von  aussen  nach  innen  durchgedrungen.  Lagerung  auf 
einem  Spreukissen.  Eisbeutel.  Die  örtliche  wie  die  allgemeine  Reaction 
bleibt  gering.  Schon  am  1.  Mai  kann  Pat.,  den  Arm  in  einer  Mitelle  auf 
dem  Stromeyer'schen  Kissen  gelagert,  das  Bett  verlassen.  Mitte  Mai  ist 
die  Consolidation  fast  vollendet;  allein  die  Schliessung  der  Wunden  zögert. 
Unter  einem  einfachen  Verbände  mit  Pappschienen  bleibt  auch  der  weitere 
Verlauf  ohne  Störung;  die  Schliessung  der  Wunden  erfolgte  jedoch  erst 
im  September,  nachdem  sich  allmählig  10  kleinere  und  grössere  Knochen- 
fragmente abgelöst  hatten. 

Fall  125.  Schussfractur  des  Humerus  im  unteren  Drittheil.  Be- 
handlung mit  Eis  in  einer  Lagerschiene.  Rasche  Heilung. 
Lieutenant  R.  vom  64.  Inf. -Reg.  wurde  am  18.  April  verwundet  und  im 
Johanniter-Lazareth  zu  Flensburg  von  Herrn  Dr.  Res  sei  behandelt.  Die 
Kugel  hatte  den  linken  Oberarm  circa  1  Zoll  oberhalb  der  Condylen  von 
aussen  nach  innen  durchbohrt  und  den  Humerus  stark  gesplittert.  Auf 
den  in  einer  mit  Watte  ausgepolsterten  Drahthohlschiene  gelagerten  Arm 
wurden  Eisbeutel  gelegt.  Die  örtliche  Reaction  blieb  sehr  gering,  die  mas- 
sige Fieberung  liess  bald  nach.  Am  3.  Mai  wurde  der  Eisbeutel  entfernt, 
weil  er  dem  Pat.  lästig  wurde.  Am  21.  Mai  wird  der  Arm  zum  ersten 
Male  aus  der  Schiene  genommen,  um  diese  neu  zu  polstern.  Am  30.  Mai 
geschah  dies  wieder,  um  einen  Gypsverband  anzulegen.  Der  Knochen 
erwies  sich  aber  schon  als  völlig  fest.  Deshalb  nur  Einwickelung 
mit  einer  Flanellbinde  und  Mitelle.  Am  20.  Juni  Eingangsöffnung,  am 
3.  Juli  Ausgangsöffnung  geschlossen.    Entlassung  am  15.  Juli. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  bei  einer  solchen  Kurweise  die 
Ruhe  des  Gliedes  viel  mehr  gewahrt  ist,  als  bei  Contentivverbän- 
den,  welche  bald  dieser  bald  jener  Erscheinung  wegen  gewechselt 
werden  müssen.  Nicht  immer  freilich  bleibt  die  Infiltration  und 
die  Fieberung  so  beschränkt.  Trotz  der  energischen  Einwirkung 
der  Kälte,  wie  sie  bei  der  einfachen  Lagerung  möglich  ist,  kommt 
es  bisweilen  zu  stärkerer  Infiltration  und  zum  eitrigen  Zerfalle  der 


190 


Extravasate  und  Exsudate  mehr  oder  weniger  fern  von  der  Bruch- 
stelle. Aber  dem  Auge  biossliegend  sind  dies  Vorgänge  leicht  zu 
überwachen  und  durch  frühzeitigen  Gebrauch  des  Messers  unschäd- 
lich zu  machen. 

Nach  Ablauf  der  ersten  7tägigen  Periode  wurden  die  Gyps- 
verbände  schon  viel  besser  vertragen,  besonders  wenn  jene  gut  zur 
Antiphlogose  benutzt  war.  Ist  auch  die  zweite  7tägige  Periode 
abgelaufen,  so  gehört  es  nach  der  Erfahrung  von  1864  zu  den  Aus- 
nahmen, dass  der  gefensterte  Gyps verband  nicht  vertragen  wird. 
Die  Freiheit  der  Bewegung,  welche  er  dem  Verwundeten  gestattet 
und  welche  demselben  so  heilsam  ist,  und  die  Bequemlichkeit,  welche 
er  für  die  weitere  Behandlung  darbietet,  sind  zu  einleuchtend,  als 
dass  es  der  Empfehlung  desselben  für  diese  Periode  des  Wund- 
verlaufes durch  Anführung  von  Beispielen  bedürfte.  Der  Conten- 
tivverband  beseitigt  dann  auch  überraschend  schnell  jene  schlaf- 
raubenden Neuralgien,  von  welchen  einzelne  Verwundete  gequält 
werden,  wenn  auch  die  entzündliche  Reaction  bei  der  einfachen 
Lagerung  und  Eisapplication  sehr  beschränkt  bleibt. 

Aber  eine  Beschleunigung  der  Callusb ildung  hat  man 
vom  Gypsverbande  so  wenig  wie  von  anderen  Contentivverbänden 
zu  erwarten.  Die  einfache  Lagerung,  ist  sie  überhaupt  zweckent- 
sprechend, führt  ebenso  schnell  oder  eben  so  langsam  zu  diesem 
Ziele.  Art  und  Ausdehnung  der  Splitterung  entscheiden  in  erster 
Instanz  darüber,  ob  eine  Frist  von  6  Wochen  ausreicht  oder  dop- 
pelt so  viel  Zeit  erforderlich  ist. 

U  nter  den  Momenten,  welche  die  Callusbildung  ceteris  paribus 
verzögern  können,  will  ich  nur  eins  hervorheben,  weil  es  eine 
Principienfrage  berührt,  in  welcher  der  Feldarzt  bei  jeder  Splitter- 
Schussfractur  von  vornherein  Partei  zu  nehmen  hat.  Auch  bei  den 
Schussfracturen  des  Humerus  erfordert  die  Ausheilung  gar  nicht 
selten  doppelt  und  dreifach  so  viel  Zeit  als  die  Vereinigung  der 
Bruchstücke  durch  Callus.  Der  bekannte  Grund  ist  die  sich  ver- 
zögernde Ab-  und  Ausstossung  der  Sequester.  Der  Wunsch, 
einer  solchen  Geduldsprobe  vorzubeugen,  im  Vereine  mit  der  Vor= 
liebe  für  den  frühzeitigen  Gypsverband,  dem  man  ein  möglichst  ein- 
faches Fracturverhältniss  überliefern  zu  müssen  glaubte,  hat  in  der 
Praxis  von  1864  bisweilen  veranlasst,  in  den  frischen  Wunden  nicht 
bloss  die  sorgfältige  Entfernung  von  Fremdköpern,  sondern  auch 
recht  gründliche  Splitterextractionen  vorzunehmen.  Die  Muste- 


191 


rung  der  Fälle,  in  denen  Letzteres  geschehen  ist,  ergiebt,  dass  die 
Consolidation  sich  ungewöhnlich  verzögerte,  in  einem  Falle  sogar 
ganz  ausblieb,  obwohl  8  Monate  hindurch  mit  kurzen  Unterbrechun- 
gen der  gefensterte  Gyps verband  getragen  wurde.  Stromeyer's 
Rath,  es  bei  der  Herausnahme  der  kleinen  ganz  gelöst  im  Schuss- 
kanale  liegenden  Splitter  bewenden  zu  lassen,  demnächst  aber  durch 
öine  kräftige  örtliche  Antiphlogose  dafür  Sorge  zu  tragen,  dass  die 
grösseren  in  Folge  heftiger  Entzündung  und  profuser  Eiterung  nicht 
absterben,  wird  wohl  auch  künftig  beachtenswerth  bleiben. 

Das  Resultat  der  nicht  operativen  Conservativkur 
der  Schussbrüche  des  Humerus,  welches  1864  erzielt  wurde,  erscheint 
übrigens  vom  vergleichend  statistischen  Standpunkte  als  ein  ziem- 
lich glückliches,  besonders  wenn  man  den  preussischen  Antheil 
für  sich  betrachtet.  Von  32  Verwundeten  dieser  Categorie  sind 
26=81  pCt.  geheilt.  Dieses  Verhältniss  ist  nur  ein  wenig  (um  3  pCt.) 
schlechter  als  das  auf  demselben  Kriegsschauplatze  1850  erzielte  — 
eine  Differenz,  welche  wahrscheinlich  auf  Rechnung  der  zerstören- 
deren  Wirkung,  welche  die  neueren  Geschosse  auf  die  Knochen 
ausüben,  zu  setzen  ist.  Ich  möchte  sie  wenigstens  nicht  allein  der 
verschiedenen  Kurweise  zuschreiben,  wenn  auch  zugegeben  werden 
muss,  dass  es  bis  jetzt  noch  nicht  möglich  ist,  statistisch  nachzu- 
weisen, dass  die  Resultate  der  Conservativkur  der  Arm-Schussbrüche 
durch  die  Einführung  des  Gypsverbandes  verbessert  sind.  Von  den 
6  Todesfällen,  wT eiche  Tabelle  XII  nachweist,  habe  ich  schon  oben 
2  erwähnt.  Der  eine  erfolgte  durch  Erschöpfung  in  Folge  pro- 
fuser Eiterung,  der  andere  durch  Pyämie.  Unter  den  übrigen  4 
sind  1  ersterer,  3  letzterer  Art. 

Weniger  günstig  hat  sich  das  Heilungsverhältniss  bei  den  in 
unsern  Lazarethen  gepflegten  dänischen  Soldaten  gestattet.  Nach 
Tabelle  XII  sind  von  21  Verwundeten  nur  16  =  76  pCt.  geheilt  und 
5  gestorben  (1  an  Erschöpfung,  4  an  Pyämie).  Und  doch  geben  diese 
Zahlen  noch  nicht  das  treue  Bild  des  Resultates  der  Conservativ- 
kur. Sie  missglückte  noch  in  2  anderen  Fällen,  welche  in  jener 
Tabelle  unter  dem  Titel  „im  Schultergelenk  resecirt"  be- 
rechnet sind.  Die  gl iedconservirende  Tendenz  der  heutigen  Kriegs- 
chirurgie hat  durch  dieselben  einen  so  prägnanten  Ausdruck  gefun- 
den, dass  ich  nicht  umhin  kann,  sie  hervorzuheben. 

Auf  Grund  seiner  Beobachtungen  bei  Verwundeten  des  Krimm- 
krieges  hat  bekanntlich  J.  Roux  die  Osteomyelitis  als  sehr 

Loeffler,  Generalbericht.  13 


192 


häufigen  Grund  des  Misslingens  der  Conservativkuren  wie  der 
Amputationen  bezeichnet  und  wegen  der  dabei  drohenden  Betheili- 
gung des  nächstgelegenen  Gelenkes  der  Exarticulation  den  Vorzug 
vindicirt.  Ich  werde  besonders  bei  den  Schussfracturen  des  Ober- 
schenkels Anlass  haben,  auf  diese  Frage  zurückzukommen.  An  den 
oberen  Gliedern  scheint  jenes  Heilungshinderniss  wenigstens  nicht 
oft  vorzukommen.  Unter  den  Schussfracturen  des  Humerus  von  1864 
sind  verhältnissmässig  viele,  welche  das  untere  oder  obere  Drittheil 
der  Diaphyse  betrafen,  und  die  letzteren  (26  von  61)  hatten  nicht 
selten  ihren  Sitz  dicht  am  chirurgischen  Halse.  Gleichwohl  ist  es 
nur  in  1  Falle  zur  secundären  Gelenkeiterung  gekommen.  In  zwei 
anderen  wurde  bei  ausgesprochener  Osteomyelitis  versucht,  die- 
ser Eventualität  zuvorzukommen,  ohne  das  Glied  zu  opfern.  Von 
den  10  Schussfracturen  des  unteren  Drittheils  des  Humerus  hat  keine 
*  das  Ellenbogengelenk  durch  den  osteomyelitischen  Process  bedroht, 
und,  wie  ich  vorweg  bemerken  will,  bei  den  Schussfracturen  des 
Unterarmes  ist  dieser  Process  nur  einmal  am  oberen  Ende  der  Ulna 
constatirt  und  Anlass  zur  Resection  des  Ellenbogengelenkes  wegen 
secundärer  Vereiterung  desselben  geworden. 

Dänischer  Seits  ist  den  deutschen  Feldärzten  ein  Vorwurf 
daraus  gemacht  worden,  dass  sie  die  Schultergelenk-Resection  sogar 
bis  auf  hohe  Schussfracturen  des  Humerus-Schaftes  ohne  Mitverletzung 
des  Gelenkes  ausdehnen.  In  den  fraglichen  3  Fällen  ist  dies  wirk 
lieh  geschehen;  aber  es  ist  leicht  einzusehen,  dass  es  sich  dabei 
nicht  um  eine  Concurrenz  der  Gelenk -Resection  mit  der  „  nicht 
operativen  Conservativkur u  handelt,  sondern  um  den  Versuch, 
trotz  des  Misslingens  der  letzteren  das  Amputationsmesser  auszu- 
schliessen. 

Fall  126.  Schussfractur  im  oberen  Drittheil  des  Humerus.  Se- 
cundäraffection  des  Schulter gele n ks.  Gelenk-Resection.  Hei- 
lung. Frederik  Olsen  vom  1.  dän.  Inf. -Reg.  wurde  am  3.  Februar  bei 
Overselk  durch  eine  östreichische  Gewehrkugel  verwundet  und  nach  dem 
dänischen  Lazarethe  in  Flensburg  gebracht.  Das  Geschoss  war  am  rech- 
ten Oberarm  am  vorderen  Rande  des  M.  deltoideus  nahe  seiner  Insertion 
am  Humerus  ein-  und  wenig  höher  am  hinteren  Rande  des  Muskels  aus- 
getreten, üeber  Verlauf  und  Behandlung  liegen  erst  seit  dem  16.  März 
Notizen  vor.  Der  Verwundete  wurde  an  diesem  Tage  vom  2.  schw.  F.-L. 
3.  A.-C.  übernommen.  Er  war  sehr  heruntergekommen  und  anämisch. 
Dabei  eine  profuse  Eiterung,  keine  Spur  einer  Callusbildung  an  dem  zer- 
splitterten oberen  Ende  des  Humerus.  In  den  nächsten  8  Tagen  stellte 
sich  die  Betheiligung  des  Schultergelenkes  heraus  und  der  drohende  Ver- 


193 


fall  der  Kräfte  nöthigte  zum  operativen  Einschreiten.  Am  25.  März  wurde 
deshalb  das  obere  Ende  des  Humerus  nebst  Gelenkkopf  (3|  Zoll  lang) 
resecirt  (St.-A.  Dr.  Be sser).  Knochen  osteoporotisch ;  Oberarmkopf  fast 
abgetrennt.  Die  Operation  wirkte  sehr  günstig  auf  das  Allgemeinbefinden, 
bei  einer  roborirenden  Diät  verlief  die  Ausheilung  der  Resectionswnnde 
ohne  Störung  und  war  Mitte  Juli  vollendet.  Entlassung  nach  Copenhagen 
am  13.  August.  Herr  Ober- Stabsarzt  Dr.  Thalwitzer  hat  dort  bei  einem 
Besuche  10  Monate  nach  der  Operation  folgendes  Resultat  consta- 
tirt:  Völlige  Vernarbung  der  13  Ctm.  langen  Operationsnarbe.  Acromion, 
Proc.  coracoideus  und  Schultergräte  stark  vorspringend  wegen  Atrophie 
der  Schulter-  und  Brust  -Muskulatur ,  besonders  des  Deltoideus.  7  Ctm. 
unterhalb  des  Acromion  ist  das  obere  Ende  des  Humerus  deutlich  durchzu- 
fühlen. Eine  Knochenneubildung  hat  nicht  stattgefunden.  Selbst  eine  festere 
verbindende  Bandmasse  ist  nicht  durchzufühlen.  Vollständige  Schlotter- 
verbindung. Activ  ist  keine  Bewegung  des  Armes  in  der  Schulter  aus- 
führbar. Das  Ellenbogengelenk  kann  activ  bis  zum  rechten  Winkel  ge- 
beugt werden;  Streckung  unvollkommen;  Pro- und  Supination  unbehindert. 
Sämmtliche  Arm-  und  Hand -Muskeln  sind  noch  atrophisch.  Hand-  und 
Finger-Gelenke  sind  zwar  frei  beweglich,  der  Druck  der  Hand  aber  noch 
schwach.  Der  Operirte  trägt  eine  Bandage  zur  Fixirung  der  Schlotter- 
verbindung, welche  zugleich  das  Feststellen  des  gebeugten  Vorderarmes  in 
verschiedenen  Winkeln  gestattet.  Seinen  Beruf  als  Goldschmidt  hat  er 
wegen  Kraftmangel  noch  nicht  aufnehmen  können;  aber  er  bedarf  beim 
Aus-  und  Ankleiden  keiner  Hülfe. 

Um  das  Leben  zu  erhalten,  war  operatives  Eingreifen  in  die- 
sem Falle  nöthig.  Sonst  würde  man  es  durch  die  Exarticulation 
im  Schultergelenke  versucht  haben.  Dass  durch  den  milderen  Ein- 
griff der  Gelenk -Resection  das  Glied  miterhalten  wurde,  ist  trotz 
der  verminderten  Brauchbarkeit  des  letzteren  für  den  Verwundeten 
gewiss  kein  Unglück. 

Fall  127.  Schussfractur  des  Humerus  dicht  unter  dem  chirurgi- 
schen Halse.  Osteomyelitis.  Resection  des  Schultergelenks. 
Tod.  —  Sven  Hausen,  vom  18.  dän.  I.-R.,  wurde  am  29.  Juni  auf  Alsen 
verwundet,  zunächst  in  Oster-Schnabeck  (1.  F.-L.  13.  Div.)  aufgenommen, 
am  12.  Juli  nach  Ulderup  (1.  F.-L.  5.  Div.)  evaeuirt.  Das  Geschoss  war 
am  linken  Sternoclavicular-Gelenk  ein-,  am  linken  Oberarm  an  der  Inser- 
tion des  Deltoideus  ausgetreten.  Jenes  Gelenk  ist  verletzt,  der  Humerus 
dicht  unter  dem  Schultergelenk  fracturirt  und  fast  bis  zur  Mitte  herab  zer- 
splittert. Die  Eiterung  ist  stark,  aber  nicht  jauchig;  das  Allgemeinbefinden 
befriedigend.  Am  14.  Juli  wurden  in  der  Chloroformnarkose  durch  die 
Ausgangsöffnung  mehrere  Knochenstücke  entfernt.  Bei  der  Untersuchung 
mit  dem  Finger  stellt  sich  heraus,  dass  die  Schwammsubstanz  bis  tief  in 
den  Oberarmkopf  hinein  so  mürbe  ist,  dass  sie  sich  wie  Butter  zerdrücken 
lässt.  An  eine  Conservation  des  oberen  Bruchstückes  war  unter  diesen 
Umständen  nicht  zu  denken.  Am  16.  Juli  wurde  deshalb  die  subperiostale 

13* 


194 


Resection  des  Kopfes  gemacht  und  dabei  ein  c.  3  Zoll  langes  Stück  des 
Humerns  weggenommen  (St.-A.  Dr.  Loewenhardt).  (Beim  Aufsägen  des 
Kopfes  fand  sich  die  Vereiterung  bis  an  den  Knorpelüberzug  vorgedrungen). 
Der  Operation  folgte  unter  lebhafter  Fieberung  starke  Jauchung  der  Wunde 
und  acutes  Oedem  des  Armes.  Am  24.  Juli  venöse  Blutung  aus  der  Ein- 
gangsöffnung des  Schusskanales,  welche  von  selbst  steht.  Am  26.  Juli  war 
das  acute  Oedem  des  Armes  grossen  Theils  in  Brand  übergegangen.  Tod 
an  demselben  Tage.  Bei  der  Section  fand  sich  der  ganze  Schusskanal  mit 
blutigen  schmierigen  Gerinnseln  gefüllt,  hinter  dem  linken  Stprnoclavicular- 
Gelenk  ein  abgekapselter  Jaucheheerd;  in  den  kleinen  Aesten  der  V.  axil- 
laris puriformer  Brei. 

Die  Differenz  zwischen  diesem  und  dem  vorigen  Falle  ist  mar- 
kirt  genug.  Dort  der  abgelaufene  Process,  hier  die  Osteomyelitis 
im  Flor.  Wenn  letzteren  Falles  der  Zustand  des  Verwundeten  kein 
Zögern  gestattet,  so  stellt  sich  die  Lebensfrage  vielleicht  günstiger 
durch  eine  Concession  an  das  Exarticulationsmesser. 

Fall  128.  Schussfractur  des  Humerus  im  oberen  Drittheil.  Gyps- 
verband.  Resection  in  der  Continuität.  Resection  des  Schul- 
tergelenks. Tod.  —  Hans  Rasmussen  vom  9.  dän.  I.-R.  wurde  am 
18.  April  verwundet  und  in  Flensburg  aufgenommen.  Die  Kugel  ist  am 
rechten  Arme  c.  2  Zoll  unter  der  Achselfalte  am  vorderen  Rande  des  Del- 
toideus  ein-,  etwas  tiefer  an  der  hinteren  Seite  des  Armes  ausgetreten  und 
hat  den  Knochen  gesplittert.  Ein  frühzeitig  angelegter  Gypsverband  wurde 
nicht  vertragen  und  deshalb  durch  Aufschneiden  in  einen  Lagerapparat 
verwandelt.  Eitersenkung  am  unteren  Theile  des  Oberarmes;  Incision.  Am 
11.  Mai  wird  die  ganz  erweichte  Gypskapsel  abgenommen  und  durch  einen 
Schienenverband  ersetzt.  Der  bis  dahin  gute  Eiter  wird  übelriechend. 
Diarrhoen.  Am  20.  Mai  starke  Infiltration  des  Armes.  Die  Untersuchung 
in  der  Chloroformnarkose  ergiebt,  dass  jede  Callusbildung  fehlt  und  die 
Knochenfragmente  von  Eiter  umspült  sind.  Hydropathische  Umschläge. 
Die  Infiltration  nimmt  etwas  ab;  die  Eiterung  bessert  sich.  Am  22.  Mai: 
Einschnitt  an  der  äusseren  Seite  des  Armes  an  der  Bruchstelle ;  Absägung 
eines  \\  Zoll  langen  Stückes  vom  unteren  Bruchende,  welches  in  zwei 
scharfe  Spitzen  ausläuft;  Extraction  eines  über  2  Zoll  langen  Stückes  vom 
oberen  Bruchtheile,  ungefähr  der  äusseren  Hälfte  des  Knochens  entspre- 
chend. Die  Längsspaltung  reicht  also  bis  an  das  Schultergelenk.  An  den 
Knochenfragmenten  ist  das  Markgewebe  schmutzig  roth  und  erweicht;  das 
Periost  Löst  sich  leicht  ab.  Nur  das  dem  oberen  Bruchtheile  angehörige 
Fragment  zeigt  vereinzelte  Spuren  von  Callusproduction. 

Der  Verlauf  gestaltet  sich  in  den  nächsten  Tagen  nach  der  Operation 
günstig.  Das  Allgemeinbefinden  bessert  sich;  die  Infiltration  des  Armes 
nimmt  ab.  Anfangs  Juni  jedoch  von  Neuem  stärkere  Schwellung,  reich- 
licher Ausfluss  blutgemischter  Jauche  mit  Luftblasen,  welcher  durch  Druck 
auf  die  Schultergegend  vermehrt  wird.  Lebhaftes  Fieber.  Erweiterung  der 
vorderen  Schussöffnung  und  Incision  an  der  hinteren  Seite,  um  den  freien 


195 


Abfluss  zu  sichern.  Eine  Blutung  aus  feinen  Hautgefässen  wird  leicht 
durch  Tarapoiiade  gestillt.  Da  eine  merkliche  Besserung  nicht  eintritt, 
wird  am  7.  Juni  die  Resection  des  Schultergelenks  ausgeführt  mit  mög- 
lichster Conservation  des  das  obere  Bruchstück  umkleidenden  Periostes. 
Im  Schultergelenk  ist  noch  kein  Eiter.  Eine  arterielle  Blutung  aus  der 
Tiefe  steht  durch  Tamponade.  Das  Markgewebe  an  dem  resecirten  Knochen 
ist  bis  hoch  hinauf  eitrig  infiltrirt.  Der  Operirte  war  nach  der  Operation 
sehr  erschöpft  und  starb  am  8.  Juni.  Bei  der  Section  werden  die  inneren 
Organe  höchst  anämisch,  sonst  aber  gesund  gefunden. 

Beide  Resectionen  wurden  in  diesem  Falle  durch  dieselbe 
Meisterhand  ausgeführt.  Aber  auch  bei  den  Schussfracturen  des 
Oberarmes  hat  die  gliederhaltende  Kunst  ihre  Grenzen.  Sehr  frag- 
lich bleibt  es  freilich,  ob  das  Leben  erhalten  worden  wäre,  wenn 
man  das  Glied  durch  die  Exarticulation  geopfert  hätte. 

E.  3.    Schussverletzungen  der  Unterarm-Knochen. 

Von  den  „  Abreissungen  und  Zermalmungen K  des  Unterarmes 
durch  schweres  Geschütz,  welche  die  sofortige  Absetzung  erheischten, 
ist  schon  berichtet.  Die  Betheiligung  der  Epiphysen  des  Radius  und 
der  Ulna  an  den  Schussverletzungen  des  Ellenbogen-  resp.  Hand- 
Gelenkes  wird  bei  Besprechung  der  letzteren  in  Betracht  kommen. 
Es  restiren  71  Verwundete  (44  Preussen,  27  Dänen),  bei  welchen 
die  Diaphysen  dieser  Knochen  von  Geschossen  verletzt  waren 
(Tabelle  IX.). 

Nicht  immer  bestand  die  Verletzung  in  völliger  Trennung  der 
Continuität.  Es  sind  vielmehr  10  Fälle  (7  Preussen,  3  Dänen)  con- 
statirt,  in  denen  das  Geschoss  nur  Stücke  eines  jener  Knochen  oder 
beider  abgesplittert  hatte.  Die  Knochen- Verletzung  an  sich  übte 
zwar  auch  in  diesen  Fällen  auf  den  Verlauf  Einfluss,  insofern  durch 
dieselbe  längere  Eiterung,  bisweilen  auch  Eitersackungen  erzeugt  und 
unterhalten  wurden.  Die  Störungen  der  späteren  Brauchbarkeit  des 
Gliedes  hängen  jedoch  vorzugsweise  von  Art  und  Ausdehnung  der 
Weichtheilverletzungen  ab.  Das  Leben  ist  in  keinem  dieser  Fälle 
bedroht  worden.  In  der  Eiterungszeit  kamen  mehrmals  Blutungen 
aus  Arterienästen  vor.  Digitalcompression3  Eis,  Tamponade  genügten 
indess  zur  Stillung,  einen  Fall  ausgenommen,  in  welchem  die  Ligatur 
der  A.  brachialis  nöthig  wurde,  weil  am  8.  Tage  nach  der  Verletzung 
(Schuss  durch  das  obere  Drittheil  des  Unterarmes  mit  Streifung  der 
Ulna)  eine  Blutung  aus  der  A.  ulnaris  eintrat,  welche  den  sonstigen 


196 


Stillungsversuchen  widerstand.  (U.-O.  Leonhard  Dahms,  vom 
9.  dän.  I.-R.,  am  18.  April  verwundet,  in  Flensburg  gepflegt.) 

Die  übrigen  61  Fälle  sind  wirkliche  Schussbrüche.  Die  fol- 
gende Tabelle  giebt  eine 


Uebersicht  der  Schussfracturen  des  Unterarmes 
nach  Sitz,  Nationalität,  Kurart  und  Ausgang. 

Tabelle  XIII.  _____„„^__  


Zah 

Kurart 

Summa 

Verletzter  Knochen 

l  der  Vei 

nicht 
operativ 

in  der  Con- 
tinuität  re- 
secirt 

im  Ellenbo- 
gengelenk 
resecirt 

secundär 
amputirt 

d.  Geheil 

d.  Gestor 

Zahl 

geh. 

gest. 

Zahl 

geh. 

gest. 

Zahl 

geh. 

gest. 

Zahl 

geh. 

gest. 

CD 

B 

er 

Radius    j  D£ür; 

17 

6 

17 

6 

14 

6 

3 

14 

6 

3 

Summa 

23 

23 

20 

3 

20 

3 

12 

9 

12 
7 

12 
7 

1 

1 

1 

1 

12 

8 

1 

Summa 

21 

19 

19 

1 

1 

1 

20 

1 

Radius  u.  )  Pr. 
Ulna       (  Dän. 

8 
9 

6 
8 

6 
7 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

7 

8 

1 

1 

Summa 

17 

14 

13 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

1 

15 

2 

Unterarm-  )  p 
Knochen  > 
überhaupt  )  an' 

37 
24 

35 
21 

32 
20 

3 
1 

1 
1 

1 

1 

1 

1 

1 
1 

1 

1 

33 
22 

4 

6 

Summa  totalis 

61 

56 

52 

4 

2 

1 

1 

1 

1 

2 

1 

1 

55  6 

Die  Schussbrüche  des  Unterarmes  sind  schon  längst  eine  unbe- 
strittene Domaine  der  gliedconservirenden  Kunst.  Auch  in  unserem 
Feldzuge  wurde  bei  ihnen  blos  der  Knochenverletzung  wegen  das 
Amputationsmesser  niemals  primär  gebraucht,  obwohl  sehr  oft 
recht  bedeutende  Zertrümmerungen  der  Knochen  vorlagen,  und  zwar 
in  28  pCt.  der  Fälle  beider  Knochen  —  in  einem  Falle,  auf  welchen 
ich  bald  zurückkommen  werde,  beider  Knochen  an  beiden 
Unterarmen.  Ganz  einfache  Bruchformen  waren  selten.  Sie 
werden  namentlich  durch  matte  Granatstücke,  welche  den  Knochen 


197 


selbst  nur  tangential  berühren,  bewirkt.  In  einem  solchen  Falle 
erfolgte  der  Bruch  beider  Knochen  subcutan  (Gren.  Andreas 
Wedemeyer  vom  4.  Garde-Reg.  z.  F.,  am  18.  April  verwundet). 
InBlans  (1.  F.-L.  5.  Div.)  wurde  alsbald  ein  nicht  gefensterter 
Gypsverband  angelegt.  Der  Verlauf  war  ganz  der  bei  gewöhnlichen 
subcutanen  Fracturen  übliche.  Die  Consolidation  beider  Knochen 
ohne  Deformität  war  Mitte  Juni  vollendet.  Pro-  und  Supination 
blieb  verhindert.  Da  die  Bruchenden  nicht  dislocirt  waren,  so  muss 
angenommen  werden,  dass  eine  theilweise  Verknöcherung  des  Lig. 
interosseum  stattgefunden  hat. 

In  einem  anderen  Falle  (Füs.  Wilhelm  Hombring,  vom 
15.  I.-R. ,  am  2.  Febr.  bei  Missunde  verwundet)  hatte  das  Granat- 
stück den  rechten  Unterarm  am  Radialrande  in  der  Mitte  getroffen, 
die  Haut  nur  wenig  verletzt,  aber  den  Radius  fracturirt.  Der  starken 
Sugillation  wegen  wurden  Anfangs  kalte  Umschläge  gemacht,  am 
14.  Februar  aber  in  Kiel  ein  nicht  gefensterter  Gypsverband 
angelegt.  Mit  diesem  traf  Patient  am  15.  Februar  in  Berlin  ein. 
Man  schnitt  hier  das  markirte  Fenster  völlig  aus.  Sowohl  die  silber- 
groschengrosse  gut  granulirende  Wunde  wie  der  Knochenbruch  waren 
am  9.  März,  als  der  Verband  abgenommen  wurde,  verheilt. 

Selbst  wenn  sie  die  Weichtheile  weit  und  tief  zer- 
reissen,  machen  die  Granatsp titter  bisweilen  sehr  einfache  Bruch- 
verhältnisse. 

Fall  129.  Schussfractur  des  Radius  und  der  Ulna  durch  Granat- 
splitter mit  bedeutender  Zerreissung  der  Weichtheile.  Hei- 
lung. —  Musk.  Nikolaus  Nowatscheck  vom  18.  Inf.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet.  Ein  Granatstück  hat  an  der  Streckseite  des  linken  Unterarmes 
die  Weichtheile  in  der  Länge  von  3  Zoll  und  in  der  Breite  von  2|  Zoll  bis 
auf  das  Periost  weggerissen  und  dabei  beide  Knochen  ohne  erhebliche 
Splitterung  gebrochen.  Bei  Lagerung  auf  einer  Armschiene  wurde  die  Eis- 
blase aufgelegt,  die  Wunde  fleissig  irrigirt  und  mit  Campherwein  verbunden. 
Am  26.  April  war  die  Wunde  gereinigt.  Gefensterter  Gypsverband.  Die 
Füllung  des  grossen  Weichtheildefectes  geht  ohne  Störung  vor  sich.  Als 
am  19.  Mai  der  Gypsverband  abgenommen  wurde,  fanden  sich  die  Fracturen 
geheilt.  Die  granulirende  Wunde  ist  noch  thalergross.  Einwickelung  mit 
einer  Flanellbinde.  Ende  Mai  lösten  sich  ein  paar  kleine  Sequester.  Die 
völlige  Vernarbung  der  Weichtheilwunde  verzögerte  sich  bis  Mitte  October. 
Die  grosse  strahlige  Narbe  sitzt  an  den  Knochen  fest  und  genirt  besonders 
wegen  schmerzhafter  Spannung  das  Beugen  der  Hand. 

Am  Unterarm  gilt  auch  die  Mitverletzung  der  Arterien- 
stämme nicht  als  ausreichendes  Motiv,  auf  die  Conservativkur 


198 


vorweg  zu  verzichten.   Am  unteren  Drittheile,  wo  die  Adern  ober- 
flächlich liegen,  hat  die  Unterbindung  in  der  Wunde  wenig  Schwie- 
rigkeit; sie  ist  einige  Mal  auf  den  Verbandplätzen  ausgeführt.  Für 
Blutungen,  welche  aus  höher  und  tiefer  gelegenen  Verletzungsstellen 
kommen,  bietet  für  den  Fall,  dass  Digitalcompression,  Eis  und  er- 
höhte Lage  nicht  ausreichen,  die  Unterbindung  der  A.  brachialis 
eine  Hülfe,  an  welche,  sich  nicht,  wie  bei  den  Schussbrüchen  des 
Humerus,  die  Besorgniss  knüpft,  dass  das  Verhalten  des  Venen- 
stammes den  Erfolg  vereitele.    Nichtsdestoweniger  ist  diese  Com- 
plication  der  Schussbrüche  auch  am  Unterarme  bedeutsam  genug. 
Fall  130.    Gewehrschuss  durch  das  obere  Drittheil  des  Unter- 
armes.  Zersplitterung  der  ülna;  einfache  Fractur  des  Radius. 
Mitverletzung  der  Art.  radialis  und  des  N.  ulnaris.  Heilung.  — 
Grenadier  Heinrich  Schroeder  vom  4.  G.-G.-Reg.  wurde  am  18.  April  ver- 
wundet. Die  Kugel  trat  c.  2  Zoll  unter  dem  Ellenbogengelenk  an  der  Streck- 
seite des  linken  Unterarmes  dem  Ulnarrande  nahe  ein.  Ausgangsöffnung  ist 
nicht  vorhanden.    In  Broacker  (1.  F.-L.  Cav.-Div.)  wird  Zerschmetterung 
der  Ulna  und  Fractur  des  Radius  ziemlich  in  derselben  Höhe  constatirt. 
Lagerung  in  einer  Armkapsel;  Eisblase.    Am  6.  Mai  wird  die 
Kugel  an  der  Beugeseite  des  Gliedes  dem  Radius  nahe  entdeckt  und  durch 
Incision  entfernt.    Es  folgen  arterielle  Blutungen  aus  dem  Schusskanale, 
welche,  weil  sie  allen  sonstigen  Stillungsmitteln  trotzen,  am  13.  Mai  zur 
Unterbindung  der  Art.  brachialis  nöthigen.  Der  Arm  infiltrirt  sich  ziemlich 
ausgedehnt.    Mehrere  Abscedirungen  erfordern  Incisionen.  Nichtsdesto- 
weniger zeigen  die  Bruchstellen  Ende  Mai  schon  ziemliche  Festigkeit.  Im 
Laufe  des  Juni  und  Juli  lösen  sich  wiederholt  Sequester  von  der  Ulna, 
darunter  ein  gegen  2  Zoll  langer.    Die  Ligaturstelle  am  Oberarm  heilte 
ohne  Störung.  Erst  Ende  October  wurde  die  Vernarbung  vollständig.  Die 
Bewegungen  im  Ellenbogen-  und  Handgelenk  waren  damals  noch  sehr  be- 
hindert.   Am  kleinen  Finger  und  am  äusseren  Rande  des  Gold- 
fingers ist  die  Sensibilität  völlig  erloschen. 

Die  steckengebliebene  Kugel  scheint  in  diesem  Falle  wie  durch 
Tamponade  den  früheren  Eintritt  der  arteriellen  Secundärblutung 
verhindert  zu  haben.  In  zwei  Fällen  der  Art  musste  das  Glied 
nachträglich  geopfert  werden,  und  nur  in  einem  derselben  wurde 
damit  das  Leben  gerettet. 

Fall  131.  Zerschmetterung  der  Ulna  durch  Kartätschschuss. 
Starke  arterielle  primäre  Blutung.  Gypsverband.  Arterielle 
Secundärblutung.  Amputatio  Humeri.  Tod  durch  Pyämie.  — 
Gem.  Karl  Haucke  vom  2.  dän.  Inf.-Reg.  wurde  am  18.  April  bei  Düppel 
verwundet  und  in  Glücksburg  aufgenommen.  Ziemlich  in  der  Mitte  des 
rechten  Unterarmes  an  der  Beugeseite  dem  Ulnarrande  nahe  die  Eingangs- 
öffnung; in  der  Mitte  der  Streckseite  die  sehr  grosse  Ausgangsöffnung. 


199 


Die  Ülna  ist  in  grosser  Ausdehnung  zersplittert;  der  Radius  erscheint  un- 
verletzt. Eine  ziemlich  starke  arterielle  Blutung  wird  im  Lazareth  durch 
Corapressiv-Verband  und  Eis  gestillt.  Am  20.  April  wird  ein  gefensterter 
Gypsverband  angelegt;  Eisblase.  Schon  am  22.  April  muss  derselbe  er- 
neuert werden,  weil  er  an  mehreren  Stellen  eingebrochen  ist.  Am  25.  April 
trat  plötzlich  eine  sehr  starke  arterielle  Blutung  ein,  deren  Sistirung  durch 
Compression  der  Art.  brachialis  nur  zeitweise  gelingt.  Die  ausserordent- 
liche Schwäche  widerräth  den  Versuch,  die  Wiederkehr  der  Blutung  durch 
Unterbindung  der  Art.  brachialis  zu  verhüten.  Deshalb  wird  noch  selbigen 
Tages  die  Amputation  am  Oberarm  gemacht.  Ein  Theil  der  Hautkappe  des 
Stumpfes  stirbt  ab.  Die  Eiterung  wird  jauchig.  Frostanfälle  treten  vom 
2.  Mai  ab  täglich  ein.  Tod  am  12.  Mai.  Beide  Lungen  werden  mit  Abs- 
cessen  durchsetzt  gefunden. 
Fall  132.  Schussfractur  der  ülna  und  des  Radius  im  oberen 
Drittheil.  Arterielle  Secun därblutung.  Unterbindung  der  Art. 
brachialis.  Ausgedehnte  Vereiterung.  Amputatio  Humeri. 
Heilung.  —  Unterofficier  Karl  Meyer  vom  3.  Garde-Reg.  z.  F.  erhielt 
am  5.  Februar  am  Mühlberg  einen  Gewehrschuss  durch  den  rechten  Unter- 
arm und  wurde  in  Rendsburg  aufgenommen.  Die  Kugel  ist  am  Ulnar- 
rande  c.  2  Zoll  unter  dem  Ellenbogengelenk  ein-,  in  derselben  Höhe  am 
Radialrande  ausgetreten.  Der  Schusskanal  verläuft  tief  unter  den  Beuge- 
muskeln fort.  Von  beiden  Oeffnungen  aus  wird  vom  Periost  entblösster 
Knochen  gefühlt,  eine  wirkliche  Fractur  indess  nicht  coustatirt.  Erhöhte 
Lagerung  auf  einer  Armschiene;  Eisbeutel.  In  den  nächsten  Tagen  wird 
das  Fehlen  des  Radialpulses  constatirt.  Die  Reaction  bleibt  mässig, 
das  Allgemeinbefinden  kaum  getrübt.  Am  13.  Februar  trat  in  der  Nacht 
plötzlich  aus  der  Radialwunde  starke  arterielle  Blutung  ein.  Sie  wird 
durch  Anlegen  des  Tourniquets  inhibirt;  Einwickelung  des  Armes;  Eisblase. 
Am  14.  Februar  klagt  Pat.  über  heftigen  brennenden  Schmerz  im  Unterarm; 
welcher  besonders  in  der  Wundgegend  stärker  geschwollen  ist.  Radial - 
puls  zeitweise  schwach  fühlbar.  Am  15.  Februar  dieselbe  Schmerz- 
haftigkeit;  Puls  mässig  voll,  100.  In  der  Nacht  Schüttelfrost;  starker 
Schweiss.  Acid.  sulph.  dil.,  Morphium  innerlich;  Compressivverband.  Am 
16.  Februar  weniger  Schmerz,  zwei  Mal  Frost.  In  der  folgenden  Nacht 
wiederholt  Blutungen,  welche  durch  Eis  sistirt  werden.  Die  Wunden  sind 
durch  Blutgerinnsel  verstopft.  Puls  112.  Da  sich  die  Blutungen  immer 
wieder  erneuern,  so  wird  am  17.  Februar  die  Art.  brachialis  unterbunden 
und  der  Schusskanal  durch  Entfernung  der  Coagula  gereinigt.  Taub- 
heitsgefühl in  Unterarm  und  Hand.  Schmerzen  und  Schwellung 
lassen  nun  nach.  Die  profuse  Eiterung  ist  übelriechend.  Die  Sonde  ge- 
langt auf  rauhen  Knochen.  Im  März  dauert  die  Eiterung  reichlich  fort; 
einige  kleine  Sequester  lösen  sich  ab.  Anfangs  April  Infiltration  des  Vorder- 
armes mit  tiefen  Eitersackungen.  Incision.  Warmwasserbad.  Gegen  Ende 
April  wird  der  Verw.  nach  dem  Johanniter-Lazareth  in  Stendal  evacuirt. 
Durch  die  unaufhörlich  profuse  Eiterung  werden  die  Kräfte  consumirt  bis 
zur  Ausbildung  förmlicher  Hectik.  Deshalb  wurde  von  Herrn  Dr.  Haake 
am  31.  Mai  der  Oberarm  in  der  Mitte  amputirt.  In  dem  abgesetzten  Unter- 


200 


arme  fanden  sich  beide  Knochen  zertrümmert  und  die  nekrotischen  Bruch- 
enden vom  Eiter  rings  umspült.  Die  Heilung  der  Amputationswunde  er- 
folgte ohne  Störung  und  damit  eine  rasche  Erholung  des  Operirten. 

Es  muss  dahin  gestellt  bleiben,  in  wie  weit  die  durch  den 
Mangel  jeder  Dislokation  der  Bruchstücke  (die  Knochen  waren  durch 
das  Geschoss  bei  seinem  Laufe  quer  durch  den  Vorderarm  tangential 
fracturirt)  erklärliche  anfängliche  Verkennung  der  Fracturen  auf  den 
späteren  Verlauf  von  Einfluss  war.  Ich  habe  die  vorstehenden  Fälle 
deshalb  etwas  detaillirter  mitgetheilt,  weil  sie,  glaube  ich,  darthun, 
warum  man  sich  bei  derartig  complicirten  Schussbrüchen  des  Vorder- 
armes mit  der  Unterbindung  der  Art.  brachialis  möglichst  beeilen 
muss,  wenn  methodische  Digitalcompression  des  Aderstammes,  er- 
höhte Lage  des  Gliedes  und  Eis  nicht  schnell  zum  Ziele  führen. 
Die  Compression  durch  Einwickelung  des  Gliedes  ist  besonders  bei 
den  Schussbrüchen  ein  ebenso  schädliches  wie  unsicheres  Mittel,  die 
Blutungen  aus  den  höheren  Stellen  der  Vorderarm-Arterien  zu  stillen. 
In  dem  folgenden  Falle  wurde  nach  diesem  Grundsatze  verfahren; 
aber  ein  anderer  Feind  vernichtete  den  Erfolg. 

Fall  133.  Splitterung  des  Radius  durch  Granatsplitter.  Starke 
Primärblutung  aus  der  Art.  radialis.  Unterbindung  der  Art. 
brachialis.  Trismus.  Tod.  —  Füs.  Wilhelm  Treger  vom  L.-G.-R.  8 
wurde  am  28.  März  von  einem  Granatsplitter  am  unteren  Drittheil  des 
linken  Unterarmes  getroffen.  Der  Splitter  hatte  die  Radialhälfte  des  Gliedes  ' 
durchsetzt,  den  Radius  stark  zersplittert,  die  Art.  radialis  verletzt.  Die 
heftige  arterielle  Blutung,  welche  auch  nach  der  Aufnahme  in  Stenderup 
(1.  F.-L.  6.  Div.)  wiederkehrte,  bestimmte  zur  sofortigen  Unterbindung  der 
Art.  brachialis  am  inneren  Rande  des  Biceps.  Einige  lose  Splitter  wurden 
entfernt.  Lagerung;  Eis.  Patient  klagt  beständig  über  lebhafte 
Schmerzen  im  Arm.  Am  10.  April  Zeichen  des  Trismus  mit  wechselnder 
Stärke.  Die  Störung  der  Lazarethruhe,  welche  sich  an  den  Sturmtag 
(18.  April)  unvermeidlich  knüpfte,  wirkte  sehr  ungünstig  auf  den  Verwun- 
deten. Die  Anfälle  des  Tetanus  kehrten  mit  gesteigerter  Heftigkeit  wieder. 
Dennoch  verzögerte  sich  der  tödtliche  Ausgang  bis  zum  4.  Mai.  Man  fand 
bei  der  Section  den  N.  medianus  bis  zur  Achsel  geröthet  und  geschwollen. 
Ein  kleines  Knochensplitterchen  ist  in  denselben  eingedrun- 
gen.   Die  Consolidation  des  Radius  war  noch  nicht  vollständig. 

Die  Unterbindung  der  Brachialis  erfüllte  in  diesem  Falle  ihren 
Zweck.  Die  Blutung  kehrte  nicht  wieder.  Dass  die  Consolidation 
sich  verzögerte,  ist  ohne  Frage  den  tetanischen  Anfällen  zuzu- 
schreiben. 

Noch  in  zwei  anderen  Fällen  hat  der  nämliche  Feind  den  Er- 


201 


folg  der  Conservatirkur  vereitelt.  Der  eine  (Füs.  Albert  Mertens 
vom  35.  Reg.,  am  18.  April  verwundet,  in  Flensburg  gepflegt) 
ist  bereits  von  Herrn  Dr.  Heine  (1.  c.  pag.  116  ff.)  ausführlich 
mitgetheilt.  Ich  werde  auf  denselben  in  dem  Capitel  über  Tetanus 
zurückkommen.  Es  handelte  sich  wie  in  dem  oben  erwähnten 
Falle  um  einen  Splitterbruch  des  Radius  im  unteren  Drittheil,  aber 
durch  eine  durchdringende  Gewehrkugel  bewirkt.  Die  Art.  radialis 
war  gleichfalls  mitverletzt,  aber  auf  dem  Verbandplatze  in  der 
Wunde  unterbunden.  Am  15.  Tage  nach  der  Verletzung  begann  der 
Trismus.  Der  Tod  erfolgte  am  13.  Mai.  Auch  hier  fand  sich  bei 
der  Section  ein  den  N.  medianus  anbohrendes  Splitterchen. 

Der  andere  ist  die  einzige  Beobachtung  von  multipler  Schuss- 
fractur  beider  Vorderarme  durch  Kleingewehrfeuer,  wel- 
che aus  dem  Feldzuge  von  1864  vorliegt. 

Fall  134.  Schussfracturen  beider  Knochen  beider  Unterarme. 
Tetanus.  Tod.  —  Der  dän.  Soldat  Lunstaedt  vom  2.  Inf.-Reg.  wurde 
am  18.  April  durch  zwei  Kugeln  verwundet  und  in  Ulderup  (1.  F.  L. 
5.  D.)  aufgenommen.  Am  rechten  Unterarm  Eingangsöffnung  an  der  Ulnar  - 
seite  in  der  Mitte,  Austritt  an  der  Radialseite  1"  unterhalb  des  Ellenbogen- 
gelenks. Doppelbruch  der  Ulna;  Splitterbruch  des  Radius  und  Absprengung 
des  Capitulum.  Am  linken  Unterarm  Eingang  an  der  Radialseite  einige 
Zoll  über  dem  Handgelenk,  Ausgang  an  der  Ulnarseite  einen  Zoll  über  dem 
Gelenk,  beide  Knochen  doppelt  fracturirt. 

Am  20.  April  wurde  an  beiden  Seiten  der  Gypsverband  angelegt  in 
der  Chloroformnarkose.    Am  21.  April  werden  die  Fenster  eingeschnitten. 
Bis  zum  28.  April  gutes  Aussehen  der  Wunde  und  ungestörtes  Allgemein- 
befinden.  Der  Gypsverband  rechter  Seits  wird,  weil  er  vom  Eiter  durch- 
feuchtet ist,  durch  einen  neuen  ersetzt.    Am  30.  April  Abends  heftige 
Schmerzen  und  klonische  Krämpfe  im  ganzen  rechten  Arm.  Dieselben 
\    dauern  trotz  Morphium  Tag  und  Nacht  mit  kurzen  Intervallen  an  unter 
\  lebhafter  Pulsfrequenz  und  starken  Schweissen  und  werden  am  3.  Mai  all- 
gemein, nachdem  schon  am  1.  Mai  Trismus  hinzugetreten  ist.    Am  1.  Mai 
wurde  der  Gypsverband  gespalten  und  Abends,  da  eine  arterielle  Blutung 
eintritt,  abgenommen.    Die  Blutung  steht  auf  kalte  Irrigation  und  Tampo- 
\ade.    Am  2.  Mai  werden  die  in  die  Weichtheile  bohrenden  Spitzen  der 
buchenden  des  Radius  abgesägt,  dabei  kleine  spitze  Knochenfragraente 
ud  ein  plattgedrücktes  Stückchen  Langblei  entfernt.   Allein  trotz  wieder- 
hcter  subcutaner  Injection  von  Morphiumlösung  dauert  Trismus  und  Te- 
tai^s  fort.    Nachdem  noch  mehre  parenchymatöse  Blutungen  eingetreten 
sint  erfolgt  der  Tod  des  sehr  anämischen  und  erschöpften  Mannes  am 
4-  \i.    Bei  der  Section  fanden  sich  Muskelpartien  zwischen  den  Bruch- 
endei  des  Radius  eingeklemmt.    Die  Bruchstücke  der  Ulna  waren  nicht 
disloc-t. 


202 


Das  sind  3  Opfer,  um  welche  der  Erfolg  der  Conservativkur 
der  Schussbrüche  des  Unterarms  durch  den  Wundstarrkrampf 
verkürzt  worden  ist.  Um  so  bescheidener  war  die  Py  am ie.  Ausser 
dem  Falle,  in  welchem  die  Amputation  des  Oberarmes  bei  dem 
durch  Blutungen  sehr  erschöpften  Verwundeten  eine  besondere  Dis- 
position für  dieselbe  bildete  (vgl.  oben  Fall  131),  hat  die  Pyämie 
nur  1  Opfer  gefordert  und  zwar  bei  einer  relativ  einfachen  Ver- 
wundung —  Schusssplitterung  des  Radius  in  der  Mitte  durch  eine 
Spitzkugel  — ,  welche  bei  der  Lagerung  auf  einem  festen  Kissen 
und  unter  dem  Eisbeutel  bis  zum  10.  Tage  durchaus  befriedigend 
verlief.  Dann  trat  plötzlich  unter  heftigem  Fieber  entzündliche 
Infiltration  des  ganzen  Armes  ein,  gegen  welche  wiederholte  Ent- 
spannungseinschnitte erfolglos  blieben.  Der  Tod  erfolgte  am  17.  Tage 
nach  der  Verletzung.  (Füs.  Rudolf  Mühlmeister  vom  L.-Gr.-R.  8, 
am  18.  April  verwundet,  in  Flensburg  gepflegt.) 

Assser  der  Arterien -Ligatur  hat  auch  die  Resection  eine 
wenn  auch  sehr  beschränkte  Rolle  bei  der  Conservativkur  der  frag- 
lichen Schussbrüche  gespielt,  —  nämlich  die  Continuitäts-Re- 
section  in  zwei  Fällen,  die  des  Ellenbogengelenks  in  einem. 
Wie  bei  den  Schussfracturen  des  Oberarmes,  so  hat  erstere  auch 
an  dem  Unterarme  kein  Glück  gemacht. 

In  dem  einen  Falle  (Karl  Strack  vom  18.  dänischen  Inf.- 
Reg.,  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet,  in  Glücksburg  gepflegt) 
war  die  linke  Ulna  durch  Langblei  in  der  Mitte  zerschmettert.  Am 
6.  Juli  wurden  die  Splitter  extrahirt  und  beide  Bruchenden  rese- 
cirt,  so  dass  eine  Knochenlücke  von  c.  4"  entstand.    Der  Verlauf 
war  günstig.    Schon  Ende  August  war  der  Schluss  der  Wunden  er 
folgt.    Allein  bis  zum  12.  September  —  dem  Tage,  an  welchen 
die  Heimsendung  erfolgte  —  hatte  sich  der  Knoch end efect  nicit 
wieder  ersetzt. 

Ungünstiger  verlief  der  andere,  freilich  ungleich  schwerere  lall. 

Fall  135.  Schussfractur  beider  Vorderarmknochen.  Conthui- 
täts  -  Resection.  Blutungen.  Tod  durch  Erschöpfung.  >  Ge- 
freiter Johann  Thiele  vom  4.  Garde-Reg.  zu  Fuss  wurde  am  1$  April 
verwundet  und  in  Stenderup  aufenommen,  von  wo  er  am  21.  W  nach 
Baurup  (1.  schw.  F.  L.  3.  A.  C.  Sect.  Lücke)  evacuirt  ward.  Pber  die 
erste  Periode  liegt  keine  Journalnotiz  vor.  Als  T.  in  ßaurup  anäm,  fand 
man  auf  der  Streckseite  des  rechten  Vorderarmes  den  Schusseinang,  wel- 
cher direct  auf  die  fracturirte  Ulna  führte.  Ausgangsöffnung  ehlt.  Die 
Kugel  ist  noch  nicht  gefunden.    Der  Unterarm  ist  stark  inftrirt.  Drei 


203 

grosse  Incisionen  an  der  Streckseite  sind  grösstenteils  vernarbt;  eine 
vierte  ist  noch  offen  und  führt  direct  auf  den  gleichfalls  fracturirten  Ra- 
dius. Die  Untersuchung  in  der  Chloroformnarkose  ergab,  dass  die  unteren 
Fragmente  beider  Knochen  mit  einander  verwachsen  und  zwishen  die  oberen 
geschoben  waren.  Der  Verwundete  war  sehr  angegriffen  und  fieberte.  Nach- 
dem sich  das  Allgemeinbefinden  gebessert  hatte,  wurden  am  3.  Juni  nach 
Extraction  von  3  grösseren  nekrotischen  Knochenstücken  die  beiden  Bruch- 
spitzen der  Ulna  resecirt  und  von  dem  oberen  Bruchende  des  Radius  so 
viel  abgetragen,  dass  es  nicht  mehr  nach  aussen  ragt.  Die  Kugel  wurde 
nicht  entdeckt.  Massige  fieberhafte  Reaction;  starke  Eiterung.  Die  starke 
Schwellung  gestattet  nicht  das  Anlegen  eines  festen  Verbandes.  Am  23.  Juni 
wurde  ein  oberer  und  ein  unterer  durch  2  Schienen  von  Cigarrenkistenholz 
verbundener  Gypsverband  angelegt.  Am  26.  Juni  veranlasst  ein  durch 
Schüttelfrost  eingeleitetes  und  von  gastrischen  Symptomen  begleitetes 
Fieber  zur  Verabreichung  eines  Brechmittels.  Bei  der  Abnahme  des  Ver- 
bandes am  27.  Juni  Erythem  am  Oberarm.  Unter  Fortdauer  heftigen 
Fiebers  breitet  sich  das  Erysipel  vom  Oberarm  bis  zur  Hand  aus;  die 
Wundränder  sind  ödematös,  die  Eiterung  gering.  Am  4.  Juli  plötzlich  ar- 
terielle Blutung,  welche  durch  Digitalcompression  der  Brachialis  bald  si- 
stirt  wird.  Beim  Gebrauche  einer  Chininlösung  bessert  sich  das  Allge- 
meinbefinden und  am  9.  Juli  ist  die  Schwellung  des  Armes  so  gefallen, 
dass  ein  neuer  Gypsverband  mit  Fenstern  angelegt  werden  konnte.  Vom 
15.  Juli  ab  kehrten  indess  die  Blutungen  täglich  wieder  trotz  wiederholter 
Tamponade.  Am  19.  Juli  findet  sich  bei  der  durch  die  erneute  Blutung 
nöthig  gewordenen  Abnahme  des  Verbandes  die  ganz  difforme  Kugel  in 
der  EinschussörTnung.  Die  vielen  Blutungen  hatten  so  erschöpft,  dass  am 
20.  Juli  der  Tod  erfolgte.  Bei  der  Section  fand  sich  an  den  inneren  Or- 
ganen nur  hochgradige  Anämie.  Die  Weichtheile  in  der  Nähe  der  Wunde 
in  putridem  Zerfalle;  die  Bruchenden  der  Knochen  blasig  aufgetrieben. 

Auch  in  diesem  Falle  dürfte  die  zeitige  Unterbindung  der  Art. 
brachialis  behufs  der  Sistirung  der  Blutungen  den  Vorzug  vor  der 
Tamponade  verdient  haben,  wenn  auf  die  Conservativkur  nicht  ver- 
zichtet werden  sollte.  Die  vorausgegangene  Continuitätsresection 
war  durch  die  bedeutende,  der  Heilung  hinderliche  und  anders  nicht 
zu  behebende  Dislokation  der  Bruchenden  ausnahmsweis  gewiss 
indicirt.  Es  fragt  sieh  aber  hauptsächlich,  ob  diese  Eventualität, 
wie  Herr  Prof.  Lücke  bei  seiner  Mittheilung  des  Falles  (1.  c. 
pag.  110)  meint,  durch  die  frühzeitige  Anlegung  eines  Gyps- 
verbandes  zu  verhüten  gewesen  wäre.  Eine  positive  Antwort 
ist  schon  deshalb  nicht  möglich,  weil  über  Verlauf  und  Behand- 
lung des  Falles  in  den  ersten  Wochen  nach  der  Verwundung  der 
Nachweis  fehlt.  Wenn  wirklich  während  der  ganzen  Zeit  kein  Ver- 
such gemacht  wurde,  durch  einen  Contentivverband  einzuschreiten, 


204 


so  dürfte  die  bedeutende  Infiltration,  welche  notorisch  durch  mehr- 
fache Incisionen  bekämpft  worden  ist,  das  Hinderniss  gewesen  sein. 
Ist  der  frühzeitige  Gypsverband  im  Stande,  letztere  zu 
verhüten,  und  darf  deshalb  die  antiphlogistische  Vor- 
behandlung bei  einfacher  Lagerung  als  ein  antiquirtes 
Verfahren  bei  den  Sehussbrüch en  des  Vorderarmes  be- 
zeichnet werden? 

Es  ist  die  nämliche  Principienfrage,  welche  uns  schon  bei  den 
Schussbrüchen  des  Humerus  entgegentrat.  Ich  halte  es  für  sehr  be- 
denklich, für  die  künftige  Feldpraxis  eine  Regel  aufzustellen,  welche 
durch  die  Kriegs-Erfahrung  noch  nicht  genügend  fundirt  ist.  Die 
Erfahrung  von  1864  berechtigt  nicht,  jene  Frage  ohne  Weiteres 
zu  bejahen. 

Es  ist  möglich,  dass  die  sofortige  regelrechte  Anlegung 
eines  nicht  gefensterten  Gypsverbandes,  welcher  Ellenbogen- 
und  Handgelenk  mit  umfasst,  mittelst  der  absoluten  Ruhe  und  der 
gleichmässigen  Compression  des  Gliedes,  wie  bei  den  gewöhn- 
lichen einfachen  und  complicirten  Fracturen,  als  prophylactisches 
Antiphlogisticum  wirken  kann.  Thatsächlich  liegt  aber  von  1864 
nur  ein  solches  Experiment  vor  (der  oben  erwähnte  Fall  „ Wede- 
meyer und  dies  ist  nicht  massgebend,  weil  es  sich  um  eine 
subcutane  Fractur  handelte.  Auch  in  den  Fällen  von  Tangential  - 
brüchcn,  bei  denen  die  Weichtheile  mehr  oder  weniger  mitverletzt 
waren,  und  von  welchen  ich  oben  einige  erwähnt  habe,  würde  der 
sofortige  Gypsverband,  wenn  er  angelegt  worden  wäre,  wahr- 
scheinlich wie  bei  den  gewöhnlichen  mit  Weichtheilverletzung 
complicirten  Fracturen  vertragen  worden  sein.  Aber  es  liegt  aus 
der  Praxis  von  1864  kein  Fall  vor,  welcher  beweist,  ob  und  in 
wie  weit  der  sofortige  ungefensterte  Gypsverband  bei  den  nicht 
subcutanen  Schussbrüchendes  Unterarms  vertragen  wird  und  den 
Verlauf  günstig  beeinflusst. 

Die  sehr  gesteigerte  Zahl  technischer  Hülfsacte,  welche  die 
neuere  Kriegschirurgie  wegen  ihrer  gliedconservirenden  Tendenz  als 
dringlich  bezeichen  muss,  nöthigt,  glaube  ich,  zu  einer  gewissen 
Zurückhaltung.  Bei  und  unmittelbar  nach  Gefechten  von  einiger 
Bedeutung  wird  es  sobald  nicht  möglich  werden,  auch  alle  Schuss- 
brüche des  Vorderarmes  schon  auf  den  Verbandplätzen  oder  in  den 
Depots  der  leichten  Feldlazarethe  alsbald  nach  der  Verwundung  mit 
regelrechten  Gypsverbänden  zu  bedenken.    Bei  den  Schussbrüchen 


205 


eines  der  beiden  Knochen  ist  das  ohne  Zweifel  auch  nicht  not- 
wendig, und  selbst  die  meisten  Schussbrüche  des  Radius  und  der 
Ulna  werden  auf  den  Verbandplätzen  nach  wie  vor  ohne  Gefahr 
mit  einfachen  Stützverbänden  abgefunden  werden  können.  So 
bedeutende  Dislokationen,  wie  in  dem  erwähnten  Falle  135, 
gehören  bei  diesen  Schussbrüchen  zu  den  Ausnahmen,  und  gerade 
deshalb  könnte  und  sollte  ihnen  in  der  That  wo  möglich  schon 
auf  den  Verbandplätzen  die  Zeit  gewidmet  werden,  welche  die  An- 
legung des  Gypsverbandes  erfordert. 

Der  nachträgliche  gefensterte  Gypsverband  ist  1864 
auch  bei  den  Schussbrüchen  des  Unterarmes  vielfach  in  Anwendung 
gekommen.  Das  Resultat  ist  so  ziemlich  dasselbe,  wie  ich  es  bei 
den  Schussbrüchen  des  Humerus  bezeichnet  habe.  Frühzeitig 
angelegt,  wurde  er  selbst  bei  Splitterbrüchen  etwas  besser  vertragen, 
als  am  Oberarm;  gleichwohl  überwiegt  die  Zahl  der  Fälle,  in  denen 
der  Verband  wegen  der  starken  entzündlichen  Reaction  mehr  oder 
weniger  bald  wieder  entfernt  werden  musste,  und  bisweilen  waren 
tiefe  und  ausgedehnte  Abscedirungen  die  Folge,  welche  die  Aus- 
heilung sehr  verzögerten.  Diese  Consequenzen  waren  entschieden 
seltener  bei  der  Behandlung  mit  einfacher  Lagerung  und  Eis.  Darum 
uud  weil  das  Wundverhältniss  sehr  oft  nicht  gleich  vollständig  zu 
übersehen  ist,  und  weil  das  Anlegen  und  das  Abnehmen  der  Gyps- 
verbände  in  der  Reactionsperiode  keinen  Falles  gleichgültige  me- 
chanische Reize  sind,  scheint  es  mir  rathsamer,  den  Gypsverband 
bis  nach  Ablauf  der  ersten  7  Tage  zu  verschieben  und  diese  bei 
einfacher  Lagerung  auf  einer  Schiene  oder  in  einer  Drahtrinne  zur 
Application  der  Eisblase  zu  benutzen  —  wenn  nicht  sehr  einfache 
Wundverhältnisse  eine  milde  Reaction  garantiren,  oder  wenn  nicht 
eine  bedeutende  Dislokation  der  Bruchenden  sofortige  und  nachhal- 
tige Correctur  erheischt.  Schussbrüche  mit  blindem  Schuss- 
kanal e,  aus  welchem  das  Geschoss  oder  andere  Fremdkörper  noch 
nicht  entfernt  werden  konnten,  eignen  sich  gewiss  am  allerwenig- 
sten für  den  frühen  Gypsverband.  Nach  Ablauf  der  entzündlichen 
Periode  den  Gypsverband  zu  benutzen,  sobald  die  Abschwellung  ein 
längeres  Liegenbleiben  desselben  in  Aussicht  stellt,  braucht  heutigen 
Tages  nicht  mehr  empfohlen  zu  werden.  Die  Erfahrung  von  1864 
bekundet,  dass  er  dann  in  der  Regel  gut  vertragen  wird.  Die  be- 
schränkten Phlegmonen  und  die  Erysipele,  welche  in  späteren  Pe- 
rioden besonders  als  Begleiter  der  Sequesterablösungen  auftreten, 


206 


nöthigen  zwar  nicht  selten  gleichfalls  zur  temporären  Entfernung 
des  Gypsverbandes.  Aber  die  bekannten  Vortheile,  welche  er  für 
den  Arzt  wie  für  den  Kranken  bietet,  überwiegen  den  Nachtheil, 
welchen  der  Zeit  die  vorübergehende  mechanische  Beunruhigung  des 
verletzten  Gliedes  bewirken  kann.  Besonders  hervorgehoben  zu 
werden  verdient  noch  der  Schutz  und  die  Sicherheit,  welche  der 
Gypsverband  vor  allen  übrigen  Contentivverbänden  bei  Evacuationen 
nach  entfernten  Pflegestätten  gewährt. 

Die  Zahl  der  Fälle  von  Schussbruch  am  Unterarm,  welche 
1864  ganz  ohne  Benutzung  des  Gypsverbandes  behandelt  worden 
sind,  ist  nicht  gross.  Aber  ich  kann  nicht  finden,  dass  ihr  Verlauf, 
was  Milde  der  Reaction,  Schnelligkeit  der  Consolidation  und  Dauer 
der  Ausheilung  betrifft,  hinter  dem  der  gegypsten  Fälle  zurüchstehe. 
Von  grösserer  oder  geringerer  Lebensgefahr  spreche  ich  gar  nicht. 
Denn  die  Musterung  der  tödtlich  verlaufenen  Fälle,  welche  oben 
vollständig  mitgetheilt  sind,  ergiebt,  dass  der  tödtliche  Ausgang  von 
Umständen  bedingt  war,  gegen  welche  der  Gypsverband  keine  Ge- 
währ oder  Abhülfe  bietet  —  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Falles 
135,  in  welchem  ungewöhnlich  starke  Dislocation  und  Zurückbleiben 
des  Geschosses  pro  und  contra  Gypsverband  einander  gegenüber 
stehen. 

Ausser  dem  bereits  erwähnten  Falle  von  Continuitätsresection 
der  Ulna,  in  welchem  der  Wiederersatz  ausblieb,  sind  1864  noch 
3  Fälle  beobachtet,  in  welchen  die  Consolidation  des  Schussbruches 
nicht  erfolgte. 

In  dem  einem  Falle  (Jörgen  Hoeg  vom  20.  dän.  Reg.) 
datirte  die  Verwundung  vom  3.  Februar  bei  Klosterkrug.  Das  ur- 
sprüngliche Verhalten  der  Knochen  ist  nicht  genauer  bekannt.  Der 
Verwundete  wurde  bis  zum  16.  März  im  Lazarethe  zu  Flensburg 
von  dänischen  Aerzten  mit  einfacher  Lagerung  und  Breiumschlägen 
behandelt.  Bei  der  Uebernahme  eiterte  die  Eingangsöffnung  in  der 
Mitte  der  Streckseite  des  linken  Unterarmes  nur  noch  wenig;  die 
Incision  oberhalb  des  Olecranon,  mittelst  welcher  die  Kugel  entfernt 
wurde,  war  fast  vernarbt.  Die  Ulna  fand  sich  consolidirt,  die  Bruch- 
stelle des  Radius  noch  beweglich  Nachdem  das  Eczem  der  Haut, 
die  fast  constante  Folge  der  dänischen  Kurweise  mit  Breiumschlägen, 
beseitigt  war,  wurde  am  8.  April  ein  Gypsverband  angelegt.  Bis 
zur  Auslieferung  am  6.  Mai  ist  jedoch  die  Consolidation  des  Radius 


207 


nicht  erfolgt  —  vielleicht  wegen  eines  Typhoid,  welches  Patient  in 
den  beiden  letzten  Dekaden  des  Aprils  zu  überstehen  hatte. 

In  den  andern  beiden  Fällen  war  der  Gyps verband  sehr  früh 
angelegt.  Der  Musketier  Albert  Gembus  vom  60  Inf. -Reg.,  am 
18.  April  verwundet,  erhielt  einen  solchen  bereits  am  19.  April  in 
Flensburg.  Der  Radius  war  durch  eine  Gewehrkugel,  welche  von 
der  Beugeseite  nach  der  Streckseite  des  rechten  Unterarmes  gerade 
durch  drang,  im  oberen  Drittheil  zerschmettert.  Der  Gypsverband 
wurde  gut  ertragen  und  bis  zur  Vernarbung  beibehalten.  Dennoch 
bestand  noch  im  August,  als  Patient  in  Magdeburg  behufs  seiner 
Invalidisirung  untersucht  wurde,  ein  zolllanger  Defect  an  der  Bruch- 
stelle. Nur  eine  bandartige  Verbindung  der  Bruchenden  war  erfolgt. 
Den  anderen  Fall  theile  ich  etwas  ausführlicher  mit,  weil  er  zu- 
gleich zeigt,  in  wie  weit  die  Wirklichkeit  manchen  Illusionen  über 
den  glatten  Verlauf  der  Schussbruch-Heilung  mittelst  des  Gypsver- 
bandes  entspricht. 

Fall  136.  Comminutive  Schu ssfractur  der  Ulna.  Frühzeitiger 
Gypsverband.  Heilung  mit  Pseu darth ro se.  —  Jäger  Adolf 
Koalenz  vom  3.  Jäg.-Bat.  wurde  am  29.  Juni  in  Schloss  Sandberg  (1.  F.- 
L.  5.  I.-Div.)  aufgenommen,  nachdem  er  auf  Alsen  einen  Gewehrschuss 
durch  den  linken  Unterarm  erhalten  hatte.  Die  Kugel  war  etwas  schräg 
von  der  Streck-  nach  der  Beugeseite  durchgedrungen  und  hatte  die  Ulna 
im  mittleren  Drittheil  comminutiv  zerbrochen.  Die  folgende  Schwellung 
mindert  sich  unter  Eisbeuteln  bei  einfacher  Lagerung.  Am  2.  Juli  wurde 
ein  gefensterter  Gypsverband  angelegt.  Am  3.  Juli  jauchige  Absonderung 
aus  den  Schussöffnungen.  Einige  Knochenfragmente  und  ein  Stück  des 
Projectils  werden  extrahirt.  Ausspritzungen  mit  Kreosotwasser.  In  den 
nächsten  Tagen  entleeren  sich  kleinere  und  grössere  Knochenfragmente 
unter  fortdauernder  Jaucheabsonderung.  Allgemeinbefinden  wenig  gestört. 
Am  15.  Juli  klagt  Patient  über  grosse  Schmerzen  im  Arme.  Der  Verband 
ist  locker  und  durchtränkt  und  wird  deshalb  abgenommen.  Lagerung; 
aromatische  Fomente.  Am  18.  Juli  ist  die  Reinigung  des  Schusskanals 
vollendet;  der  Eiter  gut.  Schmerzlosigkeit;  ungetrübtes  Allgemeinbefinden. 
Am  19.  Juli  neuer  Gypsverband;  Patient  steht  auf.  Am  22.  Juli  Fieber, 
heftiger  Schmerz  über  der  Bruchstelle,  Anschwellung  der  Hand.  Abnahme 
des  Verbandes.  Auf  der  Streckseite  unter  der  Bruchstelle  Eitersackung. 
Mittelst  Incision  der  gerötheten  Stelle  Entleerung  einer  grossen  Eitermasse. 
Einfache  Lagerung  des  Gliedes.  Fomente.  Bis  Ende  des  Monates  schwillt 
der  Arm  bei  dem  nunmehr  unbehinderten  Abflüsse  des  Eiters  ab.  Das  All- 
gemeinbefinden kehrt  mehr  und  mehr  zur  Norm  zurück.  Um  dem  Ver- 
wundeten das  Verlassen  des  Bettes  zu  gestatten,  wird  das  Glied  in  einer 
Drahtrinne  gelagert.    Am  8.  August  ist  die  Ausheilung  unter  Abnahme 

Lö  ffler,  Generalbericht.  14 


208 


der  Eiterung  sehr  vorgeschritten.  Der  Knochendefect  beträgt  circa  1  Zoll. 
Die  Sonde  trifft  noch  auf  nekrotischen  Knochen.  Um  die  Consolidation  zu  för- 
dern, wird  wieder  ein  Gypsverbaud  angelegt.  Derselbe  wird  jetzt  gut  vertra- 
gen. Von  Zeit  zu  Zeit  lösen  sich  Knochenfragmente.  Am  20.  August  Fieber  mit 
Schmerz  im  Unterarme  au  der  inneren  Seite  des  oberen  Drittheils.  Da  Beides 
anhält  und  steigt,  wird  am  22.  August  in  der  Schmerzgegend  ein  Fenster  ein- 
geschnitten. Es  findet  sich  eine  fluctuirende  Stelle.  Incision ;  Abfluss  von  Eiter, 
dem  Knochenpartikel  beigemengt  sind.  Schmerzen  und  Fieber  verschwinden 
danach  rasch.  Evacuation  nach  Apenrade  am  26.  August.  Im  September 
wiederholt  Sequesterablösung.  Am  26.  September  sind  alle  Wunden  ausgefüllt 
und  der  Vernarbung  nahe.  In  dem  Gypsverbande  vom  8.  August,  der  noch 
immer  hält,  wird  Patient  nach  Spandau  evacuirt.  Als  der  Verband  Mitte 
October  hier  abgenommen  wird,  findet  sich,  dass  die  Bruchenden  nicht  fest 
verbunden  sind.  Es  gelang  auch  durch  weitere  Conteutivverbände  bis  zum 
17.  December  nicht,  die  Consolidation  herbeizuführen. 

Die  Behandlung  dieses  Falles  kann,  wenn  der  Gypsverband 
benutzt  wird,  als  Muster  dienen,  und  deshalb  habe  ich  die  Details 
mitgetheilt.  Allein,  wie  schon  bei  den  Schussbrüchen  des  Oberarmes 
bemerkt  wurde,  die  Consolidation  der  Knochen  wird  durch  den 
Gypsverband  weder  gesichert  noch  beschleunigt,  wenn  einmal 
grössere  und  durchgehende  Delecte  durch  die  Art  der  Knochen- 
verletzung gesetzt  sind.  Wenn  der  eine  Knochen,  wie  im  letzten 
Falle,  unversehrt  blieb,  so  hindert  schon  dieser  die  Annäherung 
der  Bruchenden,  durch  welche  die  Consolidation  unter  Verkürzung 
des  Gliedes  begünstigt  werden  kann. 

Ein  anderes  Hinderniss  der  Bruchheilung,  die  Osteomyelitis, 
findet  natürlich  in  dem  Gypsverbande  ebensowenig  ein  Gegenmittel. 
Bei  der  Dunkelheit  der  Ursachen,  welche  bisweilen  selbst  bei  ein- 
facheren Bruchverhältnissen  dasselbe  erzeugen,  ist  sogar  die  Besorg- 
niss  motivirt,  dass  die  Beschränkung  der  örtlichen  Antiphlogose, 
welche  mit  der  frühzeitigen  Benutzung  des  Gypsverbandes  verknüpft 
ist,  zu  ihnen  gehöre.  Bei  den  Schussbrüchen  des  Unterarmes  von 
1864  ist  die  Knochenheilung  nur  in  einem  Falle  durch  Osteomye- 
litis vereitelt.  Um  das  Glied  zu  retten,  musste  die  Resection  im 
Ellenbogengelenk  zu  Hülfe  genommen  werden. 

Fall  137.  Schu ssfractur  beider  Vorderarmknochen  im  oberen 
Drittel.  Ausbleiben  der  Consolidation  der  ülna.  Secundäre 
Entzündung  des  Ellenbogengelenks.  Gelenkresection.  Hei- 
lung. —  Jacob  Madsen  vom  4.  dän.  I.-R.  wurde  am  29.  Juni  auf  Alsen 
verwundet  und  in  Oster-Satrup  (1.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Sect.  Lücke)  auf- 
genommen. Die  Kugel  hatte  das  obere  Drittheil  des  linken  Unterarmes 
durchsetzt.   Die  Ulna  ist  circa  1  Zoll  unterhalb  des  Gelenkes,  der  Radius 


209 


\  Zoll  tiefer  fracturirt.  Keine  Splitterung.  In  den  ersten  Tagen  Schienen- 
verband, um  das  Gelenk  leichter  im  Auge  zu  behalten.  Es  blieb  shmerz- 
los  bei  Bewegungen.  Am  3.  Juli  Gypsverband,  der  gut  vertragen  wird. 
Hartnäckiger  Durchfall.  Bei  der  Erneuerung  des  Verbandes  am  20.  Juli 
wurde  keine  Eitersackung  vorgefunden.  Anfangs  August  reichliche,  aber 
gute  Eiterung;  die  Granulationen  im  Fenster  etwas  vorquellend.  Die  Sonde 
trifft  auf  die  entblösste  Ulna  und  eine  vertiefte  Rinne  an  derselben.  Lokal- 
bäder mit  Pottasche.  Trotz  reichlicher  Eiterung  bleibt  das  Allgemein- 
befinden gut.  Die  entblösste  Knochenstelle  bedeckt  sich  mit  Granulationen. 
Bei  der  Abnahme  des  Gypsverbandes  am  16.  August  findet  sich  die  Fractur 
des  Radius  consolidirt,  die  der  Ulna  nicht.  An  der  Innenseite  des  Ober- 
armes ist  die  Haut  über  einem  Eiterdepot,  welches  mit  der  innern  Schuss- 
öfTnung  communicirt,  geröthet.  Zwei  Incisionen;  Drainage;  Breiumschlag. 
Am  20.  August  teigige  und  schmerzhafte  Schwellung  der  Gelenkgegend 
bei  mässigem  Fieber.  Von  der  äusseren  Schussöffnung  aus  trifft  die  Sonde 
auf  ein  nekrotisches  Knochenfragment  dicht  unter  dem  Proc.  coronoideus 
Ulnae.  Extrahirt  erweist  es  sich  als  nekrotisirter  Osteopbyt.  Incisionen. 
Die  Schwellung  am  Gelenk  mindert  sich  danach  unter  fortdauernder 
starker  Eiterung  aus  den  Incisionswunden.  Am  28.  August  wegen  Auf- 
lösung des  Lazarethes  in  Oster -Satrup  Evacuation  nach  Apenrade.  Am 
2.  September  stärkere  Schwellung  des  Gelenkes;  sehr  starke  Eiterung. 
Fluctuation  im  Gelenk  nicht  erkennbar,  grosse  Empfindlichkeit  gegen  Druck 
auf  die  innere  Seite.  Am  5.  September  Durchschneidung  der  Hautbrücke 
zwischen  der  inneren  Schussöffnung  und  der  früheren  Incision  am  Ober- 
arm. Schmerz  und  Eiterverlust  bewirken  ein  bedeutendes  Sinken  der 
Kräfte.  Am  13.  September  wird  durch  Incision  einer  fluctuirenden  Stelle 
an  der  äusseren  Seite  des  Olecranon  eine  grosse  Menge  Eiter  entleert. 
Bei  Bewegung  des  Armes  deutliche  Crepitation;  die  Gelenkenden  lassen 
sich  weit  an  einander  verschieben.  Die  Ausführung  der  nunmehr  be- 
schlossenen Gelenkresection  musste  wegen  des  Eintrittes  einer  rechtseitigen 
Pneumonie  verschoben  werden.  Am  19.  September  war  die  Lungenent- 
zündung bei  exspectativer  Behandlung  in  das  Stadium  der  Lösung  getreten. 
Die  Resection  wurde  nun  gemacht  (Chefarzt  Dr.  Schilling).  Gelenk- 
kapsel und  Knorpelflächen  finden  sich  theilweis  zerstört.  Ausser  den 
oberen  Enden  der  Vorderarmknochen  wird  die  Epiphyse  des  Humerus  ab- 
getragen. Das  Präparat  zeigt  (nach  der  Mittheilung  des  Herrn  Professor 
Lücke  1.  c.  pag.  138),  dass  die  Fractur  des  Radius  geheilt  und  der 
Knochen  gesund  ist;  an  der  Ulna  eine  Pseudarthrose  nicht  ganz  1  Zoll 
unterhalb  des  Proc.  coronoideus,  das  obere  Ende  osteoporotisch  mit  vielen 
Knochenauflagerungen  bis  in  das  Gelenk  hinein  besetzt;  die  Gelenk- 
flächen rauh.  Das  Allgemeinbefinden  besserte  sich  schnell,  nachdem  die 
Residuen  der  Pneumonie  beseitigt  waren.  Ende  September  stiessen  sich 
von  den  Sägeenden  kleine  nekrotische  Stücke  ab.  Die  übrigen  Wunden 
heilen  so  gut,  dsss  am  6.  October  ein  gefensterter  Gypsverband  angelegt 
werden  konnte.  Am  17.  October  wird  er  abgenommen.  Die  Incisions-  und 
Schusswunden  fast  vernarbt;  die  Operations  wunde  mit  guten  Granulationen 

14* 


210 


gefüllt.  Ein  neuer  Gypsverband  stellt  das  Glied  in  einen  fast  rechten 
Winkel.  Am  27.  October  Abnahme  des  Verbandes,  weil  Patient  über  schmerz- 
haften Druck  klagt  und  der  Arm  etwas  schwillt.  Neuer  Verband  am 
30.  October.  Er  mass  jedoch  am  12.  November  wieder  entfernt  werden, 
weil  das  Hervorquellen  der  Wundränder  in  den  Fenstern  auf  erneute  Schwel- 
lung des  Armes  deutet.  Unter  Fieber  entwickelt  sich  an  der  vorderen 
Seite  des  Oberarmes  circa  3  Zoll  über  der  Gelenkstelle  Fluctuation.  Am 
15.  November  entleert  eine  lncision  viel  Eiter.  Am  17.  November  Eröff- 
nung eines  Abscesses  an  der  hintern  Seite  des  Oberarmes.  Sonde  führt 
nicht  auf  Sequester.  Cataplasmen.  Durch  Gangränescenz  der  Ränder  der 
letzten  Incisionswunde  entsteht  eine  fast  thalergrosse  missfarbige  Eiter- 
fläche. Lagerung  des  Armes  anf  einen  Luftkissen;  Verband  mit  Campher- 
wein.   Baldige  Reinigung  der  Wunde. 

Am  15.  December  wurde  Patient  von  dem  Cantonnements-Lazareth  des 
2.  Schles.  Gren.-Reg.  No.  11  in  Flensburg  übernommen.  Die  Ausheilung 
der  Wunden  ist  seitdem  nicht  mehr  gestört  worden,  obwohl  noch  kleine 
Sequester  sich  ablösten.  Im  Februar  1865  war  die  Vernarbung  vollständig. 
Patient  erholte  sich  mehr  und  mehr  und  konnte  am  23  März  völlig  wohl 
nach  Copenhagen  entlassen  werden.  Zustand  des  Gliedes:  Massige 
Atrophie  der  Schultermuskulatur.  Linker  Oberarm  und  Ellenbogengegend 
haben  einen  um  5  Ctm.  geringeren  Umfang  als  rechts.  Am  Unterarm  und 
Hand  ist  der  Muskelschwund  geringer.  Normales  Gefühl  in  den  Fingern. 
Das  untere  Ende  des  numerus  ist  durch  eine  3  Ctm.  lange  weiche  elasti- 
sche Zwischensubstanz  mit  den  Vorderarmknochen  verbunden.  Sich  selbst 
überlassen  hängt  der  Arm  in  einem  Winkel  von  160°  zwischen  Pro-  und 
Supination.  Active  Beugung  und  Streckung  im  Ellenbogen  unmöglich. 
Passiv  lässt  sich  der  Unterarm  bis  zu  einem  spitzen  Winkel  beugen,  über- 
haupt mit  Leichtigkeit  nach  allen  Richtungen  bewegen  und  drehen  — 
Schlotterverbindung.  Der  Unterarm  bedarf  ständigerl  Unterstützung.  Die 
activen  Bewegungen  der  Hand  und  der  Finger  sind  noch  beschränkt  und 
schwach. 

Die  Möglichkeit  der  Correctur  durch  einen  Stützapparat  und  die 
Aussicht  auf  spätere  Kräftigung  der  Muskulatur  besonders  der  Hand 
und  der  Finger  lassen  dieses  Resultat  ohne  Frage  als  einen  Triumph 
der  conservirenden  Kunst  erscheinen,  da  es  kaum  einem  Zweifel 
unterliegt,  dass  in  diesem  Falle  ohne  die  Gelenkresection  das  Leben 
nur  durch  die  Amputation  zu  wahren  gewesen  sein  würde.  '  Ich 
habe  ihn  ausführlicher  mitgetheilt,  um  denjenigen  Collegen,  welche 
nicht  Gelegenheit  hatten,  dergleichen  Kuren  von  Anfang  bis  Ende 
zu  verfolgen,  ein  einigermassen  treues  Bild  der  Sorgen  und  Mühen 
zu  geben,  welche  auch  bei  den  Schussbrüchen  der  oberen  Extremi- 
täten die  Aufmerksamkeit  und  die  Geduld  des  Feldarztes  heraus- 
fordern. Der  Gypsverband  erleichtert  einige  derselben;  andere 
werden  durch  ihn  gesteigert.    Selbst  bei  grosser  Vorsicht  im  An- 


211 


legen  des  Verbandes  schafft  derselbe  leicht  ein  Hinderniss  des  freien 
Eiterabflusses  und  damit  Sackungen  des  Eiters,  welche  um  so  übler 
sind,  weil  auch  der  Geübtere  nicht  immer  sicher  ist,  ihre  Ent- 
stehung trotz  der  Verhüllung  des  Gliedes  rechtzeitig  zu  erkennen. 

Ueberblickt  man  schliesslich  noch  einmal  das  in  der  Feld- 
praxis von  1864  bei  den  Schussbrüchen  der  Diaphysen  der  Unter- 
armknochen mittelst  der  ausnahmslos  versuchten  Conservativkur  er- 
zielte Resultat,  so  stellt  sich  heraus,  dass  man  unter  61  Fällen 
2  mal  (circa  3  pCt.)  das  Glied  nachträglich  opferte,  um  das  Leben  zu 
erhalten  und  dass  man  ebenso  oft  eine  Conservativoperation  —  die 
Resection  —  zu  Hülfe  nahm.  Unter  den  90  pCt.  Heilungen  sind  88, 
in  denen  Leben  und  Glied  erhalten  wurde. 

E.  4.    Knochen-Schüsse  der  Hand. 

Ueber  die  3  Fälle,  in  welchen  Abreissung  resp.  Zermalmung 
der  Hand  durch  schweres  Geschütz  zur  sofortigen  Absetzung  ge- 
nöthigt  hat,  ist  bereits  berichtet  worden  (V.  oben  sub  A.).  Die 
Schuss Verletzungen  des  Handgelenkes  und  die  Betheiligung  der 
Handknochen  an  denselben  werden  im  nächsten  Abschnitte  bespro- 
chen werden.  Ausserdem  sind  79  Verwundete  gepflegt  worden, 
denen  die  Knochen  der  Hand  resp.  die  kleineren  Gelenke  durch 
Projectile  verletzt  waren.    Die  nachstehende  Tabelle  giebt  eine 


Uebersicht  der  Schussbrüche  der  Hand 

nach  Sitz,  Nationalität,  Kurart  und  Ausgang. 

Tabelle  XIV. 


Ort  der 
Verletzung 

Zahl  der  Veiw. 

Kurart 

Sum 

ma 

nicht  operativ 

primäre 
Amputation 

secundäre 
Amputation 

der  Geheilt. 

der  Gestorb.j 

Zahl 

geh.  gest. 

Zahl  geh. 

gest. 

Zahl 

geh. 

gest. 

Handwurzel  u.  )  Pr. 
Mittelhand    f  Dan. 

21 
13 

19 
12 

17 
11 

2 

1 

1 

1 
1 

1 

1 

19 
11 

2 
2 

Summa 

34 

3t 

28 

3 

1 

1 

2 

1 

30 

4 

^          \  DI«. 

36 
9 

80 
3 

30 
2 

1 

3 
4 

3 
4 

3 
2 

3 
2 

36 
8 

1 

Summa 

45 

33 

32 

1 

7 

7 

5 

5 

44 

1 

Handknochen  j  Pr. 
überhaupt    (  Dan. 

57 

22 

49 
15 

47 

13 

2 
2 

4 
4 

4 
4 

4 

3 

4 
2 

1 

55 
19 

2 
3 

Summa  totalis 

79 

04 

60 

4 

b 

ö 

7 

6 

1 

74 

5 

212 


Schussverletzungen  der  Handwurzelknochen  ohne  Betheiligung 
des  Handgelenkes  oder  der  Mittelhand  sind  ziemlich  selten.  Die 
wenigen  (2),  welche  1864  beobachtet  wurden,  sind  deshalb  in  vor- 
stehender Tabelle  mit  den  Verletzungen  der  Mittelhandknochen 
vereint. 

Das  bekannte  Gesetz  der  Abnahme  der  Lebensgefahr  der  Schuss- 
verletzungen mit  ihrer  Entfernung  vom  Stamme  wird  durch  jene 
Zahlen  bestätigt.  Allgemeineren  Vergleichswerth  haben  in  dieser 
Beziehung  natürlich  nur  die  Zahlen  der  Preussen,  da  die  der  Dänen 
nur  einen  vermuthlich  kleinen  Theil  der  auf  feindlicher  Seite  vor- 
gekommenen Verwundungen  dieser  Categorie  repräsentiren.  Von 
den  57  verwundeten  Preussen  sind  2  =  3,5  pCt.  gestorben.  Das  Ge- 
setz gilt  sogar  innerhalb  der  Gruppe.  Von  21  Knochverletzungen 
der  Handwurzel  und  Mittelhand  sind  2  =  9,5  pCt.,  von  den  36  Finger- 
knochen-Schüssen ist  keiner  tödtlich  verlaufen. 

Diese  Verletzungen  gehören  denn  auch  zu  den  älteren  Gebieten 
der  conservirenden  Chirurgie.  Auch  1864  hat  man  dieser  möglichst 
gehuldigt,  namentlich  bei  den  Schüssen  des  Carpus  und  Meta- 
carpus,  obwohl  es  sich  zum  Theil  um  recht  erhebliche  Verletzungen 
handelte.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  waren  mehrere,  in  einigen 
alle  Mittelhandknochen  verletzt.  Nur  in  einem  Falle  Hess  sich  ein 
primärer  verstümmelnder  Eingriff  (Exarticulation  des  Daumens 
im  Carpo-Metacarpus-Gelenke)  wegen  Zerschmetterung  des  1.  und 
2.  Mittelhandknochens  und  der  angrenzenden  Handwurzelknochen 
mit  ausgedehnter  Zerreissung  der  Weichtheile  durch  Granatsplitter 
nicht  umgehen.  Die  Mitverletzung  der  Handwurzelknochen  verzö- 
gerte nicht  bloss  die  Ausheilung,  sondern  hinterliess  auch  in  Folge 
secundärer  Entzündung  des  Handgelenkes  Steifheit  des  letzteren. 
Nichtsdestoweniger  blieben  die  4  erhaltenen  Finger  für  den  Ver- 
wundeten ein  nützlicher  Besitz.  (Pionier  Friedrich  Grisse  vom 
7.  Pionier-Bai,  am  18.  April  verwundet,  in  Glücksburg  aufge- 
nommen.) 

Ein  anderer  Fall,  in  welchem  der  Granatsplitter  selbst,  unter 
ausgedehnter  Zerreissung  der  Weichtheile,  jene  Verstümmelung  — 
Abreissung  des  Daumens  —  gemacht  hatte,  endete  im  Lazarethe 
zu  Broacker  5  Wochen  nach  der  Verwundung  mit  dem  Tode  durch 
Pyämie.  (Musk.  Friedrich  Wruck  vom  60.  Inf.-Reg.,  am  18.  April 
verwundet.)  Auch  der  Trismus  hat  ein  Opfer  gefordert,  während 
die  Finger- Verletzungen  1864  von  ihm  ganz  verschont  blieben. 


213 


Fall  138.    Zerschmetterung  der  Basis  des  4.  und  5.  Mittelhand- 
knochens und  des  Os  haraatum.    Trismus.    Neurotomie.  Tod. 

—  Füsilier  Karl  Bütow  vom  24.  Inf.-Regiraent  erhielt  am  18.  April  eine 
Kugel,  welche  die  Verbindung  des  4.  und  5.  Mittelhandknochen  mit  dem 
Carpus  der  rechten  Hand  von  der  Dorsal-  nach  der  Volarseite  durchschlug, 
die  Basis  jener  beiden  Knochen  und  das  Os  hamatum  zertrümmerte.  Bei 
einfacher  Lagerung  unter  der  Eisblase  blieb  die  entzündliche  Reaction  sehr 
gering.  Eine  besondere  Schmerzhaftigkeit  bestand  nicht.  Die  Eiterung 
entwickelte  sich  durchaus  normal.  Am  2.  Mai  Abends  stellten  sich  die 
Symptome  des  Trismus  ein,  denen  schon  am  folgenden  Tage  tetanische 
Anfälle  folgten.  Anästhesi  eim  Endgebiete  des  N.  ulnaris  Hess  auf  eine  Lä- 
sion dieses  Nerven  schliessen.  Mau  versuchte  deshalb,  durch  die  Durch- 
schneidung seines  Stammes  in  der  Rinne  am  Cond.  int.  Humeri  einzu- 
greifen. Die  Neurotomie  blieb  wirkungslos.  Subcutane  Injectionen  von 
Morphium  wirkten  mildernd  auf  die  Anfälle.  Aber  schon  am  8.  Mai  er- 
folgte der  Tod'  während  eines  solchen.  Bei  der  Section  fand  man  nach 
dem  Berichte  des  Herrn  Dr.  Heine  (1.  c.  pag.  120)  den  Stamm  des  N.  ul- 
naris an  der  Schnittstelle  völlig  getrennt,  die  Schnittenden  nicht  geschwollen, 
auch  überhaupt  den  Nervenstaram  bis  zur  Mitte  des  Unterarms  herab,  abge- 
sehen von  einer  Hyperämie  seiner  Gefässe,  nicht  krankhaft  verändert.  Der 
untere  Theil  desselben  war  von  Eiter  umspült,  aber  gleichfalls  gesund.  Der 
Ramus  dorsalis  über  dem  unteren  Ende  der  Ulna  quer  abgerissen.  Der 
Ramus  volaris  superficialis  war  nur  theilweise  getrennt,  der  erhaltene  Theil 
aber  an  der  Verletzungsstelle  missfarbig  und  brüchig.  Das  Rückenmark 
zeigte  ausser  einiger  wahrscheinlich  hypostatischer  Injection  seiner  Häute 
keine  Abnormität.  Eiter  im  Handgelenk.  Auch  im  Ellenbogengelenk  fand 
sich  suppurative  Entzündung  in  Folge  einer  Kapselverletzung  bei  der  sub- 
cutan (!)  ausgeführten  Neurotomie  des  Ulnaris. 

Blutungen  aus  den  Gefässbögen  der  Hohlhand,  welche  die 
Stich-  und  Schnittwunden  der  Hand  so  oft  compliciren,  sind  bei 
den  Schussverletzungen  nur  selten  vorgekommen.  In  dem  folgenden 
Falle  liess  man  sich  durch  eine  arterielle  Spätblutung  der 
Art  bestimmen,  das  Glied  zu  opfern. 

Fall.  139.    Kartätschschuss   durch  Handwurzel  und  Mittelhand. 
Arterielle  Spätblutung.  Amputation  des  Unterarms.  Heilung. 

—  Der  Gefreite  Heinrich  Pieper  vom  15.  Inf.-Reg.  erhielt  vor  Missunde 
am  2.  Februar  einen  Kartätschschuss  durch  die  linke  Hand  und  wurde  in 
Eckernförde  aufgenommen.  Das  Geschoss  war  c.  1"  unter  dem  Hand- 
gelenk von  der  Dorsal-  nach  der  Volarseite  durchgedrungen  und  hatte  die 
Basis  der  3  mittleren  Mittelhandknochen  und  die  angränzenden  Knochen 
der  Handwurzel  zertrümmert.  Das  Handgelenk  war  unverletzt.  Der  Ver- 
lauf gestaltete  sich,  —  anfänglich  unter  Eis,  später  im  Wasserbade,  — 
sehr  günstig.  Am  12.  Februar  wurden  einige  Knochenfragmente  von  der 
Dorsalöffnung  aus  extrahirt.  Am  15.  Februar  musste  eine  fluctuirende 
Stelle  am  5.  Mittelhandknochen  incidirt  werden.   Die  Wunde  füllte  sich 


214 


gut  mit  Granulationen.  Am  28.  Februar  plötzlich  heftige  arterielle 
Blutung  aus  der  Volarwuude,  welche  nur  mit  Mühe  durch  Compression 
gestillt  wird.  Sie  kehrte  auch  in  den  nächsten  Tagen  mehrmals  wieder. 
Am  5.  März  wurde  deshalb  der  Unterarm  in  der  Mitte  amputirt.  Die 
Ausheilung  der  Operationswunde  erfolgte  ungestört;  völlige  Vernarbung 
erst  im  Juni  nach  Ablösung  einiger  Sequester. 

Um  das  Leben  zu  retten,  wurde  das  Glied  geopfert,  weil  die 
Unterbindung  der  A.  brachialis  bei  den  Blutungen  aus  den  Gefäss- 
bögen  der  Hohlhand  ein  unsicheres  Mittel  ist.  Der  folgende 
Fall  fordert  jedoch  auf,  vor  der  Amputation  ein  anderes  nicht  un- 
versucht zu  lassen. 

Fall  140.  Gewehrschuss  durch  Handwurzel  und  Mittelhand.  An- 
haltende Primärblutung.  Unterbindung  der  A.  radialis  und 
ulnaris  über  dem  Handgelenk.  Heilung.  —  Lieut.  Gustav  S.  vom 
Füsilier-Regiment  35  wurde  am  11.  April  vor  Düppel  verwundet  und  in 
das  Johanniter-Spital  zu  Nübel  aufgenommen.  Die  Kugel  hat  die  rechte 
Hand  in  querer  Richtung  von  der  Basis  des  1.  Mittelhandknochen  nach 
dem  Ballen  des  kleinen  Fingers  durchsetzt  und  dabei  das  os  multangulura 
majus  und  minus  und  den  3.  Mittelhandknochen  fracturirt.  Bestäüdiges 
Blutsickern  aus  beiden  Schussöffnungen.  Digitalcompression  der  A.  ra- 
dialis und  ulnaris  hält  das  Bluten  an,  jedoch  nur  für  die  Dauer  der  Com- 
pression. Die  Application  des  Eisbeutels  bleibt  ohne  Erfolg.  Bedeutende 
Infiltration  der  Hand.  Am  12.  April  Unterbindung  der  A.  radialis  und 
ulnaris  dicht  über  dem  Handgelenk.  Das  Glied  wird  frei  und  erhöht  ge- 
lagert, später  in  einer  Drahtrinne.  Die  Blutung  ist  nicht  wiedergekehrt. 
Am  20.  April  lösten  sich  die  Unterbindungsfäden.  Der  weitere  Verlauf 
des  Heilungsprocesses  blieb  ungestört.    (Vgl.  Ressel  1.  c.  pag.  122.) 

Die  noch  mangelnde  Erweiterung  der  Gefässe  an  der  Ver- 
letzungsstelle und  die  durch  längere  Eiterung  noch  nicht  vermin- 
derte Plasticität  des  Blutes  begünstigten  zwar  in  diesem  Falle  das 
Gelingen  der  Blutstillung  durch  die  Doppelligatur  und  deshalb  ga- 
rantirt  er  nicht  denselben  Erfolg  bei  Spätblutungen.  Zeigt  sich 
jedoch  bei  letzteren,  dass  sie  sich  durch  die  Compression  der  beiden 
Adern  beherrschen  lassen,  so  ist  es,  glaube  ich,  Pflicht,  die  Unter- 
bindung derselben  zu  versuchen,  ehe  man  amputirt.  Aber  man 
sollte  niemals  viel  Zeit  verlieren  durch  die  hier  fast  stets  nutzlosen 
Tamponirungsversuche,  um  nicht  durch  grösseren  Blutverlust  das 
Blut  selbst  zur  Thrombenbildung  unfähiger  werden  zu  lassen. 

In  der  erhöhten  Lage  auf  einer  Unterarm  und  Hand  stüt- 
zenden Schiene,  der  consequenten  Application  der  Kälte  während 
der  ersten  siebentägigen  Periode  nach  der  Verwundung,  dem  per- 
manenten Wasserbade  in  der  Eiterungszeit  besitzt  die  conser- 


215 


vative  Chirurgie  sehr  wirksame  Hülfen,  um  den  Verlauf  der  frag- 
lichen Verletzungen  günstig  zu  gestalten.  Dennoch  erheischt  die 
bekannte  durch  die  anatomische  Structur  der  Hand  bedingte  Dis- 
position zu  fortgepflanzten  Entzündungen  und  Eitersackungen  be- 
sondere und  stetige  Aufmerksamkeit,  um  den  richtigen  Zeitpunkt 
zum  Gebrauche  des  Messers  behufs  der  Entspannung  und  der  Siche- 
rung freien  Eiterabflusses  nicht  zu  versäumen.  Beschränktere  Ver- 
letzungen erheischen  in  dieser  Beziehung  sogar  mehr  Vorsicht  als 
grosse  durchgehende  Schusskanäle,  besonders  wenn  sie  die  kleinen 
Gelenke  berühren.  Bei  ungünstiger  Spitalsconstitution  ist  selbst 
das  Leben  bedroht,  wenn  man  sich  auch  nachträglich  entschliesst, 
das  Glied  zu  opfern. 

Fall  141.  Schussfractur  der  unteren  Gelenkenden  des  2.  und 
3.  Mittelhandknochen.  Späte  Amputation  des  Unterarmes. 
Tod  durch  Septicämie.  —  Peter  Riis  vom  18  dän.  Inf. -Reg.  wurde 
am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet  und  in  Glücksburg  aufgenommen. 
Das  Geschoss  hatte  streifend  die  Gelenke  zwischen  dem  2.  und  3.  Mittel- 
handknochen der  linken  Hand  und  den  betreffenden  Fingern  eröffnet  und 
die  Gelenkenden  jener  Knochen  angesplittert.  Anfangs  Eis;  später  Kata- 
plasmen,  permanentes  Wasserbad,  welchem  Kali  hypermanganicum  zuge- 
setzt wurde,  weil  das  Wundsecret  sehr  stinkend  war.  Am  16.  Juli  wurde 
ein  Eiterdepot  an  der  äusseren  Seite  des  Handgelenkes  eröffnet;  in  den 
nächsten  Tagen  weitere  Incision  an  der  inneren  Seite  und  am  Hand- 
rücken. Dabei  tägliche  Frostanfälle,  welche  dem  Chinin  nicht  weichen. 
Am  21.  Juli  hat  die  eitrige  Infiltration  die  Mitte  des  Unterarmes  erreicht. 
Das  Sinken  der  Kräfte  erheischt  einen  entscheidenden  Eingriff.  Der  Unter- 
arm wird  deshalb  im  oberen  Dritttheil  mittelst  Lappenschnitt  amputirt, 
wobei  der  Blutverlust  sehr  gering  bleibt.  Am  24.  Juli  wird  die  Operations- 
wunde missfarbig;  nirgends  ist  die  durch  Nähte  versuchte  prima  intentio 
gelungen.  Dünnes  graues  Secret.  Nach  mehrtägiger  Pause  kehrt  am 
25.  Juli  ein  Frostanfall  wieder,  dem  schnell  Delirium  und  Tod  folgen.  Bei 
der  Section  zeigt  sich,  dass  der  brandige  Zerfall  der  Gewebe  bis  zur 
Schulter  reicht.   Die  inneren  Organe  bis  auf  grosse  Anämie  normal. 

Die  conservative  Chirurgie  verlangt,  dass  derartige  Verletzungen 
nach  den  nämlichen  Grundsätzen  behandelt  werden,  welche  für  die 
grösseren  Gelenke  Geltung  haben,  —  selbst  die  prophyl  actis  che 
Incision  und  die  primäre  Resection  nicht  ausgeschlossen. 
Wenn  jene  kleinen  Gelenke  für  die  Unterschätzung  ihrer  Ebenbür- 
tigkeit sich  nicht  öfter  rächen,  so  kommt  dies  bloss  daher,  dass  sie 
durch  die  Projectile  selbst  in  der  Regel  gründlich  genug  zerstört 
werden. 

Noch  ein  derartiger  Fall  (Friedrich  Andresen  vom  4.  dän. 


216 


Inf.-Reg.,  am  29.  Juni  verwundet)  ist  tödtlich  verlaufen,  jedoch 
unter  Mitwirkung  des  Typhus.  Der  Schuss  hatte  die  oberen  Enden 
mehrer  Mittelhand knochen  zersplittert  und  die  Verbindungen  mit 
den  Handwurzelknochen  eröffnet.  Ausser  Eitersackungen  erfolgte 
secundär  suppurative  Entzündung  des  Handgelenkes.  Die  Amputa- 
tion unterblieb  wegen  des  gleichzeitigen  typhösen  Zustandes.  Der 
Verwundete  starb  43  Tage  nach  der  Verwundung.  Bei  der  Section 
fanden  sich  im  Darm  die  unzweifelhaften  Producte  des  Typhus  ab- 
dominalis. 

Aber  es  bedarf  nicht  einmal  der  Rücksicht  auf  drohenden  Ver- 
lust des  Gliedes  oder  selbst  des  Lebens,  um  die  Frage  zu  rechtfer- 
tigen, ob  nicht  der  Verlauf  mancher  Verletzungen  der  Art  durch 
entsprechende  operative  Hülfen  günstiger  zu  gestalten  sei.  Die 
Dauer  der  Eiterungszeit,  die  Schwächung,  welche  der  Verwundete 
durch  ein  langes  und  schmerzhaftes  Wundlager  erleidet,  die  Zer- 
störung und  Verlöthung  der  sehnigen  Gebilde,  welche  schliesslich 
resultiren  und  die  Gebrauchsfähigkeit  des  mühevoll  conservirten 
Gliedes  in  Frage  stellen,  legen  an  und  für  sich  diese  Erwägung  nahe. 

Fall  142»  Schusszertrümmerung  des  3.  und  4.  Mittelhandknochen. 
Heftige  örtliche  und  allgemeine  Reaction.  Evidement.  Hei- 
lung. —  Jens  Larsen  vom  dän.  16.  Inf.-Reg.  erhielt  am  18.  April  einen 
Schuss  durh  die  rechte  Mittelhand.  Das  Geschoss  war  an  der  Dorsalseite 
des  3.  Mittelhandknochen  ein-,  am  Ulnar-Rande  des  5.  ausgetreten  und 
hatte  den  3.  und  4.  Mittelhandknochen  ausgedehnt  zertrümmert.  Sehr 
bald  trat  starke  Schwellung  der  Hand  unter  lebhaftem  Fieber  ein.  In 
Baurup  (Laz.-Sect.  Lücke)  wurde  anfangs  Kälte,  vom  25.  April  ab 
warmer  Breiumschlag  angewandt.  Starke  Geschwulst  neben  reichlicher, 
aber  dünner  und  missfarbiger  Eiterung.  Bis  zum  30.  April  hatten  sich 
einige  kleine  Knochenstücke  gelöst.  Aber  die  Infiltration  erstreckt  sich 
über  den  Unterarm;  das  Allgemeinbefinden  ist  schlecht.  Permanentes 
Warmwasserbad.  In  der  ersten  Dekade  des  Mai  wurden  mehrere  Incisionen 
am  Handrücken  und  am  Handgelenk  gemacht,  um  Eiterdepots  zu  entleeren. 
Das  Fieber  steigt,  Appetit  und  Schlaf  fehlen. 

Am  13.  Mai  wurde  in  der  Chloroformnarkose  ein  Einschnitt  über  dem 
4.  Mittelhandknochen  gemacht  und  kleinere  und  grössere  Knochenfragmente 
unter  möglichster  Schonung  des  Periostes  mittelst  des  Hohlmeissels  ent- 
fernt. Die  nicht  unbeträchtliche  Blutung  stand  bald.  Warmwasserbad. 
Das  Allgemeinbefinden  bessert  sich;  die  gutartige  Eiterung  wird  geringer. 
Ende  Mai  musste  noch  ein  kleiner  Abscess  am  Ulnarrande  der  Handwurzel 
geöffnet  werden.  Mitte  Juni  sind  die  Wunden  der  Vernarbung  nahe.  Pott- 
aschenbäder und  passive  Bewegungen  mindern  die  Versteifung  der  Finger. 
Bei  der  Entlassung  am  4.  Juli  stand  die  völlige  Brauchbarkeit  der  Hand 
in  Aussicht. 


217 


Die  Zukunft  muss  lehren,  in  wie  weit  derartige  Operationen, 
primär  ausgeführt,  sich  als  nützliche  Gefährten  des  Eises  bewähren 
werden,  nm  milderen  und  einfacheren  Verlauf  der  fraglichen  Ver- 
letzungen zu  sichern  und  brauchbarere  Hände  zu  conserviren.  Es 
bedarf  wohl  nicht  mehr  der  ausdrücklichen  Warnung  gegen  die 
Vornahme  derselben  im  Stadium  der  entzündlichen  Reaction. 

Unter  allen  Schussbrüchen  bedrohen  die  der  Finger  das  Leben 
am  wenigsten.  Von  unsern  Verwundeten  ist  keiner  in  Folge  eines 
solchen  gestorben,  und  bei  dem  dänischen  Soldaten  (Peter  An- 
dersen vom  4  Inf.-Reg.),  welcher  am  29.  Juni  einen  Schuss  durch 
den  rechten  Daumenballen  mit  Zersplitterung  der  1.  Phalanx  erhielt 
und  am  21.  Juli  im  Lazarethe  zu  Glücksburg  an  einer  Pleuritis 
der  rechten  Seite  starb,  ist  wenigstens  der  Causalnexus  zwischen 
diesem  Todesprocesse  und  der  Verwundung  nicht  constatirt,  obgleich 
die  eitrige  Infiltration  bis  zur  Mitte  des  Vorderarmes,  welche  den 
Verlauf  complicirte,  einen  solchen  vermuthen  lässt. 

Das  Conserviren  kann  sich  somit  bei  diesen  Verletzungen 
ziemlich  schrankenlos  geltend  machen;  es  fragt  sich  nur,  in  wie 
weit  es  wahrhaft  nützlich  ist,  von  dieser  Freiheit  Gebrauch  zu 
machen. 

Wo  völlige  Zermalmung  ganzer  Finger  oder  einzelner  Pha- 
langen, wie  sie  nicht  selten  durch  Granatstücke  bewirkt  wird,  vor- 
liegt, wird  kein  Feldarzt  es  für  weise  halten,  einem  wochenlangen 
Eliminationsprocesse  zu  überlassen ,  was  sein  Messer  in  wenigen 
Sekunden  zu  thun  vermag.  Derartig  waren  denn  auch  die  7  Fälle 
primärer  Exarticulation,  welche  Tabelle  XIV  nachweist.  Es  wur- 
den einmal  beide  Daumen-Phalangen,  einmal  bloss  die  zweite,  ein- 
mal der  Zeigefinger,  der  vierte  Finger  einmal  ganz,  der  dritte  und 
vierte  Finger  je  einmal  im  Gelenke  zwischen  1.  und  2.  Phalanx 
exarticulirt.  Am  stärksten  war  die  Verstümmelung  bei  dem  Gre- 
nadier L  ah  mann  vom  4.  G.-G.-Reg.,  welchem  am  3.  April  vor 
Düppel  die  rechte  Hand  durch  ein  Granatstück  so  zerschmettert 
wurde,  dass  die  4  ersten  Finger  sofort  exarticulirt  werden  mussten. 
Die  Erhaltung  des  fünften  gelang. 

In  5  anderen  Fällen  gelang  die  versuchte  Erhaltung  nicht 
wegen  eintretender  Gangrän.  Secundär  wurden  deshalb  exarticu- 
lirt der  2.,  3.  und  4.  Finger  je  einmal  ganz,  der  Zeigefinger  zwei- 
mal in  dem  Gelenke  zwischen  1.  und  2.  Phalanx. 

Unpraktisch  dagegen  scheint  mir  der  Rath,  unter  allen  Um- 


218 

/ 

ständen  an  den  Fingern  zu  conserviren,  was  sich  irgend  erhalten 
lässt.  Durch  bisweilen  recht  erhebliche  und  langwierige  Leiden 
wird  dem  Verwundeten  mitunter  ein  Finger  erhalten,  der  nicht  bloss 
selbst  unbrauchbar  ist,  sondern  auch  den  Gebrauch  der  Hand  sehr 
beeinträchtigt,  —  ganz  abgesehen  davon,  dass  die  fortgeleiteten 
Entzündungen  und  Eiterungen  schon  während  der  Conservativkur 
die  eventuelle  Brauchbarkeit  der  übrigen  nicht  verletzten  Finger  in 
Frage  stellen  können. 

Dem  Füsilier  Christian  Schulz  vom  Leib-Gr.-Regiment  8 
wurde  am  18.  April  durch  einen  Granatsplitter  die  erste  Phalanx 
des  rechten  Zeigefingers  nebst  dem  Gelenke  zwischen  ihr  und  dem 
entsprechenden  Mittelhandknochen  zertrümmert.  Der  Finger  hing 
nur  noch  an  den  nicht  ganz  durchtrennten  Weichtheilen  seines 
Ulnarrandes.  Man  versuchte  die  Anheilung,  und  sie  ist  gelungen. 
Der  conservirte  Finger  aber  stand  völlig  steif  und  nach  der  Hohl- 
hand hin  verkrümmt.  Er  war  so  äusserst  hinderlich  im  Gebrauche 
der  Hand;  aber  der  Mann  hatte  nicht  Neigung,  nach  dem  eben 
überstandenen  ein  zweites  Wundlager  durchzumachen  uud  verzichtete 
deshalb  auf  die  ihm  offerirte  nachträgliche  Exarticulation. 

Es  sind  noch  einige  Fälle  ähnlicher  Art  vorgekommen;  aber 
auf  dergleichen  Triumphe  muss  die  Kunst,  glaube  ich,  im  Interesse 
der  Verwundeten  verzichten.  Jener  Rath  ist  auch  nur  durch  die 
ausgedehnten  Verstümmelungen  inspirirt,  bei  denen  man  in  der 
That  sagen  kann,  dass  jedes  noch  so  dürftige  Stückchen,  welches 
erhalten  wird,  ein  Gewinn  sei. 

Die  auch  bei  den  Fingerschüssen  wichtige  Regel,  während  der 
intermediären  Periode  nicht  zu  amputiren,  ist  1864  befolgt.  Alle 
Finger-Absetzungen  sind  deshalb  glücklich  verlaufen. 

F.  1,  Schussverletzungen  des  Handgelenks. 

Das  Handgelenk  wird  verhältnissmässig  selten  von  den  Projectilen 
verletzt.  Abgesehen  von  den  (3)  bereits  besprochenen  Zermalmun- 
gen der  Hand  durch  Granatsplitter,  habe  ich  preussischer  Seits  nur 
7  Fälle  der  Art  (=1,1  pCt,  der  Arm-,  4,3  pCt.  der  Handschüsse) 
constatirt.  Dazu  kommen  2  bei  dänischen  Soldaten.  Ausnahmslos 
wurde  die  Conservirung  der  Hand  versucht.  Das  Resultat  —  tödt- 
licher  Ausgang  in  3  Fällen  (33,3  pCt.),  darunter  1  nach  secundärer 
Amputation  des  Oberarmes  —  legt  die  Frage  nahe,  ob  nicht  dem 
Conservirungsstreben  eine  zu  weite  Concession  gemacht,  oder  ob 


219 


und  in  wie  weit  die  conservirende  Praxis  einer  Vervollkommnung 
fähig  sei.  Von  dem  Mittel  wenigstens,  welches  bei  der  Conservativ- 
kur  der  Ellenbogengelenk-  und  Schultergelenkschüsse  1864  eine, 
wie  man  sehen  wird,  sehr  bedeutende  Rolle  gespielt  hat,  der  Ge- 
lenk- Resectio n,  ist  bei  dem  Handgelenke  gar  nicht  Gebrauch 
gemacht  worden. 

Die  Verletzungen  des  Handgelenkes  waren  mit  nur  einer 
Ausnahme  zugleich  Knochenverletzungen. 

Fall  143.  Handgelenkkapsel-Schuss.  Heilung  mit  Ankylose.  — 
Unteroffiz.  Friedrich  Lösch  vom  Leib- Gren. -Reg.  8  erhielt  am  28.  März  vor 
Düppel  einen  Schuss  an  der  rechten  Handwurzel.  Das  Projectil  war  nur 
eingedrungen  am  Ulnarrande  oberhalb  des  5.  Mittelhandknochen  und  wurde 
sofort  extrahirt.  Eine  Knochenverletzung  war  nicht  nachweisbar.  In  Flens- 
burg wurden  Eisumschläge  gemacht,  am  2.  April  die  Wundöffnung  dilatirt, 
um  bei  der  Schwellung  den  Abzug  des  Wundsecretes  zu  sichern.  Am 
10.  April  kam  der  Verwundete  durch  Evacuation  nach  Rendsburg.  Er 
fieberte  lebhaft  und  hatte  heftige  Schmerzen  in  dem  stark  geschwollenen 
Gliede.  Das  Oedem  reichte  bis  zur  Mitte  des  Vorderarmes;  die  Wund- 
ränder sind  weithin  unterminirt.  Eine  Knochenverletzung  ist  nicht  zu 
finden.  Spaltung  der  unterminirten  Haut  nach  oben;  Chamillenfomente. 
Trotz  augenblicklicher  Besserung  wird  bis  Ende  Juni  ein  unaufhörlicher  Kampf 
mit  den  bis  hoch  am  Unterarm  an  der  Streck-  wie  an  der  Beugeseite  hin- 
aufreichenden Eiterinfiltrationen  nöthig.  Mit  der  Zeit  werden  14  Incisionen 
gemacht.  Wiederholt  stellen  sich  bedenkliche  Erscheinungen  ein,  welche 
eine  septicämische  Affection  fürchten  lassen,  und  die  Kräfte  sinken  in  Folge 
des  profusen  Eiterverlustes  in  dem  Grade,  dass  die  Amputation  unver- 
meidlich erscheint.  Die  Isolirung  des  Verwundeten  und  die  Placirung 
desselben  im  Freien,  soviel  es  die  Witterung  gestattet,  helfen  ihm  indess 
über  alle  Gefahren  hinweg.  Anfangs  Juli  werden  alle  Wunden  reiner,  die 
jauchige  Eiterung  wird  besser  und  geringer.  Eine  rasche  Ausfüllung  mit 
Granulationen  und  Vernarbung  folgt.  Ende  Juli  entleert  sich  aus  der 
wiederaufbrechenden  Schussöffnung  ein  kleines  nekrotisches  Knochenstück. 
Am  10.  August  wurde  der  Knanke  nach  Rehme  geschickt.  Er  kam  dort 
schwach  und  anämisch  an.  Die  Arm-  und  Handmuskeln  fast  vollständig 
atrophirt,  die  Hand  ödematös,  das  Handgelenk  ankylotisch,  alle  Finger 
versteift.  Nach  40  Bädern  war  vollständige  Kräftigung  erzielt,  das  Oedem 
der  Hand  geschwunden,  die  Flexionen  der  Finger  fast  normal.  Nur  das 
Handgelenk  blieb  steif. 

Die  Verletzung  hat  offenbar  im  Anfange  als  bedeutende  nicht 
imponirt.  Der  Fall  zeigt,  dass  auch  das  Handgelenk  auf  geringe 
Verletzungen  seinen  grösseren  Genossen  ziemlich  ebenbürtig  reagirt. 
In  den  übrigen  8  Fällen  war  die  Mitläsion  der  Knochen  unzweifel- 
haft, jedoch  sehr  verschiedenen  Grades.  Ich  lasse  sie  eine  kurze 
Revue  passiren. 


220 


Fall  144.  Gewehrschuss  durch  das  Handgelenk.  Sehr  milder 
Verlauf.  Heilung  mit  Ankylose.  —  Füsilier  August  Madel  vom 
60.  I.-R.  wurde  am  18.  Februar  am  rechten  Handgelenk  verwundet.  Die 
Kugel  hatte  das  Gelenk  schräg  von  der  Ulnarseite  der  Rückenfläche  nach 
der  Radialseite  der  Vola  durchsetzt,  die  Epiphysen  des  Unterarmes  nicht 
verletzt,  die  Handwurzelknochen  wenigstens  nicht  comminutiv  fracturirt. 
Rasche  und  starke  Schwellung  trat  ein,  wurde  aber  durch  Eis  bei  ruhiger 
Lagerung  glücklich  bekämpft.  Im  permanenten  Wasserbade,  welches 
später  mehre  Wochen  hindurch  benutzt  wurde,  verlief  die  Ausheilung 
ohne  Störung.  Ende  März  Vernarbung  vollendet.  Das  Handgelenk  anky- 
losirte. 

Fall  145»  Gewehrschuss  durch  das  Handgelenk  mit  Abspren- 
gung  der  Proc.  styloidei.  Milder  Verlauf.  Heilung  mit  Anky- 
lose. _  Musketier  Bernhard  Plenter  vom  53.  I.-R.  erhielt  am  18.  April 
eine  Kugel,  welche  das  Handgelenk  quer  von  der  Ulnar-  nach  der  Radial- 
seite durchschlug,  die  Arterien  nicht  verletzte,  die  Proc.  styloid.  absprengte, 
die  Handwurzelknochen  streifte.  In  Stenderup  (1.  F.-L.  6.  Div.)  wurde 
sofort  das  permanente  Wasserbad  angewandt  und  —  vom  29.  April  ab  in 
Baurup  —  bis  zum  20.  Mai  consequent  fortgesetzt.  Anfangs  lebhafte 
örtliche  und  allgemeine  Reaction.  Später  profuse  Eiterung.  Am  26.  Mai 
gefensterter  Gypsverband  mit  Freilassung  der  Finger  behufs  passiver  Be- 
wegungen. Die  Ausheilung  war  Mitte  Juni  beendet.  Das  Handgelenk  war 
vernichtet. 

Trotz  anfänglich  lebhafter  Reaction  verliefen  diese  durchdrin- 
genden Gelenkschüsse  ohne  Eitersackungen  im  permanenten  Wasser- 
bade sehr  günstig.  Ist  die  Knochenverletzung  bedeutender,  so  ge- 
staltet sich  der  Verlauf  misslicher,  weniger,  wenn  bloss  die  Hand- 
wurzel, mehr,  wenn  zugleich  die  Unterarm-Epiphysen  betheiligt  sind. 

Fall  146.  Gewehrschuss  durch  das  Handgelenk  mit  Splitterung 
der  Handwurzelknochen.  Eitersenkungen.  Heilung  mit  Anky- 
lose. —  Musketier  Karl  Colberg  vom  64.  I.-R.,  am  29.  Juni  verwundet. 
Die  Kugel  hat  von  der  Dorsal-  nach  der  Volarseite  gerade  durchgeschlagen 
und  die  articulirenden  Handwurzelknochen  gesplittert.  Einige  ganz  gelöste 
Splitter  werden  sofort  extrahirt.  Die  lebhafte  Reaction  wird  durch  Eis 
gezügelt.  Dennoch  entstehen  bald  Eitersenkungen  nach  dem  Unterarme,  welche 
wiederholt  Einschnitte  erfordern.  Von  Zeit  zu  Zeit  Entfernung  von  Knochen- 
fragmenten. Erst  Ende  August  beginnt  der  Vernarbungsprocess.  Auch 
im  September  wiederholt  sich  jedoch  noch  öfters  die  Ausstossung  kleiner 
Sequester,  jedes  Mal  unter  erneuter  Schwellung  der  Gelenkgegend.  Beim 
Eintreffen  in  Berlin  am  19.  October  bestand  nur  noch  eine  kleine  eiternde 
Stelle  an  der  Volarseite  bei  vollständiger  Ankylose  des  Handgelenks. 

Fall  147.  Gewehrschuss  durch  das  Handgelenk  mit  Fractur  der 
Epiphysen  der  Unterarmknochen.  Eitersenkungen  nach  allen 
Richtungen.   Heilung  mit  Ankylose.  —  Larsen  Andresen  vom 


221 


2.  dän.  I.-R.  wurde  am  18.  April  verwundet.  Der  Schuss  geht  quer  von  aussen 
nach  innen  -durch  mit  Zerschmetterung  der  Epiphysen  des  Radius  und  der 
Ulna.  Heftige  und  schmerzhafte  Reaction.  EisbehandluDg  in  Flensburg  bis 
zum  10.  Mai.  Massige  Eiterung.  Dessenungeachtet  und  trotz  prolongirter 
Wasserbäder  entstehen  Eitersenkungen  nach  allen  Seiten,  so  dass  nach 
und  nach  6  Incisionen  erforderlich  werden.  Im  Juni  neue  Infiltrationen 
am  Unterarm,  welche  mit  Breiumschlägen  und  Incisionen  bekämpft  werden. 
Ende  August  war  die  Ausheilung  so  vorgeschritten,  dass  A.  mit  völliger 
Ankylose  des  Gelenkes  heimgesandt  werden  konnte. 

Von  allen  Verletzungen  des  Handgelenkes,  bei  denen  das  Con- 
serviren  gelungen  ist,  war  die  folgende  die  bedeutendste. 
Fall  148.  Granatsplitter  -  Schuss  durch  das  Handgelenk.  Hei- 
lung. —  Musketier  Michael  Kannchen  vom  18.  I.-R.  wurde  am  28.  März 
bei  Düppel  verwundet  und  in  Rinkenis  (3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Sect. 
Weise)  aufgenommen.  Der  Granatsplitter  hat  das  rechte  Handgelenk  an 
der  Dorsalseite  getroffen  und  ist  zwischen  den  Epiphysen  der  Unterarm- 
knochen gerade  durchschlagend  an  der  Volarseite  ausgetreten.  Die  Weich- 
theile  sind  namentlich  an  letzterer  umfänglich  zerrissen.  Zersplitterung 
der  Epiphysen  des  Radius  und  der  Ulna,  Absplitterung  der  Carpusknochen. 
Bewegung  der  Finger  wegen  Verletzung  der  Beugesehnen  aufgehoben.  Da 
jedoch  weder  die  Art.  radialis  noch  die  ulnaris  verletzt,  auch  die  Sensi- 
bilität der  Finger  erhalten  war,  so  stand  man  ab  von  der  Amputation  und 
legte  die  Hand  sofort  in  das  permanente  Wasserbad,  welches  jedoch, 
weil  die  Weichtheile  durch  Wasser-Imbibition  stark  aufquollen,  vom  3.  April 
ab  auf  die  tägliche  Dauer  von  3  Stunden  beschränkt  und  für  die  übrige 
Zeit  durch  Chamillenfomente  ersetzt  wurde.  Schwellung  und  Schmerzen 
waren  Anfangs  sehr  heftig.  Während  der  starken  Eiterung  wurden  viele 
Knochensplitter  allmählig  entfernt,  und  von  den  zerquetschten  Weich- 
theilen  wurde  soviel  abgestossen,  dass  die  Wunde  ein  grosses  Loch  durch 
das  Handgelenk  darstellte,  in  welchem  die  Carpal- Gelenkfläche  fast  ganz 
blosslag.  In  der  zweiten  Hälfte  des  April  und  im  Mai  Eitersackungen 
in  der  Vola  wie  am  Handrücken  und  fortdauernde  Elimination  kleiner 
Knochenstücke,  besonders  von  den  Carpalknochen.  Dabei  ziemlich  rasche 
Ausfüllung  des  Wundloches  mit  Granulationen.  Iu  Glücksburg,  wohin 
die  Evacuation  am  7.  Juni  erfolgte,  fand  man  bei  der  Aufnahme  beide 
Wundöffnungen  bereits  bis  auf  kleine  Fistelgänge  vernarbt.  Die  Sonde  gelangt 
auf  nekrotischen  Knochen.  Ein  Stückchen  wird  extrahirt.  Die  Finger 
können  ein  wenig  flectirt  und  extendirt,  etwas  besser  seitlich  bewegt  wer- 
den. Die  hydropathisch  umhüllte  Hand  in  einer  Drahtrinne  tragend,  be- 
wegt sich  Patient  im  Freien.  Wiederholt  kommen  noch  kleine  Sequester 
zu  Tage.  Als  K.  Ende  Juli  nach  Teplitz  geschickt  wurde,  konnte  die 
Sonde  durch  den  Fistelgang  noch  ganz  durch  das  verödete  Gelenk  hin- 
durch geführt  werden,  ohne  indess  auf  Knochen  zu  treffen.  Die  definitive 
Vernarbung,  selbstverständlich  mit  völliger  Ankylose,  erfolgte  auch  erst 
Ende  October. 


222 


Das  Interessante  an  diesem  Falle  ist  weniger  die  glückliche 
Richtung,  in  welcher  der  Granatsplitter  das  Handgelenk  durchschlug, 
und  welche  das  Unversehrtbleiben  der  Arterien  ermöglichte,  als 
vielmehr  der  günstige  Einfluss,  welchen  weite  Eröffnung  des 
Gelenkes  auf  den  Verlauf  der  Gelenkwunden  zu  üben  pflegt.  Da 
Gewehrkugeln  eine  solche  in  der  Regel  nicht  bewirken,  so  sind  die 
durch  solche  gemachten  Gelenkverletzungen  ceteris  paribus  gefähr- 
licher. 

Fall  149.  Gewehrschuss  durch  Handgelenk  und  Vorderarni- 
knochen.  Tod  durch  Pyämie  (Thrombose).  —  Musk.  Hugo  See- 
feld vom  64.  Inf.-Reg.  wurde  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet  und  in 
das  Lazareth  zu  Oster-Satrup  (1.  schw.  F.-L.  3.  A.-C;  St.-A.  Dr.  Lücke) 
aufgenommen.  Die  Kugel,  an  dem  ülnarrande  des  linken  Carpus  ohne  dort 
nachweisliche  Knochenverletzung  eingetreten,  schien  über  dem  Handgelenk 
ohne  Verletzung  desselben  fortgegangen  zu  sein  und  war  etwa  2  Zoll  über 
dem  Gelenk  mit  Zerschmetterung  des  Radius  ausgetreten.  Thalergrosse 
Austrittsöffnung.  Alsbald  stellte  sich  heftiger  Schmerz  und  starke  Erre- 
gung ein.  Am  30.  Juni  Gypsverband  mit  grossem  seitlichem  Fenster; 
Bis.  Schon  am  2.  Juli  musste  der  Verband  abgenommen  werden,  weil  er 
durch  die  starke  Jauchung  erweicht  war.  Da  sich  ein  bis  zum  Oberarm 
reichendes  Erythem  vorfand,  so  wurde  ein  Watteverband  mit  Schienen 
angelegt,  am  7.  Juli  jedoch,  da  das  Erythem  abgenommen  hatte,  ein  neuer 
Gypsverband.  Der  Arm  schwillt  ab,  die  Wunden  reinigen  sich.  Patient 
ist  sehr  reizbar,  verstimmt,  hartnäckig  obstruirt.  Am  18.  Juli  trat  ein 
Schüttelfrost  ein.  Nach  Abnahme  des  Verbandes  zeigt  sich  eine  Abs- 
cedirung  auf  dem  Handrücken.  Incision.  Das  Handgelenk  scheint  ganz 
frei.  Den  19.  Juli  Unterminirung  auf  der  Streckseite  des  Vorderarmes. 
Incision.  22.  Juli  Schüttelfrost.  Eine  am  23.  Juli  in  der  Chloroform- 
narkose angestellte  Untersuchung  ergiebt:  Comminutivsplitterung  des 
unteren  Radiusstückes,  Eröffnung  des  Handgelenkes  und  Zer- 
malmung der  Hand wurzelknochen.  Die  Ulna  scheint  bis  auf  den 
Proc.  styl,  intact.  In  der  Gegend  desselben  ein  Abscess,  welcher  eröffnet 
wird.  Das  Glied  wird  nun  tagüber  in  das  Wasserbad  gelegt.  Lebhafte 
Fieberung.  Schüttelfrost  am  25.  Juli.  An  der  Ulnarseite  schmerzhafte 
und  geröthete  Schwellung.  26.  Juli  Nachts  Schüttelfrost.  In  der  Chlo- 
roformnarkose wird  ein  Abscess  an  der  Ulnarseite,  2  Zoll  unter  dem  Ole- 
cranon,  geöffnet  und  aus  demselben  ein  Kugelfragment  entnommen.  Am 
28.  Juli  häufige  Anfälle  trocknen  Hustens.  Gelber  Belag  der  Schussaus- 
gangsöffnung.  Schwellung  am  Oberarm.  Kurz  nach  Erneuerung  des  Ver- 
bandes Schüttelfrost.  Ebenso  am  29.  Juli.  Am  30.  Juli  leichte  Delirien. 
Quälender  Husten.  Eiterung  gering,  doch  qualitativ  gut.  Am  31.  Juli 
starke  Athemnoth  und  Tod. 

Section:  Ausser  den  am  23.  Juli  constatirten  Knochenverletzungen 
findet  sich  noch  eine  Fractur  derUlna  2—3  Zoll  über  dem  Handgelenk. 
Die  Vena  basilica  ist  mit  Thromben  in  eitrigem  Zerfalle  gefüllt.  Im  Herzen 


223 

reichliche  feste  Gerinnsel;  eitriges  Exsudat  im  rechten  Brustfellsack,  links 
spärliche  frische  Adhäsionen.  Beide  Lungen  mit  meist  eitrig  zerfallenen 
Infarcten  bis  zur  Wallnussgrösse  durchsetzt.  In  der  rechten  Lunge  Oedem, 
die  linke  fast  durchweg  hepatisirt.  Leber  und  Nieren  gesund;  Milz  etwas 
vergrössert. 

Dieser  Fall  repräsentirt  auf's  Reinste  die  thrombotische 
Form  der  sogenannten  Pyämie.  Deshalb  habe  ich  ihn  so 
ausführlich  mitgetheilt.  Er  ist  um  so  interessanter,  weil  er  in 
einem  von  Hospital -Pyämie  ganz  freien  Lazarethe  vorkam.  Der 
Einfluss,  welchen  die  anfängliche  und  durch  die  auffallend  geringe 
Reaction  Seitens  des  Handgelenkes  bedingte  Unterschätzung  der 
Tragweite  der  Verletzung  auf  den  Verlauf  geübt  hat,  bedarf  keiner 
Erörterung.  Wichtiger  ist  die  Frage,  ob  diese  Verletzung,  wenn 
ihre  wirkliche  Breite  sofort  erkennbar  gewesen  wäre,  die  Conser- 
vativkur  gestattet  hätte.  Man  muss ,  glaube  ich ,  diese  Frage  be- 
jahen. Bei  einfacher  Lagerung  und  Fixirung  des  Gliedes  auf  einer 
Schiene  ohne  Contentivverband,  bei  frühzeitiger  Benutzung  des  per- 
manenten resp.  prolongirten,  anfangs  kalten,  später  warmen  Wasser- 
bades, bei  zeitiger  Eröffnung  aller  sich  etwa  bildenden  Eitersackungen, 
ganz  besonders  der  im  Handgelenke  selbst,  dürfte  es  gelingen,  auch 
solche  Fälle  zur  Heilung  zu  bringen,  wenn  man  über  gute  Pflege- 
stätten disponirt.  Der  Versuch  der  Conservativkur  ist  um  so  ge- 
rechtfertigter, wenn  bei  der  ursprünglichen  Intactheit  der  Finger- 
Sehnen  trotz  der  Ankylose  des  Handgelenkes  eine  grosse  Brauch- 
barkeit der  Hand  in  Aussicht  steht. 

Nach  Stromeyer  ist  die  Amputation  indicirt  bei  Schüssen 
durch  das  Handgelenk  in  einer  seiner  grösseren  Dimensionen,  — 
„besonders"  wenn  die  Gewissheit  vorliegt,  dass  die  Arteria  radialis 
oder  ulnaris  dabei  zerrissen  worden  ist  (Maximen,  S.  248).  Man 
kann  heute,  glaube  ich,  so  weit  gehen,  zu  sagen,  auch  bei  Gewehr- 
schüssen durch  das  Handgelenk  in  einer  seiner  grösseren  Dimen- 
sionen sei  die  Amputation  nicht  indicirt,  wTofern  nicht  die  Gewiss- 
heit vorliegt,  dass  beide  Arterien  zerrissen  sind. 

Um  den  Erfolg  der  Conservativkur  in  so  bedeutenden  Ver- 
letzungen des  Handgelenkes  zu  sichern,  scheint  ganz  besonders  die 
frühzeitige  Anwendung  des  prolongirten  Wasserbades 
von  einer  dem  Stadium  des  Wundverlaufes  entsprechenden  Tempe- 
ratur beachtenswerth.  Es  hat  bei  dem  Handgelenke  keine  Schwierig- 

Loeffler,  Generalbericht.  15 


224 


keit,  zugleich  den  erforderlichen  Grad  von  Fixirung  durch  entspre- 
chende Lagerung  zu  erzielen. 

Die  vorbeugende  Behandlung  der  schweren  Glieder -Schüsse 
durch  Blutentziehungen  hat  trotz  der  ihr  von  Stromeyer 
gewordenen  Empfehlung  unter  den  jüngeren  Feldärzten  keine  An- 
hänger gefunden.  Um  so  mehr  Freunde  hat  die  prolongirte  Eis- 
behandlung. Mit  Recht.  Ich  glaube  jedoch,  dass  das  prolon- 
girte kalte  resp.  kühle  Wasserbad  auch  bei  anderen  als  den 
Hand -Schüssen  dem  Eise  erfolgreiche  Concurrenz  machen  würde, 
wenn  es  sich  ebenso  leicht  ohne  Beeinträchtigung  anderer  Heil- 
bedingungen —  Ruhe  und  erhöhte  oder  wenigstens  horizontale 
Lage  —  ausführen  liesse. 

Uebrigens  ist  die  leitende  Idee  für  Benutzung  des  Wasserbades 
bei  den  Verletzungen  des  Handgelenkes  nicht  ganz  identisch  mit 
der  bei  Anwendung  der  Eisbeutel.  Letztere  sollen  durch  anhaltende 
Wärmeentziehung  die  entzündliche  Reaction  möglichst  beschränken. 
Derselben  Anforderung  genügt  das  Wasserbad,  wenn  man  demselben 
die  entsprechende  Temperatur  giebt.  Zugleich  aber  bewirkt  es 
dauernd,  was  der  Irrigator  beim  Verbandwechsel  periodisch  thut, 
eine  Spülung  des  Schusskanales  —  wofern  man  die  durch  den 
Schuss  gesetzten  Oeffnungen  desselben  nicht  absperrt  durch  dichte 
Deckverbände,  und  wenn  man  frühzeitig  künstliche  und  hin- 
reichend weite  Oeffnungen  anlegt,  wo  jene  für  den  Spülungs- 
zweck nicht  ausreichen. 

Auch  bei  dem  Handgelenke  gehört  die  Verhütung  der  eitrigen 
Gelenkentzündung  nach  Schussverletzungen  mittelst  frühzeitiger  und 
consequenter  Benutzung  der  Eisbeutel  zu  den  frommen  Wünschen, 
sobald  die  articulirenden  Knochen  mitverletzt  sind.  Man  thut  daher 
besser,  von  vornherein  nicht  darauf  zu  rechnen.  Denn  mit  dem 
Aufgeben  dieser  Hoffnung  tritt  von  selbst  die  Aufgabe,  der  an  die 
Verhaltung  der  Entzündungsproducte  im  Gelenk  sich  knüpfenden 
Gefahr  vorzubeugen,  in  den  Vordergrund.  Der  sub  5  geschilderte 
Fall  ist  in  dieser  Beziehung  sehr  belehrend.  Da  es  Regel  ist,  die 
Hand  in  Pronation  zu  lagern,  so  bildet  eine  weite  Schussöffnung  an 
der  Volarseite  des  Gelenks,  wie  sie  in  diesem  Falle  bestand,  ohne 
Zweifel  die  günstigste  Bedingung  für  den  Abzug  der  Secrete.  Wo 
diese  Bedingung,  sei  es  durch  den  Schuss  selbst  oder  sei  es  durch 
die  Kunst,  nicht  erfüllt  wird,  bedrohen  auch  die  Verletzungen  des 
Handgelenks  mit  geringerer  Knochenläsion   das  Leben  —  trotz 


225 


Eisbeutel,  trotz  des  permanenten  Wasserbades  und  trotz  später 
Einschnitte. 

Fall  150.  Gewehrschuss  durch  das  linke  Handgelen  k.  Tod  durch 
erschöpfende  Verjauchung.  —  Jürgen  Jensen,  Gem.  vom  5.  dän. 
Inf.-Reg.,  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet.  Die  Kugel  ist  am  Daumen- 
ballen ein-,  an  der  Dorsalseite  des  Handgelenkes  ausgetreten.  Die  Epi- 
physen  der  Vorderarmknochen  scheinen  unverletzt.  In  Flensburg  con- 
sequente  Anwendung  der  Eisbeutel  bis  zum  10.  Juli.  Trotzdem  starke 
Schwellung  der  Hand,  besonders  an  der  Dorsalseite.  Am  10.  Juli  warme 
feuchte  Einwickelung.  Am  12.  Juli  Erweiterung  der  Wundöffnung  am  Hand- 
rücken und  Incision  neben  derselben.  Vom  15.  Juli  ab  prolongirte  Wasser- 
bäder. Der  Kranke  fiebert  und  hat  täglich  um  Mittag  Frost.  Am  18.  Juli 
wregen  überall  unterminirter  Haut  an  der  Hand  und  wegen  Infiltration  des 
Vorderarmes  bis  zum  Ellenbogengelenk  mehrere  Incisionen  auf  dem  Hand- 
rücken und  an  der  Volarseite  zwei.  Ueberall  dringt  schmutziger  Eiter  mit 
nekrotischen  Gewebsfetzen  heraus.  Am  24.  Juli  wird  ein  Abscess  am  Cond, 
int.  humeri  eröffnet.  Das  Allgemeinbefinden  verschlechtert  sich  unter  leb- 
hafter Fieberung.  Die  Gegend  des  Schultergelenks  schwillt  und  wird  mit 
Jodtinctur  bepinselt.  Ein  Abscess  am  linken  Sitzknorren  wird  eröffnet. 
Mitte  August  hat  sich  an  der  linken  Schulter  deutliche  Fluctuation  ent- 
wickelt. Aus  der  am  hinteren  Rande  des  Acromion  gemachten  Incision 
ergiesst  sich  eine  colossale  Menge  von  Jauche.  Die  Haut  ist  nach  allen 
Seiten  weithin  unterminirt.  Durch  die  Incisionsöffnung  gelangt  der  Finger 
in  das  geöffnete  Schultergelenk  bis  zu  dem  noch  glatten  Oberarmkopfe. 
Fortgesetzt  starke  Jauchung,  profuse  Schweisse,  kleiner  Puls  von  120  bis 
140  Schlägen,  äusserste  Erschöpfung.  Nachdem  am  26.  und  27.  August 
noch  Blutung  aus  dem  Schulter-Abscess  eingetreten,  Tod  den  27.  August. 

Bei  der  Section  wurde  ausser  den  nach  Obigem  zu  erwartenden  Zer- 
störungen durch  Verjauchung  eine  ebensolche  in  der  linken  Hinterbacke, 
doch  ohne  Betheiligung  des  Hüftgelenkes,  gefunden.  Die  Kugel  hat  Hand- 
wurzel und  Handgelenk  schräg  vom  hinteren  Ende  des  Metacarpal-Knochens 
des  Daumens  nach  der  Epiphyse  der  Ulna  zu  durchsetzt  und  den  Proc. 
styl,  der  letzteren  abgesprengt.  Die  Lungen,  Herz,  Nieren,  Milz  höchst 
anämisch,  aber  sonst  nicht  krankhaft  verändert. 

Fall  151.  Schuss  in  die  Handwurzel.  Heftige  Phlegmone.  Blu- 
tungen. Amputation  des  Oberarmes.  Tod  durch  Pyämie.  —  Fü- 
silier Martin  Stüler  vom  (>4.  Inf.-Reg.  wurde  am  29.  Juni  von  einer 
Spitzkugel  an  der  linken  Hand  verwundet.  Die  Kugel  durchschlug  zuerst 
den  Ringfinger  und  drang  dann  an  der  Volarseite  der  Handwurzel  am 
oberen  Ende  der  Daumenballenfalte  ein.  Ausgangsöffnung  fehlt.  Die 
zwischen  den  zertrümmerten  Handwurzelknochen  eingeklemmte  Kugel  wurde 
von  der  Schussöffnung  aus  extrahirt.  Der  Finger  gelangt  in  das  eröffnete 
Handgelenk.  In  Glücksburg  wurde  die  Eisblase  aufgelegt.  Trotzdem  stei- 
gende Schwellung  der  Hand  und  des  Vorderarmes.  Wasserbad.  Die  ent- 
zündliche Infiltration  wird  so  stark,  dass  am  Handrücken,  am  Unterarm 

15* 


226 


und  am  Ellenbogen  einzelne  Hautstellen  gangränesciren.  Incisionen.  Wie- 
derholte Blutungen  bestimmen  am  20.  Juli  zur  Amputation  des  Oberarmes. 
Es  folgt  starke  Brustbeklemmung  bei  kleinem  sehr  frequenten  Pulse  und 
am  21.  Juli  der  Tod.  Bei  der  Section  findet  sich  völlige  Verjauchung  des 
Handgelenkes,  seiner  Umgebung  und  weit  hinauf  am  Unterarm  längs  des 
Lig.  interosseum.    Zerstreute  kleine  Abscesse  in  den  Lungen. 

Die  primäre  Amputation  des  Unterarmes  ist  an  und  für  sich 
eine  das  Leben  so  wenig  bedrohende  Operation,  und  die  Lebens- 
erhaltung steht  ohne  Frage  so  viel  höher  als  die  Gliederhaltung, 
dass  Fälle  wie  die  zuletzt  erwähnten  eine  Concession  auf  Kosten 
der  Couservativkur  zu  reclamiren  scheinen,  wofern  letztere  ausser 
Stande  sein  sollte,  ihre  Wirksamkeit  zu  steigern.  Die  frühzeitige 
und  weite  künstliche  Eröffnung  des  Gelenkes  ist  bereits 
oben  als  ein  Mittel  zu  dem  Zwecke  erwähnt.  Sie  ist  um  so  nöthi- 
ger,  je  weniger  durch  Lage  und  Weite  der  Schussöffnungen  der 
freie  Abzug  der  Secrete  gesichert  ist,  am  nöthigsten  bei  den  blinden 
Schusskanälen. 

Die  methodische  Rese  ction  des  Handgelenkes  ist  für  die 
deutsche  Kriegschirurgie  noch  eine  Zukunftsoperation.  Vielleicht 
werden  die  Erfolge,  welche  neuerdings  von  Li  st  er  mittelst  der- 
selben im  Frieden  erzielt  sind,  ihr  die  Pforte  zur  Kriegsklinik  öffnen 
helfen.  Der  officielle  Rapport  über  den  amerikanischen  Unionskrieg 
führt  34  „Resectionen  des  Handgelenkes".  Aber  aus  der  Erläute- 
rung ergiebt  sich,  dass  diese  Bezeichnung  sehr  weitsinnig  gebraucht 
ist,  indem  man  auch  Fälle  dahin  gerechnet  hat,  in  denen  die  Ope- 
ration sich  auf  Extraction  von  Knochentrümmern  beschränkte.  Die 
definitiven  Resultate,  namentlich  in  Betreff  der  Brauchbarkeit  der 
Hand,  waren  zur  Zeit,  als  der  Rapport  erschien,  noch  nicht  consta- 
tirt.  Der  Tod  erfolgte  in  zwei  Fällen  durch  Erschöpfung,  in  einem 
durch  Pyämie.  Zweimal  musste  nachträglich  der  Vorderarm  ampu- 
tirt  werden. 

F.  2.    Schuss Verletzungen  des  Ellenbogengelenks. 

Abgesehen  von  den  „Abreissungen  und  Zermalmungen"  des 
Ober-  und  Unterarmes,  an  denen  auch  das  Ellenbogengelenk  einige 
Mal  betheiligt  war,  und  über  welche  schon  berichtet  ist,  führt  Ta- 
belle IX  (s.  S.  137)  18  Fälle  von  Ellenbogengelenk  -  Verletzung 
preussischer  Seits.  Sie  repräsentiren  c.  3  pCt.  der  Arm -Schüsse 
überhaupt.    Von  letzteren  betrafen  ungefähr  30  die  Gegend  des 


?27 


Ellenbogengelenks.  Die  Schüsse  dieser  Gegend  verletzen  also  in 
überwiegender  Zahl  das  Gelenk  selbst  (60  pCt.). 

Das  dänische  Contingent  zu  dieser  Verletzungsgruppe  umfasst 
nach  Tabelle  IX  29  Fälle.  Es  kamen  jedoch  ausserdem  3  vor,  in 
welchen  die  Schussverletzung  des  Ellenbogengelenks  neben  einer 
anderen  von  an  sich  grösserer  Bedeutung  bestand,  und  welche  des- 
halb statistisch  in  anderen  Gruppen  gezählt  werden.  Einmal  be- 
stand neben  der  Gelenkverletzung  ein  schwerer  und  tödtlich  ver- 
laufener Brustschuss,  zweimal  Schultergelenk-Schuss  dersel- 
ben Seite. 

Die  Diagnose  der  Mitverletzung  des  Ellenbogengelenkes  ist  bei 
den  Schüssen  dieser  Gegend  in  der  Regel  nicht  schwer,  da  nur  bei 
ungewöhnlicher  Länge  des  Schusskanales  der  untersuchende  Finger 
nicht  bis  zu  demselben  gelangt.  Mitunter  freilich  lagen  die  Mün- 
dungen eines  blossen  Weichtheilschusses  so,  dass  das  Unversehrt- 
bleiben des  Gelenkes  nur  erklärlich  wurde  durch  die  Haltung,  welche 
das  Glied  im  Momente  der  Verletzung  hatte.  Wenn,  wie  es  bei 
derartigen  Schüssen  wiederholt  vorkam,  die  ganze  Gelenkgegend  an 
der  reactiven  Schwellung  sich  betheiligt,  so  lässt  sich  bisweilen  die 
Annahme  einer  Contusion  oder  oberflächlichen  Streifung  der  Kapsel 
nicht  von  der  Hand  weisen.  Allein  eine  unzweifelhafte  directe 
Kapselverletzung  ohne  Knochenläsion  ist  in  keinem  Falle 
constatirt  worden.  Wohl  aber  befindet  sich  unter  den  fraglichen 
47  resp.  50  Fällen  einer,  in  welchem  die  Kapsel  durch  das  Ge- 
schoss,  wenn  auch  nicht  beim  Eindringen,  so  doch  bei  der  Ex- 
traction  beschädigt  wurde 

Fall  152.  Schuss  in  das  obere  Ende  des  Unterarmes.  Extrac- 
tion  des  Geschosses  zwei  Monate  später.  Eitrige  Entzündung 
des  Ellenbogengelenkes.  Gelenkresection.  Heilung.  —  Gefr. 
Karl  Schmidt  vom  64.  Inf.-Reg.,  am  17.  März  bei  Düppel  verwundet  und 
in  Broacker  (J.  F.-L.  d.  Cav.-Div.)  aufgenommen.  Eine  Schussöffnung 
an  der  Beugeseite  des  linken  Unterarmes  c.  1"  unter  der  Ellenbogenbeuge. 
Flexion,  Extension,  Pro-  und  Supinatiou  unbehindert.  Das  Geschoss  ist 
nicht  zu  entdecken.  In  Flensburg,  wohin  die  Evacuation  am  26.  März 
geschah,  findet  man  jene  Bewegungen  gleichfalls  frei,  doch  nicht  ganz 
schmerzlos.  Der  untersuchende  Finger  trifft  nirgends  auf  verletzten  Knochen 
oder  Fremdkörper,  aber  die  Sonde  dringt  so  tief  ein,  dass  nicht  anzunehmen 
ist,  das  Projectil  sei  herausgefallen.  Gypsverband  bei  rechtwinkliger  Beu- 
gung des  Gliedes;  permanentes  Wasserbad.  Am  4.  April  Abnahme  des 
Verbandes;  die  erneute  Untersuchung  bleibt  hinsichtlich  des  Geschosses 
ohne  Resultat.    Der  örtliche  wie  der  allgemeine  Zustand  ist  so  gut,  dass 


228 


ohne  festeren  Verband  bloss  Wasserbäder  ausreichend  erscheinen.  Am 
21.  April,  nachdem  Patient  längst  das  Bett  verlassen  hatte,  entsteht  unter 
Fieberbewegungen  Röthung  der  Wundumgegend  und  eine  Phlegmone  an  der 
Streckseite.  Nachdem  letztere  incidirt  ist,  kehrt  das  frühere  Wohlbefinden 
zurück.  Die  Forschungen  nach  der  Kugel  in  dem  gut  eiternden  Schuss- 
kanale  bleiben  erfolglos  wie  die  früheren.  Erst  am  18.  Mai  gelingt  es  in 
der  Chloroformnarkose,  mittelst  des  kleinen  Fingers  in  der  Tiefe  zwischen 
beiden  Unterarmknochen  eine  harte,  scharfe  und  etwas  bewegliche  Spitze 
zu  entdecken.  Mittelst  einiger  Gewalt  wird  eine  grosse,  plattgedrückte  und 
zackige  Bleikugel  extrahirt.  Alsbald  folgt  schmerzhafte  Schwellung  des 
Ellenbogengelenkes  und  Fieber.  Trotz  Eis  und  trotz  wiederholter  Appli- 
cation von  Blutegeln  entwickelt  sich  die  Gelenkentzündung  von  Tag  zu  Tag 
stärker  neben  reichlicher  Absonderung  dünnen  Eiters  aus  dem  Schusska- 
nale.  Ende  Mai  lässt  der  durch  Druck  neben  dem  Olecranon  stärker  wer- 
dende Abfluss  keinen  Zweifel,  dass  das  Gelenk  mit  Eiter  gefüllt  ist.  Des- 
halb wird  am  2.  Juni  die  Resection  mittelst  Längsschnitt  am  inneren  Rande 
des  Olecranon  ausgeführt.  (St.-A.  Dr.  Hahn.)  Alle  drei  Epiphysen  wer- 
den abgetragen,  weil  ihre  Knorpelbezüge  grösstenteils  zerstört  sind.  La- 
gerung auf  der  Esmarch' sehen  Schiene.  Schnelle  Besserung  des  Allge- 
meinbefindens. Aber  von  Mitte  Juni  ab  —  trotz  Lagerung  im  Zelt  — 
lebhaftes  Fieber  mit  periodischen  Schweissen,  profuse  Eiterung,  Eiter- 
sackungen,  welche  Incisionen  erheischen.  Am  26.  Juni  wird  das  nekroti- 
sirte  Sägeende  des  Humerus  (f")  von  der  dilatirten  Operationswunde  aus 
abgesägt.  Erst  nach  wiederholter  Ablösung  kleiner  Knochenfragmente  bes- 
sert sich  das  bedenklich  gestörte  Allgemeinbefinden.  Am  12.  Juli  Ery- 
sipel, welches  sich  über  den  ganzen  Arm  verbreitet.  Wiederholung  des- 
selben am  1.  August.  Erst  nach  Ablauf  desselben  schreitet  die  Ansheilung 
rasch  und  ungestört  vor.   Am  18.  October  völlige  Vernarbung. 

Ueber  das  21  Monate  nach  der  Operation  constatirte  defini- 
tive Resultat  werde  ich  weiter  unten  bei  Besprechung  der  Re- 
sectionsresultate  überhaupt  berichten.  Dass  die  Kapselverletzung, 
um  welche  es  sich  in  diesem  Falle  handelt,  bei  der  Extraction  des 
zackigen,  wahrscheinlich  durch  Anschlagen  an  einen  festen  Körper 
schon  vor  dem  Eindringen  deformirten  Geschosses  geschah,  unter- 
liegt keinem  Zweifel. 

In  allen  übrigen  Fällen  handelte  es  sich,  wie  gesagt,  um  gleich- 
zeitige Knochenverletzungen.  Darunter  befanden  sich  mehre  Schuss- 
fracturen  in  der  Nähe  des  Gelenkes,  an  welchen  letzteres  durch  bis 
in  dasselbe  reichende  Fissuren  betheiligt  war.  Die  Existenz  der- 
selben wurde  bisweilen  erst  durch  die  nachfolgende  Gelenkentzün- 
dung offenbar. 

Aus  der  folgenden  Tabelle  wird  ersichtlich  der 


229 


Verlauf  der  Ellenbogengelenk-Schüsse 
nach  Nationalität  und  Kurart. 


Tabelle  XV. 


Nationa- 
lität 

Zahl  der  Verw. 

Kurart 

Summa 

Bemerkungen 

amputirt 
ohne  vor- 
herige Re- 
section 

resecirt 

nicht 
operativ 
behandelt 

der  Geheilten 

der  Gestorb. 

Zah 

CfQ 
CD 
P- 

CD 
CC 

Zahl 

geh. 

(X? 
CD 
C« 

Zahl 

cra 

CD 

er 

CM 

CD 
Cß 

Preussen 
Dänen 

18 
29 

4 

2 

2 

18 

22 

13 

152) 

»., 
7 

3 

1 

2 

13 
18 

5 
11 

')  davon  1  nach- 
träglich amputirt. 

2)  davon  1  nach- 
träglich amputirt. 

Summa 

47 

4 

2 

2  |  40 

28 

12 

3 

1 

2 

31 

16 

Hiernach  sind  34  pCt.  der  Ellenbogengelenkschüsse  tödtlich 
verlaufen.  Man  findet  jedoch  eine  erhebliche  Differenz  zwischen 
den  beiden  Nationalitäten.  Die  Mortalität  stellt  sich  preussischer 
Seits  auf  c.  28  pCt.,  dänischer  Seits  auf  c.  38  pCt.  In  wie  weit 
hierauf,  die  in  der  Tabelle  scharf  ausgeprägte  Differenz  der  Kurart 
von  Einfluss  war,  wird  sich  aus  dem  Folgenden  ergeben. 

Die  Diagnose  „Ellenbogen gelenk=Schuss"  hat  für  den  Feldarzt 
schon  lange  nicht  mehr  die  Bedeutung  eines  an  und  für  sich  aus- 
reichenden Motives  zum  Gebrauche  des  Amputationsmessers.  Die 
Wissenschaft  ist  vielmehr  berechtigt,  nach  den  besonderen  Gründen 
zu  fragen,  wo  die  Conservativkur  unversucht  blieb.  Dies  gilt  für 
die  vier  Fälle,  welche  in  der  Tabelle  unter  dem  Rubrum  „amputirt 
ohne  vorherige  Resection"  stehen. 

Fall  153.  Schussfractur  des  Ellenbogengelenks  durch  Lang- 
blei. Verweigerung  der  Resection  Seitens  des  Verwundeten. 
Amputation  des  Oberarmes.  Heilung.  —  Jens  Steffensen  vom 
9.  dän.  Inf.-Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Langbleischuss  durch  das 
rechte  Ellenbogengelenk.  Die  Gelenkenden  waren  derartig  zertrümmert, 
dass  man  im  Lazarethe  zu  W.-Schnabeck  (1.  F.  L.  13.  Div.)  am  19.  April 
das  Gelenk  reseciren  wollte.  Der  Verwundete  weigerte  sich  indess,  weil 
er  augenblicklich  wenig  Beschwerden  von  der  Verletzung  hatte.  Trotz  der 
nun  eingeleiteten  Eisbehandlung  entwickelte  sich  die  eitrige  Gelenkent- 
zündung so,  dass  am  28.  April  bereits  das  ganze  untere  Drittheil  des  Ober- 
armes  eitrig  infiltrirt  war.  Fieber  und  Schmerzen  bestimmten  den  Patienten 
nun,  in  die  Amputation  zu  willigen.    (Chefarzt  Dr.  Geisler.)  Die  Opera- 


230 


tionswunde  war  Mitte  Juni  vernarbt.    Die  Rückkehr  in  die  Heimath  ver- 
zögerte sich  jedoch  bis  zum  5.  September  durch  den  Aufenthalt  in  Kiel 
behufs  des  Empfanges  eines  künstlichen  Ersatzes. 
In  dem  folgenden  Falle  wurde  die  Amputation  ärztlicher  Seits 
für  nöthig  gehalten  wegen  zu  weit  ausgedehnter  Splitte- 
rung des  Humerus-Sch aftes. 

Fall  154.  Peter  Andersen  vom  18.  dän.  Inf.-Reg.  wurde  am  29.  Juni  auf 
Alsen  verwundet  und  im  Lazareth  Sonderburg  aufgenommen.  Durch 
Langblei  war  das  untere  Ende  des  rechten  Humerus  zerschmettert.  Die 
Splitterung  ging  bis  in  das  Ellenbogengelenk  und  über  das  untere  Drit- 
theil hinaus  nach  oben.  Am  30.  Juni  amputirte  Chefarzt  Dr.  Taubner 
im  oberen  Drittheil  mittelst  Cirkelschnitt.  Am  4.  September  kehrte  der 
Operirte  geheilt  heim. 

Die  Splitterungen  und  Spaltungen  der  Knochen  sind,  besonders 
nach  Langbleischüssen,  nicht  selten,  sei  es  am  Resections-  oder  am 
Sectionstische,  viel  bedeutender  gefunden  worden,  als  die  Unter- 
suchung der  frischen  Wunden  glauben  liess.  In  dem  folgenden 
Falle  schritt  man  auf  Grund  der  letzteren  zur  Resection  des  Ellen- 
bogengelenkes,  ging  aber  wegen  der  dabei  sich  herausstellenden 
Ausdehnung  der  Splitterung  zur  Amputation  über. 

Fall  155.  Uutercorporal  Sören  Jensen  vom  9.  dän.  I. -R.  erlitt  am 
18.  April  eine  Zertrümmerung  des  unteren  Endes  des  rechten  Humerus 
bis  ins  Gelenk  durch  Langblei.  In  Ulderup  (1.  F.-L.  5.  Div.)  schritt  man 
am  19.  April  zur  Resection  des  Gelenkes.  Da  sich  aber  herausstellte,  dass 
mehr  als  4  Zoll  vom  Humerus  hätten  abgetragen  werden  müssen,  ging 
mann  sofort  zur  Amputation  über  (A.  A.  Dr.  Roth  mann).  Die  durch 
Suturen  vereinigte  Wunde  verklebte  rasch  und  vollständig.  Am  24.  April 
trübt  sich  jedoch  das  Allgemeinbefinden.  Unter  immer  steigendem  Fieber 
bilden  sich  schmerzhafte  Schwellungen  des  linken  Hand-  und  Ellenbogen- 
gelenkes, während  der  Stumpf  unverändert  gut  aussieht.  Rapides  Sinken 
der  Kräfte.  Tod  am  4.  Mai.  Bei  der  Section  findet  sich  keine  icterische 
Färbung  der  Haut.  Die  Ränder  der  Amputationswunde  vereinigt.  Nach 
Trennung  derselben  trifft  man  einen  Jaucheheerd  darunter;  in  der  Vena 
brachialis  eitrig  zerfallene  Thromben.  Im  linken  Hand-  und  Ellenbogen- 
gelenk Eiter.    Innere  Organe  normal. 

Für  die  Frage  der  Vereinigung  der  Amputationswunden  durch 
die  blutige  Naht  wie  für  die  Pyämie-Frage  bietet  dieser  Fall  man- 
ches Interesse.  Ich  lasse  dasselbe  vorläufig  unberührt.  Hier  inter- 
essirt  die  Frage,  ob  die  Ausdehnung  der  Splitterung  des  Humerus, 
wie  sie  in  den  beiden  letzten  Fällen  bestand,  ein  zwingender  Grund 
sei,  auf  die  Conservation  des  Gliedes  durch  die  Gelenkresection 
vorweg  zu  verzichten.    Es  ist  gewiss  nicht  möglich,  eine  absolute 


231 


Antwort  darauf  zu  geben.  Aber  es  sind  wenigstens  Fälle  constatirt, 
in  welchen  die  Erhaltung  des  Gliedes  gelungen  ist,  obgleich  4  Zoll 
vom  unteren  Ende  des  Humerus  und  darüber  bei  der  Resection 
weggenommen  wurden.  Nicht  einmal  ein  Schlottergelenk  ist  die 
unbedingte  Folge,  wenn  man  nicht  der  Ansicht  huldigt,  dass  die 
Gelenkresection  jedes  Mal  auch!  in  Betreff  der  Knochenabtragung 
eine  totale  sein  müsse.  Ich  werde  auf  diesen  Punkt  bald  zurück- 
kommen. 

In  dem  vierten  Falle  endlich  gab  die  Complication  der  Gelenk- 
verletzung mit  bedeutender  arterieller  Blutung  Grund  zur  Am- 
putation. 

Fall  156.  Schussfractur  des  Radius  mit  Splitterung  in  das  El- 
lenbogengelenk. Blutung.  Amputation.  Tod  durch  Pyämie.  — 
Martin  Nielsen  vom  17.  dän.  I.-R,,  wurde  am  18.  April  durch  Langblei 
verwundet.  In  Blans  wurde  Zersplitterung  des  oberen  Endes  des  Radius 
mit  Streifung  der  TJlna  constatirt.  Das  Gelenk  schien  nicht  betheiligt. 
In  Baurup,  wohin  die  Evacuation  am  26.  April  erfolgte,  stellte  sich  die 
Gelenkläsion  heraus.  Die  Wunde  jauchte  bei  sehr  getrübtem  Allgemein- 
befinden. Der  schon  beschlossenen  Resection  kam  am  30.  April  eine  starke 
Blutung  aus  der  A.  interossea  zuvor.  Um  den  Verwundeten  bei  seiner 
Schwäche  nicht  der  Gefahr  einer  neuen  Blutung  auszusetzen,  und  da  die 
Infiltration  sich  auch  am  Oberarm  ausdehnte,  wurde  am  8.  Mai  amputirt. 
Schüttelfröste;  häufige  Hustenanfälle.  Tod  am  11.  Mai.  Bei  der  Section 
fand  man  die  Lungen  ödematös  und  mit  Abscessen  verschiedener  Grösse 
durchsäet.    Die  Venen  nicht  verändert. 

Gewiss  war  in  diesem  Falle  bei  dem  Auftreten  der  Blutung  die 
Amputation  angezeigt,  selbst  die  sofortige.  Wenigstens  würde 
die  Unterbindung  der  A.  brachialis,  durch  welche  die  Wiederkehr 
der  Blutung  vielleicht  zu  verhüten  war,  für  die  nachträgliche  Re- 
section auf  Erfolg  kaum  Aussicht  gelassen  haben.  Dies  dürfte  der 
folgende  Fall  lehren,  in  welchem  die  Wegsamkeit  des  Arterien- 
stammes, obschon  nicht  künstlich,  verlegt  wurde. 

Fall  157.  Schussfractur  des  rechten  Ellenbogengelenks.  Re- 
section. Brand  des  Unterarmes.  Tod.  —  Johann  Fries  vom 
9.  dän.  I.-R.,  am  18.  April  verwundet  und  in  Broacker  aufgenommen. 
Das  Projectil  ist  durch  das  Olecranon  ein-  und  nach  Zerschmetterung  der 
Humerus-Epiphyse  an  der  Beugeseite  wieder  ausgetreten.  Wegen  bedeu- 
tender Blutung  musste  wrhrend  des  Transportes  zum  Lazareth  das  Tour- 
niqnet  benutzt  werden.  Der  Arm  steht  im  Ellenbogen  rechtwinklig  ge- 
beugt; der  unverletzte  Radius  ist  zwischen  den  Bruchstücken  des  Humerus 
eingekeilt.  Nachdem  der  Verwundete  von  dem  Eindrucke  des  Blutverlustes 
sich  erholt  hat,  wird  am  20.  April  das  Gelenk  resecirt.    Bald  nach  der 


232 


Operation  wurde  das  Fehlen  des  Radialpulses  entdeckt,  die  Amputation 
jedoch  verschoben  in  der  Hoffnung,  dass  es  sich  nur  um  ein  vorüber- 
gehendes Circulationshinderniss  handele.  Rasch  entwickelte  sich  jedoch 
unter  den  Erscheinungen  des  septischen  Fiebers  Gangrän  des  ganzen 
Unterarms.  Tod  am  22.  April.  Bei  der  Sectio n  fand  sich  die  A.  ulnaris 
hoch  oben  abgerissen,  die  A.  brachialis  an  der  Theilungsstelle  durch  einen 
Thrombus  verstopft. 

Die  Mitverletzung  der  A.  brachialis  selbst  gilt  bei  den 
Schüssen  des  Ellenbogengelenks  als  ausreiches  Motiv  der  sofortigen 
Amputation.  Auch  die  Praxis  von  1864  hat  keinen  Fall  aufzu- 
weisen, in  welchem  bei  dieser  Complication  Leben  und  Glied  er- 
halten wäre.  Fall  157  erneuert  die  Mahnung,  vor  jedem  Ver- 
suche der  Conservativkur  resp.  vor  jeder  Gelenkresec- 
tion  besonders  auf  dieses  Moment  zu  achten,  wenn  auch 
Blutung  augenblicklich  nicht  daran  erinnert. 

Die  Geschichte  der  Conservativkur  der  Ellenbogengelenk- Schüsse 
ist  noch  nicht  alt  genug,  um  für  alle  vorkommenden  Complicationen 
schon  so  bestimmte  Directive  des  Handelns  darzubieten.  Die  Ca- 
suistik  des  Feldzuges  hat  letzteres  in  Frage  gestellt  für  die  Com- 
bination  des  Ellenbogengelenkschusses  mit  Schuss- 
fractur  des  Oberarmes  resp.  mit  Schultergelenkschuss 
an  derselben  Seite. 

In  v.  Langenbeck's  Archiv  für  klinische  Chirurgie  (Band  VI) 
hat  Neudörfer  über  seine  1864  gemachten  Erfahrungen  berichtet. 
Bei  den  Resectionen  hebt  er  namentlich  die  Verwundung  des  öster- 
reichischen Soldaten  Peter  Reinisch  hervor.  Derselbe  wurde 
bei  Oeversee  von  einer  dänischen  Minie-Kugel  getroffen,  während 
er  sein  Gewehr  anschlug.  Sie  drang  am  Tuberc.  majus  des  rechten 
Humerus  ein,  „zerschmetterte  den  Knochen  seiner  ganzen  Länge 
nach "  und  trat  an  zwei  Stellen,  am  Cond.  int.  Humeri  und  an  dem 
fracturirten  Olecranon  aus.  „Der  Humerus  konnte  an  jeder  belie- 
bigen Stelle  geknickt  werden"  und  „stellte  einschliesslich  des  Ellen- 
bogengelenkes einen  mit  Knochentrümmern  gefüllten  Sack  dar". 
Eine  nach  zwei  Schüttelfrösten  wahrgenommene  Pneumonie  steigerte 
die  Gefahr.  Eine  gewichtige  Autorität  rieth,  wie  N.  sagt,  zur  schleu- 
nigen Exarticulatio  humeri,  und  der  Verwundete  selbst  verlangte 
die  Amputation.  Neudörfer  hatte  die  Ueberzeugung,  dass  die 
Schwere  der  Allgemeinerscheinungen  eine  Exarticulation  nicht  ge- 
statte. Er  eröffnete  das  Ellenbogengelenk,  entfernte  mehrere  ganz 
lose  Knochentrümmer,  führte  einen  Sägenschnitt  durch  die  noch  mit 


233 


der  Beinhaut  zusammenhangenden  Epiphysentrümmer,  begrenzte  die 
beiden  Vorderarmknochen  durch  einen  die  obere  Knorpelfläche  des 
Radius  tangirenden  Sägenschnitt,  erweiterte  sodann  die  Eingangs- 
öffnung am  tuberculum  majus  nach  abwärts  und  extrahirte  auch 
hier  mehre  lose  Fragmente.  Der  Operation  folgte  ein  die  ganze 
Extremität  (incl.  Schultergelenk)  einschliessender  gefensterter  Gyps- 
verband.  „Nach  10  Wochen,  sagt  N.,  nachdem  der  Humerus  ganz 
consolidirt  und  der  Substanzverlust  am  Ellenbogengelenke  durch 
Granulationen  ganz  ausgefüllt  war,  musste  ich  1  Zoll  unter  der 
Eingangsnarbe,  am  äusseren  Rande  des  Bicep.s,  sowie  am  unteren 
Drittheile  des  Triceps  eingehen  und  noch  8  zollgrosse  Knochen- 
fragmente entfernen.  Der  Kranke  ist  nun  bis  auf  zwei  Fisteln  voll- 
kommen geheilt,  der  Oberarm  kaum  dicker,  vollkommen  gerade 
und  gut  geformt,  Schulter-,  Ellenbogen-  und  Handgelenk  frei  be- 
weglich und  lässt  die  Heilung  nichts  zu  wünschen  übrig". 

Mag  auch  das  definitive  Resultat  gegen  die  etwas  üher- 
schwängliche  Schilderung  des  provisorischen  einigermassen  ab- 
stechen —  genug,  der  Fall  beweist,  dass  die  Schussfractur  des  Ellen- 
bogengelenkes resp.  die  Resection  desselben  die  Consolidation  der 
darüber  gelegenen  Fractur  des  Humerus  und  letztere  die  Ausheilung 
der  ersteren  nicht  gehindert  habe,  und  damit  dürfte  die  Frage,  ob 
in  solchen  Fällen  primär  zu  amputiren  resp.  zu  exarticu- 
liren  sei,  erledigt  sein.  Denn  eine  so  hochgradige  Fractur  des 
Humerus  neben  der  Gelenkverletzung  gehört  nicht  zu  den  häufigen 
Vorkommnissen,  obwohl  der  geniale  österreichische  Feldarzt  mit 
der  ihm  eigenen  statistischen  Leichtfertigkeit  sagt,  er  könne  jenem 
Falle  noch  „mehrere"  an  die  Seite  stellen.  Jeden  Falles  würde  die 
fragliche  Complication,  wenn  sie  geringeren  Grades  ist,  noch  weni- 
ger die  Amputation  indiciren.  Der  Ansicht  war  man  auch  in  dem 
einzigen  Falle  der  Art,  welcher  in  einem  preussischen  Feldlazarethe 
vorkam. 

Fall  158.  Schussfractur  des  linken  Ellenbogengelenks  und 
Fractur  des  linken  Oberarmes  in  der  Mitte.  Späte  Resection 
des  Gelenkes  nach  consoli dirter  Fractur.  Gangrän  der  Re- 
sectionswunde.  Amputation  des  Oberarmes.  Heilung.  —  Sö- 
rensen  Fester  vom  20.  dän.  I.-R.,  wurde  am  18.  April  verwundet,  und 
in  Stenderup  (1.  F.-L.  der  6.  Div.)  aufgenommen.  Eine  Schussfractur  des 
linken  Ellenbogengelenks  indicirte  die  Resection;  man  glaubte  jedoch  die 
Operation  verschieben  zu  müssen  bis  zur  Consolidation  der  gleichzeitigen 
„Fractur  des  linken  Humerus  in  der  Mitte"  (die  vorliegenden  Notizen  ge- 


234 


statten  keine  genaueren  Angaben  über  die  Art  dieser  Fractur.  Ref.).  In- 
zwischen knüpfte  sich  an  die  Gelenkverletzung  eine  lebhafte  Entzündung 
und  wegen  ausgedehnter  Phlegmone  wurden  wiederholt  Incisionen  nöthig. 
Erst  am  18.  Juni  hielt  man  die  Fractur  des  Humerus  für  hinreichend  con- 
solidirt,  um  die  Resection  des  Gelenkes  vornehmen  zu  können.  Wenige 
Tage  danach  wurde  die  Resectionswunde  gangränös.  Es  gelang,  die  Gan- 
grän zu  sistiren ;  allein  bei  der  Uebernahme  des  Patienten  Seitens  des  1. 
F.-L.  der  13.  Div.  am  5.  Juli  war  das  Allgemeinbefinden  so  gestört  und 
die  Schwäche  so  bedeutend,  dass  es  nicht  zulässig  erschien,  die  Abstossung 
der  zollweit  in  der  Wunde  blossliegenden  nekrotischen  Knochenenden  ab- 
zuwarten. Am  10.  Juli  wurde  deshalb  der  Oberarm  araputirt  (A.  A.  Dr. 
Hoppe).  Patient  erholte  sich  danach  überaus  schnell.  Die  Heilung  der 
Amputationswunde  verlief  ohne  alle  Störung.  Heimsendung  nach  Copen- 
hagen  am  17.  October. 

Anscheinend  hat  es  sich  in  diesem  Falle  um  eine  viel  einfachere 
Form  der  Fractur  des  Humerus  gehandelt.  Künftig  wird  man  in 
Fällen  der  Art  versuchen  dürfen,  trotz  der  Fractur  alsbald  zu  re- 
seciren  und  die  Consolidation  derselben  während  der  Ausheilung 
der  Resectionswunde  durch  den  Gypsverband  zu  sichern. 

Ueber  die  andere  Complication  —  Sch ultergelenk-Schuss 
derselben  Seite  —  habe  ich  in  der  Literatur  keine  Notiz  ge- 
funden. Sie  ist  1864  zwei  Mal  vorgekommen.  In  dem  einen  Falle 
(Peter  Jensen  vom  2.  dän.  I.-K,  am  18.  April  verwundet)  be- 
standen neben  den  Schüssen  in  das  linke  Ellenbogen-  und  Schulter- 
gelenk noch  Weichtheilschüsse  im  Nacken  und  im  rechten  Ober- 
schenkel. Unter  Darreichung  von  Morphium  wurde  exspectativ  ver- 
fahren. Septicämie  führte  bereits  am  6.  Tage  zum  Tode.  Um  so 
activer  wurde  der  andere  Fall  behandelt. 

Fall  159.  Schussfractur  des  linken  Ellenbogen-  und  linken 
Schultergelenkes.  Primäre  Resection  des  Ellenbogengelenkes, 
secundäre  des  Schultergelenkes.  Tod.  —  Rasmus  Andersen, 
vom  22.  dän.  Inf.-Reg.,  wurde  am  18.  April  verwundet  und  in  Rinkenis 
(3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.  Sect.  St.-A.  Dr.  Weise)  aufgenommen.  Ein  Schuss 
durch  das  linke  Ellenbogengelenk  hat  das  Olecranou  und  die  Epiphyse  des 
Humerus  zerschmettert.  Ein  zweiter  Schusskaual  befindet  sich  an  der 
linken  Schulter.  Eingang  an  der  vorderen  Seite  des  Gelenkes,  Ausgang 
dicht  hinter  dem  Acromion.  Die  Bewegungen  im  Schultergelenk  sind  nur 
raässig  behindert,  Crepitation  ist  nicht  zu  entdecken,  der  eingeführte  Finger 
trifft  nicht  auf  Knochen.  Die  Verletzung  des  Schultergelenkes  bleibt  daher 
zweifelhaft.  Am  19.  April  wurde  das  Ellenbogengelenk  resecirt  (A.  A.  Dr. 
Baum).  Lagerung  auf  einer  Armschiene;  Eisbeutel;  nach  Beginn  der  Eite- 
rung Chamillenfomente.  Der  Verlauf  war  bei  massiger  und  guter  Eiterung 
sehr  günstig    Am  27.  April  gefensterter  Gypsverband.    Starke  Eiterung 


235 


der  Schulter  wunde  mit  Lösung  von  Knochenfragmenten  und  erneute  Unter- 
suchung mit  dem  Finger  stellten  nunmehr  ausser  Zweifel,  dass  auch  das 
Schultergelenk  mit  Splitterung  des  caput  humeri  eröffnet  sei.  Da  die 
Doppeleiterung  zu  einem  bedenklichen  Verfalle  der  Kräfte  führte,  so  wurde 
am  12.  Mai  auch  das  Schultergelenk  resecirt.  (Gen.-A.  v.  Langenbeck.) 
Ein  Drittheil  des  Humerus- Kopfes  fand  sich  abgesprengt.  Patient  war 
nach  der  Operation  sehr  erschöpft.  Unter  schnell  folgender  Jauchung 
beider  Wundhöhlen  Tod  am  14.  Mai. 

Der  erste  Fall  spricht  gegen  das  Zuwarten  bei  dieser  schweren 
Verletzungsform.  Im  zweiten  kam  es,  weil  die  Verletzung  des 
Schultergelenkes  von  vornherein  nicht  zu  constatiren  war,  nicht  zur 
Stellung  der  Frage,  was  primär  zu  thun  sei,  wenn  die  Verletzung 
beider  Gelenke  feststeht.  Man  hat,  glaube  ich,  nur  die  Wahl  zwi- 
schen primärer  Doppelresection  und  primärer  Exarticu- 
lation.  Die  Gefahr  einer  langwierigen  Eiterung  aus  zwei  grossen 
operativ  zerstörten  Gelenken  und  die  Aussicht  auf  ein  unbrauch- 
bares Glied,  welche  sich  an  die  erstere  knüpfen,  würden  mich  die 
Exarticulation  vorziehen  lassen. 

Die  Wissenschaft  ist,  wie  gesagt,  berechtigt,  nach  den  beson- 
deren Gründen  zu  fragen,  wenn  der  Feldarzt  heutigen  Tages  bei 
einer  Schussverletzung  des  Ellenbogengelenkes  das  Glied  durch  die 
Amputation  opfert ;  sie  hat  dieselbe  Berechtigung,  wenn  ein  Feldarzt 
heutigen  Tages  unterlässt,  ein  schuss verletztes  Ellenbogengelenk 
zu  reseciren  —  so  sehr  ist,  wenigstens  in  der  deutschen  Kriegs- 
chirurgie, die  op erativ-conservirende  Behandlung  der  nicht 
complicirten  Ellenbogengelenks -Schüsse  Regel  geworden.  Ich 
würde  mich  auch,  wie  oben  bei  der  Amputation,  so  jetzt  bei  Er- 
wähnung der  Conservativkur  ohne  Resection  darauf  be- 
schränken, die  Gründe  zu  referiren,  welche  preussischer  Seits  in 
der  Praxis  von  1864  drei  Mal  die  Abweichung  von  jener  Regel 
bedingt  haben,  wenn  nicht  die  schon  vom  ersten  schleswig-holsteini- 
schen Kriege  her  bekannte,  mit  völliger  Verwerfung  der  Ellen- 
bogengelenk-Resection  gepaarte  Vorliebe  der  dänischen  Feldärzte 
für  die  nicht  operative  Conservativkur  auch  die  Erfahrungen  von 
1864  überdauert  hätte.  In  der  „Liste  über  die  in  den  schleswig- 
holsteinischen Feldzügen  (1848—50)"  ausgeführten  Resectionen  des 
Ellenbogengelenkes,  welche  Esmarch  seiner  trefflichen  Schrift 
über  „Resectionen  nach  Schuss  wunden u  (Kiel  1851)  zugefügt  hat, 
finden  sich  unter  den  40  Resecirten  nur  2  Dänen,  und  obwohl  die 
dänische  Herrschaft  in  den  Herzogthümern  nach  jenem  Kriege  fort- 


236 


bestand  und  auch  den  dänischen  Aerzten  Gelegenheit  geboten  haben 
dürfte,  die  Resultate  der  Resection  in  weiterem  Kreise  zu  verfolgen, 
so  liesse  sich  doch  annehmen,  dass  die  Fortdauer  jener  entschiede- 
nen Opposition  gegen  die  Resection  bis  zum  Feldzuge  von  1864 
darin  ihren  Grund  habe,  dass  nur  wenige  Fälle  zur  fortgesetzten 
persönlichen  Prüfung  in  der  dänischen  Hauptstadt  zur  Verfügung 
standen.    Anders  nach  dem  Feldzuge  von  1864.    Aus  der  Liste 
der  in  preussischen  Lazarethen  während  dieses  Feld- 
zuges gemachten  Resectionen  des  Ellenbogengelenkes, 
welche  ich  zusammengestellt  habe   und   diesem  Berichte  anfüge 
(Anhang  1.),  geht  hervor,  dass  15  Dänen  mit  nach  Schussver- 
letzung resecirtem  Ellenbogengelenke  von  uns  in  ihre  Heimath  ent- 
lassen sind.    Dazu  kommen  wohl  noch  einige  aus  österreichischen 
Lazarethen.  In  Copenhagen  hat  man  denn  auch  nicht  verfehlt,  diesen 
Operirten  eine  besondere  Aufmerksamkeit  zu  widmen.  Der  preussi- 
sche  Ob.-St.-A.  Dr.  Thalwitzer,  welcher  nach  Auflösung  der  Feld- 
lazarethe  in  Flensburg  im  Januar  und  Februar  die  dänische  Haupt- 
stadt besuchte,  hatte  Gelegenheit,  die  geringe  Befriedigung,  welche 
unsere  Resectionsresultate  dort  erzeugten,  zu  constatiren,  und  der 
Freundlichkeit  dieses  Collegen  verdanke  ich  die  Kenntniss  theils 
des  schon  mehrfach  erwähnten  Feldzugsberichtes  des  Chefarztes  der 
dänischen  Armee  von  1864,  Dr.  Djörup,  theils  eines  Vortrages 
„über  Resectionen  im  Schulter-  und  Ellenbogengelenk  nach  Schuss- 
wunden", welchen  der  Professor  A.  G.  D  räch  mann  in  der  „Kgl. 
medicinischen  Gesellschaft"  zu  Copenhagen  gehalten  hat,  und  wel- 
cher demnächst  veröffentlicht  ist.    (Ugeskrift  for  Loger  2.  R.  XLII.' 
No.  4  u.  5).   Wir  dürfen  absehen  von  der  Insinuation,  welche  dieser 
Vortrag  enthält,  dass  nämlich  die  deutschen  Aerzte  in  ihrer  Schwär- 
merei für  die  Resection  so  weit  gegangen  seien,  um  sie  selbst  bei 
Schussfracturen  in  der  Nähe  des  Gelenkes,  aber  ohne  wirkliche 
Betheiligung  desselben  auszuführen.     An  den  rationellen  Grund, 
der  dazu,  wie  in  den  Capiteln  über  die  Schussfracturen  des  Hu- 
merus  und  der  Vorderarmknochen  erwähnt  ist,  vorliegen  kann, 
scheint  man  nicht  gedacht  zu  haben.    Ich  constatire  nur  die  ziem- 
lich unumwundene  Erklärung,  dass  die  Resection  des  Ellen- 
bogengelenkes eine  überflüssige  und  wegen  ihrer  man- 
gelhaften Resultate  in  Betreff  der  Brauchbarkeit  des 
Gliedes  schädliche  Operation  sei.    Die  Conser vativkur 
ohne  Resection  sei  „in  der  Regel"  gefahrlos  und  liefere 


237 


zwar  im  Ellenbogen  ankylosirte,  jedoch  brauchbare 
Glieder.  Wir  erfahren  aus  diesem  Vortrage  auch,  dass  im  Feld- 
zuge von  1864  dänischer  Seits  nur  eine  Resection  des  Ellenbogen- 
gelenkes, und  diese  von  einem  schwedischen  Arzte  —  mit  tödt- 
lichem  Ausgange  —  gemacht  ist.  Djörup  verweist  in  seinem  Be- 
richte auf  den  Vortrag  Drachmann 's  und  bekennt  sich  damit  zu 
den  darin  entwickelten  und  von  ihm  selbst  bereits  1852  vertretenen 
Anschauungen. 

Dieses  ungeschminkt  verwerfende  Urtheil  über  einen  Kunstact, 
auf  welchen  die  deutsche  Kriegschirurgie  gewissermassen  stolz  ist, 
berührt  nicht  angenehm.  Darf  man  es  vornehm  ignoriren  etwa  als  den 
Ausfluss  einer  von  der  Politik  auf  die  Wissenschaft  übergegangenen 
Antipathie?  Männern  wie  die  genannten  dänischen  Collegen  gegen- 
über scheint  mir  das  nicht  erlaubt.  Trotz  der  Kritik,  welche  die 
Aeusserungen  Djörup's  von  1852  in  Stromeyer's  Maximen  ge- 
funden haben,  scheint  es  mir  nöthig,  die  Thatsachen,  auf  welche 
die  dänischen  Aerzte  sich  neuerdings  stützen,  etwas  näher  zu  be- 
trachten, wäre  es  auch  nur,  um  uns  zu  vergewissern,  ob  wir  nicht 
einen  Splitter  im  eigenen  Kunstauge  verkennen. 

Zuerst  die  Lebensgefahr  bei  der  Conservativkur  mit  und 
ohne  Resection.  Ist  etwa  das  Resultat,  welches  sich  aus  der  von 
Esmarch  pro  1848  —  50  gegebenen  Casuistik  der  Ellenbogengelenk- 
Resectionen  ziehen  lässt,  so  abschreckend?  Jene  Tabelle  enthält 
40  Fälle.  Lassen  wir  den  einen  (No.  15),  in  welchem  der  Aus- 
gang noch  nicht  feststand,  ausser  Rechnung,  so  bleiben  39  Resections- 
fälle  mit  6  Todten,  d.  h.  15,4  pCt. 

Die  pro  1864  von  mir  zusammengestellte  namentliche  Liste 
der  im  Ellenbogengelenk  Resecirten  umfasst  43  Fälle.  Davon  bleiben 
für  die  vorliegende  Frage  ausser  Betracht:  No.  42  wegen  Complica- 
tion  mit  einem  tödtlich  verlaufenen  Brustschusse;  No.  41  wegen 
Combination  mit  Schultergelenk-Schuss  resp.  Resection  derselben  Seite ; 
No.  9,  weil  die  Resection  nur  wegen  Uebersehens  eines  notorischen 
Contraindicans  gemacht  wurde;  No.  6,  weil  der  Tod  in  Folge  eines 
anderweitigen  selbstständigen  Krankheitsprocesses  (Pneumonia  duplex 
und  Meningitis  basilaris)  erfolgte.  Nach  Abzug  dieser  Fälle,  ohne 
welchen  sich  gar  kein  Schluss  auf  die  Lebensgefährlichkeit  der 
Ellenbogengelenk -Resection  an  sich  machen  lässt,  bleiben  39  Re- 
sectionen  mit  9  =  23  pCt.  Todesfällen. 

Beide  Nachweise  zusammen  ergeben  78  Resectionen  mit  15  = 


238 


19,2  pCt.  Todten.  Nur  andeuten  will  ich  schon  jetzt  den  bedeu- 
tenden Unterschied,  welcher  in  Betreff  der  Lebensgefahr  obwaltet 
zwischen  den  am  Tage  der  Verwundung  oder  am  nächsten  Tage 
und  den  später  ausgeführten  Resectionen  des  Ellenbogengelenks. 
Resectionen  erster  er  Art  sind  unter  den  78  Fällen  beider 
Listen  15  mit  1  d.  h.  6,6  pCt.  Todten. 

Zu  bemerken  bleibt  noch,  dass  in  beiden  Serien  je  2  Fälle 
stehen,  in  denen  nachträglich  die  Amputation  nöthig  wurde.  Die 
Fälle  der  ersten  Serie  verliefen  trotzdem  tödtlich,  1864  wurde  in 
einem  das  Leben  erhalten.  Alle  4  Fälle  waren  Secundärresectionen. 
Die  3  trotz  der  Amputation  tödtlich  verlaufenen  sind  in  obiger  Be- 
rechnung der  Resection  zur  Last  geschrieben. 

Was  nun  die  Conservati vkur  ohne  Resection  betrifft,  so 
wird,  wie  erwähnt,  dänischer  Seits  behauptet,  sie  sei  „in  der 
Regel  gefahrlos*4.  Die  deutsche  Wissenschaft  begnügt  sich  nicht 
mit  so  allgemeinen  Ausdrücken ;  sie  verlangt  den  statistischen  Com- 
mentar,  und  man  sollte  glauben,  dass  die  Verpflichtung,  einen  sol- 
chen zu  liefern,  besonders  gefühlt  werden  müsse,  wenn  man  so 
absprechend  urtheilt,  wie  es  dänischer  Seits  in  dieser  Frage  ge- 
schehen ist.  Vergeblich  habe  ich  mich  indess  bemüht,  dänischer 
Seits  eine  statistische  Angabe  der  Art  zu  finden.  Djoerup  hat 
seinen  Feldzugsbericht  pro  1864  mit  mancherlei  Ziffern  und  Procent- 
zahlen ausgestattet  —  ein  Beweis,  dass  er  statistische  Data  für  die 
Kriegschirurgie  nöthig  findet.  Allein  über  die  Lethalität  der  Ellen- 
bogengelenk-Schüsse bei  der  gerühmten  Conservativkur  ohne  Re- 
section sind  numerische  Data  in  jenem  Berichte  so  wenig  wie  in 
seinen  früheren  Mittheilungen  von  1852  zu  finden.  Herr  Professor 
Drachmann  verzichtet  in  seinem  Vortrage  auf  ein  Urtheil  über 
die  mit  der  Resection  verknüpfte  Lebensgefahr  und  hofft  auf  Mit- 
theilungen darüber  deutscher  Seits.  Um  so  mehr  musste  man  er- 
warten, dass  er  die  behauptete  Ungefährlichkeit  der  Kur  ohne  Re- 
section statistisch  nachweisen  werde.  Statt  dessen  spricht  er  von 
Todesfällen  bei  dieser  Kur  oder  von  Amputationen,  die  nachträglich 
nöthig  wurden,  ganz  und  gar  nicht.  Sollen  wir  etwa  ohne  Weiteres 
glauben,  die  dänische  Kurweise  sei  erhaben  über  dergleichen  Even- 
tualitäten ? 

Für  den  Krieg  in  Jtalien  von  1859  hat  Demme  die  Sterblich- 
keit bei  der  Conservativkur  der  Ellenbogengelenkschüsse  ohne  Re- 
section (aus  81  Fällen)  auf  64,2  pCt.  berechnet.    Das  ist  ein 


239 


scharfer  Contrast  gegen  das  dänische  „in  der  Regel  gefahrlos". 
Die  Demme'schen  Zahlen  mögen  unzuverlässig  sein.  Aber  wären 
sie  auch  nur  annähernd  richtig,  so  würden  sie  den  Stab  brechen 
über  eine  Kurart,  welche  sich  conservativ  nennt,  obwohl  sie  bei 
2  Drittheilen  der  Verwundeten,  denen  sie  einen  Arm  retten  soll, 
tödtlich  abläuft.  Es  ist  möglich,  dass  in  den  italienischen  Laza- 
rethen  die  hygienischen  Verhältnisse  das  Resultat  so  ungünstig  ge- 
staltet haben ;  es  ist  auch  möglich,  dass  man  in  Dänemark  sich  viel 
besser  darauf  versteht,  jene  Kur  gefahrloser  zu  machen.  Aber  die 
Wissenschaft  hat  jeden  Falles  zu  fordern,  dass  diejenigen,  welche 
Letzteres  behaupten,  den  Beweis  dafür  liefern.  Mit  der  Anfüh- 
rung von  ein  paar  Fällen  von  Heilung  ohne  Resection  ist  es  nicht 
gethan.  Dies  hat  D  räch  mann  recht  wohl  gefühlt.  Er  führt  pro 
1864  sieben  Fälle  der  Art  an  und  fügt  hinzu:  „Unglücklicherweise 
wurde  meine  Aufmerksamkeit  ziemlich  spät  auf  diese  Frage  gelenkt 
—  erst  nachdem  unsere  verwundeten  Kriegsgefangenen  zurück- 
gekommen waren,  also  nach  Mitte  August,  wo  bereits  ein  grösserer 
Theil  unserer  Verwundeten  mit  diesen  Verletzungen  geheilt  und 
nach  Hause  geschickt  waren. "  Er  kann  sich  darüber  beruhigen. 
Die  Weisheit,  dass  nicht  alle  Schussverletzungen  des  Ellenbogen- 
gelenks tödtlich  verlaufen,  wenn  weder  amputirt  noch  resecirt  wird, 
ist  ziemlich  alt  Auf  ein  paar  Fälle  mehr  oder  weniger  kommt  es 
dabei  gar  nicht  an.  Wesentlich  vor  Allem  ist  es,  zu  erfahren,  wie 
viel  solcher  Verletzungen  überhaupt  in  der  Art  behandelt  wurden, 
und  wie  viele  derselben  tödtlich  abliefen  resp.  die  Amputation  nach- 
träglich erheischten. 

Unter  den  von  Drachmann  erwähnten  Fällen  ist  einer  (Nr.  5, 
Frederik  Wilhelm  Larsen  vom  1.  Reg.,  am  3.  Februar  verwun- 
det), welcher  mit  einem  ohne  Resection  steif  geheilten  Ellenbogengelenk 
aus  der  Gefangenschaft  heimkehrte,  und  auf  welchen  er  deshalb  be- 
sonderes Gewicht  legt,  weil  er  meint,  an  diesem  Falle,  bei  welchem 
die  Resection  wegen  gleichzeitiger  Schussfractur  des  Unterschenkels 
unterlassen  sei,  hätten  die  deutschen  Aerzte  lernen  können,  wie  un- 
nütz ihre  Resections-Passion  ist.  Dieser  Verwundete  ist  in  der  That 
zunächst  und  bis  zum  9.  Juli  in  dem  östreichischen  Lazarethe 
zu  Rendsburg,  später  und  bis  zu  seiner  Auslieferung  am  9.  Sep- 
tember in  dem  preussischen  Lazarethe  daselbst  gepflegt  worden. 
„Atrophirter  Arm;  ankylosirtes  Ellenbogengelenk;  Fisteln,  welche 

Loeffler,  Generalbericht.  \Q 


240 


auf  nekrotische  Stellen  der  Tibia  führen;  Zeichen  von  Lungentuber- 
kulose" —  so  lautet  das  technische  Signalement»  bei  seiner  Entlas- 
sung von  Rendsburg.  (O.-St -A.  Dr.  Krulle).  Drachmann  hat 
ihn  10  Monate  nach  der  Verletzung,  also  etwa  2  Monate  später  un- 
tersucht. Er  sagt  von  den  Lungen  nichts;  den  Unterarm  fand  er 
„nur  wenig  atrophirt,"  das  Ellenbogengelenk  in  stumpfwinkliger 
Beugung  fest  ankylosirt,  die  Beweglichkeit  des  Arms,  der  Hand  und 
der  Finger  „kraftvoll.4' 

Uebrigens  befindet  sich  Drachmann  im  Irrthum,  wenn  er 
meint,  dieser  Fall  sei  der  einzige,  welcher  den  deutschen  Feldärzten 
von  1864  Gelegenheit  gegeben  hat,  die  Conservativkur  der  Ellen- 
bogengelenkschüsse ohne  Resection  zu  studiren.  Ich  kann  seine  Liste 
von  Heilungstallen  wenigstens  um  einen  aus  unsern  Lazarethen  in 
Flensburg  vergrössern. 

Fall  1G0.  Christensen  von  der  5.  Comp.  9.  dän.  l.-R.  wurde  am  18.  April 
verwundet  und  in  Flensburg  (2.  schw.  F.-L.  3.  A.-C;  Section  St.  A.  Reu- 
ter) aufgenommen.  Das  Geschoss  ist  in  der  Höhe  des  linken  Olecranon 
ein-,  an  der  Beugeseite  des  Gelenkes  dem  Radialrande  nahe  ausgetreten. 
Rasch  folgte  eine  sehr  starke  und  nach  oben  und  unten  ausgedehnte  Infil- 
tration, welche  trotz  energischer  Eisbehandlung  bis  zum  27.  April  sich  stei- 
gerte. Man  unterliess  deshalb  die  förmliche  Resection,  eröffnete  jedoch 
das  Gelenk  durch  Erweiterung  der  Eingangsöffnung  nach  oben  und  unten 
und  entfernte  einige  ganz  gelöste  Knochenstücke.  Deunoch  infiltrirt  sich 
der  Oberarm  so  bedeutend,  dass  an  der  inneren  Seite  desselben  am  3.  Mai 
Gangrän  entsteht.  Das  Gelenk  wird  nunmehr  auch  an  der  Radialseite  durch 
eine  Incision  eröffnet.  Am  15.  Mai  wurde  noch  eine  dritte  durch  die  an 
der  Beugeseite  befindliche  Schussöffnung  gehende  Incision  gemacht.  Der 
Eiter  erhielt  so  freien  Abfluss;  die  allmählig  sich  lösenden  Knochensplitter 
konnten  leicht  entnommen  werden.  Solches  geschah  unter  allmählig  ab- 
nehmender Schwellung  des  Gliedes  von  Zeit  zu  Zeit,  Juni  und  Juli  hin- 
durch. Als  C.  am  26.  August  nach  Copenhagen  entlassen  wurde,  war  er 
„als  völlig  geheilt  zu  betrachten." 

Dass  sich  diese  Notiz  auch  auf  die  Beweglichkeit  des  verletzten 
Gelenkes  beziehe,  darf  bezweifelt  werden.  Man  hatte  freilich  seit 
Juli  passive  Bewegungen  und  Armbäder  angewandt,  um  der  An- 
kylose vorzubeugen.  Wir  stellen  den  dänischen  Collegen  anheim, 
zu  ermitteln,  ob  diese  wohl  ganz  nach  ihren  Grundsätzen  geleitete 
Conservativkur  vielleicht  sogar  ein  ihr  äusserstes  Ziel  —  Ankylose 
—  übersteigendes  Resultat  ergeben  habe,  fühlen  uns  aber  um  so 
mehr  verpflichtet,  noch  einige  andere  Fälle  von  unserer  Seits  unter- 
lassener Resection  anzuführen,  um  zu  zeigen,  dass  wir  einigen 


241 


Grund  haben,  die  dänischen  Collegen  zu  fragen,  mit  wie  viel  Opfern 
an  Leben  sie  die  ankylotisch  conservirten  Glieder  erkaufen. 

Ueber  Nielsen  von  der  6.  Comp.  2.  dän.  Inf.-R.,  welcher  am 
18.  April  verwundet  und  in  Broacker  gepflegt  wurde,  kann  ich 
wegen  des  sehr  lückenhaften  Journales  nur  berichten,  dass  das  Pro- 
jectil  das  rechte  Ellenbogengelenk  mit  Verletzung  der  Ulna  und  des 
Humerus  durchdrungen  hatte,  und  dass  er  am  16.  Mai,  ohne  rese- 
cirt  zu  sein ,  an  Pyämie  gestorben  ist.  Vollständiger  ist  die  Notiz 
über : 

Fall  161.  Lars  Petersen  vom  2.  dän.  Inf.-R.,  welcher  auch  am  18.  April 
verwundet  und  in  Flensburg  aufgenommen  wurde.  Die  Kugel  hatte  den 
rechten  Oberarm  dicht  über  dem  Ellenbogengelenk  quer  durchsetzt  und 
den  humerus  gesplittert  Ob  eine  Fissur  bis  ins  Gelenk  dringe,  war 
mit  Sicherheit  nicht  zu  ermitteln.  Bei  entsprechender  Lagerung 
wurde  eine  energische  und  cousequente  Eisbehandlung  eingeleitet.  Nichts- 
destoweniger entwickelte  sich  eine  über  das  ganze  Glied  ausgedehnte  theils 
phlegmonöse  theils  ödematöse  Schwellung.  Man  incidirte  mehrere  fluc- 
tuirende  Stellen.  Inzwischen  stellte  sich  deutlich  heraus,  dass  das  Gelenk 
mitverletzt  sei,  und  die  Ilesection  wurde  in  Aussicht  genommen,  sobald  die 
Anschwellung  des  Gliedes  dieselbe  gestatte.  Am  6.  Mai  beschloss  man, 
die  Operation  folgenden  Tages  zu  machen.  Ein  heftiger  Fieberanfall  mit 
Schüttelfrost  kam  zuvor  und  bestimmte  zum  Zögern.  Ein  zweiter  Schüt- 
telfrost am  8.  Mai ,  zugleich  starke  Diarrhoe.  Bei  dem  Gebrauche  von 
Chinin  und  Columbo  blieben  die  Fieberanfälle  bis  zum  16.  Mai  aus,  wäh- 
rend der  Durchfall  anhielt.  Vom  17.  Mai  ab  von  neuem  häufig  wiederkeh- 
rende Schüttelfröste,  während  der  Durchfall  verschwand;  anhaltendes  Fieber, 
Erbrechen  aller  Ingesta,  Delirien  und,  ohne  dass  Jauchung  der  Wunde  ein- 
getreten wäre,  Tod  am  31.  Mai.  Die  Section  ist  unterblieben.  Das  Bild 
der  Pyämie  war  jedoch  im  Leben  ausgeprägt  genug. 

Djörup  wie  Drachmann  haben  auch  unterlassen,  sich  mit 
der  wünschenswerthen  Präcision  über  die  Grundsätze  auszusprechen, 
deren  Befolgung  sie  bei  der  Conservativkur  ohne  Resection  für  nö- 
thig  halten,  namentlich  über  die  Frage,  ob  dazu  principiell  die 
frühzeitige  Eröffnung  des  Gelenkes  durch  Incisionen 
gehöre.  In  dem  eben  erwähnten  Falle  ist  dieser  Act  unterblie- 
ben; bei  Christensen  (V.  v.  Fall  160)  wurde  er  ausgeführt,  und 
in  dieser  Differenz  liegt  ohne  Zweifel  der  wesentlichste  Grund  des 
verschiedenen  Ausganges  dieser  Fälle.  Auch  in  der  dänischen  Praxis 
ist  principielle  Consequenz  in  der  fraglichen  Beziehung  nicht  vor- 
handen. Wir  haben  Gelegenheit  gehabt,  in  Flensburg  3  Verwun- 
dete der  Art  zu  übernehmen,  nachdem  sie  längere  Zeit  von  däni- 
schen Aerzten  behandelt  waren. 

16* 


242 


Fall  162.  Waffenmeister  Obel  vom  11.  dän.  Inf.-Reg.,  am  6.  Februar  bei 
Oeversee  verwundet,  wurde  am  15.  März  von  den  in  Flensburg  zurückge- 
bliebenen dänischen  Feldärzten  übernommen  mit  profuser  Eiterung  des 
rechten  Ellenbogengelenks  und  hierdurch  wie  durch  Diarrhöen  sehr  ange- 
griffen. Die  am  1.  April  ausgeführte  Resection  des  Gelenkes,  bei  welcher 
sich  Zerstückelung  des  Olecranon  und  des  Capit.  radii  herausstellte,  min- 
derte zwar  die  Eiterung,  vermochte  aber  bei  dem  hartnäckig  andauernden 
Durchfalle  den  am  16.  April  durch  Erschöpfung  erfolgten  Tod  nicht  zu  ver- 
hüten. Die  Seetion  ergab  ausser  Schwellung  der  Darmfollikel  überall  nur 
die  Zeichen  hochgradiger  Anämie.    (S.  namentl.  Liste  der  Resecirten  Nr.  34). 

Fall  163.  Sören  Hansen  vom  18.  dän.  Inf.-Reg.,  am  2.  Februar  bei  Mis- 
sunde  verwundet,  wurde  am  21.  März  von  den  dänischen  Collegen  über- 
nommen. Das  Geschoss  war  bei  gebogener  Armstellung  im  oberen  Dritt- 
theil  des  Ulnarrandes  des  rechten  Unterarmes  eingedrungen  und  oberhalb 
des  Olecranon  ausgetreten.  Am  21.  März  war  der  Arm  hoch  herauf  ge- 
schwollen; über  die  Haut  des  fast  gestreckt  liegenden  Armes  ist  —  in 
Folge  des  siebenwöchentlichen  Cataplasmirens  —  ein  intenses  Eczem  ver- 
breitet; reichliche  Eiterung;  die  geringste  Bewegung  sehr  schmerzhaft;  das 
Allgemeinbefinden  verhältnissmässig  gut.  Unter  einfachen  Fomenten  trock- 
net das  Eczem  ab.  Am  30.  März  werden  aus  der  erweiterten  oberen  Schuss- 
öffnung 2  nekrotische  Knochenstücke  extrahirt.  Es  stellt  sich  ausser  einer 
ziemlich  consolidirten  Fractur  der  Ulna  und  des  Radius  eine  Splitterung 
des  unteren  Humerus-Endes  bis  ins  Gelenk  heraus.  Die  am  4.  April  ge- 
machte Resection  des  Gelenkes,  bei  welcher  nur  das  untere  Humerus-Ende 
(7  Ctm.)  weggenommen  wird,  hat  eine  lebhafte  Reaction  zur  Folge.  Eiter- 
sackungen  erforderten  wiederholt  Incisionen.  Noch  am  9.  Mai  wurden  ein 
Kugelstück  und  nekrotische  Knochenfragmente  extrahirt.  Trotz  einer  zwi- 
schenlaufenden Pleuritis  schritt  die  Ausheilung  jedoch  so  vor,  dass  Patient 
am  13.  August  nach  Copenhagen  entlassen  werden  konnte.  (V.  namentl. 
Liste  der  Resecirten  Nr.  36). 

In  diesen  beiden  Fällen  war  die  Gelenkincision  von  den  be- 
handelnden dänischen  Aerzten  unterlassen ;  im  dritten  war  eine  solche 
vorgenommen. 

Fall  164.  Anders  Jensen  vom  9.  dän.  Inf.-Reg.,  am  3.  Februar  bei  Königs- 
hof verwundet,  am  21.  März  aus  der  dänischen  Behandlung  übernommen. 
Herr  Dr.  Heine  constatirte  an  diesem  Tage:  Linke  Ellenbogengegend  be- 
trächtlich geschwollen,  Haut  (durch  langes  Cataplasmiren)  eczematös.  Ein- 
trittsöffnung des  Schusskanals  oberhalb  des  Olecranon,  Austrittsöffnung  von 
der  Grösse  eines  dänischen  Reichsthalers  im  oberen  Drittheil  der  Dorsal- 
fläche des  Vorderarmes.  Incision s wun de  über  dem  Gelenke  bei- 
nahe vernarbt.  Bruchstellen  der  Vorderarmknochen  consolidirt.  Ellen- 
bogengelenk, in  einem  Winkel  von  135°  stehend,  ziemlich  fest  anky  losirt. 
Aus  den  beiden  Schussöffnungeu  geringe  gute  Eiterung.  Allgemeinbefinden  gut. 

Trotzdem  ist  in  diesem  Falle  am  3.  Juni,  also  4  Monate  nach 
der  Verletzung,  die  Resection  mit  Ausschneiden  aller  3  Gelenk- 


243 


enden  ausgeführt  worden  (vgl.  namentl.  Liste  Nr.  39).  Warum? 
Darüber  giebt  das  Journal  leider  nicht  Auskunft  Es  geht  aus  dem- 
selben nur  noch  hervor,  dass  Patient  gegen  Ende  April  von  einem 
typhösen  Fieber  befallen  und  gleichzeitig  von  einem  Erysipel  des  ver- 
letzten Gliedes  heimgesucht  sei,  und  dass  der  späteren  Resection 
noch  ein  ziemlich  langer  Eiterungsprocess  folgte,  so  dass  Pat.  erst 
am  17.  October  nach  Copenhagen  entlassen  werden  konnte,  mit 
einem  —  „in  jeder  Hinsicht  unbrauchbaren  Arme,"  wie 
Prof.  Drachmann  auf  Grund  seiner  7  Monate  nach  der  Operation 
angestellten  Untersuchung  behauptet.  Und  diese  Behauptung 
ist  leider  nahezu  richtig.  Herr  Dr.  Thalwitzer  hat  den  Mann 
noch  einen  Monat  später  als  Drachmann  in  Copenhagen  selbst 
untersucht  und  fand: 

„Atrophie  des  Deltoideus  und  der  Schulterblattmuskeln;  eine  Entfernung  des 
Armes  vom  Körper  ist  activ  fast  nur  durch  Hebung  der  Schulter  zu  er- 
möglichen; gleich  beschränkt  ist  die  active  Vor-  und  Rückwärtsbewegung, 
wobei  die  Ellenbogengelenkgegend  empfindlich  ist.  Diese  ist  wie  Vorder- 
arm und  Hand  ödematös.  Die  Verkürzung  des  Humerus  beträgt  etwa  6, 
die  der  Ulna  mit  dem  Radius  etwa  3  Ctm.  Das  untere  Ende  des  Humerus 
ist  von  der  Sägefläche  aufwärts  verdickt,  namentlich  an  dem  äusseren  und 
inneren  Rande,  entsprechend  den  früheren  Condylen.  Die  durchfühlbaren 
Schnittenden  des  Radius  und  der  Ulna  sind  durch  Kuochenneubildung  nicht 
verdickt.  Sie  sind  mit  dem  Humerus-Ende  durch  eine  c.  8  Ctm.  lange  weiche 
Zwischensubstanz  verbunden.  Activ  ist  gar  keine  Bewegung  des  Unter- 
armes gegen  den  Oberarm  möglich;  passiv  lässt  sich  ersterer  ohne  Schmerz 
bis  zum  rechten  Winkel  beugen.  Bei  der  passiven  Pro-  und  Supination 
drehen  sich  Ulna  und  Radius  gleichzeitig.  Der  Unterarm  kann  ohne  Schmerz 
der  Unterstützung  nicht  entbehren.  Das  Handgelenk  ist  nur  passiv  zu 
beugen  und  zu  strecken.  Die  Finger  sind  nur  in  ihren  ersten  Phalangen 
etwas  activ  beweglich.  Mit  Daumen  und  Zeigefinger  kann  ein  leichter  Druck 
geübt  werden.  Das  Spreitzen  der  Finger  ist  ausführbar.  Das  Gefühl  in 
den  Fingerspitzen  ist  nicht  beeinträchtigt.  Die  Temperatur  des  Ar- 
mes ist  noch  erhöht." 

Der  Heilprocess  war  offenbar  auch  zur  Zeit  dieser  Untersuchung 
noch  nicht  ganz  beendet  und  es  kann  nach  sonstigen  Erfahrungen 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  grössere  active  Beweglichkeit  der 
Schulter,  der  Hand  und  der  Finger  noch  zu  erwarten  war.  Aber 
die  activ  unbrauchbare  Verbindung  an  Stelle  des  Ellenbogengelenks, 
das  sogenannte  Schlottergelenk,  muss  nach  den  anderen  uns  vor- 
liegenden und  bald  zu  besprechenden  Erfahrungen  als  Definitivum 
anerkannt  werden  —  ein  Tausch  gegen  das  bereits  10  Monate  früher 
erreichte  Resultat,  die  Ankylose,  mit  welchem  dem  betreffenden 


244 


Manne  schwerlich  ein  Dienst  geleistet  ist.  Ich  weiss,  wie  gesagt, 
nicht,  weshalb  die  Reseetion  in  diesem  Falle  gemacht  ist;  aber  es 
lässt  sich  wohl  annehmen,  dass  es  nicht  etwa  bloss  in  der  Absicht 
geschah,  das  steife  Gelenk  in  ein  bewegliches  zu  ver- 
wandeln. 

Oder  sind  etwa  die  definitiven  Resultate  der  Ellen- 
bogengelenk-Resection  auch  in  Betreff  der  Brauchbar- 
keit der  Glieder  so  glänzend,  dass  die  Steifheilung  eines 
schussverletzten  Ellenbogengelenkes  ohneWeiteres  als 
Misserfolg  bezeichnet  werden  kann?  Es  bestehen  deutscher 
Seits  manche  Illusionen  über  diesen  Punkt,  und  die  Dänen  haben  nicht 
ganz  Unrecht,  wenn  sie  sich  sträuben,  die  Schlotterarme  der 
Resecirten  als  Kunsttriumphe  anzuerkennen. 

Die  kriegschirurgische  Literatur  ist  schon  recht  reich  an  Re- 
sectionsfällen,  aber  ziemlich  arm  an  sicheren  und  genauen  Nachwei- 
sen über  die  definitive  Brauchbarkeit  der  resecirten  Arme.  Des- 
halb und  um  für  die  künftige  Resectionspraxis  auch  in  dieser  Be- 
ziehung statt  der  Hoffnungen  und  Voraussetzungen  Thatsachen  zu 
gewinnen,  habe  ich  versucht,  den  Zustand  unserer  Resecirten  von 
1864  Jahr  und  Tag  nach  der  Operation  zu  constatiren.  Nicht  ohne 
Schwierigkeit  wurde  der  zeitige  Aufenthalt  der  nach  ihrer  Entlas- 
sung aus  den  Lazarethen  im  Lande  zerstreuten  Operirten  ermittelt. 
Collegen,  welche  am  Orte  selbst  oder  in  der  Nähe  wohnten,  unter- 
zogen sich  der  Mühe,  die  Untersuchung  vorzunehmen  und  das  Re- 
sultat nach  den  in  einem  Fragebogen  lixirten  Rubriken  zu  notiren 
und,  wo  sich  Gelegenheit  dazu  bot,  Photographien  fertigen  zu  las- 
sen. Meinen  Dank  für  das  Seitens  der  Herren  Collegen  mir  ge- 
währte Entgegenkommen  glaube  ich  nicht  besser  bethätigen  zu  kön- 
nen, als  durch  treue  Mittheilung  der  Thatsachen,  welche  der  Wis- 
senschaft durch  ihre  Mühewaltung  gewonnen  sind.  Dieselben  be- 
schränken sich  auf  die  resecirten  Preussen.  Von  den  bei  uns 
resecirten  Dänen  liegen  nur  die  provisorischen  Resultate  vor. 
Einige  derselben  datiren  allerdings,  wie  das  oben  bei  Fall  164  mit- 
getheilte,  aus  einem  schon  ziemlich  vorgerückten  Stadium  der  Con- 
valescenz.  Ich  verdanke  die  Kenntniss  derselben  gleichfalls  dem  In- 
teresse, welches  Herr  Dr.  Thalwitzer  dieser  Frage  bei  seinem 
Aufenthalte  in  Copenhagen  gewidmet  hat,  und  referire  darüber  vor- 
weg um  so  lieber,  weil  es  sich  um  die  nämlichen  Fälle  handelt, 


245 


welche  dem  Prof.  Drachmann  als  Grundlage  für  sein  Urtheil  über 
die  Resections-Resultate  gedient  haben. 

So  ergab  in  dem  oben  erwähnten  Falle  163  (Sören  Hansen) 
die  zehn  Monate  nach  der  Resection  angestellte  Untersuchung: 

Die  activen  Bewegungen  im  Schultergelenke  noch  sehr  beschränkt.  An 
Ellenbogen,  Vorderarm  und  Hand  noch  Oedem.  Am  unteren  Ende  des  Hu- 
merus  noch  eine  nicht  mehr  auf  den  Knochen  führende  Fistel.  Arn  unteren 
Ende  des  Humerus  fehlen  7  Ctm.,  welche  durch  eine  weiche  Bandraasse 
ersetzt  sind,  so  dass  der  Unterarm  stark  schlottert.  Olecranon  und  Cap. 
radii  etwas  verdickt.  Active  Bewegung  im  Ellenbogen  ganz  unmöglich; 
passive  Beugung  ausgiebig,  aber  über  den  rechten  Winkel  hinaus  schmerz- 
haft. Der  Unterarm  muss  beständig  unterstützt  gehalten  werden,  weil  er 
beim  Herabhangen  schmerzt.  Handgelenk  steif;  die  Finger  nur  in  den 
letzten  Gliedern  etwas  beweglich.  Atrophie  und  Kühle  des  Armes;  Gefühl 
in  den  Fingerspitzen  erhalten. 

Fall  165  (nam.  Liste  Nr.  14).  Corporal  Christian  Soerensen  vom  3.  dän. 
Inf.-Reg.,  wurde  den  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet  und  in  Snaabeck 
(l.-F.-L.  13.  Div.)  aufgenommen.  Schussfractur  des  linken  unteren  Hu- 
merus-Endes  mit  Splitterung  ins  Gelenk.  Eingangsöffnung  8  Ctm.  über 
dem  Cond,  ext.,  Ausgangsöffnuug  dicht  über  dem  Cond.  int.  Am  9.  Juli 
Resection  des  Gelenkes  (Gen.-A.  Dr.  v.  Langenbeck).  Vom  unteren  Hu- 
merus-Ende  werden  gegen  4"  weggenommen.  Mehrfache  Eitersenkungen, 
welche  Incisionen  erfordern.  Anfangs  Lagerung  auf  der  Winkelschiene,  am 
1.  September  der  erste  Gypsverband,  der  jedoch  in  Apenrade,  wohin 
Pat.  am  2.  September  evacuirt  wurde,  wegen  wiederholter  neuer  Schwel- 
lungen und-  Abscessbildungen  häufig  gewechselt  werden  muss.  Von  Mitte 
November  ab  tägliche  Uebungen  der  Bewegung  des  Gliedes.  Entlassung 
nach  Copenhagen  am  5.  December. 

Resultat  7  Monate  nach  der  Op eration:  Atrophie  des  Deltoideus; 
Umfang  des  Schultergelenkes,  über  Acromion  und  Achselhöhle  gemessen, 

5  Ctm.  geringer  als  rechts.  Active  Hebung  des  Armes  ohne  gleichzeitige 
Bewegung  der  Schulter  nur  bis  zu  einem  Winkel  von  30°  möglich.  Hu- 
merus um  7|  Ctm.  kürzer  als  rechts,  am  unteren  Ende  knorrig  mit  Osteo- 
pbyten  besetzt.    Zwischen  ihm  und  den  Vorderarmknochen  eine  weiche 

6  Ctm.  lange  Zwischensubstanz.  Sich  selbst  überlassen  hängt  der  Arm 
schlotternd  im  Ellenbogen  fast  gerade  herab  mit  Neigung  zur  Ein-  und 
Rückwärtswendung.  Activ  ist  unbedeutende  Beugung  im  Ellenbogenge- 
lenk möglich,  die  Beugemuskeln  werden  dabei  deutlich  härter  und  dicker. 
Die  passive  Beugung  erfolgt  mit  grosser  Leichtigkeit  bis  zum  spitzen 
Winkel.  Pro-  und  Supination  nur  passiv  unter  gleichzeitiger  Drehung  von 
Ulna  und  Radius.  Unterarm  in  der  Mitte  um  2  Ctm.  dünner  als  rechts. 
Bewegung  im  Handgelenk  beschränkt;  ebenso  die  der  Finger;  am  besten 
die  des  Daumens.  Gefühl  in  den  Fingerspitzen  stumpf.  Die  Hand  ist 
stets  kalt.  Pat.  trägt  eine  im  beliebigen  Winkel  stellbare  Armkapsel  mit 
Schulterkappe. 


246 


Fall  166  (nam.  L.  d.  Resec.  Nr.  19).  Corporal  Christian  Schubert  vom  9. 
dän.  I.-R.,  am  18.  April  verwundet,  in  ßroacker  (schw.  F.-L.  des  Garde-C. 
Sect.  St.-A.  Dr.  Michel)  aufgenommen.  Gewehrschuss.  Eingangsöflfnung 
an  der  äusseren  Seite  des  rechten  Oberarmes  etwa  eine  Handbreit  übe1 
dem  Ellenbogengelenk;  Austritt  ebensoweit  unter  derselben  an  der  Volar  - 
seite  des  Unterarmes.  Knochenverletzung  nicht  sicher  zu  constatiren.  La- 
gerung; Eis.  Evacuation  nach  Flensburg  den  23.  April.  Arm  stark  in- 
filtrirt,  Fieber  und  Eiterung  massig.  Absprengung  des  Cond.  ext. 
humeri  constatirt.  Eis.  Am  27.  April  Erweiterung  der  oberen  Schuss- 
öffnung durch  Incision,  um  dem  Eiter  besseren  Abfluss  zu  verschaffen.  Das 
Allgemeinbefinden,  hierdurch  etwas  gebessert,  verschlimmert  sich  bald 
wieder.  Appetit  fehlt  ganz;  profuse  Schweisse;  auffallendes  Sinken  der 
Kräfte. 

Resection  am  3.  Mai  (St-A.  Dr.  Fischer).  Der  Humerus  dicht  über 
den  Condylen  und  das  Olecranon  werden  abgesägt;  der  unversehrte  Radius 
bleibt  unberührt.  Einige  Suturen;  Lagerung;  Eis.  Der  Ausheilungspro- 
cess  verläuft  ohne  bedeutendere  lokale  Störungen.  Am  25.  Juni  wurde  ein 
Sequester  von  der  Sägefläche  der  Ulna  entfernt.  Das  Allgemeinbefinden 
wurde  Mitte  Mai  mehrere  Tage  durch  heftige  Anfälle  von  Fieber  mit  Dys- 
pnoe getrübt.  Die  Anfälle  wichen  dem  Chinin.  Ein  fieberhaftes  Erysipel, 
welches  am  resecirten  Gliede  den  16.  August  eintrat,  verlief  binnen  weniger 
Tage.    Entlassung  nach  Copenhagen  am  26.  August. 

Resultat  9  Monate  nach  der  Operation:  Trotz  merkbaren  Schwun- 
des der  Schultermuskeln  kann  der  Arm  activ  bis  zur  Horizontale  erhoben 
werden.  Stärke  des  Oberarms  in  der  Mitte  6  Ctm.  weniger  als  links.  Ueber 
der  äusseren  Kante  des  verdickten  und  deutlich  durchzufühlenden  Säge- 
endes des  Humerus  ein  Fistelgang,  aus  welchem  eine  nekrotische  Knochen- 
spitze hervorsieht.  Die  Enden  der  Ulna  und  des  Radius  unförmlich  ver- 
dickt. Der  Umfang  der  Gelenkgegend  ist  um  5  Ctm.  geringer  als  links. 
Die  Verbindung  zwischen  Humerus  und  Unterarmknochen  besteht  in  einer 
4  Ctm.  langen,  weichen  Zwischensubstanz.  Activ  ist  gar  keine 
Bewegung  im  Ellenbogen  möglich,  die  passive  ausgiebig.  Bei  versuchter 
passiver  Pro-  und  Supination  werden  beide  Knochen  gedreht.  Unterarm 
nur  um  1  Ctm.  dünner.  Bewegung  im  Handgelenk  ziemlich  frei.  Finger  kön- 
nen zur  Faust  geballt  werden.  Gefühl  in  den  Fingerspitzen  normal. 
Fall  167.  (nam.  L.  d.  Res.  Nr.  13).  Mads  Christensen  vom  9.  dän.  I.-R., 
am  18.  April  verwundet.  Eintritt  des  Projectils  in  der  Mitte  der  Innenseite 
des  rechten  Oberarmes,  Austritt  dicht  am  Condylus  ext.  Zersplitterung 
des  Gelenkendes.    Mässige  Reaction  bei  der  Eisbehandlung  in  Flensburg. 

Resection  am  27.  April  (O.-St.-A.  Dr.  Ochwadt);  Wegnahme  von 
über  3"  des  Humerus.  Lagerung  auf  Esmarch's  Schwebe.  Ausheilung  er- 
folgte bis  auf  eine  Eisersackung  nach  der  Achsel,  welche  eine  Incision 
nöthig  machte,  ohne  jede  Störung.  Entlassung  nach  Copenhagen 
den  26.  August. 

Resultat  10  Monate  nach  der  Operation:  Die  activen  Bewegungen 
im  Schultergelenk  durch  Atrophie  der  betreffenden  Muskeln  sehr  beschränkt. 


247 


Der  Oberarm  ist  in  der  Mitte  um  4  Ctm.  dünner  als  links.  Das  untere 
Ende  des  Humerus  von  der  Sägefläche  5  Ctm.  aufwärts  verdickt,  besonders 
an  der  äusseren  Kante.  Zwei  Fistelgänge  führen  noch  auf  entblössten  Kno- 
chen. Olecranon  etwas  verdickt  aber  scharfspitzig.  Der  Umfang  der  Ge- 
lenkgegeud  6  Ctm.  kleiner  als  links.  Die  Knochenenden  durch  eine  weiche 
4.  Ctm.  lange  Zwischensubstanz  verbunden.  Sich  selbst  überlassen 
hängt  der  Arm,  im  stumpfen  Winkel  gebeugt,  nach  ein-  und  rückwärts  ge- 
kehrt, herab;  wegen  der  dabei  entstehenden  Schmerzen  muss  der  Unterarm 
beständig  gestützt  werden.  Active  Bewegung  im  Ellenbogen  unmöglich. 
Passiv  lässt  sich  der  schlotternde  Unterarm  leicht  verschieben  und  beu- 
gen. Unterarm  in  der  Mitte  um  4  Ctm.  dünner  als  der  linke.  Das  Hand- 
gelenk kann  activ  etwas  gebeugt  werden,  der  Daumen  nur  im  2.  Gliede; 
Zeige-  und  3.  Finger  sind  im  2.  und  3.  Gelenk  zu  beugen,  der  4.  und  5.  Fin- 
ger nur  wenig  im  1.  Gelenk.  Diese  beiden  Finger  sind  gefühllos.  Der 
ganze  Arm  kühler  als  der  linke. 

Die  definitiven  Resultate,  welche  sich  bei  den  resecirten  Preus- 
sen  herausgestellt  haben,  machen  es,  wie  man  aus  den  nachfolgen- 
den Schilderungen  ersehen  wird,  sehr  unwahrscheinlich,  dass  in  den 
5  Fällen,  von  welchen  ich  das  7  bis  10  Monate  nach  der  Operation 
erhobene  Resultat  berichtet  habe,  das  Schlottergelenk  mit  der 
Zeit  mehr  Festigung  und  Brauchbarkeit  erlangt  haben  werde,  wenn 
auch  bei  entsprechender  Uebung  weitere  Kräftigung  der  Schulter- 
Muskulatur  und  grössere  Brauchbarkeit  der  Hand  zu  erwarten  war. 
Aus  der  namentlichen  Liste  der  Resecirten  ergiebt  sich,  dass  noch 
in  4  anderen  Fällen  (Nr.  10,  21,  28,  38)  schon  bei  der  Entlassung 
aus  unseren  Lazarethen  ein  Schlottergelenk  in  Aussicht  stand.  Dass 
die  dänischen  Aerzte  für  dieses  Resultat  der  Resection  sich  nicht 
begeistert  haben,  wird  man  begreiflicher  finden,  wenn  ich  wenig- 
stens ein  paar  ihrer  absichtlichen  Steifheilungen  ohne  Re- 
section daneben  stelle,  und  zwar  gleichfalls  nach  dem  Befunde 
des  Herrn  Dr.  Thal  witz  er. 
1.  Hornist  Niels  Andersen  vom  2.  dän.  Inf.-Reg.  erhielt  am  18.  April 
einen  Gewehrschuss  durch  das  linke  Ellenbogengelenk.  Eingang  am  Con- 
dyl.  int.  humeri,  der  zertrümmert  wurde,  Ausgang  unter  dem  gleichfalls 
zerstörten  capit.  radii.    Behandlung  im  Friedrichsberger  Schloss  zu  Copen- 
hagen.    Viermonatliche  Dauer  der  Kur,  bei  welcher  sich  Knochensplitter 
entleerten.    Untersuchung  9^  Monat  nach  der  Verletzung:  Ge- 
ringe Atrophie  der  Schultermuskeln;  Umfang  des  Schultergelenks  nur  1  Ctm. 
geringer  als  rechts.    Active  Bewegung  in  der  Schulter  dem  entsprechend 
wenig  beschränkt.    Oberarm  in  der  Mitte  2£  Ctm.  dünner  als  der  rechte. 
Vollkommene  Ankylose  des  Ellenbogengelenkes  in  einem  Winkel  von  160°, 
Umfang  der  Gelenkgegend  5  Ctm.  geringer  als  rechts.    Der  linke  Condyl. 
int.  humeri  kleiner  als  rechts;  das  Capit.  radii  nicht  zu  fühlen;  Olecranon 


248 


nicht  verändert  Der  Arm  wird  activ  so  weit  nach  vorn  bewegt,  dass  die 
Hand  den  rechten  Ellenbogen  berührt,  und  so  weit  nach  hinten,  dass  die 
Hand  den  Rücken  berührt.  Umfang  beider  Unterarme  in  der  Mitte  gleich. 
Bewegungen  im  Handgelenke  frei.  Der  Daumen  kann  gut  gebeugt  werden, 
aber  nur  gegen  den  2.  und  3.  Finger  opponiren.  Die  Bewegung  des  Zeige- 
fingers in  allen  3  Gliedern  kaum  beschränkt,  die  anderen  Finger  nur  im 
1.  und  2.  Gelenk  beweglich.  Der  Druck  der  Hand  ist  nur  mit  Daumen 
und  Zeigefinger  etwas  fest.  Gefühl  in  allen  Fingerspitzen  normal.  Der 
Arm  ist  gegen  Kälte  sehr  empfindlich.  —  Nach  Drachmann  hatte  der 
Mann  bereits  „mehrere  Monate  als  Stallmeister  in  einem  Wirthshause  ge- 
dient" uvd  beschwerliche  Dienste  verrichtet,  als  er  (8  Monate  nach  der 
Verletzung)  ihn  untersuchte.  Thalwitzer  sagt,  der  Mann  habe  seinen 
früher  übernommenen  Dienst  als  Stallknecht  wieder  aufgeben  müssen,  weil 
er  die  Pferde  nicht  führen  konnte;  auch  könne  er  einen  Stuhl  mit  dem 
kranken  Arme  nicht  aufheben. 
2.  Niels  Eskildsen  vom  9.  dän.  Inf. -Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Ge- 
wehrschuss  durch  den  rechten  Arm.  Eingang  im  mittleren  Drittheil  der 
Streckseite  des  Unterarmes  zwischen  Radius  und  Ulna,  Ausgang  4  Ctm. 
oberhalb  des  Olecranon  zwischen  äusserer  und  innerer  Kaute  des  Humerus. 
Aus  beiden  Oeffnungen  wurden  viele  Knochensplitter  entleert,  von  denen 
einer  deutlich  der  trochlea  angehört.  Es  wurden  anfangs  kalte  Einwicke- 
lungen  gemacht,  später  cataplasmirt,  niemals  geschient.  Untersuchung 
9|  Monat  nach  der  Verletzung:  Deltoideus  kräftig;  Bewegungen  in 
der  Schulter  frei.  Feste  Ankylose  des  Ellenbogengelenkes  unter  sehr 
stumpfem  Winkel,  so  dass  die  Hand  nicht  bis  zur  Schulter  gelangen  kann, 
während  der  Arm  ohne  Mitbewegung  des  Schulterblattes  bis  zur  Horizon- 
talen erhoben  und  auf  den  Rücken  gelegt  werden  kann.  Der  rechte  Hu- 
merus ist  2  Ctm.  kürzer  als  der  linke  und  von  den  Condylen  7  Ctm.  auf- 
wärts verdickt.  Auch  die  ulna  ist  vom  olecranon  8  Ctm.  abwärts  verdickt, 
und  das  stark  verdickte  capit.  radii  liegt  unter  einem  vernarbten  Ein- 
schnitte. Oedem  in  der  Umgegend  des  Ellenbogengelenks  mit  durchschim- 
mernden Venen.  Der  rechte  Oberarm  ist  um  3  Ctm.  dünner  als  der  linke, 
das  rechte  Ellenbogengelenk  um  3  Ctm.  stärker,  der  Unterarm  in  der 
Mitte  nur  um  1  Ctm  schwächer,  als  der  linke.  An  der  Volarseite  des 
Unterarmes  mehre  dünne  Narben  nach  Einschnitten.  Hand-  und  Finger- 
gelenke in  ihren  Bewegungen  ganz  frei;  der  Händedruck  ist  kraftvoll,  das 
Gefühl  in  den  Fingern  fein.    Der  Arm  bedarf  keiner  Unterstützung. 

Unsere  Ueberzeugung  von  dem  Nutzen  der  Resection  kann  uns 
nicht  abhalten,  die  Vorzüge  eines  derartig  steifgeheilten  Gliedes  vor 
dem  schlotternden  anzuerkennen.  Sie  würden  noch  grösser  sein, 
wenn  der  Winkel,  in  welchem  der  Unterarm  zum  Oberarme  steht, 
weniger  stumpf  wäre.  Glücklicher  Weise  sind  auch  nicht  alle 
Dänen,  welche  1864  in  unseren  Lazarethen  resecirt  wurden,  mit 
Schlottergliedern  heimgekehrt.  Finden  sich  doch  sogar  unter  den 
8  Resectionsfällen,  welche  Drachmann  in  seinem  Vortrage  citirt 


249 


hat,  2,  welche  in  Betreff  der  resultirendea  Brauchbarkeit  mit  den 
erwähnten  Steifheilungen  wenigstens  concurriren. 

Fall  168  (nam.  L.  d.  Res.  Nr.  30).  Untercorporal  Anders  Hansen  vom 
2.  dän.  Inf.-Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Gewehrschuss  durch  das  linke 
Ellenbogengelenk.  Eingang  oberhalb  des  cond.  int.  humeri;  Ausgang  vor 
dem  capit.  radii.  Die  trotz  Lagerung  in  einer  Drahtschiene  und  Eis  sich 
einstellende  starke  Reaction  und  Eiterung  bestimmte  am  15.  Mai  zur  Re- 
section  des  Gelenkes  mit  Abtragung  des  fracturirten  Humerusendes  (4  Ctm.), 
der  am  24.  Mai  die  Absägung  des  capit.  radii  zugefügt  wurde.  (Flensburg; 
St.-A.  Dr.  Hahn.)  Lagerung  auf  der  Esmarch 'sehen  Schwebe,  welche 
indess  im  Juni  aufgegeben  werden  musste,  weil  der  ungleichmässige  Druck 
die  Infiltration  des  Oberarmes  zu  fördern  schien.  Die  Ausheilung  erfolgte 
zögernd,  weil  sich  nach  und  nach  viele  kleine  nekrotische  Knochenfrag- 
mente ablösten.  Im  Juli  und  August  traten  fieberhafte  Erysipele  hinzu, 
welche  nach  kurzer  Dauer  und  mit  der  Lösung  von  Sequestern  ablie- 
fen. Frühzeitige  passive  Bewegungen.  Entlassung  nach  Copenhagen  am 
26.  August. 

Resultat  8£  Monat  nach  der  Operation:  Atrophie  der  Schulter- 
muskeln; Umfang  des  Schultergelenks  9  Ctm.  geringer  als  rechts.  'Bewe- 
gung des  Armes  nach  vorn  und  hinten  activ  möglich.  Oberarm  in  der 
Mitte  6  Ctm.  dünner  als  der  rechte.  Unteres  Ende  des  Humerus  verdickt; 
vom  Radius  fehlen  etwa  2  Ctm.;  Olecranon  in  seinen  Contouren  scharf.  Das 
Ellenbogengelenk  steht  ziemlich  fest  in  einem  stumpfen  Winkel.  Activ 
ist  keine  Bewegung  in  demselben  möglich;  passiv  Beugung  um  einige 
Grad  und  geringe  Pro-  und  Supination.  Die  Gelenkgegend  hat  5  Ctm.  we- 
niger Umfang  als  rechts.  Vorderarm  2  Ctm.  dünner  als  rechts.  Bewegung 
im  Handgelenke  ziemlich  frei.  Daumen,  frei  beweglich,  kann  gegen  alle 
Finger  opponiren.  Die  übrigen  Finger  weniger  beweglich,  am  ergiebigsten, 
wenn  der  Oberarm  mit  der  gesunden  Hand  umspannt  und  der  Vorderarm 
unterstützt  ist.  Gefühl  in  allen  Fingerspitzen  normal.  Die  Hand  ist  bläu- 
lich gefärbt.  H.  trägt  den  Arm  in  einer  Mitelle  und  braucht  Hülfe  beim 
Kleiden.  Er  treibt  einen  Victualienhandel  und  kann  z.  B.  eine  Flasche 
Porter  mit  der  Hand  halten,  auch  die  Finger  zum  Geldeinnehmen  ge- 
brauchen. 

Die  Schilderung  weicht  etwas  ab  von  dem  Resultate,  welches 
Drachmann  H  Monat  früher  constatirt  hatte.    Damals  war  die 
Verbindung  noch  nicht  so  straff. 
Fall  16j9  (nam.  L.  d.  Res.  Nr.  7).    Hans  Hansen  vom  4.  dän.  Inf.-Reg., 
am  29.  Juni  verwundet.  Die  Kugel  ist  dicht  oberhalb  der  Condylen  durch 
den  linken  Humerus  gegangen  und  hat  dessen  Gelenkende  zersplittert.  In 
Oster-Satrup  wird  am  1.  Juli  von  der  an  sich  grossen  und  zu  dem 
Zwecke  noch  erweiterten  Ausgangsöffnung  am  Cond.  ext.  aus  das  Gelenk 
resecirt,  jedoch  nur  die  Epiphyse  des  Humerus  und  eine  kleine 
Knochenspitze  vom  Schafte  abgetragen.    (St.-A.  Dr.  Lücke.)  Un- 
mittelbar danach  gefensterter  Gypsverband,  der  indess  durch  die  sehr 


250 


profuse  Eiterung  rasch  erweicht  wurde,  so  dass  er  schon  am  7.  Juli  durch 
einen  neuen  ersetzt  werden  musste.  Vom  18.  Juli  ab  musste  der  Gipsver- 
band ganz  wegbleiben,  weil  unter  lebhaftem  Fieber  uud  verbreitetem  Ery- 
them Eitersackungeu,  namentlich  von  der  bursa  olecrani  aus  nach  dem  Vorder- 
arm, entstanden  und  Incisionen  erheischten.  Am  28.  Juli  Entfernung  eines 
nekrotischen  Splitters  vom  Humerus.  Im  August  täglich  ein  halbstündiges 
Armbad  von  Seewasser.  Einlegung  einer  Drainröhre.  In  Apenrade, 
wohin  Patient  am  28.  August  evacuirt  wird,  dauert  die  Eiterung  wechselnden 
Grades  unter  Wiederaufbruch  alter  Incisionen  bei  ziemlich  gutem  Allge- 
meinbefinden fort.  Gegen  Ende  October  ist  die  Ausheilung  so  weit  vor- 
geschritten, dass  methodische  Bewegungen  mit  dem  Gliede  vorgenommen 
werden  können.  Am  8.  November  zeigt  sich  unter  Fieberung  Fluctua- 
tion  an  der  äusseren  Seite  des  Gelenkes.  Die  Sonde  stösst  auf  nekroti- 
schen Knochen.  Die  dort  noch  bestehende  Fistelöffnung  wird  dilatirt  und 
demnächst  ein  nekrotischer  1  Zoll  langer,  doch  nicht  ganz  voll- 
wandiger  Knochen-Cylinder  vom  unteren  Ende  des  Humerus 
extrahirt.  Die  Vernarbung  geht  nunmehr  so  rasch  vor  sich,  dass  An- 
fangs December  die  Entlassung  nach  Copenhagen  erfolgen  kann. 

•  Untersuchung  7  Monate  nach  der  Operation:  Umfang  der 
Schulter  5|  Ctm.  geringer  als  rechts.  Ohne  Mitbewegung  des  Schulter- 
blattes kann  der  Arm  activ  nur  wenig  erhoben,  die  Rotation  nur  schwer 
ausgeführt  werden.  Die  active  Vor-  und  Rückwärtsführung  des  Armes  ist 
ziemlich  ausgiebig.  Oberarm  3  Ctm.  dünner  als  der  rechte  und  5  Ctm. 
kürzer.  An  jeder  Seite  des  Olecranon  eine  vertiefte  Narbe,  rechts  9  Ctm. 
lang.  Oberhalb  des  Olecranon  eine  wenig  eiternde  Fistelöffnung,  die  in 
weiches  Gewebe  führt.  In  der  Ellenbogenbeuge  eine  vertiefte  Narbe,  5  Narben 
nach  Einschnitten  über  der  Ulna  bis  zur  Mitte  des  Unterarmes.  Das  untere 
Humerusende  ist  besonders  an  der  inneren  Kante  verdickt;  an  der  äusseren 
eine  vertiefte  Narbe.  Die  Umrisse  des  Olecranon  sind  scharf.  Am  Radius 
fühlt  man  6  Ctm.  von  der  Ellenbogenbeuge  entfernt  einen  halbharten 
Knopf,  über  den  hinaus  keine  Knochenmasse  mehr  durchzufühlen  ist.  Um- 
fang der  Gelenkgegend  3  Ctm.  geringer  als  rechts.  Das  untere  Humerus- 
ende ist  mit  dem  Olecranon  durch  eine  3  Ctm.  lange  weiche  Zwischensub- 
stanz verbunden.  Der  Arm  hängt  in  sehr  stumpfem  Winkel  gebeugt  herab 
und  kann  activ  zu  einem  Winkel  von  c.  160°  flectirt  werden.  Pro-  und 
Supination  activ  unmöglich.  Passiv  ist  die  Beugung  mit  grösster  Leich- 
tigkeit bis  zum  rechten  Winkel  ausführbar.  Bei  versuchter  passiver  Pro- 
nation rotlren  Ulna  und  Radius  zugleich.  Der  Vorderarm  lässt  sich  gegen 
den  Oberarm  nach  allen  Richtungen  verschieben  —  straffes  Schlotter- 
gelenk. Der  Unterarm  2£  Ctm.  dünner  als  rechts.  Beugung  und  Stre- 
ckung im  Handgelenke  frei;  Rotation  nicht  ausführbar.  Bewegung  der 
Finger  frei.    Handdruck  kräftig.    Fingergefühl  vollkommen. 

Von  den  übrigen  in  preussischen  Lazarethen  resecirten  Dänen 
sind  uns  zwar  nur  die  provisorischen  Resultate  zur  Zeit  der  Ent- 
lassung in  die  Heimath  bekannt;  diese  waren  aber  wenigstens  in 


251 


den  beiden  folgenden  Fällen,  welche  Herr  Prof.  Drachmann  nicht 
zu  kennen  scheint,  der  Art,  dass  ein  sehr  schönes  definitives  Re- 
sultat in  sicherer  Aussicht  stand. 

Fall  170  (nara.  L.  d.  Res.  No.  12).  Peter  Holmbol  vom  9.  dän.  Inf.- 
Reg.,  am  18.  April  verwundet  und  in  Wester-Snaabeck  aufgenommen. 
Sehr  kleine  Oeffnungen  des  Schusskanales  an  beiden  Seiten  des  linken 
Olecranon,  welche  von  einer  Revolverkugel  herzurühren  scheinen.  Die  Ver- 
letzung imponirt  als  leichte;  Patient  wird  am  20.  April  nach  Baurup  eva- 
cuirt.  Auch  hier  ist  eine  Fractur  nicht  mit  Sicherheit  zu  constatiren,  weil 
weder  Dislocation,  noch  abnorme  Beweglichkeit  resp.  Crepitation  vorhanden 
ist.  Aber  unter  steigendem  Fieber  schwoll  das  Gelenk  an,  und  Druck  auf 
dasselbe  entleerte  am  22.  April  Jauche  aus  den  Wundöffnungen.  Bei  der 
deshalb  am  26.  April  ausgeführten  Resection  (Gen.-A.  Dr.  v.  Langen- 
beck)  stellte  sich  heraus,  dass  das  Olecranon  dicht  über  dem  Kronfort- 
satze abgesprengt  war.  Es  wurden  alle  3  Epiphysen  abgetragen  und  so- 
fort ein  Gypsverband  im  Winkel  von  145  Grad  angelegt.  Zwei  Tage  Eis- 
blasen Eine  Nachblutung  am  dritten  Tage  machte  die  Eröffnung  des  Ope- 
rationsschnittes behufs  Entleerung  der  Gerinnsel  nöthig.  Der  weitere  Ver- 
lauf gestaltete  sich  dessenungeachtet  so  günstig,  dass  Patient  schon  am 
14.  Mai  das  Bett  verlassen  und  der  erste  Gypsverband  bis  zum  31.  Mai 
liegen  bleiben  konnte.  Ein  zweiter  erschien  nicht  mehr  nöthig.  Schon  in 
der  sechsten  Woche  nach  der  Operation  durften  passive  Bewegungen  be- 
ginnen- Als  Patient  am  21.  August  von  Rendsburg  aus  heimgesandt  wurde, 
war  die  Verbindung  zwischen  Ober-  und  Unterarm  straff,  aber  schon  activ 
beweglich. 

Unter  allen  Resectionen  des  Ellenbogengelenkes  von  1864  hat 
die  folgende  das  schönste  Resultat  gegeben.  Sie  war  die  einzige, 
welche  schon  am  Tage  der  Verletzung  gemacht  ist. 

Fall  171  (nam.  L.  d.  Res.  No.  1).  Langbleischus  s  durch  das  Ellen- 
bogengelenk. Resection  12  Stunden  nach  der  Verwundung. 
Rasche  Heilung  mit  sehr  brauchbarem  Gliede.  —  Gemeiner 
Christen  Christensen  vom  9.  dän.  I.-R.  wurde  in  dem  Nachtgefechte  am 
28.  März  vor  Düppel  verwundet  und  kam  etwa  2%  Uhr  Morgens  auf  dem  Ver- 
bandplatze des  1.  F.  L.  6.  I.-D.  (Chefarzt  Taubner)  an.  Das  Gschoss  war  an 
der  hinteren  Seite  des  linken  Oberarmes  über  dem  Olecranon  eingedrungen, 
hatte  dasselbe  zertrümmert  und  war  an  der  Beugeseite  des  Unterarmes 
dicht  unterhalb  des  abgesprengten  Capit.  radii  ausgetreten.  Im  Depot 
desselben  Lazareths  zu  Stenderup  wurde  Nachmittags  3  Uhr  von  St.-A. 
Dr.  E.  Pätsch  die  Resection  gemacht  mittelst  Längsschnitt  über  dem  Ole- 
cranon, so  dass  die  Schusseingangsöffnung  in  denselben  fiel.  Alle  3  Epi- 
physen wurden  abgetragen.  Einfacher  Verband  und  Lagerung  auf  einem 
Hechseikissen,  dem  in  den  nächsten  Tagen  eine  Drahtschiene  zugefügt 
wurde.  Die  Behandlung  wurde  bis  zum  15.  April  von  St.-A.  Dr.  Asche, 
danach  von  St.-A.  Dr.  Bötticher  geleitet.  Eine  glückliche  Torpidität  des 
Operirten  unterstützte  den  Erfolg.   Niemals  zeigte  sich  allgemeine  Reac- 


252 


tion,  die  Eiterung  blieb  eine  beschränkte.  Am  16.  April  wurde  der  Arm  auf  der 
Esmarch'schen  Schiene  gelagert.  Die  Granulationen  wurden  bald  so  üppig, 
dass  mit  Arg.  nitricum  touchirt  werden  musste.  Am  28.  April  —  also  vier 
Wochen  nach  der  Resection  —  war  die  Ausheilung  fast  vollendet.  Der 
Operirte  hatte  bereits  gegen  den  Willen  des  Arztes  Bewegungen  versucht.  Am 
29.  April  wurde  —  behufs  der  Evacuation  nach  Baurup  —  ein  Gypsverband 
angelegt.  In  ßaurup  wurde  nach  Abnahme  des  Gypsverbandes  eine  Resec- 
tionsschiene  abwechselnd  in  möglichst  gestreckter  und  möglichst  gebeugter 
Stellung  angelegt  und  active  Bewegungsversuche  gemacht.  Mitte  Juni 
sind  alle  Bewegungen  frei.  Patient  hebt  einen  halben  Eimer 
Wasser  ohne  Schwierigkeit  mit  dem  Vorderarme.  Die  Heimsen- 
dung erfolgte  Mitte  Juli  von  der  Festung  Rendsburg. 

Die  Data,  welche  Verwundung,  Operation  und  den  Gypsverband 
betreffen,  weichen  wesentlich  ab  von  den  Angaben,  welche  die  Mit- 
theilung des  Hrn.  Prof.  Lücke  (1.  c.  S.  143)  über  diesen  Fall  ent- 
hält. Die  vorstehenden  sind  correct.  Der  Fall  zeugt  nicht,  wie 
Lücke  meint,  von  der  trefflichen  Wirkung  des  Gypsverbandes,  da 
derselbe  nur  die  untergeordnete  und  kurze  Rolle  des  Transportver- 
bandes nach  fast  vollendeter  Heilung  gespielt  hat,  sondern  von  den 
Vorzügen  der  primären  Resection.  Ich  werde  darauf  zurück- 
kommen. 

Die  Resultate  der  Resection  bei  den  in  den  preussischen  La- 
zarethen  resecirten  Dänen  liegen  in  Obigem  vor  bis  auf  den  in 
der  namentlichen  Liste  sub  5  verzeichneten  Fall.  Genügende,  die 
eventuelle  Brauchbarkeit  des  erhaltenen  Gliedes  betreffende  Data 
fehlen.  Dass  aber  der  Verlauf  auch  in  diesem  Falle  von  primärer 
Resection  kein  ungünstiger  gewesen  sei,  dürfte  schon  aus  dem  Um- 
stände zu  schliessen  sein,  dass  der  Operirte  bereits  im  dritten  Mo- 
nate nach  der  Verwundung  ausgeliefert  werden  konnte. 

Noch  mehr  Bedeutung  für  die  Würdigung  der  Brauchbarkeit 
der  Glieder,  welche  durch  die  Resection  des  Ellenbogengelenkes 
erhalten  wurden,  gebührt  den  definitiven  Resultaten,  welche  bei 
den  resecirten  Preussen  zu  ermitteln  gelungen  ist.  Ich  stelle  die 
günstigsten  voran. 

1.  Fall  172.  (nam.  L.  No.  29).  Absprengung  des  Condylus  exter- 
nus  humeri.  Secundäre  Resection  mit  Abtragung  der  Epi- 
physe  des  Humerus.  Heilung  mit  fast  vollkommener  Restitu- 
tion der  Gelenkverbindung  und  der  Brauchbarkeit  des  Gliedes 
überhaupt.  —  Musk.  Ernst  Birkner  von  der  1.  Comp.  60.  I.-R.  er- 
hielt am  18.  April  bei  Düppel  einen  Gewehrschuss  an  der  äusseren  Seite 
des  linken  Ellenbogengelenks,  welcher  so  wenig  bedeutend  schien,  dass 
er  in  rascher  Folge  durch  mehre  Lazarethe  bis  Kiel  evacuirt  wurde,  wo 


253 


er  am  24.  April  eintraf.  Hier  wurde  zwar  eine  Verletzung  des  Condyl. 
ext.  humeri  constatirt;  aber  erst  vom  7.  Mai  ab  äusserte  sich  die  Bethei- 
ligung des  Gelenkes  durch  Auftreibung  und  nach  oben  wie  nach  unten 
sich  ausdehnende  Infiltration.  Da  letztere  unter  Zutritt  von  Fieber  und 
copiöser  Eiterung  immer  mehr  stieg,  so  wurde  am  14.  Mai  zur  Resection 
des  Gelenkes  mittelst  des  |— Schnittes  geschritten.  (O.-St.-A.  Dr.  v.  Stück  - 
radt.)  Das  Bild  (Fig.  1)  zeigt  die  abgesägte,  von  Herrn  O.-St.-A.  Dr.  Otto 


Fig.  1. 


nach  der  Natur  gezeichnete  Epiphyse  des  Humerus  mit  der  Sprengfläche  des 
äusseren  Condylus.  (Der  Knorpelüberzug  wurde  in  der  Ablösung  begriffen 
gefunden.)  Die  Epiphysen  der  Ulna  und  des  Radius  blieben  intact.  Bei 
der  Lagerung  auf  der  Esmarch'schen  Schwebe  verlief  die  Ausheilung 
ohne  erhebliche  Störungen.  Am  23.  Mai  wurde  an  der  innern  hinteren 
Seite  des  Gelenkes  eine  Incision  nöthig,  um  ein  Eiterdepot  zu  entleeren. 
Schon  im  Juni  konnten  passive  Bewegungen  vorgenommen  werden.  Wäh- 
rend einer  dreiwöchentlichen  Badekur  in  Teplitz,  welche  Patient  im  August 
gebrauchte,  verheilte  die  Operationswunde  fast  völlig,  die  Vernarbung  er- 
folgte jedoch  erst  im  November,  bis  wohin  Herr  O.-St.-A.  Dr.  Büttner  in 
Berlin  die  Behandlung  leitete,  bis  auf  einen  Fistelgang,  der  sich  erst  im 
Januar  1865  definitiv  schloss,  nachdem  sich,  wie  wiederholt  früher,  noch 
kleine  nekrotische  Knochenfragmente  (mit  der  Sägefläche)  entleert  hatten. 
Wegen  heftiger  rheumatischer  Schmerzen  im  linken  Oberarm  wurde  im 
Juni  1865  eine  vierwöchentliche  Badekur  in  Warmbrunn  gebraucht.  Am 
24.  October  1865  trat  B.  seinen  Lehr  er- Beruf  wieder  an. 

Untersuchung  \\  Jahr  nach  der  Operation  durch  Herrn 
St.-A.  Dr.  Gaehde  am  23.  November  1865:  Temperatur,  Puls,  Gefühl 
wie  am  gesunden  Arme.  Nur  bisweilen  etwas  rheumatischer  Schmerz  im 
linken  Oberarm.  Länge  des  Oberarmes  11|  Zoll,  \  \  Zoll  weniger  als  rechts. 
Umfang  in  der  Mitte  \\  Zoll  geringer.  Der  linke  Vorderarm  misst  an 
seiner  dicksten  Stelle  1|  Zoll  weniger  als  der  rechte.  Muskulatur  überall 
gut  entwickelt,  nur  etwas  schlaffer  als  rechts.  Das  nntere  Ende  des  Hu- 
merus, besonders  an  der  äusseren  Leiste,  etwas  verdickt.  Osteophyten 
nicht  nachweisbar.  Die  Narben  der  Operationsschnitte  fast  gar  nicht  ein- 
gezogen.   Zwischen  Ober-  und  Unterarm  hat  sich  eine  neue  gelenk- 


254 


Flexion  ist  nahezu  normal.  Die  active  Extension  erreicht  nur  den 
Winkel  von  130 0 ;  aber  auch  die  passive  geht  nicht  weiter.  Jener  Winkel 
ist  um  10°  grösser  als  der,  bis  zu  welchem  sich  der  Arm  am  Skelett  ex- 
tendiren  lässt,  nachdem  die  fossa  olecrani  ausgefüllt  ist.  Die  Supina- 
tion  geschieht  bis  zur  Mittelstellung,  die  Pronation  um  einen  rechten 
Winkel  —  bei  gestrecktem  wie  bei  gebeugtem  Arm.  Auch  passiv  gehen 
diese  Bewegungen  nicht  weiter.  Die  Brauchbarkeit  wird  durch  die  Photo- 
graphien hinreichend  erläutert.  Zum  Geigespielen  müsste  die  Supination 
vollständiger  sein.  Zum  Ciavierspielen  ist  noch  mehr  Gelenkigkeit  und 
Ausdauer  erforderlich  —  Requisite,  deren  Erlangung  nicht  zweifelhaft  ist, 
wenn  die  entsprechende  Gymnastik  weiter  zu  Hülfe  kommt.  Bis  zur  Un- 
tersuchung hat  B.  eine  stetige  Zunahme  des  Umfanges  und  der  Kraft  des 
Gliedes  bemerkt. 

Fall  173.  (nam.  L.  No.  31).  Schussfractur  des  Condylus  exter- 
nus  humeri  und  des  capitulum  radii.  Secundäre  Resection 
mit  Abtragung  der  Epiphyse  des  Humerus,  des  Radius  und 
der  Spitze  des  Olecranon.  Heilung  mit  straffer  gelenkartiger 
Verbindung  und  grosser  Brauchbarkeit  des  Gliedes.  —  Musk. 
Hermann  Hannisch  von  der  2.  Comp.  55.  I.-R.  erhielt  am  18.  April 


255 


eine  Gewehrkugel,  welche  neben  dem  äusseren  Rande  des  linken  Olecranon, 
ohne  dieses  zu  verletzen,  eindrang,  den  Condylus  ext.  humeri  zersprengte 
und  mit  Fractur  des  capitulum  radii  an  der  Volarseite  des  Unterarmes 
austrat.  In  Broacker  vom  schw.  F.-L.  des  Garde-Corps  (Sect.  St.-A. 
Michel)  aufgenommen,  wurde  er  bei  entsprechender  Lagerung  mit  Eis 
behandelt  und  am  23.  April  dem  1.  F.-L.  der  Cav. -Div.  übergeben.  Die 
Anfangs  lebhafte  Reation  mässigte  sich  zwar,  die  immer  wiederkehrenden 
Verschlimmerungen  nöthigten  jedoch  am  21.  Mai  zur  Resection  des  Ge- 
lenkes (0. -St. -  A.  Dr.  Neubaur).  Längsschnitt  nach  v.  Langenbeck. 
Abtragung  der  Epiphyse  des  Humerus,  dessen  Knorpelüberzug  bereits 
gelockert  war,  der  Spitze  des  Olecranon  Zoll)  und  circa  1  Zoll  vom  Ge- 
lenkende des  Radius.  Gypsverband  12  Stunden  nach  der  Operation.  Der 
Operirte  wurde  am  25.  Mai  dem  1.  F.-L.  der  6.  Inf. -Div.  übergeben  und 
am  27.  Juni  von  Broacker  nach  Glücks  bürg  (3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.) 
evacuirt.  Bis  Ende  Juli  war  die  Ausheiluug  soweit  vorgeschritten,  dass 
Patient  behufs  einer  achtwöchentlichen  Badekur  nach  Teplitz  geschickt 
werden  konnte.    Die  Vernarbung  erfolgte  hier  vollständig  und  definitiv. 

Untersuchung  19  Monate  nach  der  Operation  durch  Herrn 
St.-A.  Dr.  Gaehde.    Temperatur  und  Puls  wie  am  rechten  Arme.  Die 


Fig.  4,  Fig.  5. 


Web  er 'sehen  Tastkreise  um  den  3  bis  4  fachen  Durchmesser  vergrössert. 
Bisweilen  die  Empfindung  leichten  Kriebelns  in  den  Fingern.  Der 
linke  Biceps  ist  gut  entwickelt,  der  Triceps  schwach.  Die  Muskulatur  des 
Vorderarmes  und  der  Hand  noch  erheblich  schlaffer  als  rechts.  Der  linke 
Oberarm  misst  in  der  Mitte  \\  Zoll  weniger,  der  Vorderarm  an  der  dick- 
sten Stelle  1  Zoll  weniger  als  rechts.   Am  unteren  Ende  des  kaum  1  Zoll 

Löffler,  Generalbericht.  17 


256 


kürzeren  Humerus  haben  sich  neue  der  Stelle  der  Condylen  entsprechende 
Vorsprünge  gebildet.  Das  Olecranon  ist  durch  einen  ziemlich  dicken 
Knochenvorspruug  ersetzt.  Die  Schnittnarbe  verschiebbar.  Straffe  gelenk- 
artige Verbindung  zwischen  Ober-  und  Unterarm.  Die  Ausgiebigkeit  der 
activen  Flexion  bis  zum  rechten  Winkel  und  die  active  Bewegungs- 
fähigkeit der  Finger  wird  durch  die  beiden  nach  Photographien  ausgeführ- 
ten Holzschnitte  (Figur  4  und  5)  ersichtlich.  Die  bis  zum  Winkel  von 
120°  mögliche  active  Extension  geschieht  durch  den  noch  schwachen 
Triceps  ruckweis.  Pro-  und  Supination  fast  aufgehoben.  H.  ist  seit  dem 
1.  Juli  1865  als  Briefträger  bei  dem  Königlichen  Oberpostamte  in  Berlin 
angestellt  und  durch  die  Brauchbarkeit  seines  Gliedes,  dessen  Kraft  und 
Ausdauer,  wie  er  sagt,  noch  stetig  zunimmt,  sehr  befriedigt. 

3.  Fall  174.  (s.  nam.  L.  No.  4).  Gewehrschuss  durch  das  linke  El- 
lenbogengelenk. Frühe  Resection.  Heilung  mit  beschränkter 
activer  Beweglichkeit.  —  Füs.  Hermann  Rawe  vom  4.  Garde  Gren.- 
Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Sehuss,  welcher  von  vorn  nach  hinten  das 
Ellenbogengelenk  durchbohrte  und  die  Epiphyse  des  Humerus  und  das 
Olecranon  zerschmetterte.  Die  Einschussöffnung  liegt  der  A.  brachialis  so 
nahe,  dass  möglicherweise  eine  Streifung  derselben  stattgefunden  hat.  Am 
19.  April  wurde  in  Stenderup  von  St -A.  Dr.  Claus  resecirt  mittelst  Längs- 
schnitt, so  dass  die  hintere  Schussöffnung  in  letzterem  zu  liegen  kommt. 
Die  Ulua  wurde  unter  den  Kronenfortsatze,  der  Radius  in  gleicher  Höhe, 
vom  Humerus  nur  der  Gelenkfortsatz  abgetragen.  Sehr  günstiger  Verlauf 
bei  geringer  Reaction.  Anfangs  Juni  erfolgte  der  Schluss  der  Wunden. 
Später  ist  noch  eine  Badekur  in  Kreuznach  gebraucht.  Untersuchung 
(21  Monate  nach  der  Operation)  am  31.  Januar  1866  durch  Herrn 
Dr.  Mittweg  in  Essen:  R.  fungirt  als  Nachtwächter  bei  der  Cöln-Min- 
dener  Eisenbahn.  Definitive  Vernarbung  der  Wunden  Das  Glied  ist  noch 
etwas  magerer  als  das  gesunde.  Periodische  Schmerzhaftigkeit  der  Gelenk- 
stelle. Puls,  Temperatur  und  Empfindung  normal.  Active  Beweglichkeit 
im  Ellenbogen  von  einem  Winkel  von  105°  bis  zu  135°.  Passiv  lässt  sich 
zwar  etwas  stärkere  Beugung  und  Streckung  bewirken,  doch  verursacht 
dies  Schmerzen.  Hand-  und  Fingergelenke  frei  bis  auf  Mittel-  und  Ring- 
finger, die  etwas  steif  geblieben  sind.  Pro-  und  Supination  wenig  aus- 
führbar. 

4.  Die  Verwundung  und  Operation  des  Gefreiten  Karl  Schmidt  ist  schon 
früher  besprochen  worden.  S.  Fall  152  (nam.  L.  der  Res.  No.  37).  Es 
handelte  sich  um  Gelenkeiterung  2  Monate  nach  der  Verwundun  g, 
Resection  mit  Abtragung  aller  3  Epiphysen  und  nachträgliche 
Absägung  eines  %  Zoll  langen  nekrotischen  Stückes  vom  un- 
teren Ende  des  Humerus.  Bei  der  am  4.  März  1866,  also  21  Mo- 
nate nach  der  Operation  in  Inowraclaw  geschehenen  Untersuchung 
hat  Herr  St-A.  Dr.  Tievenow  folgendes  Resultat  constatirt:  Der  Aus- 
heilungsprocess  ist  völlig  abgelaufen.  Puls  wie  an  der  gesunden  Seite; 
Temperatur  etwas  geringer.  Sensibilität  bis  auf  eine  thalergrosse  Stelle 
am  Ellenbogen  gut.    Häufig  tritt  ein  Gefühl  von  Jucken  und  Kriebeln  ein. 


257 


Fig.  6. 


Die  Differenz  der  Ernährung  des  resecirten 
Gliedes  von  der  des  gesunden,  sowie  der 
Längenunterschied  wird  durch  Figur  6, 
nach  einer  Photographie  gefertigt,  veran- 
schaulicht. Die  Muskulatur  ist  besonders 
am  Oberarm  sehr  schlaff;  der  Umfang  ist 
in  der  Mitte  5  Ctm.  geringer  als  rechts. 
Die  zurückgebliebene  durch  eine  weiche 
Zwischensubstanz  vermittelte  Schlotter- 
verbindung zwischen  Ober-  und  Unter- 
arm wird  sehr  gut  durch  Figur  7  an  der 
vollständigen  Verdrehung  des  Vorderarmes 
um  seine  Achse  und  Rückwärtsbeugung 
gegen  den  Oberarm  ersichtlich.  In  der 
Schulter  kann  der  Arm  activ  nur  wenig, 
passiv  bis  zum  rechten  Winkel  gehoben 
werden.  Im  Ellenbogen  ist  nur  eine  höchst 
geringe  active  Beugung  (c.  um  \  Zoll) 
möglich;  passiv  lässt  sich  der  Unterarm 


258 


ohne  Schmerz  so  weit  flectiren,  dass  die  Hand  das  Ohr  der  Seite  berührt. 
Die  Hand  übt  zwar  nur  schwachen  Druck,  kann  aber  vollständig  zur  Faust 
geschlossen  werden.  Ohne  Stützapparat  ist  das  Glied  unbrauchbar.  Mit 
dem  Stützapparat  (Fig.  8)  kann  er  den  Arm  etwas  heben  und  mit  den 
Fingern  leichte  Gegenstände  festhalten,  z.  ß.  beim  Essen  den  Teller,  nach- 
dem er  ihn  zwischen  die  Finger  geschoben  hat.  Bei  der  Ausübung  seines 
jetzigen  Berufes  —  er  ist  Chausseegeld-Erheber  zu  Antonsdorf  im  Kreise 
Schubin  —  benutzt  er  ausschliesslich  den  gesunden  Arm. 
5.  Fall  175.  (nam.  L.  der  Res  No.  26).  Schussfractur  des  oberen 
Endes  der  Ulna.  Späte  Gelenkentzündung.  Resection.  Hei- 
lung mit  Schlotterverbindung.  —  Füs.  Hermann  Hein  vom 
24.  Inf.-Reg.  wurde  am  11.  April  vor  Düppel  verwundet  und  in  Rinkenis 
(3.  schw.  F.-L.  3.  A  -C,  Sect.  St.-A.  Dr.  Weise)  aufgenommen.  Die  Kugel 
war  am  Radialrande  der  Volarseite  des  rechten  Unterarmes  nahe  der 
Ellenbogenbeuge  eingedrungen  und  ohne  Verletzung  des  Radius,  aber  mit 
Zerschmetterung  der  Ulna  an  der  Streckseite  2  Zoll  unterhalb  des  Gelenkes 
ausgetreten.  Einige  Splitter  der  Ulna  wurden  aus  der  hinteren  Oeffnung 
extrahirt.  Das  Gelenk  selbst  schien  nicht  verletzt.  Bei  entsprechender 
Lagerung  und  Eis  schien  sich  der  Verlauf  auch  günstig  zu  gestalten.  An- 
fangs Mai  bildete  sich  jedoch  nach  vorausgegangenen  leichten  Schüttel- 
frösten ein  Abscess  oberhalb  des  Gelenkes,  welcher  bei  der  Eröffnung 
guten  Eiter  entleerte.  Bald  schwoll  nun  das  Gelenk  selbst  an  mit  deut- 
licher Fluctuation  neben  dem  Olecranon.  Am  5.  Mai  wurde  deshalb  zur 
Resection  geschritten  (Dr.  Lender  aus  Soldin).  Olecranon  und  Proc. 
coronoid.  der  Ulna  fanden  sich  abgesprengt  Abgetragen  wurde  die 
Epiphyse  des  Humerus  und  der  Ulna;  das  Cap.  radii  blieb  intact. 
Erhöhte  Lagerung  auf  einer  gepolsterten  Armschiene ;  nach  8  Tagen  Gyps- 
verband.  Die  Ausheilung  ging  rasch  und  ungestört  vor  sich,  so  dass  Pat. 
bereits  am  25.  Mai  das  Bett  verlassen  konnte.  Als  er  am  8.  Juni  nach 
Glücksburg  evacuirt  wurde,  wsr  die  Wunde  fast  verheilt.  Vernarbung 
am  9.  Juli  vollständig.  Sechswöchentliche  Badekur  in  Teplitz.  Entlassung 
aus  der  Lazarethpflege  (zuletzt  in  Berlin)  mit  einem  Stützapparat  am 
13.  April  1865. 

Untersuchung  in  Charlottenburg  am  25.  November  1865  —  19  Monate 
nach  der  Operation  —  durch  Herrn  Ass.-A.  Dr.  Hanckwitz:  Puls  nor- 
mal; Temperatur  etwas  geringer  als  links;  Sensibilität  ungestört.  Der  Ober- 
arm hat  in  der  Mitte  4  Ctm.,  der  Unterarm  2 \  Ctm.  weniger  Umfang  als 
der  linke.  Vom  Humerus  und  von  der  Ulna  fehlen  je  8  Ctm.  Von  den 
Enden  beider  Knochen  erstrecken  sich  Knochenlamellen  in  die  weiche 
Zwischensubstanz',  welche  eine  Schlotterverbindung  vermittelt.  Bewe- 
gungen im  Schultergelenk  und  der  Hand  lassen  kaum  etwas  zu  wünschen 
übrig.  Ohne  Stützapparat  ist  nur  eine  sehr  geringe  active  Flexion 
möglich.  Mit  dem  Stützapparat  ist  völlige  Streckung  und  active  Beu- 
gung bis  zum  rechten  Winkel  möglich.  Die  passiv  vollständig  ausführbare 
Pro-  und  Supination  ist  activ  sehr  wenig  möglich.  H.  gebraucht  das  re- 
secirte  Glied  nur  zum  Festhalten  von  Gegenständen,  nachdem  er  sie  mit 


259 


der  gesunden  Hand  in  die  andere  gelegt  hat,  sofern  sie  nicht  zum  directen 
Fassen  mit  letzterer  beqnem  liegen.  Er  ist  als  interimistischer  Briefträger 
bei  der  Post  im  Dienste.  Beim  Austragen  der  Briefe  lässt  er  den  rechten 
Arm  gewöhnlich  auf  der  angeschnallten  Brieftasche  ruhen.  Da  er  Abends 
aber  genöthigt  ist,  noch  eine  Laterne  zu  tragen,  welche  beim  Ausgeben  der 
Briefe  mit  dem  kranken  Arme  zu  halten  ist,  dieser  aber  danach  bald 
schmerzhaft  wird,  so  ist  er  im  Begriffe,  den  Posten  aufzugeben. 
6.  Fall  176.  (nam.  L.  d.  Res.  No.  38).  Schussfractur  des  unteren 
Endes  des  Humerus.  Späte  Resection  des  Ellenbogengelenks. 
Heilung  mit  Schlotterverbindung.  —  Pionier  Wilhelm  Fröh- 
brodt  vom  3.  Pion.-Bat.  erhielt  am  18  April  eine  Kugel  durch  den  rechten 
Oberarm,  welche  den  Humerus  nahe  dem  Ellenbogengelenke  zerschmetterte. 
Die  Gelenkbetheiligung  blieb  lange  zweifelhaft.  Als  Patient  am  5.  Juli  in 
Broacker  von  dem  1.  F.-L.  13.  I.-D.  übernommen  wurde,  war  er  sehr  her- 
untergekommen und  wegen  heftiger  Schmerzen  im  rechten  Arme  schlaf- 
los. Das  Gelenk  ist  stark  geschwollen  und  geröthet;  aus  den  beiden 
Schussöffnungen  und  einer  Fistelöffnung  entleert  sich  in  Menge  stinkender 
Eiter.  Am  13.  Juli  —  86  Tage  nach  der  Verwundung  —  resecirte  St.-A. 
Dr.  Hage  mann  das  Gelenk.  Ausser  dem  fracturirten  Gelenkende  des 
Humerus  (über  4'')  wurden  die  Epiphysen  vonülna  und  Radius  abgetragen. 
Sofortiger  Gypsverband.  Eisbeutel.  Die  Operation  hatte  die  günstigste 
Wirkung  auf  das  Allgemeinbefinden.  Die  Ausheilung  geht  schnell  und  un- 
gestört vor  sich.  Der  gefensterte  Gypsverband  wird  am  31.  Juli  und  am 
15  August  erneuert.  Um  diese  Zeit  verlässt  Patient  das  Bett  und  wird 
mit  fast  vernarbter  Wunde  am  9.  September  nach  Flensburg,  am  14.  Oc- 
tober  nach  Berlin  evacuirt.  Hier  lösten  sich  noch  kleine  Sequester  ab, 
der  letzte  am  2.  Februar  1865.  Definitive  Vernarbung  am  20.  April.  Im 
Juni  1865  vierwöchentliche  Badekur  in  Rehme  neben  Anwendung  der  Elec- 
tricität. 

Untersuchung  am  7.  December  1865  —  17  Monate  nach  der  Ope- 
ration —  in  Berlin  durch  Herrn  Dr.  Berkofsky:  Puls  beider  Seiten 
wenig  verschieden.  Temperatur  rechts  etwas  geringer;  die  Sensibilität 
nicht  vermindert.  Erhöhte  Empfindlichkeit  gegen  Temperaturunterschiede. 
Umfang  des  rechten  Oberarmes  in  der  Mitte  1\  Ctm. ,  des  Vorderarmes 
oben  2  Ctm.  kleiner  als  links.  Der  Humerus  erscheint  rechts  12  Ctm.,  die 
Ulna  3  Ctm.,  der  Radius  1|  Ctm.  kürzer  als  links.  Der  Humerus  verjüngt 
sich  nach  unten  konisch.  Am  oberen  Ende  der  Ulna  hat  sich  eine  dem 
Olecranon  entsprechende,  nur  viel  spitzere  Protuberanz  gebildet.  An  der 
Streckseite  der  Gelenkgegend  ist  die  10  Ctm.  lange  Schnittnarbe  mit  der 
Haut  verschiebbar  bis  auf  einen  kleineu  Theil,  welcher  verwachsen  ist  mit 
dem  fibrösen,  bei  herabhangendem  Arme  b\  Ctm.  langen  Strange,  welcher 
die  Schlotterverbindung  zwischen  Ober-  und  Unterarm  vermittelt. 
Die  Bewegungen  im  Schultergelenk  sind  activ  wie  passiv  frei.  Die  pas- 
sive Bewegung  im  Ellenbogen  ist  nach  allen  Richtungen  ausgiebigst,  ac- 
tive  dagegen  weder  ohne  noch  mit  dem  Stützapparat  möglich. 
Die  Bewegungen  der  Hand  und  der  Finger  sind  activ  wie  passiv  sehr  frei. 


260 


Fig.  9. 


Die  Hand  kann  vollkommen  geschlos- 
sen, sämmtliche  Finger  können  activ 
vollkommen  gestreckt  und  gespreizt 
werden,  wie  an  dem  photographischen 
Bilde  ersichtlich  ist.  Dennoch  ist  die 
Hand  ohne  den  Stützapparat  nicht 
brauchbar,  weil  ohne  denselben  sehr 
bald  Ermüdung,  etwas  Anschwellung, 
vermehrtes  Kältegefühl  und  ziehende 
Schmerzen  eintreten.  Nach  Anlegung 
desselben  können  mit  der  Hand  die 
meisten  kleineren  Leistungen  des  ge- 
wöhnlichen Lebens  ausgeführt  wer- 
den, sobald  nur  mittelst  des  gesun- 
den Gliedes  die  rechte  Hand  nach 
der  betreffenden  Stelle  geleitet  ist. 
So  kann  F.  z.  B.  mit  der  rechten 
Hand  auf-  und  zuknöpfen;  er  schreibt 
auch  mit  dieser  Hand,  nur  muss  er 
dabei  nach  jedem  Worte  den  rechten 
Arm  durch  die  linke  Hand  weiter- 


schieben. Der  Druck  der  rechten  Hand  ist  ziemlich  kräftig;  auch  kann 
er  schwerere  Gegenstände  mit  ihr  halten.  Hat  F.  nach  Fixirung  des  Stütz- 
apparates den  rechten  Arm  längere  Zeit  in  einer  Stellung  gehabt,  so  er- 
lahmt er;  einige  passive  Bewegungen  sind  dann  nöthig,  um  das  Erlahmungs- 
gefühl zu  beseitigen.  F.  ist  im  Dienste  Sr.  Königl.  Hoheit  des  Kronprinzen 
meist  nur  mit  Austragen  von  Briefen  beschäftigt. 

Der  Stützapparat,  durch  Riemen  von  beiden  Schultern  getragen,  besteht 
aus  zwei  gepolsterten  Hohlschienen,  welche  durch  Riemen  um  den  Ober- 
und  Unterarm  geschnallt  werden  und  durch  ein  Charnier  verbunden  sind. 
Die  an  der  Beugeseite  angebrachte  Feder  hält  den  Unterarm  in  halber 
Flexion  und  kann  durch  einen  Stellhaken  in  jedem  beliebigen  Beugewinkel 
fixirt  werden. 

7.  Fall  177  (nara.  L.  d.  Res.  No  23).  Schussfractur  desCondylus  ex- 
ternus  humeri  und  des  Olecranon.  SecundäreResection.  Hei- 
lung mit  Schlotterverbindung.  —  Musketier  Heinrich  Mecking 
vom  53.  Inf.-Reg.  wurde  den  18.  April  durch  einen  Gewehrschuss  verwun- 
det und  am  19.  in  Flensburg  (2.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.)  aufgenommen. 
Der  Schusskanal  geht  vom  äusseren  Condylus  des  linken  Oberarmes  in  der 
Richtung  nach  dem  Olecranon  durch;  jener  wie  dieses  ist  fracturirt,  das 
Gelenk  aber  wenig  geschwollen  und  nur  bei  Bewegung  mässig  schmerz- 
haft. Bis  Ende  des  Monats  bleibt  die  örtliche  Reaction  und  die  Eiterung 
bei  der  Eisbehandlung  gering,  und  das  Allgemeinbefinden  wird  nur  vorüber- 
gehend durch  Frösteln  und  etwas  Durchfall  gestört,  Vom  1.  Mai  ab  aber 
wird  die  Eiterung  stärker,  die  Schmerzhaftigkeit  und  Schwellung  des  Ge- 
lenkes bedeutender.    Die  tägliche  Steigerung  dieser  Erscheinungen  veran- 


261 


lasst  am  6.  Mai  zur  Re Sectio n  des  Gelenkes  (St.-A.  Dr.  Fischer),  bei 
welcher  eine  grosse  Masse  Eiters  aus  demselben  abfliesst  und  die  Gelenk- 
euden  aller  3  Knochen  abgetragen  werden.  Eisbehandlung;  Lagerung  auf 
Esmarch ' s  Schwebe.  Die  Ausheilung  erfolgte  sehr  langsam  und  machte, 
nachdem  die  Schnittwunde  bald  und  grossentheils  per  primam  verklebt 
war,  wegen  Eitersackungen  wiederholt  Incisionen  nöthig.  Am  25.  Juni 
wurde  ein  achtgroschenstückgrosser  zackiger  Sequester  von  der  Ulna  ent- 
fernt. Wegen  ungleichinässigen  Druckes  rauss  der  Arm  aus  der  Schwebe 
genommen  werden.  Vom  1.  August  ab  werden  passive  Bewegungen  vor- 
genommen. Am  19.  August  traf  der  nach  der  Heimath  evacuirte  Kranke 
mit  sehr  geschwollenem  und  schmerzhaftem  Arme  in  Münster  ein.  Nach- 
dem sich  noch  wiederholt  kleine  Sequester  abgestossen  hatten,  erfolgte  die 
definitive  Vernarbung,  so  dass  er  am  1.  Dezember  aus  der  Lazareth pflege 
entlassen  werden  konnte. 

Untersuchung  am  5.  Januar  1866  —  20  Monate  nach  der  Opera- 
tion —  dnrch  Herrn  Dr.  Bierbaum  in  Gemen:  Puls  normal,  Temperatur 
und  Sensibilität  vermindert,  Ernährungszustand  des  Gliedes,  verglichen 
mit  dem  des  rechten,  schlecht.  Kuochenneubilduug  ist  an  den  resecirten 
Knochen  nirgends  bemerkbar.  Schlotterverbindung  durch  eine  etwa 
1"  lange  Zwischensubstanz.  Passive  Bewegungen  lassen  sich  nach  allen 
Richtungen  leicht  ausführen.  Active  Flexion  und  Extension  nicht 
möglich,  Pro-  und  Supiuation  sehr  gering.  Ohne  einen  Stützapparat,  der 
bisher  nicht  in  Anwendung  kam,  ist  der  resecirte  Arm  „vollständig  un- 
brauchbar". Der  Blessirte  befindet  sich  im  elterlichen  Hause. 
8.  Fall  178  (nam.  L.  d.  Res.  No.  16).  Schussfractur  des  Ellenbogen- 
gelenkes. Secundäre  Resection.  Heilung  mit  Schlott  erge- 
lenk.  —  Gefreiter  Hugo  Beck  vom  Füs.-Reg.  35,  am  18.  April  verwun- 
det, in  Rinkenis  (3.  schw.  F.-L.  3.  A.-C.)  aufgenommen.  Die  Kugel  ist 
an  der  inneren  Seite  des  linken  Olecronon  ein-,  auf  der  Dorsalseite  des 
Vorderarmes  eine  Hand  breit  unter  dem  Gelenke  ausgetreten.  Das  Ole- 
cranon  wird  „  entblösst"  gefühlt.  Die  örtliche  wie  die  allgemeine  Reac- 
tion  blieb  bei  entsprechender  Lagerung  in  den  ersten  Tagen  unbedeutend. 
Erst  vom  24.  April  ab  stärkere  Entzündung,  gegen  welche  Blutegel  und 
Eis  angewendet  wurden.  Danach  bedeutende  Abnahme  der  Erscheinungen. 
Am  30.  April  finden  sich  in  der  hinteren  Schussöffnuug  lose  Knochen- 
splitter, welche  extrahirt  werden.  Die  Gelenkfiäche  des  Oiecranon  ist  da- 
runter. Am  1.  Mai  Resection  des  Gelenkes.  (A.-A.  Dr.  Baum.)  Es 
findet  sich  eine  ausgedehnte  Zerstörung  im  Gelenk,  namentlich  auch  der 
Epiphyse  des  Humerus,  so  dass  alle  3  Gelenkenden  abgetragen  werden. 
Schienenlagerung;  am  4.  Mai  Gypsverband.  Am  12.  Mai  Evacuation  nach 
Glücksburg,  wo  die  Behandlung  bis  Mitte  September  fortgesetzt  wurde. 
Demnächst  passirte  B.  die  Lazarethe  in  Flensburg,  Spandau,  Bran- 
denburg, von  wo  er  am  23.  October  entlassen  wurde.  Die  Behandlung 
wurde  im  elterlichen  Hause  fortgesetzt.  Im  Sommer  1865  eine  vierwöchent- 
liche Badekur  in  Rehme. 

Untersuchung  am  11.  November  1865  —  18  Monate  nach  der  Ope- 


262 


ration  —  durch  Herrn  0.  St.  A.  Dr.  Bein:  Noch  immer  sind  Knochen- 
splitter exfoliirt;  es  bestehen  noch  zolltiefe  Fistelgänge.  Puls  etwas 
schwächer,  Sensibilität  und  Temperatur  geringer  als  rechts.  Umfang  des 
Oberarmes  5^  Ctm.,  des  Unterarmes  3  Ctm.,  der  Hand  35  Ctm.  kleiner  als 
am  gesunden  Gliede.  Der  Humerus  erscheint  um  2  Ctm.,  die  Vorderarm- 
knochen um  8  Ctm.  verkürzt.  Den  normalen  Protuberanzen  entsprechend 
haben  sich  Osteophyten  gebildet.  Die  Gelenkgegend  hat  denselben  Umfang 
wie  rechts.  Es  besteht  eine  Schlotterverbindung,  vermittelt  durch 
eine  bandförmige  Zwischensubstanz,  welche  sich  nach  und  nach  auf 
1  Ctm.  Länge  verkürzt  hat.  Zur  Zeit  ist  active  Flexion  und  Ex- 
tension unmöglich.  Auch  mittelst  des  Stützapparates  ist  das  Glied  zu 
bestimmten  Leistungen  vorläufig  nicht  brauchbar  wegen  der  Muskelatrophie. 
Fall  179  (nam.  L.  d.  Res.  Nr.  24).  (Schussfractur  des  Ellenboge n - 
gelenkes.  Secundäre  Resection.  Heilung  mit  Schlotterver- 
bin dung.  —  Füsilier  Karl  Antonius  vom  Füsilier -Reg.  35  erhielt  am 
18  April  einen  Gewehrschuss  am  linken  Ellenbogen  und  wurde  zunächst 
in  Rinkenis  aufgenommen.  Die  am  Unterarm  unterhalb  des  Olecranon 
eingedrungene  Kugel  war  am  Condylus  int.  humeri  unter  der  Haut  stecken 
geblieben  und  wurde  hier  mittelst  Incision  entfernt.  Eine  Fractur  der  Ulna 
und  des  Humerus  wurde  constatirt,  die  Betheiligung  des  Gelenkes  schien 
jedoch  nicht  sicher.  Bei  dem  angelegten  Watte- Schienen  -  Verband  blieb 
auch  in  den  nächsten  Tagen  die  Reaction  aus,  so  dass  Patient  bei  gutem 
Aussehen  der  Wunden  und  gutem  Allgemeinbefinden  am  6.  Mai  nach  Glücks- 
burg evacuirt  werden  konnte.  Hier  fand  man,  dass  die  Sonde  von  der 
Schnittöffnung  aus  zwischen  Knochenfragmenten  in  das  Gelenk  führe,  und 
dass  die  durch  beide  Oeffnungen  eingeführten  Finger  sich  berührten.  Am 
8.  Mai  wurde  deshalb  die  Resection  mittelst  Längsschnitt  und  mit  Ab- 
tragung aller  3  fracturirten  Gelenkenden  ausgeführt  (St.  A.  Dr.  Horneffer) 
und  das  resecirte  Glied  auf  der  Esraarch ' sehen  Schwebe  gelagert,  am 
14.  Juni  aber  mit  dem  Gypsverbande  versehen.  Der  Ausheilungsprocess 
verlief  ohne  erhebliche  Störungen.  Er  war  Mitte  September  so  weit  vor- 
gerückt, dass  die  Evacuation  nach  Spandau  erfolgen  konnte,  von  wo  er 
am  24.  Januar  1865  entlassen  wurde. 

Untersuchung  am  7.  December  1865  —  19  Monate  nach  der  Ope- 
ration —  durch  Herrn  St. -A.  Dr.  Buski:  Puls  normal.  Lästige 
Temperatur-  und  Sensibilitäts -Verminderung.  Periodische  Schmerzhaftig- 
keit  der  Gelenkstelle.  Bedeutende  Abmagerung  des  um  circa  2  Zoll  ver- 
kürzten Armes,  besonders  am  Oberarm.  Das  Sägeende  des  Humerus  etwas 
aufgetrieben.  Keine  Osteophyten.  Schlotterverbindung.  Active 
Flexion  und  Extension  unmöglich.  Ohne  Stützapparat  mangelt  jede  Brauch- 
barkeit; mit  demselben  ist  das  Glied  nur  brauchbar  zum  Festhalten  von 
sehr  leichten  Gegenständen.  Der  Operirte  ist  seinem  Bruder  bei  der  Be- 
aufsichtigung der  Wirthschaft  behülflich. 

Fall  180.  (nam.  L.  der  Res.  No  15).  Schussfractur  der  oberen 
Gelenkenden  der  Ulna  und  des  Radius  mit  Streifung  der  Epi- 
physe    des    Humerus.     Secundäre    Resection.     Heilung  mit 


263 


Schlotterverbindung.  —  Musk.  Wilhelm  Euen  vom  24.  Inf.-Reg. 
erhielt  am  29.  Juni  auf  Alsen  einen  Gewehrschuss  durch  das  linke  Ellen- 
bogengelenk im  Augenblicke,  wo  er  sein  Gewehr  anschlug.  Am  10.  Juli 
wurde  das  Gelenk  resecirt  (St-A.  Dr.  Vogelsang).  Ausser  den  zertrüm- 
merten oberen  Enden  der  Vorderarmknochen  wurde  die  mit  verletzte  Epi- 
physe  des  Humerus  abgetragen.  Gefensterter  Gypsverband  in  halber  Beu- 
gung. Die  Schnittwunde  heilte  per  primam.  Wegen  Eiterverhaltung  musste 
sie  deshalb  wiederholt  künstlich  eröffnet  resp.  durch  neue  Incisionen  er- 
setzt werden.  Uebrigens  verlief  der  Ausheilungsprocess  ohne  erhebliche 
Störungen.  Am  15.  September  war  die  Vernarbung  bis  auf  einen  Fistel- 
gang geschehen;  doch  wurde  noch  eine  Incision  an  der  Stelle  des  früheren 
Condyl.  ext.  humeri  nöthig.  Man  machte  fleissig  passive  Bewegungen. 
Nachdem  Patient  die  Lazarethe  in  Apenrade  und  Rendsburg  passirt 
hatte,  wurde  er  am  22.  December  aus  dem  Reserve- Lazarethe  zu  Pots- 
dam als  invalide  entlassen.  Untersuchung  am  15.  November  1865  — 
16  Monate  nach  der  Operation  —  durch  Herrn  St.-A.  Dr.  Holtzin- 
ger:  Kleine  §  Zoll  tiefe  Fistel  am  unteren  äusseren  Ende  des  Humerus, 
durch  welche  die  Sonde  nicht  auf  Knochen  dringt.  Vor  14  Tagen  soll 
ein  kleiner  Splitter  sich  entleert  haben.  Puls  etwas  schwächer,  Tempe- 
ratur und  Sensibilität  normal.  Umfang  des  Oberarmes  2\  Zoll,  des  Unter- 
armes \\  Zoll  geringer  als  rechts.  Oberarm  \\  Zoll,  Unterarm  2|  Zoll 
kürzer.  Dem  Condylus  extern,  humeri  entsprechend  eine  kleine  Protu- 
beranz.  Schlotterverbindung,  durch  eine  £  Zoll  lange  ligamentöse 
Zwischensubstanz  vermittelt.  Bewegung  im  Schultergelenk  frei.  Im  Ellen- 
bogen kann  passiv  jede  Bewegung  über  die  Norm  hinaus  gemacht  werden. 
Active  Bewegung  unmöglich.  Im  Handgelenke  ist  die  Flexion  un- 
gestört, die  active  Extension  aber  sehr  beschränkt.  Die  Fingerbewegung 
lässt  nichts  zu  wünschen  übrig.  Ohne  Stützapparat  ist  das  Glied  unbrauch- 
bar; der  Arm  hängt  dann  schlaff  herunter  und  kann  im  Schultergelenk 
nur  hin  und  her  geschleudert  werden.  Mit  dem  Stützapparate  versieht  die 
Hand  alle  Dienste  des  gewöhnlichen  Lebens.  E.  isst  z.  B.  mit  derselben. 
Der  Druck  der  Hand  ist  kräftig,  doch  ohne  Ausdauer.  Sein  Beruf  —  E.  ist 
Brückenwärter  in  Havelberg  —  erfordert  das  Oeffnen  der  Brückenklappen 
mittelst  eines  Drehbaumes.  E.  bedient  sich  dazu  fast  nur  des  linken  Armes 
und  hält  sich  ausserdem  einen  Gehülfen. 

11.  Fall  181.  (nam.  L.  der  Res.  No.  3).  Schussfractur  des  unteren 
Humerus-Endes  mit  Splitterung  in's  Gelenk.  Primäre  Resec- 
tion.  Heilung  mit  Schlotterverbindung.  —  Musketier  Hermann 
Thiele  vom  60.  Inf.-Reg.  erhielt  am  18.  April  einen  Kartätschschuss  durch 
das  untere  Ende  des  linken  Oberarmes.  Bei  der  folgenden  Tages  in  Sten- 
derup  ausgeführten  Resection  des  Gelenkes  (Gen.-A.  Dr.  v.  Langenbeck) 
wurde  es  wegen  ausgedehnter  Zertrümmerung  nöthig,  ausser  den  Epiphysen 
der  Unterarmknochen  über  3|  Zoll  vom  Humerus  abzutragen.  Gypsverband. 
Die  Ausheilung  erfolgte  so  rasch  und  ungestört,  dass  schon  Anfangs  Juni  die 
Vernarbung  nahe  war  und  methodische  Bewegungen  vorgenommen  werden 
konnten.    Im  September  Badekur  in  Te plitz.   Definitive  Vernarbung  im 


264 


November.  Später  ist  T.  noch  in  der  v.  Langen beck' sehen  Poliklinik 
electrisirt  worden,  auch  hat  er  im  Juni  und  August  1865  Badekuren  in 
Warmbrunn  und  Rehme  gebraucht.  Untersuchung  im  December  1865 
—  20  Monate  nach  der  Operation  —  durch  Herrn  St.-A.  Dr.  Gaehde: 
Puls  und  Temperatur  wie  an  der  gesunden  Seite.  Sensibilität  im  Bereiche 
aller  Hautnerven  vermindert.  Die  Weber'schen  Tastkreise  haben  einen 
mehr  als  vierfachen  Durchmesser  denen  des  rechten  Armes  gegenüber. 
Ausser  leicht  entstehendem  Kältegefühl  keine  krankhaften  Sensationen. 
Der  linke  Biceps  ist  gut  entwickelt,  der  Triceps  bildet  einen  dünnen  Strang. 
Umfang  des  Oberarmes  in  der  Mitte  nur  \  Zoll  kleiner,  als  rechts;  der 
Vorderarm  misst  \%  Zoll  weniger.  Bei  schlaff  herunterhängenden  Armen 
ist  der  Oberarm  2£  Zoll,  der  Unterarm  \\  Zoll  kürzer  als  der  rechte.  Die 
Sägeenden  der  Knochen  sind  nicht  aufgetrieben,  sondern  setzen  sich 
in  einen  deutlich  durchfühlbaren,  beim  Herabhängen  des  Armes  circa 
1  Zoll  langen,  rundlichen  Strang  fort,  welcher  die  Verbindung  der 
Knochen  unter  einander  vermittelt.  Die  oberen  Enden  des  Radius  und 
der  Ulna  sind  gegen  einander  beweglich.  Die  vollkommene  Schlotter- 
verbindung gestattet  die  ausgiebigsten   passiven  Bewegungen,  die 


Fig.  10. 

Fig.  11 


Flexion  bis  zum  spitzen  Winkel  wie  in  Fig.  10,  die  Extension  weit  über  die 
normale  Grenze  hinaus.  Für  die  active  Bewegung  fällt  der  Triceps  gänz- 
lich aus;  auch  der  Biceps  wird  kaum  wirksam,  wenn  man  nicht  einen 
Finger  in  die  Ellenbogenbeuge  legt  und  damit  den  Ansatz  des  Biceps  fixirt. 
Thut  man  das  aber,  so  vermag  der  Muskel  die  Beugung  fast  bis  zu 
dem  passiv  möglichen  Grade  auszuführen.  Hat  man  den  Arm  passiv 
gebeugt,   so  kann  der  Biceps  den  Vorderarm  eine  halbe  Minute  lang  in 


265 


der  Stellung  erhalten.  Pronation  und  Supination  können  bei  gestrecktem 
und  gebeugtem  Arme  gleich  gut  in  normaler  Extensität  activ  vollzogen 
werden.  Die  active  Extension  der  Hand  ist  mühsam  und  gelingt  völlig 
nur,  wenn  man,  wie  bei  der  Bethätigung  des  ßiceps,  den  Ansatz  des  Exteusor 
an  dem  verlorenen  Condylus  internus  humeri  gewissermassen  herstellt.  Die 
active  Beweglichkeit  der  Finger  wird  ersichtlich  aus  dem  Vergleiche  der 
beiden  photographischen  Bilder.  Sie  ist  der  Art  aber  nur  möglich, 
nachdem  der  Vorderarm  in  die  Beugestellung  gebracht  ist,  theils  wegen 
der  verlorenen  Ansatzpunkte  der  betreffenden  Muskeln,  theils  wegen  deren 
mechanischer  Verkürzung. 

Ohne  Stützapparat  hängt  das  Glied  schlaff  am  Leibe  herab  und  ist 
wenig  brauchbar.  T.  besitzt  einen  2  bis  2^  Pfund  schweren  Stützapparat. 
Derselbe  besteht  aus  zwei  gepolsterten  eisernen  Hohlschienen,  die  je  eine 
dem  Ober-  und  eine  dem  Unterarme  angepasst  sind  und  durch  eine  Leder- 
kappe geschlossen  werden,  welche  von  einer  Seite  der  Halbschiene  zur 
anderen  übergeschnallt  wird.  An  jedem  Längsrande  der  Schienen  ist  ein 
Eisenstab  eingesetzt,  der  das  der  Gelenkstelle  zugewendete  Ende  um 
\\  Zoll  überragt.  Die  Stäbe  sind  zu  einem  schwerbeweglichen  Charnier- 
gelenk  vernietet.  An  der  Innenseite  der  einen  Stange  befindet  sich  ein 
Zahn,  der  die  Hyperextension  hindert,  und  eine  Schraubenvorrichtung, 
welche  dem  Träger  gestattet,  verschiedene  Flexionsgrade  zu  fixiren.  Doch 
muss  er  sich  zu  dem  Zwecke  erst  entkleiden,  weil  er  ohnedies  mit  dem 
Schlüssel  nicht  zur  Schraube  gelangen  kann.  Ausserdem  befanden  sich 
an  der  ßeugeseite  aussen  und  innen  je  eine  Spiralfeder,  welche  den  Arm  flecti- 
ren  nnd  zusammen  eine  Zugkraft  von  36  Pfund  repräsentiren.  T.  hat  die 
Federn  wieder  entfernt,  weil  er  mit  dem  atrophischen  Triceps  ihrem  Zuge 
keinen  Widerstand  zu  leisten  vermag.  Er  benutzt  überhaupt  den  Apparat 
sehr  wenig,  nur  in  gestreckter  Stellung  und  mit  völlig  freiem  Charnier. 
Der  Apparat  verhindert  so  das  Schlottern  des  Gliedes,  ohne  ihm  jedoch 
einen  willkürlichen  Gebrauch  zu  gestatten.  Nur  wenn  er  dem  linken  Arme 
mit  der  rechten  Hand  eine  Beugestellung  giebt,  kann  er  mit  der  Hand 
etwas  beginnen.  Auf  die  Frage,  warum  er  es  nicht  vorziehe,  den  Arm 
durch  die  Schraube  permanent  gebeugt  zu  erhalten,  erwidert  er,  dass  ihm 
dann,  wenn  er  den  Arm  erheben  wolle,  derselbe  nach  aussen  oder  innen 
zur  Seite  falle;  der  Apparat  sei  ihm  zu  schwer.  Er  taxirt  das  Gewicht 
desselben  mit  dem  resecirten  Arme  auf  circa  15  Pfund.  UebrJgens  läuft 
von  der  Mitte  der  Oberarmschiene  ein  Lederriemen  über  den  Rücken.  Der- 
selbe endigt  in  einen  gepolsterten  Ring,  durch  welchen  der  rechte  Arm 
gesteckt  wird,  so  dass  der  Apparat  zum  Theil  von  der  gesunden  Seite 
mitgetragen  wird. 

Trotzdem  ist  dem  Invaliden  der  Besitz  des  Armes  von  Werth,  weil  er 
die  Hand  gut  bewegen  und  gebrauchen  kann,  wenn  er  den  Unterarm  auf 
den  Tisch  legt.  Seinen  früher  gehabten  Posten  als  Briefträger  hat  er  auf- 
gegeben.   Jetzt  beschäftigt  er  sich  als  Copist. 

12.  Fall  182.  (nam.  L.  der  Res.  No.  2).    Schussfractur  des  Humerus 
mit  Splitterung   ins  Ellenbogen gelenk.     Primäre  Resection. 


266 

Heilung  mit  Schlotterverbindung.  —  Feldwebel  Ferdinand  Hart- 
man n  vom  53.  Inf. -Reg.  wurde  am  18.  April  verwundet  und  in  ülderup 
(1.  F.-L.  d.  5. 1.-D.)  aufgenommen.  Der  rechte  Humerus  war  dicht  über  den 
Condylen  durch  eine  Gewehrkugel  zerschmettert.  Bei  der  am  folgenden 
Tage  ausgeführten  Resection  des  Gelenkes  (St.-A.  Dr.  Mitsch erlich) 
wurde  ausser  einem  2>\  Zoll  langen  Stücke  des  Humerus  (Fig.  12)  das  Olecra- 

non  und  das  Capitulum  radii  weggenom- 
men. Gypsverband,  der  indess  wegen 
schmerzhafter  Schwellung  der  Hand 
schon  am  21.  April  abgenommen  und 
durch  einen  Pappschienenverband  er- 
setzt wurde.  Am  25.  April  beim  Ab- 
nehmen des  Verbandes  arterielle  Blutung 
aus  der  oberen  Wundlippe;  sie  wird 
durch  Umstechung  gestillt.  Bei  gutem 
Allgemeinbefinden  und  gutem  Verlaufe 
des  Eiterungsprocesses  hat  Pat.  häufig 
mehr  oder  weniger  verbreitete  Schmerzen 
in  dem  resecirten  Gliede.  Da  sich  am 
7.  Mai  ein  mit  der  Schnittwunde  com- 
municirender  Senkungsabscess  am  Vor- 
derarme zeigt,  so  wird  der  Arm  nun- 
mehr auf  einer  hölzernen  Winkelschiene  gelagert.  Am  13.  Mai  neuer  Abs- 
cess  auf  dem  Handrücken.  Incision  dieses  wie  des  grösseren  Depots  an 
der  Dorsalseite  des  Vorderarmes.  Die  Gelenkwunde  hat  sich  inzwischen 
durch  Granulationen  gefüllt  und  zu  vernarben  begonnen.  Schon  Ende  Mai 
macht  man  Beugeversuche,  welche  nur  massig  schmerzen.  Patient  passirte 
mehre  Lazarethe  (Apenrade,  Rendsburg)  und  traf  am  17.  Juli  mit  fast 
vernarbter  Wunde  in  Hamm  ein.  Hier  wurden  die  Bewegungsversuche 
eifrig  fortgesetzt,  wobei  besonders  die  Extension  schwer  zu  erzielen  war. 
Am  1.  October  wurde  H.  von  dort  mit  grosser  Hoffnung  auf  die  Brauch- 
barkeit der  rechten  Hand  zum  Schreiben  entlassen.  Zunächst  bestanden 
aber  noch  Fistelgänge,  aus  denen  sich  wiederholt  Knochenfragmente  ent- 
leerten, und  welche  sich  erst  im  August  1865  definitiv  schlössen,  nachdem 
wegen  rheumatischer  Schmerzen  in  der  rechten  Schulter  und  zur  Stärkung 
des  Gliedes  Moorbäder  in  Teplitz  gebraucht  waren. 

Untersuchung  am  4.  Februar  1866  —  21  Monat  nach  der 
Operation  —  durch  Herrn  St.-A.  Dr.  Gaehde:  Puls  und  Temperatur 
normal.  Häufiger  subjectives  Kältegefühl  im  Arm;  Nachts  reissende  Schmer- 
zen, besonders  im  Bereich  des  N.  ulnaris.  Die  Sensibilität  ist  im  Bereich 
des  Ulnaris  erloschen;  dasselbe  lässt  sich  danach  ganz  genau  an  Hand 
nnd  Vorderarm  abgrenzen.  (Die  Narbe  von  der  Eingangsöffnung  des  Schuss- 
kanals liegt  so,  dass  die  Verletzung  des  Nerven  durch  die  Kugel  wahr- 
scheinlich ist.)  Die  Ernährung  des  Gliedes  ist  nicht  unbedeutend  herab- 
gesetzt. Der  Oberarm  ist  über  1  Zoll,  der  Unterarm  ist  über  2  Zoll  dünner 
als  links.  Der  rechte  Humerus  misst  \\\  Zoll  (gegen  1  Fuss  \  Zoll  links), 


267 


wovon  7  Linien  auf  eine  Knoehenspitze  kommen,  welche  von  der  Säge- 
fläche am  äusseren  Umfange  des  Knochens  in  der  Richtung  seiner  Achse 
vorgewachsen  ist.  Die  Enden  der  Vorderarmknochen  sind  knöchern  mit 
einander  verwachsen.  Die  Sägefläche  fühlt  sich  uneben  an,  und  an  der 
Radialkante  findet  sich  eine  circa  1|  Linien  hohe  spitze  Vortreibung.  Uebri- 
gens  erscheinen  die  Knochenenden  nicht  verdickt.  Namentlich  findet  sich 
keine  Andeutung  eines  neuen  Ölecranon,  obwohl  der  Triceps  sowie  Biceps 
und  Brachialis  internus  ihren  normalen  Ansatzpunkt  behalten  haben. 
Zwischen  den  Sägeenden  vermittelt  eine  circa  %  Zoll  lange  Bandmasse, 
welche  sich  derb  und  rundlich  durchfühlen  lässt,  den  Zusammenhang  — 
Schlotterverbindung,  vermöge  welcher  der  Arm  schlaff  am  Leibe 
herabhängt  Active  Bewegungen  sind  dabei  unmöglich.  Bei  dem  Beuge- 
versuche wirken  Biceps  und  Triceps  zunächst  zusammen,  wodurch  die 
Knochenenden  genähert  werden,  und  dann  gewinnt  der  Biceps  beim  stärk- 
sten Kraftaufwand  momentan  etwas  Uebergewieht,  wodurch  eine  Flexion 
bis  höchstens  10°  zu  Stande  kommt,  welche  natürlich  für  eine  Leistung 
nicht  zu  verwerthen  ist  Die  passiv e  Beweglichkeit  geht  in  der  Flexions- 
ebene leicht  von  40 ö  bis  210°.  H.  will  zur  Zeit,  wo  seine  Wunde  noch 
eiterte,  zu  activen  Bewegungen  befähigter  gewesen  sein.  Seit  der  for- 
cirten  Streckung,  durch  welche  die  Beweglichkeit  ganz  her- 
zustellen versucht  wurde,  sei  der  Arm  ganz  schlotternd  ge- 
worden. Die  passive  Beweglichkeit  des  Handgelenkes  und  der  Finger  ist 
frei,  die  active  aber  sehr  gestört,  wahrscheinlich  in  Folge  der  ausgedehnten 
Eitersackungen  an  Vorderarm  und  Hand,  deren  Folgen  bei  der  Cnbraueh- 
keit  des  ganzen  Gliedes  durch  Cebungen  nicht  ausgeglichen  sind.  Beson- 


Fi*.  13 


Fig.  14. 


268 


ders  der  Zeigefinger  und  der  kleine  Finger  haben  gelitten,  letzterer  nament- 
lich wegen  der  durch  die  Unterbrechung  der  Leitung  im  Ulnaris  bewirkten 
Lahmlegung  der  Muskeln  des  Antithenar.    (Fig.  13  und  14.) 

H.  besitzt  einen  circa  2  Pfund  schweren  Stützapparat  ähnlich  dem  beim 
vorigen  Falle  beschriebenen.  Er  hat  sich  alle  Mühe  gegeben,  ihn  zu  ge- 
brauchen, benutzt  ihn  aber  nicht  mehr,  weil  er  viel  Beschwerden  macht, 
ohne  die  Gebrauchsfähigkeit  des  Gliedes  zu  steigern.  H.  ist  auf  der  Kgl. 
Staatsschuldentilgungskasse  als  Diätar  beschäftigt;  er  schreibt,  aber  mit 
der  gesunden  linken  Hand. 
13.  Fall  183  (nam.  Liste  No.  25).  Gewehrschussf ractur  des  rechten 
Ellenbogengelenks.  Späte  Resection.  Heilung.  —  Prem.-Lieut. 
Ernst  v.  R.  vom  24. 1.-R.  erhielt  am  29.  Juni  auf  Alsen  einen  Schuss,  welcher 
das  rechte  Olecranon  zertrümmerte  und  zum  Theil  wegriss,  so  dass  an 
Stelle  desselben  eine  quere  c.  2"  lange  und  1"  breite  Wundrinne  gebildet 
wurde.  Das  Gelenk  ist  geöffnet;  Humerus  und  Ulna  noch  eine  Strecke 
nach  oben  resp.  unten  gesplittert.  Grosser  Blutverlust  Noch  an  dem- 
selben Tage  Transport  nach  Flensburg  in  das  Johanniter-Lazareth,  wo 
die  Behandlung  von  Herrn  Dr.  Ressel  geleitet  wurde.  Lagerung  im 
rechten  Winkel  auf  Kissen.  Eis.  Heftige  örtliche  und  allgemeine  Reac- 
tion.  Am  6.  und  7.  Juli  Entspannungsschnitte  am  Unterarm.  Erysipel 
mit  heftigem  Fieber.  Aeusserst  profuse  Eiterung,  so  dass  der  Verband 
drei-  bis  viermal  täglich  erneuert  wrerden  musste.  Am  19.  Juli  Bildung 
eines  Eiterdepots  an  der  vorderen  äusseren  Fläche  des  Oberarmes  eine 
Hand  breit  über  dem  Gelenke.  Nunmehr  folgte  unter  Nachlass  des  Fiebers 
allmähliges  Abschwellen  des  Gliedes  bei  äusserst  profuser  aber  guter  Eite- 
rung. Am  22.  Juli  Resection  des  Gelenkes  (Gen.  A.  v.  Langenbeck). 
Absägung  aller  3  Gelenkenden  dicht  über  resp.  unter  den  Epiphysen,  Ex- 
traction  vieler  kleiner  Knochensplitter  und  je  eines  grösseren  vom  Humerus 
und  von  der  Ulna.  Incision  der  fluctuirenden  Stelle  am  Oberarm.  Gyps- 
verband  bei  rechtwinkliger  Stellung  mit  einem  grossen  Fenster  über  der 
Operations-  und  Schusswunde.  Massige  Reaction.  Am  1.  August  Entfer- 
nung eines  gelösten  Splitters  der  Ulna.  Am  4.  August  neuer  Gypsver- 
band,  der  auch  für  die  Incisionswunde  am  Oberarm  ein  Fenster  erhielt, 
weil  der  Eiter  von  da  nicht  vollständig  nach  der  Operationswunde  abzog. 
Am  13.  August  Schüttelfrost  von  einer  Stunde,  danach  Hitze  und  Schweiss. 
Nach  dem  Aufschneiden  des  Verbandes  findet  sich  Erythem  am  Oberarm. 
Der  Arm  wird  deshalb  in  einer  Drahtrinne  gelagert.  Wiederholte  Schüttel- 
fröste und  Diarrhöen,  welche  mit  grossen  Chiningaben  und  Salepabkochuug 
bekämpft  werden.  Am  28.  August  Wiedereröffnung  der  Incisionsnarbe  am 
Oberarm,  weil  sie  blasig  aufgetrieben  und  der  Unterarm  ödematös  ist, 
und  eine  zweite  Incision  über  derselben,  weil  sich  von  oben  her  längs  des 
Biceps  viel  Eiter  ausstreichen  lässt.  Am  30.  August  spontaner  Durchbruch 
an  der  Beugeseite  des  Gelenkes.  Am  10.  Septbr.  Eröffnung  zweier  Abscesse 
an  dieser  Stelle.  Die  Eiterung  nahm  nun  rasch  ab.  Bei  reichlichem  Wein- 
genusse,  welcher  während  der  ganzen  Zeit  wohlthätig  gewirkt  hatte,  erholt 
sich  Patient  so,  dass  er  am  20.  Septbr.  bei  Auflösung  des  Lazareths  nach 


269 


dem  Krankenhause  Bethanien  in  Berlin  transportirt  werden  konnte.  Ne- 
krosen der  resecirten  Knochen  haben  die  Ausheilung  noch  lange  verzögert. 
Aber  kürzlich,  gegen  zwei  Jahre  nach  der  Verwundung,  vermochte  dieser 
Officier  wieder  in  Dienst  zu  treten.  Der  operirte  Arm  ist  zwar  bedeutend 
(um  die  Länge  eine  Fingers)  verkürzt  und  die  Verbindung  im  Ellenbogen 
schlotternd;  aber  der  Unterarm  kann  bis  zu  einem  rechten  Winkel  activ 
gebeugt  werden,  und  Hand  und  Finger  besitzen,  den  Zeige-  und  kleinen 
Finger  ausgenommen,  active  Beweglichkeit  in  dem  Grade,  dass  die  Hand 
geschlossen  werden  und  einen  massig  starken  Druck  ausüben  kann.  Das 
Glied  lässt  sich  bereits  zum  Schreiben  und  zum  Halten  des  Degens  be- 
nutzen und  wird  mit  der  Zeit  durch  die  fortgesetzte  Uebung  wahrschein- 
lich noch  brauchbarer  und  kräftiger  werden. 

Die  vorstehende  Casuistik  liefert  für  das  noch  lückenhafte  Ca- 
pitel  der  definitiven  Resultate  der  Resection  des  Ellenbogen- 
gelenkes nach  Schussverletzungen  einen,  wie  ich  glaube,  für  die 
Resections-Praxis  beachtenswerthen  Zuwachs. 

Von  den  18  resecirten  Preussen  musste  1  nachträglich  am- 
putirt  werden;  mit  Einschlnss  desselben  sind  5  gestorben;  unter 
den  13  Geheilten  haben  10  Schlotterarme  davongetragen. 
Von  den  22  resecirten  Dänen  sind  6  gestorben,  1  musste  nach- 
träglich amputirt  werden;  unter  den  15  Geheilten  behielten  we- 
nigstens 10  Schlotterarme.  Somit  sind  im  Feldzuge  von  1864 
nach  der  Resection  des  Ellenbogengelenkes  bei  28  Heilungen  20 
=  71  pCt.  Schlotterglieder  herausgekommen. 

Die  Schlotterglieder  sind  ohne  Stützapp arat  sehr  wenig 
brauchbar,  selbst  wenn  Hand  und  Finger  activ  beweglich  blieben. 
Der  Stützapparat  steigert  die  Brauchbarkeit  —  wenigstens  bei 
der  üblichen  Construction  —  in  der  Regel  nicht  erheblich;  ja  öfters 
wird  er  gar  nicht  so  ertragen,  wie  er  getragen  werden  muss,  wenn 
er  wirken  soll.  Dies  lehrt  uns  die  Prüfung  der  definitiven  Resul- 
tate, welche  oben  mitgetheilt  sind. 

Gleichwohl  freuen  sich  die  Besitzer  der  Schlotterarme,  ihrer 
Glieder  durch  die  Amputation  nicht  ganz  beraubt  zu  sein,  und  sie 
haben  um  so  mehr  Grund  dazu,  weil  der  künstliche  Ersatz  für  Verluste 
an  den  oberen  Extremitäten  bislang  nicht  viel  mehr  als  den  Schmuck- 
zweck erfüllt.  Allein  vom  Arzte  verlangt  diese  Frage  heute  einen 
andern  Standpunkt.  Nicht  den  Verlust  des  Armes,  sondern  den 
ankylotisch  conservirten  Arm  hat  er  mit  dem  Schlotter- 
arme in  Parallele  zu  stellen. 

Nach  den  oben  referirten  Proben  der  einen  wie  der  anderen 


270 


Categorie  der  Resultate  der  Conservativkur  kann  wohl  keine  Mei- 
nungsverschiedenheit darüber  fortbestehen,  was  prac tisch  brauch- 
barer und  nützlicher  sei  —  ein  völlig  schlotternder  oder  ein 
durch  Ankylose  in  der  Flexion  fixirter  Arm. 

Man  wird  sich  wohl  entschliessen  müssen,  die  Hei- 
lung der  Ellenbogengelenk-Schüsse  mit  Ankylose  we- 
niger zu  missachten,  ja  als  ein  unter  Umständen  er- 
strebenswerthes  Resultat  der  Resection  selbst  anzuer- 
kennen. 

Nach  der  Es  mar  ch' sehen  Liste  pro  1848—1850  sind  von  den 
40  im  Ellenbogengelenk  Resecirten  2  später  amputirt  und  mit  Ein- 
schluss  dieser  beiden  6  gestorben;  1  war  zur  Zeit  der  Publikation 
noch  nicht  geheilt  („Nekrose  des  Humerus");  somit  bleiben  33  Ge- 
heilte. Bei  2  von  diesen  fehlt  die  Notiz  über  die  Beschaffenheit 
des  conservirten  Gliedes.  Von  den  übrigen  31  sind  „mit  Ankylose"  3, 
mit  „vollständiger  Ankylose"  3,  mit  „fast  vollständiger  Ankylose"  3, 
mit  „unvollständiger  Ankylose"  4,  mit  „beschränkter  oder  geringer 
Beweglichkeit"  4  —  im  Ganzen  17  notirt,  von  denen  feststeht,  dass 
sie  nicht  Schlotterglieder  hatten.  Bei  den  restirenden  14  lassen  die 
Notizen  Zweifel  darüber  zu,  ob  und  in  wie  weit  die  „Beweglich- 
keit" activ  oder  passiv  war.  Nehmen  wir  aber  einmal  an,  dass 
alle  diese  14  Schlotterarme  hatten,  so  stellt  sich  heraus,  dass  1848 
bis  1850  bei  31  Heilungen  höchstens  14  =  ca.  45  pCt.  Schlotter- 
glieder erzielt  wurden,  also  26  pCt.  weniger  als  1864.  Diese 
Differenz  ist  nichts  weniger  als  eine  zufällige. 

Die  Illusionen,  welche  über  die  eventuelle  Brauchbarkeit  der 
Schlotterglieder  und  über  die  Zulänglichkeit  der  Nachhülfe  durch 
Stützapparate  bestanden,  führten  zur  Unterschätzung  des  Werthes  der 
früheren  Heilungen  mit  mehr  oder  weniger  vollständiger  Ankylose. 
Diese  wurden  nicht  als  ein  der  Resection  würdiges  Resultat  ange- 
sehen, und  um  diesem  Kunstakte  den  Ruhm  der  Conservirung  be- 
weglicher Glieder  unverkürzt  zu  sichern,  wurde  die  Totalex- 
cision  der  Gelenkenden  und  die  möglichst  frühe  und 
consequente  Bewegungsübung  von  namhaften  Autoritäten 
empfohlen.  Diese  Principien  haben  in  der  Feldpraxis  von  1864 
dominirt.  Das  vorgesteckte  Ziel  ist  erreicht  worden  —  über  das 
practisch  nützliche,  darum  wünschenswerthe  Mass  hinaus. 

Mit  Recht  halten  die  dänischen  Aerzte  ihre  steifconservirten 
Arme  für  praktisch  nützlicher  als  unsere  Schlotterglieder.  Aber 


271 


ihre  Folgerung,  die  Gelenkresection  sei  deshalb  bei  den  Schuss- 
verletzungen des  Ellenbogengelenkes  ein  überflüssiger  und  schäd- 
licher Kunstact,  ist  dessenungeachtet  in  jeder  Beziehung  bodenlos 
—  ganz  abgesehen  von  der  Mortalitätsfrage,  welche  bereits  berührt 
wurde,  und  auf  welche  ich  noch  einmal  zurückkommen  werde.  Die 
Folgerung  beruht  auf  einem  Verkennen  des  wesentlichsten  Zweckes 
der  Gelenkresection.  Der  Gang,  den  die  Resectionspraxis  genommen 
hat,  ist  aber  ganz  geeignet,  den  Irrthum  zu  nähren,  jener  Zweck 
sei  die  Verhütung  der  Ankylose  um  jeden  Preis. 

Um  die  bedauerlich  grosse  Zahl  von  Schlotterarmen,  welche 
aus  der  Praxis  von  1864  resultiren ,  zu  entschuldigen,  könnte  der 
Einfluss  betont  werden,  welchen  die  Ausdehnung  der  Knochen- 
verletzungen und  die  durch  sie  bedingte  Notwendigkeit,  grosse 
Portionen  der  Gelenkenden  abzutragen,  gehabt  haben.  Leugnen  lässt 
sich  nicht,  dass  die  Geschosse  von  18(J4  im  Allgemeinen  auf  die 
Knochen  und  auf  die  Knochenhaut  intensiv  wie  extensiv  zerstörender 
gewirkt  haben,  als  die,  von  1848  bis  1850.  Ohne  Zweifel  war  es 
deshalb  in  manchen  Fällen  durch  die  Art  der  Verletzung  geboten, 
alle  3  Gelenkenden  mehr  oder  weniger  weit  abzutragen.  Aber  in 
solchen  Fällen  sollte  man  von  vornherein  an  das  Bevor- 
stehen einer  Schlotterverbindung  denken  und,  anstatt 
ausschliesslich  die  eventuelle  Beweglichkeit  im  Auge 
zu  b ehalten,  Alles  thun,  was  das  Zustandekommen  einer 
mehr  oder  weniger  vollkommenen  Ankylose  in  nütz- 
licher Winkelstellung  zu  fördern,  dagegen  Alles  unter- 
lassen, was  diesen  Ausgang  zu  hindern  oder  zu  stören 
geeignet  ist. 

Die  Casuistik  lehrt,  dass  selbst  in  derartigen  Fällen  durch 
möglichst  frühe  und  consequente  Bewegungsübung,  so  zu  sagen, 
methodisch  auf  eventuelle  Beweglichkeit  hingearbeitet,  ja  selbst 
durch  forcirte  Bewegungen  versucht  wurde,  die  drohende  An- 
kylose zu  hintertreiben.  Man  wird  es,  hoffe  ich,  künftig  als  ein 
Glück  betrachten,  wenn  trotz  der  ausgedehnten  Wegnahme  aller 
Gelenkenden  die  Tendenz  zur  Ankylose  und  damit  die  Aussicht 
auf  Gewinnung  neuer  fester  Ansatzpunkte  für  die  Muskeln  sich  ein- 
stellt. 

Die  Casuistik  weist  aber  auch  Fälle  nach,  in  welchen  die  Ver- 
letzung auf  das  eine  oder  das  andere  Gelenkende  beschränkt  war, 

Loeffler,  Generalbericht.  18 


272 


und  in  welchen  dennoch  auch  die  andere  unverletzte  Epiphyse  ab- 
getragen wurde,  selbst  wenn  das  abgetragene  Stück  des  verletzten 
Gelenkendes  schon  ziemlich  gross  war.  War  doch  früher  einmal 
Ankylose  erfolgt,  obgleich  4"  des  Humerus  weggenommen  waren 
—  weil,  so  meinte  man,  die  Epiphysen  der  Vorderarmknochen  in- 
tact  gelassen  wurden.  Um  die  Beweglichkeit  der  künftigen  Verbin- 
dung zu  retten,  excidirte  man  „total",  und  die  „methodische  Be- 
wegung" wurde  früh  und  consequent  genug  hinzugefügt  —  die  be- 
wegliche Verbindung  blieb  nicht  aus,  aber  sie  wurde  nutzlos,  ja 
hinderlich  für  den  Gebrauch  des  Gliedes. 

Wirklich  liegt  aus  der  Feldpraxis  von  18(34  nicht  ein  einziger 
Fall  von  vollständiger  Ankylose  nach  der  Resection  vor  —  ein 
glückliches  Gelingen,  wenn  nicht  71  pCt.  Schlotterarme  den  Schatten 
darauf  würfen,  obgleich  Niemand  mehr  anders  als  „subperiostal" 
resecirt  oder  doch  zu  reseciren  trachtet.  Wohl  finden  wir  bei  den 
Geheilten  hier  und  da  Verdickungen  der  Sägeenden,  auch  osteophy- 
tische  Nachbildungen  normaler  Protuberanzen;  aber  nirgends  ist 
eine  Verlängerung  des  abgesägten  Knochens  durch  Neubildung  in 
der  Axenrichtung  constatirt,  während  es  an  weiterer  Verkürzung 
durch  Nekrotisirung  der  Sägeenden  nicht  gefehlt  hat. 

Die  principielle  Totalex cision  der  Gelenkenden  disponirt 
zur  eventuellen  Schlotterverbindung  desto  mehr,  je  länger  die  Stücke 
sind,  welche  an  der  einen  oder  der  anderen  Seite  abgetragen  werden, 
und  sie  ist  unnöthig  für  die  Erzielung  einer  beweglichen 
Verbindung,  weil  es  feststeht,  dass  eine  solche  auch  ohne  die 
Totalexcision  erhalten  werden  kann. 

Im  Falle  172  (nam.  L.  No.  29)  gestattete  die  Verletzung,  die 
Knochenexcision  auf  die  Epiphyse  des  Humerus  zu  beschränken; 
Ulna  und  Radius  blieben  intact.  Fast  normale  Beweglichkeit  und 
Brauchbarkeit  des  Gliedes  war  das  Resultat. 

Im  Falle  179  (nam.  L.  No.  31)  nöthigte  die  Verletzung  nur 
zur  Excision  der  Epiphysen  des  Humerus  und  des  Radius.  Ausser- 
dem wurde  die  Spitze  des  Olecranon  abgesägt,  aber  eben  nur  die 
Spitze.  Das  Resultat  war  eine  straffe,  aber  activ  bewegbare  Ver- 
bindung. 

Nichts  liegt  mir  ferner  als  die  Empfehlung  einer  Art  Indifferenz 
gegen  den  Triumph  der  Resection,  bewegliche  Glieder  zu  erhalten. 
Aber  ich  glaube,  dass  man  nicht  viel  Rühmens  davon  machen  sollte, 
4—5  Zoll  lange  Stücke  der  Gelenkenden  abgesägt  zu  haben ,  wenn 


273 


man  nicht  hinzufügen  kann,  dass  dennoch  kein  Schlotterglied  dabei 
herauskam. 

Mit  der  Totalexcision  der  Gelenkenden  in  Fällen,  wo  sie  durch 
die  Verletzung  nicht  geboten  war  und  mit  dem  methodischen  Bewe- 
gungs-Eifer unter  Umständen,  welche  ohnehin  ein  Schlotterglied  in 
Aussicht  stellten,  hat  die  Praxis  von  1864  für  den  Triumph  der 
Resection  des  Ellenbogengelenks  zu  viel  gethan,  —  desto  weniger 
für  eine  der  wesentlichsten  Bedingungen  desselben. 

Unter  den  von  Esmarch  für  die  Feldzüge  von  1848—1850 
zusammengestellten  40  Resectionsfällen  sind  10  primär  (innerhalb 
der  ersten  48  Stunden  nach  der  Verletzung)  ausgeführte.  Unter  den 
40  Resectionen  von  1864  finden  wir  nur  6  primäre.  Unter*  der 
grossen  Zahl  von  Resectionen  des  Ellenbogengelenks,  welche  in 
Folge  der  deutschen  Kämpfe  von  1866  gemacht  worden  sind,  werden 
sich  die  primären  dereinst  als  noch  seltenere  Ausnahmen  heraus- 
stellen. Die  primäre  Resection  des  Ellenbogengelenks  scheint 
somit  je  länger  desto  mehr  Boden  in  der  kriegschirurgischen 
Praxis  zu  verlieren  —  gewiss  nicht  zur  Steigerung  ihrer 
Triumphe. 

Ich  erinnere  zunächst  noch  einmal  an  das  schon  angedeutete 
Mortalitäts verhältniss.    Es  kommen 


pro  1848—1850: 

auf  10  primäre  Resectionen  .... 

Todesfälle  1  =  10,0  pCt. 

-   30  nicht  primäre  Resectionen 

5  =  16,6  - 

pro  1864: 

5  primäre  Resectionen  .  .  .  . 

0=  0,0  - 

-   33  nicht  primäre  Resectionen 

9  =  27,1  - 

in  Summa  auf: 

-   15  primäre  Resectionen  .  .  .  . 

1=  6,6  - 

-   63  nicht  primäre  Resectionen 

14  =  22,2  - 

Die  Kleinheit  der  Zahlen,  welche  dieser  Berechnung  zu  Grunde 

liegen,  schmälert  ohne  Zweifel'ihre  Beweiskraft,  und  nur  die  man- 
gelnde Exactheit  bei  anderen  Zahlen  der  Art,  welche  in  der  Lite- 
ratur noch  vorliegen,  hat  mich  gehindert,  sie  mitheranzuziehen. 
Trotzdem  dürfte  es  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  nach  der 
Resection  des  Ellenbogengelenks  die  Mortalität  um  so 
grösser  ist,  je  seltener  sie  primär  ausgeführt  wird. 

Wegen  der  Kleinheit  der  Zahlen  habe  ich  auf  die  Sonderung 

18* 


274 


der  intermediären  Resectionen  (im  Stadium  der  entzündlichen 

ion  vom  3.  bis  6.  Tage  ausgeführt)  von  den  secundären  ver- 
zichtet. Ich  glaube  aber  nicht,  dass  es  rathsam  ist,  die  practische 
Probe  darauf  fortzusetzen,  ob  und  inwieweit  die  intermediären  Re- 
sectionen in  Betreff  der  Sterblichkeit  mit  den  intermediären  Ampu- 
tationen coneurriren.  Von  den  4  im  Feldzuge  von  1864  gemachten 
Operationen  der  Art  verliefen  2  tödtlich. 

Auch  ohne  die  Statistik  ist  übrigens  so  viel  sicher,  dass  das 
in  die  Kriegspraxis  sich  einnistende  Verschieben  der 
Resection  auf  die  secundäre  Periode  dem  ersten  und 
wichtigsten  Zwecke,  welchem  diese  Operation  zu  dienen 
hat'  zuwiderlaufe. 

Bekannt  ist  der  drastische  Vergleich  mit  dem  Schildbürger  und 
seinem  Hunde,  durch  welchen  Stromeyer  (Maximen  S.  252)  die 
Halbheit  des  Handelns  Derer  abfertigt,  welche  sich  heute  noch 
rühmen,  ohne  Resection  mit  blossen  Einschnitten  und  allmähligen 
Kxtractionen  der  sich  lösenden  Knochenfragmeute  bei  den  Schuss- 
verletzungen des  Ellenbogengelenks  auszukommen.  Aber  ich  muss 
doch  sa^en.  dass  dieses  halbe  Thun,  wenn  die  Einschnitte  conse- 
quent  primär  gemacht  würden,  dem  ersten  und  wesentlichsten  Zwecke 
der  Gelenk  resection  fast  mehr  entsprechen  dürfte,  als  die  förmliche, 
aber  verspätete  Resection. 

Durch  das  Verschieben  der  Resection  entzieht  man  ihr  den 
Triumph,  die  Ausbildung  einer  förmlichen  eitrigen  Ge- 
lenkentiflndong  und  ihrer  Folgen  zu  verhüten.  Man  lässt, 
wenn  nicht  der  unmittelbaren  Lebensgefahr,  so  doch  einem  in  Kriegs- 
La/.an  th.  n  doppolt  bedeutsamen  und  für  die  schliesslich^  Brauch- 
barkeit des  Gliedes  nichts  weniger  als  indifferenten  Uebel,  jenem 
langwierigen,  die  Kräfte  consumirenden  und  im  Verhältniss  zu  seiner 
Daiei  die  Muskeln  atrophirenden  Eiterungsprozesse,  Zeit,  sich  ein- 
nkftei  und  ausbilden;  und  wenn  später,  um  diesem  Uebel  ent- 
gegenzutreten, die  Resection  gemacht  wird,  so  riskirt  man,  neue 

uren  heraufzubeschwören,  sei  es  in  Folge  der  erneuten  entzünd- 
Eieactioo  oder  gar  durch  den  mittelst  der  Operation  selbst 
gegetanen  Anstoss  zum  Entstehen  der  Pyämie  durch  Thromben- 
Zerfall. 

Uatai  d€«  '.♦Todesfällen,  welche  wir  pro  1864  nach  der  secun- 
11  K(  *  '        ™  :  '  Mag'  "  Ii      !>•  erfolgten  2  durch  Erschöpfung, 


275 


1  durch  Gangrän  in  Folge  der  erneuten  entzündlichen  Infiltration, 
6  durch  Pyämie  *). 

Ich  habe  oben  einen  Fall  mitgetheilt,  welcher  in  jeder  Bezie- 
hung einen  Triumph  der  Resection  repräsentirt  (Däne  Christensen, 
Fall  171,  nam.  L.  No.  1).  Hier  verweise  ich  auf  denselben  nur  als 
Beispiel  der  vollkommenen  Erfüllung  des  ersten  und  wichtigsten 
Zweckes  der  Gelenkresection.  Der  Grad  der  Reaction  und  die 
Dauer  des  Ausheilungsprocesses  waren  ebenso  milde  und  kurz,  wie 
nach  der  gelungensten  primären  Amputation.  Leider  ist  dieser 
Resectionsfall  der  einzige  geblieben,  in  welchem  die  Operation 
am  Tage  der  Verletzung  selbst  ausgeführt  ward. 

Bei  allen  Schuss Verletzungen  des  Ellenbogenge- 
lenks, welche  überhaupt  das  Conserviren  des  Gliedes  gestatten, 
ist  die  methodische  Resection  des  Gelenks  indicirt,  um 
durch  die  Vernichtung  der  Gelenkverbindung  als  solcher  einer  förm- 
lichen Gelenkentzündung  mit  ihren  Folgen  vorzubeugen,  und  die- 
sen Zweck  erfüllt  die  Operation  um  so  sicherer  und 
vollkommener,  je  früher  sie  der  Verletzung  folgt. 

Dieser  erste  Zweck  der  Gelenkresection,  welcher  allein  schon 
berechtigt,  der  Conservativkur  ohne  Resection  jede  Concurrenz  zu 
versagen,  tritt,  wie  es  scheint,  in  der  Praxis  viel  zu  sehr  in  den 
Hintergrund  gegen  die  Tendenz,  bewegliche  Glieder  zu  erzielen. 

Die  Totalexcision  der  Gelenkenden  ist  nichts  weniger 
als  ein  integrirender  Act  der  Totalresection.  Mit  der  weiten 
Eröffnung  des  Gelenks,  mit  der  vollkommenen  Trennung  der  das 
Gelenk  als  solches  constituirenden  Gebilde  (Kapsel  und  Bänder)  ist 
der  Begriff  der  letzteren  verwirklicht,  und  in  diesem  Sinne  sollte 
die  Resection  stets  total  gemacht  werden.  Anders  mit  dem  zweiten 
Acte  der  Operation.  Der  erste  ist  weit  mehr  als  eine  blosse  Vor- 
bereitung für  den  zweiten,  weil  er  selbst  schon  den  wesentlichsten 
Zweck  der  Resection  erfüllt.  Der  zweite  wird  hinzugefügt,  weil  es 
thöricht  wäre,  die  durch  den  ersten  gebotene  Gelegenheit,  Hei- 
lungshindernisse zu  entfernen,  unbenutzt  zu  lassen.  Man 


*)  „Pyämie  ein  Indicans  für  die  Resection"  —  ist  eines  der  man- 
cherlei Paradoxen,  mit  welchen  der  geschickte  österreichische  Chirurg  N  eudörf  er 
seine  Schriften  —  nicht  gerade  vorteilhaft  —  auszustatten  liebt.  Es  wird  wohl 
besser  sein,  die  practische  Probe  darauf,  wenn  man  kann,  zu  vermeiden.  Die 
primäre  Resection,  zu  welcher  N.  1864  nicht  Gelegenheit  hatte,  ist  das  beste 
Mittel,  der  an  die  Gelenkeiterung  sich  knüpfenden  Gefahr  des  Entstehens  der 
Pyämie  vorzubeugen. 


276 


benutzt  daher  die  vorhandene  OefTnung  im  Gelenk  zur  Herausnahme 
der  völlig  abgetrennten  Knochenfragmente  und  zur  Abtragung  und 
Ebenuog  der  verletzten  Knochenenden  mittelst  der  Säge.  Auch 
dieser  Act  ist  wichtig  und  nützlich  genug,  wenn  er  mit  den  oben 
angedeuteten  Restrictionen  ausgeführt  wird.  Je  weniger 
man  die  Säge  braucht,  desto  weniger  wird  man  eine  Verzögerung 
des  Ausheilungsprozesses  durch  das  Nekrotisiren  der  Sägeenden  zu 
fürchten  haben.  Von  den  grossen  nekrotischen  Knochenstücken, 
welche  man  bei  den  Spätresectionen  zu  linden  und  durch  welche 
man  zu  sehr  ausgedehnten  Absägungen  genöthigt  zu  werden  pflegt, 
dürften  mehr  lebendig  bleiben,  wenn  durch  die  primäre  Ausführung 
der  Operation  dem  langwierigen  Eiterprocesse  vorgebeugt  wird, 
während  dessen  ihre  Ernährerin,  die  Knochenhaut,  mehr  an  Dicke 
als  an  Knochen -Erhaltungs-  und  Neubildungskraft  zu  gewinnen 
scheint. 

Leider  trifft  die  primäre  Resection  in  der  Praxis  auf  mancherlei 
und  theilweise  unüberwindliche  Hindernisse.  Auch  die  1864  ge- 
machten Resectionen  konnten  nicht  alle  primäre  sein.  Dies  gilt 
besonders  von  den  Fällen,  in  welchen  die  secundäre  Entzündung 
des  ursprünglich  nicht  mitverletzten  Gelenkes  zum  Motiv  der  Re- 
section wird.  Aber  die  Erfahrung  hat  auch  gelehrt,  dass  die  erste 
Untersuchung  gar  nicht  selten  die  wirklich  vorhandene  Betheiligung 
des  Gelenkes  an  der  Verletzung  zweifelhaft  liess,  und  dass  eine  auf- 
fallend geringe  Reaction  in  den  ersten  Tagen  dem  Zweifel  Vorschub 
leistete.  Die  Rücksicht  auf  die  grossen  mit  der  primären  Resection 
verknüpften  Vorzüge  dürfte  es  wohl  rechtfertigen,  dass  die  Unter- 
suchung solcher  Verletzungen  weniger  zurückhaltend  geschehe, 
um  die  Diagnose  zu  sichern.  Aber  man  darf  und  wird  ein  Gelenk 
nicht  künstlich  zerstören,  so  lange  man  sich  nicht  überzeugt  hält, 
dass  es  verletzt  sei.  Es  ist  bekannt,  wie  sehr  der  Befund  bei  der 
Resection  die  Schätzung  des  Umfanges  der  Verletzung  bei  der  Vor- 
untersuchung zu  übertreffen  pflegt. 

Aber  warum,  so  darf  man  fragen,  wurde  die  Resection  auch 
in  solchen  Fällen  verschoben,  wo  die  Betheiligung  des  Gelenkes 
positiv  erkannt  war?  Die  Verletzungen  des  Ellenbogengelenkes  sind 
glücklicherweise  nicht  so  bös,  wie  z.  B.  die  des  Kniegelenkes;  sie 
pflegen  das  Leben  nicht  so  rapide  zu  bedrohen.  Erwägt  man  nun 
die  schwere  Probe,  auf  welche  die  Arbeitskraft  der  Feldärzte  gerade 
in  den  ersten  Tagen  nach  Gefechten  gestellt  zu  werden  pflegt,  so 


277 


kann  man  sich  nicht  wundern,  wenn  sie,  um  nur  mit  dem  wirklich 
oder  scheinbar  Dringlichsten  fertig  zu  werden,  verschieben,  was  sich 
ohne  Gefahr  verschieben  lässt  oder  verschieben  zu  lassen  scheint. 
Die  Gelenkresectionen  sind,  glaube  ich,  mehr  als  gut  ist,  in  diese 
Kategorie  des  Verschiebbaren  rangirt  worden.  Man  rühmt  es  ihnen 
sogar  nach,  dass  sie  sich  das  gefallen  lassen,  —  ein  Beweis,  wie 
sehr  eine  Erinnerung  an  den  ersten  und  wesentlichsten  Zweck  der 
Gelenkresection  an  der  Zeit  ist. 

Am  3.  und  4.  Juli  1866  ist  auf  dem  Kriegsschauplatze  in  Böhmen 
kaum  eine  Resection  des  Ellenbogengelenkes  bei  den  Verwundeten 
von  Königgrätz  gemacht  worden.  Die  riesige  Aufgabe,  welche 
diese  Schlacht  dem  Sanitätsdienste  gestellt  hat,  erklärt  das;  und 
doch  ist  zu  wünschen  und  zu  hoffen,  dass  es  einst  möglich  werde, 
auch  unter  solchen  Verhältnissen  die  Gelenkresection  den  unauf- 
schiebbaren Hülfen  zuzuzählen. 

Ohne  Zweifel  gehört  dieser  Kunstact  nicht  auf  den  Verband- 
platz der  Truppenärzte  oder  der  fahrenden  Abtheilungen  unserer 
leichten  Feld-Lazarethe;  aber  schon  die  sogenannten  Depots  der 
letzteren  sollten  denselben  mit  auf  ihre  Tagesordnung  setzen,  seitdem 
der  Gypsverband  es  ermöglicht,  der  Operation,  wenn  es  sein 
muss,  den  Transport  bald  folgen  zu  lassen.  Der  Mangel  an  Aerzten, 
welche  die  zur  Gelenkresection  erforderliche  Vorübung  besitzen,  wird 
voraussichtlich  in  Zukunft  kein  Hinderniss  sein.  Wenigstens  die 
Resection  des  Ellenbogengelenks  hat  wohl  schon  aufgehört,  als  ein 
Kunstact  zu  gelten,  welcher  die  Hand  berühmter  Meister  fordert. 
Auch  ist  zu  hoffen,  dass  es  in  Preussen  bald  nicht  mehr  an  Ein- 
richtungen fehlen  werde,  welche  wenigstens  dem  Militair-Arzte  von 
Beruf  die  Möglichkeit  gewähren,  auch  während  des  Friedens  die 
operative  Fertigkeit  zu  conserviren  und  dem  vorschreitenden  Bedürf- 
nisse entsprechend  zu  vervollkommnen.  Dann  wird  der  primären 
Resection  ihr  volles  Recht  und  den  Verwundeten  der  volle  Segen 
werden,  den  zu  gewähren  sie  im  Stande  ist. 

Die  Schnittweise  war  vorwiegend  der  einfache  Längsschnitt 
über  dem  inneren  Rande  des  Olecranon  —  die  Folge  der  wirksa- 
men Theilnahme,  welche  der  Empfehler  desselben,  Herr  Generalarzt 
v.  Langenbeck  der  Feldpraxis  von  1864  gewidmet  hat.  Auf 
Verlauf  und  Resultat  hat  übrigens  die  Schnittweise  kaum  Einfluss. 
Wichtiger  ist  die  Behandlung  der  Schnittwunde.  Es  war  üb- 
lich, dieselbe  alsbald  durch  Nähte  zu  vereinigen.    Es  ist  gewiss 


278 


nichts  dagegen  zu  erinnern,  wenn  bei  dem  |—  oder  |— |  Schnitte  die 
prima  intentio  für  einen  Theil  der  Operationswunde  angestrebt  wird, 
wofern  der  Rest  genügt,  eine  wichtige  Wirkung  der  Operation  — 
Entspannung  und  Sicherung  des  Abflusses  der  Secrete  —  ungestört 
zu  erhalten.  Aber  die  schnelle  Vereinigung  des  einfachen  Längs- 
schnittes ist  nichts  weniger  als  förderlich  für  den  Verlauf  und  Aus- 
gang. Der  Eiter  wird  verhalten,  und  die  Folgen  davon  nöthigen 
zum  Wiedereröffnen  der  Wunde  oder  zu  neuen  Einschnitten,  und 
zwar  um  so  mehr,  je  länger  man  sich  sträubt,  das  schöne  Nahter- 
gebniss  unschädlich  zu  machen. 

Ruhige  Lage  des  resecirten  Gliedes  ist  für  den  glück- 
lichen Verlauf  ein  wesentliches  Requisit.  Die  einfache  Lagerung  auf 
einer  Winkelschiene,  wie  sie  seit  1848 — 50  fast  ausschliesslich 
benutzt  wurde,  hatte  1864  zwei  Concurrenten  —  die  Esmarch'sche 
Schwebe  und  den  Gypsverband.  Erstere  gehört  nicht  zur  etats- 
mässigen  Ausstattung  unserer  Feldlazarethe.  Ich  würde  auch  nicht 
für  Etatisirung  dieser  hübschen  Erfindung  stimmen,  weil  so  compli- 
cirte  Apparate  für  die  Kriegsklinik  nur  zu  beschaffen  sind,  wenn 
sie  zur  Erreichung  eines  wichtigen  Zweckes  unentbehrlich  sind. 
Von  der  Schwebe  lässt  sich  das  kaum  sagen.  Wohl  macht  sich  der 
Verband  für  den  Kranken  wie  für  den  Arzt  bequem,  und  die  Lage 
des  ersteren  im  Bette  braucht  nicht  eine  so  peinlich  ruhige  zu  sein, 
wie  bei  der  einfachen  Holzschiene.  Allein  es  hat  sich  doch  heraus- 
gestellt, dass  es,  sofern  und  so  lange  die  Neigung  zur  Infiltration 
besteht,  besonderer  Aufmerksamkeit  bedarf,  damit  der  ungleichmässige 
Druck  der  Schwebe-Spangen  nicht  Circulationsstörungen  verursache. 
Die  Schwebe  musste  aus  diesem  Grunde  bisweilen  durch  die  ein- 
fache Lagerungsschiene  ersetzt  werden.  Der  Vortheil,  etwas  weniger 
genirt  im  Bette  zu  liegen,  liesse  sich  übrigens  dem  Operirten  wohl 
auch  dadurch  verschaffen,  dass  man  das  Glied  mit  der  Holzschiene 
in  eine  einfache  überall  leicht  zu  improvisirende  Schwebevorrich- 
tung legt. 

Aber  Schiene  oder  Schwebe  oder  beides  —  der  Operirte  muss 
dabei,  wie  gut  auch  der  Verlauf  sich  gestalte,  lange  im  Bette  aus- 
harren. Der  Gypsverband  sichert  die  ruhige  Lage  des  Gliedes 
auch  ausser  Bett.  Dabei  macht  sich  im  gefensterten  Gypsverbande 
das  Verbinden  äusserst  bequem.  Dieser  Verband  ist  denn  auch,  wie 
bei  den  Schussfracturen  überhaupt,  so  auch  nach  der  Resection  des 
Ellenbogengelenkes  vielfach  benutzt  worden.    Gleichwohl  schreibt 


279 


Herr  Prof.  Lücke  die  Schuld  an  der  grossen  Zahl  von  Schlotter- 
armen, welche  die  Praxis  von  1864  geliefert  hat,  wenigstens  zum 
Theil  dem  Umstände  zu,  dass  der  Gypsverband  noch  nicht  metho- 
disch genug  benutzt  wurde  (1.  c.  S.  142).  Ich  finde  nicht,  dass 
die  Thatsachen  dieser  Ansicht  entsprechen.  Bei  den  Resectionen 
von  1848 — 50  wurde  der  Gyps  noch  gar  nicht  benutzt.  Dennoch 
haben  sie  26  pCt.  Schlotterarme  weniger  als  die  von  1864  geliefert. 
Mehrere  der  besten  Resultate  von  1864  wurden  erzielt  in  Fällen, 
wo  der  Gypsverband  keine  oder  nur  eine  späte  und  vorübergehende 
Rolle  gespielt  hat.  Dass  der  eine  der  beiden  Fälle,  welche  Lücke 
(1.  c.  S.  143)  als  besondere  Beweise  für  die  Leistung  des  gleich 
nach  der  Operation  angelegten  Gypsverbandes  hervorhebt  (Fall  111) 
diese  Bedeutung  nicht  habe,  wurde  schon  angeführt  (s.  Fall  171). 
Die  wirklichen  Ursachen  der  Häufigkeit  der  Schlotterarrae  nach  den 
Resectionen  von  1864  habe  ich  schon  angedeutet. 

Was  Lücke  für  den  Gypsverband  reclamirt,  die  sofortige  und 
consequente  Benutzung  desselben  nach  der  Resection,  wird  zum  Heile 
für  die  Operirten  Regel  erst  dann  werden  können,  wenn  die  pri- 
märe Resection  in  ihr  volles  Recht  getreten  sein  wird.  Die  Fälle 
von  secundärer  Resection,  bei  denen  es  1864  ohne  Schaden  für  den 
Operirten  gelang,  die  sofortige  und  consequente  Benutzung  des  Gyps- 
verbandes durchzusetzen,  gehören  zu  den  Ausnahmen.  Sogar  Aerzte 
mit  ausgesprochener  Vorliebe  für  diesen  Verband  sahen  sich  durch 
Infiltrationen  und  Eitersackungen  gezwungen,  mit  der  Anlegung  zu 
zögern  oder  die  Benutzung  desselben  zu  unterbrechen.  Principielle 
Primärresection  und  methodischer  Gypsverband  bedingen 
und  unterstützen  sich  gegenseitig. 

F.  3.    Schuss Verletzungen  des  Schultergelenkes. 

In  der  Tabelle  IX.  (vgl.  S.  137)  sind  für  den  preussischen  An- 
theil  18  Fälle  von  Schultergelenk-Schuss  notirt  —  dieselbe  Zahl, 
welche  sich  für  die  Schussverletzungen  des  Ellenbogengelenkes  ge- 
funden hat.  Erwägt  man  indess,  um  wie  viel  die  Schulter-Schüsse 
häufiger  sind  als  die  der  Ellenbogengegend,  so  stellt  sich  heraus, 
dass  das  Schultergelenk  verhältnissmässig  viel  seltener  mitverletzt 
wird.  Unter  153  Schulterschüssen  trafen  nur  18  =  c.  10  pCt.,  das 
Gelenk  selbst.  Hierzu  kommen  26  Fälle  bei  den  dänischen  Kriegs- 
gefangenen. 

Secundäre  AfTectionen  des  Schultergelenkes  nach  Schüssen  in 


280 


der  Nähe  desselben  waren  nicht  selten.  Einige  sind  bereits  erwähnt. 
Die  Diagnose  der  wirklichen  Gelenkverletzung  ist  dadurch  bisweilen 
noch  schwerer  geworden,  als  sie  es  schon  an  und  für  sich  ist.  Von 
besonderer  Bedeutung  waren  unter  diesen  Secundäraffectionen  die 
durch  Osteomyelitis  nach  hohen  Schussfracturen  des  Humerus  be- 
dingten. Drei  Fälle  der  Art  haben  schon  in  dem  betreffenden  Ab- 
schnitte des  Berichtes  Erwähnung  gefunden  (vgl.  Fall  126 — 128). 

Ausser  jenen  44  wirklichen  Schultergelenkschüssen  ist  noch 
einer  vorgekommen;  ich  zähle  ihn  hier  nicht  mit,  weil  er  mit  einer 
anderen  noch  schwereren  Schussverletzung  —  Kniegelenk-Schuss  — 
combinirt  war.  Jch  bemerke  nur,  dass  die  Schulter  Verletzung  ex- 
spectativ  behandelt,  des  Knieschusses  wegen  der  Oberschenkel  ampu- 
tirt  wurde,  und  dass  der  Fall  tödtlich  verlief.  Bei  den  Knieschüssen 
werde  ich  auf  ihn  zurückkommen. 

Unter  jenen  44  Gelenkschüssen  war  kein  Fall  blosser  Kapsel- 
verletzung. Alle  hatten  theils  den  Oberarmkopf,  theils  den  Gelenk- 
fortsatz des  Schulterblattes,  theils  Kopf  und  Pfanne  lädirt.  Der 
Grad  der  Knochenverletzung  war  freilich  sehr  verschieden  von  der 
blossen  Streifung  bis  zur  völligen  Zertrümmerung. 

Ich  gebe  zunächst  ein  numerisches  Bild  von  dem 

Verlauf  der  Schultergelenk-Schüsse 

nach  Nationalität  und  Kurart. 


Tabelle  XVI. 


Nationalität 

Zahl 
der 
Ver- 
wun- 
deten 

Kurart 

Summa 

exarticulirt 

resecirt 

nicht  operativ 
behandelt 

der 
Ge- 
heilten 

der 
Ge- 
stor- 
benen 

Zahl  geh. 

r 

gest. 

Zahl 

geh. 

gest. 

Zahl 

geh. 

gest. 

Preussen 
Dänen 

18 

26 

2 

2 

14 
21 

7 
10 

7 
11 

2 
5 

1 

1 

5 

8 

10 

10 
16 

Summa 

44 

2 

2  |  35 

17 

18 

7 

1 

6 

18 

26 

Ueber  zwei  der  vorstehend  berechneten  Fälle  ist  bereits  bei 
den  Ellenbogengelenk-Schüssen  berichtet  worden. 

In  beiden  war  Schultergelenk-  und  Ellenbogengelenk -Schuss 
derselben  Seite  combinirt.    In  dem  einen  wurde  nicht  operirt,  in 


281 


dem  anderen  wurden  beide  Gelenke  nach  einander  recesirt.  Beide 
verliefen  tödtlich  (S.  Fall  159). 

Bei  dem  ausgeprägt  conservirenden  Character  der  neueren  deut- 
schen Kriegschirurgie  kann  es  nicht  auffallen,  dass  bei  den  Schuss- 
verletzungen des  Schultergelenkes  nur  zweimal  zum  Amputations- 
messer gegriffen  wurde ;  wohl  aber  darf  vorweg  angenommen  werden, 
dass  besondere  Gründe  zur  Exarticulation  in  diesen  Fällen  veran- 
lassten. 

In  dem  einen  (Leopold  Reiza  vom  3.  G.-Gr.-Reg. ,  in  der 
Nacht  vom  16.  zum  17.  April  vor  Düppel  verwundet.  Broacker) 
war  das  rechte  Schultergelenk  durch  Granatsplitter  zer- 
trümmert, Der  am  Tage  nach  der  Verwundung  gemachten  Exar- 
ticulation des  Armes  folgte  vom  3.  Tage  ab  die  Entwickelung 
der  Pyämie  mit  intensiv  icterischen  Erscheinungen  und  am  12.  Tage 
der  Tod. 

Fall  184.  In  dem  anderen  Falle  (Füs.  Kuttenstädter  vom  15.  Inf.-Reg., 
verwundet  den  2.  Februar  vor  Missunde.  Eckernförde)  war  der  Humerus- 
kopf  durch  eine  Gewehrkugel  zerschmettert  und  die  Resection  in  Aussicht 
genommen.  Sechs  Tage  nach  der  Verwundung  stellten  sich  —  vielleicht 
in  Folge  des  Transportes  in  ein  anderes  Spital,  welcher,  wenn  auch  mit 
aller  Vorsicht,  bei  Schneegestöber  geschah  —  die  Symptome  des  Tris- 
mus  ein,  mit  rapider  Steigerung.  Bei  der  Möglichkeit,  dass  die  Läsion 
eines  Nerven  des  Axillargeflechtes  durch  Knochensplitter  die  Ursache  sei, 
wurde  am  folgenden  Tage  der  Arm  exarticulirt.  Die  tetanischen  Zuckun- 
gen, denen  die  Chloroformnarkose  kaum  Einhalt  zu  thun  vermochte,  bra- 
chen nach  kaum  beendeter  Operation  wieder  aus  und  führten  binnen  einer 
halben  Stunde  zum  Tode. 

Von  den  7  Fällen,  bei  welchen  kein  operativer  Eingriff 
geschah,  ist  einer  schon  in  dem  Capitel  über  Ellenbogengelenk- 
Schüsse  erwähnt  worden.  Er  war  mit  einem  solchen  und  zwar  an 
.demselben  Arme  complicirt  und  kann  daher  nicht  mit  in  Betracht 
kommen,  wenn  es  sich  um  das  Heilungs-  resp.  Sterblichkeits- 
Verhältniss  bei  der  nicht  operativen  Cons er vativkur 
der  Schultergelenkschüsse  handelt. 

In  den  schleswig-holsteinischen  Kämpfen  von  1848 — 50  star- 
ben bei  dieser  Behandlung  nach  Stromeyer  von  8  Verwundeten 
5  =  62,5  pCt;  im  italiänischen  Kriege  von  1859  nach  Demme  von 
43  Verwundeten  29  ===  67,  4  pCt.  Von  unsern  6  Verwundeten  der 
Art  ist  nur  1  genesen.  Zusammen  ergeben  diese  57  Conservativ- 
kuren  ohne  Operation  eine  Sterblichkeit  von  fast  70  pCt.  Ich  er- 
wähne zuerst  unsern  einen  Heilungsfall. 


282 


Fall  185.  Gewehrschuss  durch  die  linke  Schulter  mit  Streifung 
des  Oberarmkopfes.  Heilung  mit  Ankylose.  —  Füs.  Philipp  Na- 
dermann vom  55.  preuss.  Inf.-Reg. ,  wurde  den  18.  April  verwundet  und 
in  Flensburg  (Sect.  des  2.  schw.  F.-L.  St.-A.  Reuter)  aufgenommen.  Die 
Kugel  drang  am  Proc.  coracoideus  ein  und  am  mittleren  Dritttheil  des 
Schulterblattes  nach  Durchbohrung  desselben  aus.  Gelenkkapsel  eröffnet, 
Kopf  des  Humerus  gestreift.  Eine  lebhafte  Reaction  folgte,  wurde  jedoch 
durch  consequente  Eisbehandlung  in  Schranken  gehalten.  Nach  14  Tagen 
Chamillen-Fomente.  Am  10.  Mai  Eitersackung  am  Oberarm  herab.  Brei- 
umschläge. Incision  am  20.  Mai.  Unter  fortgesetzten  Breiumschlägen  er- 
folgte nun  die  weitere  Ausheilung  ungestört,  und  Ende  August  war  die 
Vernarbung  soweit  vorgerückt,  dass  Pat.  behufs  einer  Badekur  nach  Kreuz- 
nach geschickt  werden  konnte.  Bei  der  am  4.  December  erfolgten  Invali- 
disirung  wurde  das  Gelenk  ankylosirt  gefunden. 

Dies  ist  ein  sehr  milder  Verlauf,  wie  er  selbst  bei  so  beschränkter 
Verletzung  der  Gelenktheile  nicht  oft  vorkommt.  In  den  5  tödtlich 
verlaufenen  Fällen  war  die  Verletzung  viel  bedeutender,  und  Grad 
und  Ausdehnung  derselben  konnten  zum  Theil  erst  bei  der  Section 
constatirt  werden.  Ich  führe  sie  kurz  an,  weil  sie  erklären,  warum 
das  Resultat  der  nicht  operativen  Kur  noch  ungünstiger  ausfiel,  als 
in  den  früheren  Kriegen,  und  weil  sie  die  diagnostischen  Schwierig- 
keiten beleuchten,  mit  welchen  die  Schussverletzungen  des  Schulter- 
gelenkes umgeben  sind. 

1.  Fall  186.    Rasmus  Hansen  vom  3.  dän.  Inf.-Reg.,  den  29.  Juni  verwun- 

det, in  Glücksburg  behandelt.  Gewehrschuss.  Eingang  der  Kugel  dicht 
über  der  hinteren  Grenze  der  linken  Achselhöhle,  Ausgang  in  der  linken 
Mamillarlinie  3"  über  der  Brustwarze.  Vermeidung  eindringlicher  Unter- 
suchung aus  Besorgniss  vor  Wiederkehr  der  Blutung,  welche  aus  der  vor- 
deren Oeffnung  sehr  stark  gewesen  war.  Täuschende  Milde  der  Reaetion 
Seitens  des  Gelenkes.  Entwickelung  der  Pyämie,  deren  Verlauf  durch 
Blutungen  beschleunigt  wird.  Tod  am  1.  August.  Section:  Absplitte- 
rung des  Humer us -Kopfes;  pyämische  Lungenabscesse. 

2.  Fall  187.    Füs.  Hermann  Zillmann  vom  64.  preuss.  I.-R.,  am  18.  Aprii 

verwundet,  in  Broacker  (schw.  F.-L.  des  Garde-C.)  aufgenommen.  Ein  Ge- 
wehrschuss hatte  unter  Splitterung  des  Acromialendes  der  Cla- 
vicula,  des  Acromion  und  des  Gelenkfortsatzes  der  Scapula 
das  rechte  Schultergelenk  durchsetzt.  Heftige  Reaction  erst  vom  4.  Tage 
ab.    Tod  am  26.  April  durch  Septicaemie. 

3.  Fall  188.    Rasmus  Thomassen  vom  9.  dän.  Inf.-Reg,  am  18.  April  ver- 

wundet, in  Flensburg  aufgenommen.  Die  Kugel  drang  am  linken  Schulter- 
gelenk vorn  ein,  hinten  in  der  Mitte  der  Scapula  \"  unter  der  Spina  aus. 
Der  Finger  gelangt  durch  letztere  Oeffnung  auf  die  scheinbar  unver- 
letzte Scapula;  der  Lauf  des  Schusskanals  lässt  sich  nicht  ge- 
nau bestimmen,  weil  Pat.  über  die  Haltung  des  Armes  im  Augen- 


283 


blicke  der  Verletzung  keine  Auskunft  zu  geben  vermag.  Am 
26.  April  reichliche  Absonderung  aus  den  Wunden,  mit  Synovia  vermischt. 
Erst  vom  3.  Mai  bedeutendere  Störung  des  Allgemeinbefindens.  Dann 
rasche  Entwicklung  der  Pyämie  mit  tödtlichem  Ausgange  am  8.  Mai. 
Section:  Gelenkkopf  leicht  gestreift,  Gelenkpfanne  gespalten, 
im  Körper  der  Scapula  ein  kreisrundes  Loch.  Lungen  mit  pyämi- 
schen  Infarcten  durchsetzt. 

4.  Fall  189.    Peter  Kregessen  vom  2.  dän.  Inf.-Reg.,  am  28.  März  verwun- 

det, in  Stenderup  aufgenommen.  Das  Langblei  ist  unter  der  rechten 
Clavicula  eingetreten  und  an  der  hinteren  Fläche  der  Scapula  ausgeschnit- 
ten. Im  Wundkanale  fühlt  man  die  Subclavia  pulsiren.  Ein  Knochenbruch 
schien  nicht  vorhanden.  Am  2.  April  heftige  Blutung.  Unterbindung  der 
Subclavia  (St.-A.  Dr.  Claus).  Die  Blutung  kehrt  nicht  wieder;  aber  in 
Folge  der  Erschöpfung  tödtlicher  Ausgang  am  7.  April.  Bei  der  Section 
fand  sich  das  Collum  scapulae  zertrümmert,  die  Gelenkpfanne  gespalten; 
zwischen  den  Trümmern  ein  Zündspiegel.  Keine  Spur  von  Thrombus  in 
der  Arterie;  dicht  oberhalb  der  Ligatur  geht  ein  Ast  ab. 

5.  Fall  190.    Peter  Petersen  vom  3.  dän.  Inf.-Reg.,  am  29.  Juni  verwundet, 

in  Sandberg  aufgenommen.  Einschuss  dicht  unter  dem  Akromialende 
der  linken  Clavicula,  Ausgang  ein  Zoll  nach  aussen  vom  Angulus  Scapulae, 
Eine  Zerschmetterung  des  Gelenktheiles  der  Scapula  wird  constatirt.  Bal- 
dige und  heftige  Reaction  unter  Jauchung  der  Wunden.  Ausgedehnte  In- 
filtration des  Oberarmes.  Mehrere  Incisionen.  Am  11.  Juli  bedeutende 
Blutung  aus  der  hinteren  Oeffnung,  welche  durch  Tamponade  gestillt  wird. 
Gleich  darauf  heftiger  Schüttelfrost,  der  sich  einige  Mal  wiederholt.  Er- 
öffnung eines  grossen  Jaucheheerdes  in  der  Achselhöhle.  Am  14.  Juli  starke 
Jauchung  aller  Wunden.  Durch  die  vordere  Schussöffnung  sieht  man  einen 
Theil  des  Oberarmkopfes  blossliegen.  Er  erscheint  bei  der  Betastung  ganz 
unverletzt  und  lässt  sich  durch  Bewegungen  des  Humerus  nach  allen  Sei- 
ten luxiren.  Der  Proc.  glenoidalis  Scap.  ist  mit  dem  Finger  nicht  aufzu- 
finden. Tod  am  16.  Juli.  Section:  Völlige  Zerstörung  des  Gelenktheiles 
der  Scapula;  theilweise  Zertrümmerung  des  unteren  Schulter blattkörpers. 
Ausgedehnte  Verjauchung. 

Abgesehen  von  dem  ersten  dieser  5  Fälle,  in  welchem  die 
drohende  Blutung  die  bestimmte  Diagnose  der  Verletzung  des  Ober- 
armkopfes verhinderte,  waren  die  übrigen  auch  bei  vorweg  klarer 
Diagnose  schwere  Kurprobleme.  Der  tödtliche  Ausgang  kann  der 
Conservativkur  ohne  Operation  kaum  zur  Last  geschrieben  werden. 
Bedeutendere  Betheiligung  des  Gelenktheiles  des  Schulterblattes  ist, 
wie  wir  sehen  werden,  auch  dem  Erfolge  der  Resection  sehr  hin- 
derlich. Liesse  jene  Kur  nur  bei  derartigen  Fällen  im  Stiche,  so 
würde  man  sich  nicht  allzusehr  vor  ihr  zu  scheuen  haben.  Wir 
werden  aber  unter  den  später  zu  erwähnenden  Fällen  mehreren  be- 
gegnen, in  welchen  trotz  ziemlich  geringer  und  auf  den  Oberarm- 


284 


köpf  beschränkter  Knochenläsion  der  durch  seine  anfängliche  Milde 
täuschende  Verlauf  schliesslich  doch  zum  Operiren  genöthigt  hat. 

In  dem  Capitel  über  die  Ellenbogengelenkschüsse  habe  ich  er- 
wähnt, wie  sehr  die  dänischen  Aerzte  ihren  Widerwillen  gegen  die 
Gelenkresection  bis  in  die  neueste  Zeit  conservirt  haben.  Den  Ver- 
letzungen des  Schultergelenkes  gegenüber  haben  sie  sich  bereits  be- 
kehrt. Prof.  Drachmann  räumt  das  in  seinem  Vortrage  ein.  Aber, 
wie  es  scheint,  um  die  Ehre  der  Conservativkur  ohne  Resection 
nicht  gar  zu  bloss  zu  stellen,  erzählt  er  doch  4  Fälle  „von  Schuss- 
wunden im  oder  b ei m  Schultergelenk,  behandelt  ohne  Resection." 
Weshalb  die  auffällige  Formulirung  der  Categorie?  Weil  in  der 
That  nur  ein  wirklicher  Gelenkschuss  unter  jenen  Fällen  sich  be- 
findet. Die  anderen  3  sind  Schussfracturen  des  oberen  Drittheils 
des  Humerus.  Für  deutsche  Chirurgen  hat  die  Heilung  der  letz- 
teren ohne  Resection  nichts  Auffälliges  mehr,  seitdem  Stromeyer 
constatirt  hat,  dass  die  Schussbrüche  des  Humerus  unter  dem  soge- 
nannten chirurgischen  Hülse  keine  Fissuren  nach  dem  Gelenktheile 
machen. 

Dem  einen  dänischer  Seits  ohne  Resection  geheilten  Falle  von 
Schussverletzung  des  Schultergelenkes  gebe  ich  in  diesem  Berichte 
um  so  lieber  einen  Platz,  weil  die  Knochenverletzung  etwas  bedeu- 
tender gewesen  zu  sein  scheint,  als  in  dem  oben  erwähnten,  bei 
uns  geheilten  Falle,  weil  dergleichen  Heilungsgeschichten  in  der 
Kriegschirurgie  je  länger  desto  seltener  werden  dürften,  und  weil 
die  genauere  Schilderung  des  definitiven  Resultates,  welches  Herr 
O.-St.-A.  Dr.  Thalwitzer  persönlich  in  Copenhagen  constatirt  hat, 
Gelegenheit  bietet,  einen  Vergleich  mit  den  Resultaten  der  Resection 
zu  machen,  welche  ich  alsbald  mittheilen  werde. 

Gemeiner  Louis  Villmann  erhielt  am  5.  April  einen  Gewehrschuss 
durch  die  linke  Schulter.  Eingang  zwischen  Proc.  coracoid.  und  Collum 
humeri,  Ausgang  nach  Durchbohrung  des  Schulterblattes  etwas  nach  innen 
von  dessen  äusserem  Rande.  Untersuchung  10  Monate  nach  der 
Verletzung:  Aus  der  Einschussöffnung  hat  sich  kürzlich  noch  ein  Kno- 
chenfragment entleert.  Ausgangsöffnung  vernarbt.  Einsenkung  unterhalb 
des  Acromion,  bedingt  durch  Verkleinerung  des  Oberarmkopfes,  welcher, 
wohl  auf  die  Hälfte  des  Umfanges  reducirt,  als  feste  Masse  durchfühlbar 
ist.  Ankylose  des  Gelenkes.  Bewegung  des  Armes  nach  vorn  activ  sehr 
beschränkt,  nach  hinten  unmöglich;  einige  Entfernung  des  Ellenbogens 
vom  Rumpfe  durch  Bewegung  des  Schulterblattes  ausführbar.  Beide  Ober- 
arme gleich  lang.  Der  Vorderarm  kann  activ  bis  zu  einem  rechten  Winkel 
gebeugt  werden;  Pro-  und  Supination,  Bewegungen  der  Hand  und  der  Fin- 
ger frei.   Händedruck  stark.   Ernährungszustand  des  Gliedes  sehr  gut. 


285 


Wie  viel  wirkliehe  Schultergelenk-Schüsse  dänischer  Seits  ohne 
Resection  behandelt  wurden,  wie  viele  Todesfälle  dem  einen  Hei- 
lungsfalle gegenüberstehen  —  diese  Fragen  sind  von  Djörup  und 
Drachmann  gar  nicht  gestellt.  Aber  wie  wenig  auch  dänischer 
Seits  das  mit  der  nicht  operativen  Conservativkur  verknüpfte  Sterb- 
lichkeitsverhältniss  befriedigt  hat,  geht  daraus  hervor,  dass  man  sich 
1864  zu  4  Resectionen  des  Schultergelenkes  entschloss.  Zwei  davon 
verliefen  tödtlich. 

Sämmtliche  Resectionen  des  Schultergelenkes,  welche 
1864  preussischer  Seits  ausgeführt  sind,  habe  ich  in  einer  nament- 
lichen Liste  zusammengestellt.    (S.  Anhang  2.)    Es  sind  38. 

Aus  der  Liste  ergiebt  sich,  dass  von  den  38  Resectionsfällen  20 
=  52  pCt.  tödtlich  verliefen  —  ein  Verhältniss,  welches  den  Effect 
der  Operation  für  das  Leben  nicht  eben  glänzend  illustriren  dürfte, 
wenn  es  sich  ausschliesslich  um  Schultergelenk- Schüsse  handelte. 
Um  den  Effect  der  Operation  zu  würdigen,  muss  zunächst  Fall 
N*.  35  ausser  Ansatz  bleiben,  weil  er  durch  einen  schweren 
Beckenschuss  complicirt  war;  ferner  Nr.  34  wegen  Compiication 
mit  Ellenbogengelenk-Schuss  und  Resection  an  demselben  Arme; 
endlich  die  3  Fälle  von  Resection  wegen  Osteomyelitis  nach  Schuss- 
fracturen  des  Oberarmschaftes  (So.  36—38),  von  denen  2  tödtlich 
verliefen.  Somit  bleiben  33  Resectionen  des  Schultergelenkes  mit 
16  =  45,4  pCt.  Todesfällen. 

Gegen  die  70  pCt.  Todesfälle  nach  der  Conservativkur  ohne 
Resection  ist  das  schon  eine  beachtenswerthe  Differenz.  Dennoch 
erscheinen  die  Resultate  pro  1848  bis  1850  nach  der  Esmarcir- 
schen  Liste,  von  welcher  ich  freilich  nicht  weiss,  ob  sie  ganz  voll- 
ständig ist,  nicht  unerheblich  günstiger.  Unter  den  19  Fällen  dieser 
Liste  ist  einer  mit  penetrirendem  Brustschuss  complicirt.  Ohne 
diesen  enthält  sie  18  Fälle  mit  6  =  33.3  ptt.  Todesfällen.  Woher 
diese  Differenz? 

Betrachtet  man  die  Todesursachen  von  1864  —  Tetanus  1, 
Erschöpfung  durch  Blutung  und  Eiterung  3,  Pyämie  und  Septicämie 
12  mal  —  so  möchte  man  aus  dem  Ueberwiegen  der  Pyämie  die 
Schuld  auf  geringere  Salubrität  der  Lazarethe  schieben.  Aber  ein 
Blick  auf  die  namentliche  Liste  der  Resecirten  lehrt,  dass  die  Todes- 
fälle durch  Pyämie  sich  keineswegs  auf  einzelne  Lazarethe  concen- 
trirten,  während  es  anderer  Seits  feststeht,  dass  die  Feldlazarethe 
von  1864  mit  nur  einzelnen  örtlich  wie  zeitlich  beschränkten  Aus- 


286 


nahmen  weniger  als  je  in  einem  Feldzuge  Heerde  der  pyämischen 
Infection  geworden  sind. 

Jene  Differenz  erklärt  sich  vielmehr  aus  der  Art  der  ur- 
sprünglichen Verletzung.  Die  Schwere  der  Schultergelenk- 
schüsse wird  sehr  gesteigert  durch  die  Mitverletzung  des  Ge_ 
lenktheiles  der  Scapula.  Sie  verschlimmert  nicht  bloss  den 
Verlauf  bei  der  nicht  operativen  Conservativkur,  sondern  sie  trübt 
auch  die  Erfolge  der  Gelenkresection.  Bei  unsern  Resectionen  be- 
stand diese  Complication  achtmal  (=  24  pCt.),  bei  den  18  Fällen 
von  1848—1850  nur  zweimal  (=  11  pCt.). 

Im  Allgemeinen  ergiebt  sich  auch  aus  der  Erfahrung  von  1864, 
dass  die  Gefährlichkeit  der  Schultergelenk-Schüsse  durch  die  Ge- 
lenk-Resection  nicht  in  demselben  'Masse  vermindert  wird,  welches 
sich  bei  den  Schussverletzungen  des  Ellenbogengelenkes  herausge- 
stellt hat.  Bei  letzteren  fanden  wir  überdies  eine  sehr  bedeutende 
Differenz  der  Mortalität,  je  nachdem  die  Resectitfn  primär  (am 
Tage  der  Verletzung  oder  am  nächsten)  oder  nicht  primär  aus- 
geführt wurde.  Eine  für  die  Praxis  wichtige  Frage  ist,  wie  sich 
dieses  Verhältniss  bei  den  Resectionen  des  Schultergelenkes  gestaltet 
habe.  Ich  stelle  die  Ergebnisse  aus  der  Es  mar  ch' sehen  und 
meiner  Liste  neben  einander  und  zwar  mit  der  bereits  oben  moti- 
virten  Restriction. 

Resectionen  des  Schultergelenks: 

primäre.  nicht  primäre. 

Zahl.    Zahl  der  Todten.         Zahl.    Zahl  der  Todten. 
1848—1850:       6  2  12  4 

1864:  _7  4  26  12 

Summa:    13  6  38  16 

An  und  für  sich  sprechen  diese  Zahlen  nicht  zu  Gunsten  der 
primären  Resection  des  Schultergelenkes.  Für  die  Fälle  von  1848 
bis  1850  ist  das  Procentverhältniss  der  Mortalität  das  nämliche 
(33,3  pCt.)  in  beiden  Categorien.  Für  1864  kommen  57  pCt.  Todte 
bei  der  primären,  46  pCt.  bei  den  nicht  primären  Resectionen  her- 
aus. Eine  Sterblichkeit  von  46  pCt.  bei  ersteren  und  von  42  pCt. 
bei  letzteren  ist  das  Facit  aus  beiden  Reihen.  Allein  ich  halte 
diese  Zahlen  für  viel  zu  klein,  als  dass  die  Statistik  berechtigt 
wäre,  von  ihnen  ohne  Weiteres,  d.  h.  ohne  eingehendere  Würdi- 
gung ihrer  Bedeutung,  die  Entscheidung  über  den  Vorzug  der  einen 
oder  der  anderen  Resectionszeit  abhängig  zu  machen.    Was  die  pri- 


287 


mären  Resectionen  von  1864  betrifft,  so  ist  aus  der  namentlichen 
Liste  zu  ersehen,  dass  unter  den  7  Fällen  4  (No.  2,  3,  5,  6)  sind, 
in  welchen  die  Verletzung  des  Oberarmkopfes  mit  Läsion  des  Ge- 
lenktheiles  der  Scapula  combinirt  war,  und  dass  von  den  4  Todes- 
fällen 3  (No.  2,  3  und  5)  dieser  Categorie  angehörten.  Liesse  man 
diese  Fälle  ausser  Ansatz,  so  würden  3  Fälle  mit  1  Todten  bleiben 
—  das  nämliche  Sterblichkeitsverhältniss,  was  sich  pro  1848  bis 
1850  herausgestellt  hat. 

Ausserdem  ist  zu  bemerken,  dass  in  den  vorstehenden  Berech- 
nungen der  Begriff  „primär"  etwas  enger  gefasst  ist,  als  es  sonst 
üblich  ist.  Gewöhnlich  werden  die  während  der  ersten  48  Stunden 
nach  der  Verletzung  ausgeführten  Operationen  als  primäre  bezeich- 
net, weil  in  der  Regel  vor  Ablauf  dieser  Zeit  die  Reaction  nicht 
bis  zu  einem  den  Erfolg  der  Operation  in  Frage  stellenden  Grade 
entwickelt  ist.  Ich  will  absehen  von  den  Ausnahmen,  obgleich  sie 
gar  nicht  selten  sind,  auch  von  der  Erfahrung,  dass  gerade  bei 
Gelenkschüssen  der  septicämische  Process  bisweilen  schon  früher 
sich  einleitet.  Nur  auf  die  Schwierigkeit,  ex  post  für  jeden  Fall 
die  Zeit  zwischen  Verwundung  und  Operation  genau  zu  messen, 
will  ich  aufmerksam  machen.  Ich  habe  bloss  nach  dem  Datum 
gerechnet,  weil  die  Stunden  nicht  festzustellen  sind.  Operationen 
z.  B.  bei  Verwundeten  des  18.  April  habe  ich  primäre  genannt, 
wenn  sie  am  18.  oder  19.  April  gemacht  sind.  Es  ist  aber  klar, 
dass,  wenn  die  Verwundung  am  18.  Nachmittags  erfolgte  und  die 
Operation  am  20.  April  Vormittags  ausgeführt  wird,  letztere  noch 
in  den  obigen  Begriff  der  Primär  Operation  fällt.  Hiernach  ist  es 
wahrscheinlich,  dass  die  Fälle  No.  8,  9,  10  und  11  der  nament- 
lichen Liste,  bei  welchen  die  Operation  am  2.  Tage  nach  der  Ver- 
wundung gemacht  ist,  im  gewöhnlichen  Sinne  primäre  waren. 
Nehmen  wir  dies  an,  so  stellt  sich  das  Verhältniss  pro  1864  wie 
folgt:  11  Primärresectionen  mit  4  =  c.  36  pCt.  Todesfällen,  22  Se- 
cundärresectionen  mit  12  =  c.  54  pCt.  Todesfällen. 

Und  dabei  ist  noch  zu  beachten,  dass  unter  den  11  Primär- 
resectionen sich  6  Fälle  befinden,  in  welchen  der  Gelenktheil  der 
Scapula  mitverletzt  war. 

Je  grösser  die  Zahlen  sind,  mit  welchen  die  Statistik  rechnet, 
desto  mehr  darf  sie  von  den  Specialdifferenzen  innerhalb  der  ein- 
zelnen Ansätze  abstrahiren.  Leider  geräth  sie  dabei  auf  dem  Ge- 
biete der  Kriegschirurgie  aus  der  Scylla  in  die  Charybdis.  Die 

Loeffler,  Generalbericht.  19 


288 


grossen  Zahlen  aus  grossen  Kriegen  pflegen,  wenn  sie  ehrlich  ge- 
geben werden,  sehr  viel  unbestimmte  und  unbestimmbare  Grössen 
zu  umfassen.  575  Resectionen  des  Schultergelenkes  — 
das  ist  ohne  Zweifel  schon  eine  Zahl,  welche  das  Generalisiren  ge- 
stattet. Sie  steht  in  dem  offiziellen  Rapporte  aus  dem  amerikani- 
schen Unionskriege.  Aber  bei  67  Fällen  ist  der  Ausgang  unbe- 
stimmt.   Es  restiren 

Primäre  Resectionen     210  mit  50  =  c.  24  pCt.  Todten. 

Secundäre     „  298    „  115  =  c.  39  „ 

In  Summa  Resectionen  508  mit  165  =  c.  33  pCt.  Todten. 

Wenn  die  Statistik  für  die  primäre  Resection  auch  beim  Schul- 
tergelenke eine  geringere  Mortalität  nachweist,  so  ist  dies  um  so 
höher  anzuschlagen,  weil  die  diagnostischen  Verhältnisse  ohnehin 
eine  stärkere  Belastung  derselben  bedingen.  Die  leichteren  Ver- 
letzungen des  Schultergelenkes  sind  als  solche  viel  schwerer  sofort 
zu  constatiren,  als  die  bedeutenderen.  Darum  werden  stets  mehr 
schwere  als  leichte  Schultergelenk-Schüsse  der  Primärresection  zu- 
fallen. 

Was  die  sogenannten  intermediären,  d.  h.  die  3  bis  5  Tage 
nach  der  Verwundung  ausgeführten  Resectionen  betrifft,  so  sind 
dieselben  ebenso  deletär  wie  die  intermediären  Amputationen.  Die 
beiden  Resectionen  des  Schultergelenkes,  welche  nach  der  Esmarch'- 
schen  Liste  4  Tage  nach  der  Verwundung  gemacht  wurden,  verliefen 
tödtlich.  Nach  meiner  Liste  pro  1864  gehören  6  Fälle  (No.  12—17) 
in  diese  Kategorie;  nur  1  von  ihnen  verlief  nicht  tödtlich.  Die 
Statistik  pro  1864  ergiebt  somit: 

primäre  Resectionen d. Schultergelenks  11  mit  4=36  pCt. Todesfällen, 
intermediäre  Res.  -  6  -  5=83  - 

secundäre  Res.       -         -  16  -  7=44  - 

Vom  statistischen  Standpunkte  unterliegt  es  hiernach  keinem 
Zweifel,  dass  es  Pflicht  der  Feldärzte  sei,  bei  den  Schultergelenk- 
Schüssen  womöglich  in  den  ersten  48  Stunden  nach  der  Verwun- 
dung das  Gelenk  zu  reseciren.  Ist  aber  diese  Frist  einmal  ver- 
flossen, so  sollte  der  operative  Eingriff  unter  Anwendung  entspre- 
chender Antiphlogose  bis  zum  Ablaufe  der  entzündlichen  Reactions- 
periode  verschoben  werden. 

Es  bedarf  aber  kaum  der  Statistik,  um  dem  Feldarzte  die  mög- 
lichste Bevorzugung  der  primären  Resection  zu  empfehlen.  Wenn 


289 

man  die  Gelenkresection  als  das  Mittel  anerkennt,  die  mit  der  nicht 
operativen  Kur  der  Schultergelenkschüsse  notorisch  verknüpfte  grosse 
Lebensgefahr  zu  mindern,  so  ist  schwer  einzusehen,  weshalb  mit  der 
Operation  gezögert  werden  soll,  bis  eine'  bedrohliche  Wendung  im 
Verlaufe  wirklich  eingetreten  ist.    Gleichwohl  giebt  es  noch  heute 
namhafte  Chirurgen,    welche  principiell  die  secundäre  Resection 
empfehlen  zu  müssen  glauben.     „Bei  schwieriger  Diagnose 
können  operationslustige  Chirurgen  leicht  zu  viel  thun" 
—  sagt  man.    Durch  die  principielle  Empfehlung  der  secundären 
Resection  soll  die  Consequenz  einer  falschen  Diagnose  verhütet 
werden.    Ohne  Zweifel  ist  es  gerade  bei  den  Schulterschüssen  bis- 
weilen schwer  genug,  sofort  die  Gelenkverletzung  zu  constatiren, 
besonders  wenn  die  Knochenverletzung  unbedeutend  ist,  und  wenn 
bei  der  Untersuchung  der  frischen  Wunde  es  nicht  gelingt,  die 
Haltung  des  Gliedes  im  Momente  der  Verwundung  zu  ermitteln  und 
herzustellen.    Aber  die  primäre  Resection  empfehlen,  heisst  doch 
nicht,  sie  bei  unsicherer  Diagnose  anrathen.  Wer  zur  Gelenkresection 
schreitet,  wird  wohl  überzeugt  sein,  dass  das  Gelenk  verletzt  sei. 
Ein  Irrthum  ist  beim  Schultergelenke  leichter  als  bei  anderen  mög- 
lich; er  passirt  selbst  Meistern  sogar  im  vorgerückten  Stadium  des 
Wundverlaufes.    Aber  es  scheint  mir  durchaus  unzulässig,  dass  die 
principielle  Entscheidung  über  den  Vorzug  der  primären  oder 
der  secundären  Resection  von  der  Rücksicht  auf  die  Möglichkeit 
einer  falschen  Diagnose  abhängig  gemacht  werde. 

Noch  überraschender  ist  die  Behauptung,  mit  der  primären  Re- 
section werde  „eigentlich  gar  nichts  gewonnen."  Geringere 
Lebensgefahr  und  Abkürzung  des  Wundlagers  sind  doch  wohl  beach- 
tenswerthe  Vortheile.  Unsicherheit  der  Diagnose  und  Cumulation 
der  Arbeit  in  den  ersten  Tagen  nach  Gefechten  beschränken  schon 
genug  die  Primär-Resection ;  man  sollte  sich  hüten,  sie  überhaupt 
zu  discreditiren. 

Unter  den  Ellenbogengelenk -Resectionen  von  1864  hat,  wie 
früher  erwähnt,  der  einzige  Fall,  in  welchem  die  Operation  noch 
am  Tage  der  Verwundung  selbst  gemacht  wurde,  das  glänzendste 
Resultat  ergeben,  sowohl  was  Schnelligkeit  und  Einfachheit  des 
Verlaufes,  als  was  Brauchbarkeit  des  conservirten  Gliedes  betrifft 
(S.  Fall  171).  Auch  von  den  Schultergelenk-Resectionen  ist  eine  noch 
am  Tage  der  Verwundung  ausgeführt.  Ueber  die  definitive  Brauch- 
barkeit des  Gliedes  kann  ich  leider  keine  Auskunft  geben;  aber 

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der  Verlauf  ist  wenigstens  ein  sehr  günstiger,  einfacher  und  rascher 
gewesen. 

Fall  191  (nam.  Liste  No.  1).  Gemeiner  Hans  Nielsen  vom  2.  dän.  Inf.-Reg. 
erhielt  am  18.  April  einen  Langbleischuss  durch  die  rechte  Schulter.  Der 
Kopf  des  Humerus  war  fracturirt.  Noch  am  nämlichen  Tage  wurde  in 
Broacker  die  Resection  gemacht  und  zwar  mittelst  des  üblichen  vorderen 
Längsschnittes,  welcher  durch  die  vordere  Schussöffnung  geführt  wurde 
(Prof.  Dr.  Esmarch).  Bei  einfacher  Lagerung  wurde  Anfangs  die  Eis- 
blase aufgelegt.  Die  örtliche  wie  die  allgemeine  Reaction  blieb  mässig. 
Ohne  störende  Zufälle  erfolgte  die  Ausheilung  der  Art,  dass  N.  bereits  am 
15.  Juli  mit  völlig  vernarbten  Wunden  ausgeliefert  werden  konnte. 

Die  Mitverletzung  des  Gelenktheiles  der  Scapula  war 
1864,  wie  bereits  erwähnt,  eine  relativ  häufige  Erscheinung  bei  den 
Schultergelenkschüssen.  Sie  trübt  die  Prognose  der  Gelenkresection, 
aber  sie  ist  kein  Contraindicans  derselben.  Aus  der  namentlichen 
Liste  ist  ersichtlich,  dass  die  Operation  in  3  Fällen  trotz  derselben 
von  Erfolg  gewesen  ist.  Bei  wirklicher  Zertrümmerung  ist  man 
genöthigt,  nach  der  Resection  des  Oberarmkopfes  die  gelösten  Trüm- 
mer des  Proc.  glenoidalis  zu  entfernen.  Handelt  es  sich  bloss  um 
Fissuren,  so  entsteht  die  Frage,  ob  es  rathsam  sei,  den  operativen 
Eingriff  durch  die  Abtragung  des  Gelenkfortsatzes  der  Scapula  zu 
erweitern.  In  unsern  drei  Heilungsfällen  ist  dies  nicht  geschehen. 
Der  Verlauf  nach  der  Operation  wurde  freilich  durch  langdauernde 
Eitersenkungen  complicirt. 

Fall  192  (nam.  Liste  Nr.  6).  Gewehrschuss  durch  das  linke  Schul- 
tergelenk. Schussrinne  im  Oberarmkopf;  Fissuren  der  Pfanne; 
Fractur  der  1.  Rippe.  Primäre  Resection  des  Oberarmkopfes. 
Heilung  mit  Ankylose.  —  Gemeiner  Andreas  Paulsen  vom  5.  dän. 
Inf.-Reg.,  wurde  am  29.  Juni  auf  Alsen  verwundet  und  in  Ulderup  (1.  F.-L. 
5.  Div.)  aufgenommen.  Das  Langblei  ist  an  der  hinteren  Seite  des  linken 
Schultergelenkes  ein-  und  unter  der  Mitte  des  Schlüsselbeines  ausgetreten. 
Der  untersuchende  Finger  gelangt  in  das  Gelenk  und  findet  einen  Substanz- 
verlust im  Kopfe  des  Humerus.  Die  erste  Rippe  ist  an  der  Anschussöff- 
nung fracturirt.  Am  folgenden  Tage  wurde  die  Resection  mittelst  des  vor- 
deren Längsschnittes  gemacht  (St. -A.  Dr.  Loewenhardt).  Von  dem 
rinnenartigen  Defecte  am  Kopfe  des  Humerus  gingen  zwei  Risse  durch  den- 
selben. Mit  ihm  wurden  c.  1^"  vom  Humerus  abgesägt.  Die  Pfanne  zeigte 
mehrere  Fissuren;  da  die  Stücke  jedoch  zusammenhielten,  so  wurde  auf 
die  Abtragung  derselben  verzichtet.  Vereinigung  der  Operationswunde  durch 
Nähte;  Befestigung  des  Armes  am  Thorax  durch  Bindentouren.  Die  prima 
intentio  gelang  indess  nicht.  Trotz  befriedigenden  Allgemeinbefindens 
jauchte  die  Wunde  stark.  Erst  vom  12.  Juli  ab  wird  das  Secret  besser 
und  sparsamer.    Schon  am  15.  Juli  konnte  der  Operirte  das  Bett  verlas- 


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sen.  Die  Ausfüllung  der  Wunde  mit  Granulationen  ging  rasch  vor  sich. 
Einige  Mal  lösten  sich  kleine  Knochenstücke.  Am  8.  August  ist  die  Resec- 
tionswunde  fast  geschlossen.  Massige  Bewegungen  des  Gliedes  werden  be- 
reits ohne  Schmerz  ertragen.  Eine  schnelle  Knochenneubildung  scheint  zu 
erfolgen. 

Am  14.  August  Wiederaufbruch  der  Resectionswunde  mit  reichlicher  Ent- 
leerung guten  Eiters.  Darauf  scheint  sich  die  Vernarbung  wieder  einzu- 
leiten. Aber  in  Apenrade,  wohin  die  Evacuation  am  26.  August  erfolgte, 
zögert  nicht  bloss  der  Schluss  der  in  die  Tiefe  führenden  Fisteln,  sondern 
es  entstehen  auch  unter  fieberhafter  Störung  des  bis  dahin  trefflichen  All- 
gemeinbefindens mehrfache  Eitersackungen  theils  unter  dem  Schlüsselbeine, 
theils  am  Oberarme,  so  dass  nach  und  nach  6  Incisionen  nöthig  wurden. 
Ende  November  konnte  die  Entlassung  nach  Copenhagen  erfolgen.  Es  be- 
standen noch  einige  Fistelgänge,  welche  in  die  Tiefe,  aber  nicht  auf  nekro- 
tischen Knochen  führten. 

Provisorisches  Resultat,  7  Monate  nach  der  Verletzung  durch 
Herrn  O.-St.-A.  Dr.  Thalwitzer  in  Copenhagen  constatirt:  An  der  Ein- 
schussstelle eine  vertiefte  dem  Knochen  aufsitzende  Narbe.  Die  13  Ctm. 
lange,  fast  2  Ctm.  tiefe  Resectionsnarbe  ist  von  mehreren  Fistelöffnungen 
unterbrochen,  durch  welche  die  Sonde  1"  tief  in  weiches  Gewebe  führt. 
Auch  die  Ausschussöffnung  gestattet  noch  die  Einführung  der  Sonde  bis 
zu  gleicher  Tiefe.  Mehrere  Incisionsnarben  und  Fisteln  in  der  Achselhöhle. 
Knochenneubildung  hat  stattgefunden,  der  Knochen  ist  noch  nicht  ganz 
fest.  Verkürzung  des  Oberarmes  um  3  Ctm.  Ankylose  des  Schulterge- 
lenkes. Active  Bewegung  aufgehoben;  passiv  lässt  sich  der  Oberarm  unter 
Mitbewegung  von  Schulterblatt  und  Schlüsselbein  vom  Rumpfe  etwas  ent- 
fernen. Das  Ellenbogengelenk  kann  activ  bis  zum  rechten  Winkel  gebeugt 
werden;  die  Streckung  ist  unvollkommen.  Handgelenk  und  Finger  frei  be- 
weglich; der  Druck  der  Hand  ist  noch  schwach. 

Dies  ist  unter  den  Resectionen  des  Schultergelenkes  von  1864 
der  einzige  Fall,  in  welchem  die  Heilung  mit  Ankylose  erfolgte. 
Bei  allen  übrigen  resultirte  eine  bewegliche  Verbindung.  Der 
Werth  der  letzteren  für  den  Gebrauch  des  Gliedes  ist  indess  sehr 
verschieden.  Um  dies  und  die  Momente,  welche  von  besonderem 
Einflüsse  darauf  sind,  anschaulich  zu  machen,  lasse  ich  diejenigen 
Fälle  folgen,  von  welchen  das  definitive  Resultat  zu  ermitteln 
gelungen  ist. 

Fall  193  (nam.  L.  Nr.  8).  Ge wehrschussfractur  des  Oberarmkopfes. 
Primäre  Gelenkresection.  Heilung  mit  activ  beweglicher  Ver- 
bindung. —  Musk.  Friedrich  Schuhrke  vom  64.  Inf.-Reg.,  erhielt  am 
17.  März  vor  Düppel  einen  Schuss  durch  das  linke  Schultergelenk.  Ein- 
gang unter  dem  hintereu  Rande  des  Acromion,  Ausgang  unter  dem  Proc. 
coraeoideus.  Am  19.  März  wurde  der  zertrümmerte  Oberarmkopf  in  Bro- 
acker  resecirt  (Chefarzt  Dr.  Neubaur).  Der  Sägeschnitt  wurde  dicht 
unter  den  Tuberkeln  geführt.    Der  Verlauf  war  ein  regelmässiger.  Nur 


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eine  Eitersackung  nach  der  Scapula  hin  erheischte  eine  Incision  in  der 
Fossa  infraspinata.  Bereits  am  8.  Juni,  als  Pat.  nach  Glücksburg  eva- 
cuirt  wurde,  waren  die  Schussöffnungen,  die  Incisionswunde  und  die  4  Zoll 
lange  Resectionswunde  bis  auf  den  oberen  Winkel  vernarbt.  Obwohl  die 
Sonde  nicht  mehr  auf  Knochen  führte,  entstand  doch  noch  eine  Eiter- 
sackung  an  der  hinteren  Seite  des  Oberarmes,  welche  eine  Incision  erfor- 
derte. Mitte  Juli  war  die  Vernarbung  vollendet.  Am  29.  November  1865 
—  20  Monate  nach  der  Operation  hat  Herr  O.-St.-A.  Dr.  Pähl  fol- 
gendes Resultat  constatirt:  Definitive  Vernarbung.  Auffallender  Muskel- 
schwund im  oberen  Drittheil  des  linken  Oberarms,  besonders  beim  Herab- 
hängen des  Armes  deutliche  Einsenkung  unter  dem  Acromion.  Umfang 
c.  2"  kleiner  als  rechts,  Uebrigens  ist  der  Ernährungszustand  des  Glie- 
des kaum  von  dem  des  gesunden  "verschieden.  Es  wird  über  ein  Gefühl 
von  Kälte  und  Taubheit  im  operirten  Gliede  geklagt.  Die  vergleichende 
Temperaturmessung  ergiebt  in  der  Achselhöhle  |°,  in  der  Ellenbogen- 
'  beuge  1°,  in  der  geschlossenen  Hand  3°  weniger  an  der  operirten  Seite. 
Die  Färbung  der  Haut  ist  an  beiden  Seiten  gleich.  Die  Länge  des  ge- 
streckten Gliedes,  vom  Acromion  bis  zum  Handgelenke  gemessen,  beträgt 
1"  weniger.  Osteophyten  sind  am  Sägeende  des  Humerus  nicht  nachweis- 
bar. Es  hat  sich  eine  neue  straffe  gelenkartige  Verbindung  gebildet.  Ac- 
tiv  kann  der  Oberarm  bis  zu  einem  Winkel  von  25°,  passiv  bis  75°  erho- 
ben werden  ohne  Mitbewegung  des  Schulterblattes.  Mit  letzterer  geht  die 
Erhebung  des  Armes  bis  90°.  Ellenbogen-  und  Handgelenk  sind  wie  die 
Finger  frei  beweglich.  Der  Handdruck  ist  kräftig.  Das  Glied  ist  zu  allen 
Leistungen  des  gewöhnlichen  Lebens  brauchbar,  welche  keine  bedeutendere 
Erhebung  des  Oberarmes  fordern.  Geregelte  Uebung  würde  ohne  Frage 
die  betreffende  Muskulatur  zu  grösserer  Leistung  befähigen.  Bis  jetzt  hat 
sich  S.  aber  nur  mit  Federreissen  im  elterlichen  Hause  beschäftigt  und 
zwar  täglich  stundenlang,  ohne  besondere  Ermüdung  zu  spüren.  Einer 
künstlichen  Stütze  bedarf  das  operirte  Glied  nicht. 
Fall  194  (nam.  L.  Nr.  27).  Gewehrschuss  in  das  linke  Schulterge- 
lenk mit  Streifung  des  Oberarmkopfes.  Secundäre  Resection. 
Heilung  mit  straffer  activ  beweglicher  Verbindung.  —  Gefr. 
Julius  Kühl  von  der  3.  Art.-Brig.  erhielt  am  2.  Februar  bei  Missunde 
eine  Kugel,  welche  an  der  hinteren  Seite  der  linken  Schulter  am  Aussen- 
rande  der  Scapula  eindrang.  Ausgangsöffnung  fehlt.  In  Eckernförde 
(1.  schw.  F -L.  III.  A.-G.  Section  Lücke)  gelang  es  trotz  wiederholter 
Untersuchung  nicht,  die  Richtung  des  Schusskanales  und  den  Sitz  der 
Kugel  festzustellen.  Die  Gelenkgegend  war  zwar  stark  geschwollen,  die 
Bewegungen  im  Gelenke  waren  indess  so  frei,  dass  es  nicht  mitverletzt  zu 
sein  schien,  zumal  da  auch  Crepitation  eine  Knochenverletzung  nicht  ver- 
rieth.  Mitte  Februar  entwickelte  sich  eine  Schwellung  unter  dem  Schlüs- 
selbein. Als  nach  mehrtägigen  Breiumschlägen  deutliche  Fluctuation  ein- 
trat, wurde  mittelst  Incision  eine  tief  liegende  und  mit  der  Schussöffnung 
communicirende  Eiterhöhle  eröffnet.  In  ihrer  Tiefe  ist  die  Kugel  zu  füh- 
len; aber  sie  entweicht  der  Zange.    Die  reichliche  Eiterung  hat  das  sonst 


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gute  Allgemeinbefinden  etwas  getrübt.  Am  20.  Februar  hinterliess  eine 
arterielle  Blutung  aus  der  Schussöffnung,  welche  mittelst  Tamponade  ge- 
stillt wurde,  stärkeren  Collapsus.  Am  21.  Februar  trifft  der  untersuchende 
Finger  von  der  Schussöffnung  aus  auf  einen  Defect  an  dem  Knorpelüber- 
zuge des  Oberarmkopfes.  Resection  des  letzteren.  (Prof.  Dr.  Esmarch). 
Bei  der  Operation  zeigt  sich  die  Verletzung  auf  die  Streifung  des  Kopfes 
beschränkt.  Die  Kugel  findet  sich  in  der  Tiefe  zwischen  der  Muskulatur. 
Der  weitere  Verlauf  war  günstig.  Im  März  wurde  jedoch  die  Eröffnung 
einer  Eitersenkung  längs  des  Biceps  nöthig.  Bewegungsversuche  führen 
Anfangs  April  zum  Wiederaufbruch  der  fast  vernarbten  Resectionswunde. 
Ende  Juni  völlige  Vernarbung  nach  Extraction  eines  nekrotischen  Knochen- 
stückes durch  die  Schussöffnung. 

Am  4.  December  1865  —  21  Monate  nach  der  Operation  —  hat  Herr 
St.-A.  Dr.  Buski  folgendes  Resultat  constatirt:  Das  operirte  Glied  unter- 
scheidet sich  in  seiner  Form  von  dem  gesunden  nur  durch  eine  Vertiefung 
unter  dem  Acromion.  Sonst  sind  in  Betreff  der  Ernährung,  der  Tempera- 
tur und  Sensibilität  nur  geringe  Differenzen  nachweisbar.  Die  Verkürzung 
des  Oberarmes  ist  unbedeutend.  Das  Sägeende  ist  etwas  aufgetrieben. 
Es  hat  sich  eine  neue  straffe  gelenkartige  Verbindung  gebildet,  in  welcher 
bei  stärkeren  passiven  Bewegungen  etwas  Schmerz  und  ein  „kracksendes" 
Geräusch  entsteht.  Ohne  Mitbewegung  des  Schulterblattes  kann  der  Arm 
activ  bis  zu  30°,  mit  derselben  bis  45°  erhoben  werden.  In  allen  übrigen 
Gelenken  des  Gliedes  besteht  normale  active  Bewegungsfähigkeit.  Die  Kraft 
des  Gliedes  ist  noch  wenig  entwickelt.  Ohne  die  Unterstützung  durch  eine 
Mitelle  schwillt  die  Hand  bald  ödematös  an.  An  methodischer  Uebung 
fehlt  es  freilich,  da  der  Operirte  bis  dahin  noch  keine  regelmässige  Be- 
schäftigung gefunden  hat. 
Fall  195  (nam  L.  No.  32).  Gewehrschuss  durch  das  Schulterge- 
lenk mit  Absprengung  des  Oberarmkopfes.  Späte  Resection. 
Heilung  mit  beschränkt  activ  beweglicher  Schlotterverbin- 
dung. —  Gefreiter  Wilhelm  Mattekat  vom  3.  Garde -Regiment  z.  F. 
erhielt  am  10.  Februar  bei  Satrup  eine  Kugel,  welche  an  der  Vorderseite 
der  linken  Schulter  etwa  \\  Zoll  unter  den  Acromion  eintrat,  an  der 
hintern  Seite  \  Zoll  über  der  Achselhöhle  unter  der  Haut  stecken  blieb 
und  hier  durch  eine  Incision  entfernt  wurde.  Der  Arm  kann  zwar 
nicht  gehoben  werden,  aber  Crepitation  kann  bei  der  Aufnahme  in  Flens- 
burg nicht  constatirt  werden.  Bei  einfacher  Lagerung  und  Eisumschlägen 
bleibt  die  örtliche  Reaction  sehr  mässig,  das  Allgemeinbefinden  vollkommen 
gut.  Erst  am  19.  Februar  stellen  sich  bei  normaler  Eiterung  lebhaftere 
Schmerzen  ein.  Die  Eiterung  wird  profuser;  von  Zeit  zu  Zeit  treten  durch 
die  hintere  Oeffnung  Knochenstückchen  zu  Tage.  Ende  Februar  hat  die 
Schwellung  bedeutend  nachgelassen.  Die  Untersuchung  ergiebt  jetzt,  dass 
eine  Fractur  vorhanden  und  der  Kopf  des  Humerus  unter  dem  vorspringen- 
den Acromion  dislocirt  ist.  Einfacher  Verband  mit  einem  Stützkissen  in 
der  Achselhöhle.  Die  Eiterung  bleibt  reichlich,  aber  gut.  Trotz  robo- 
rirender  Diät  merkliche  Abmagerung.    Am  12.  März  gefensterter  Gyps- 


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verband,  welcher  gut  vertragen  wird.  Zehn  Tage  später  wird  das  Wund- 
secret  missfarbig;  unter  fieberhafter  Störung  des  Allgemeinbefindens  infil- 
trirt  sich  die  ganze  hintere  Seite  des  Oberarmes.  Am  25.  März  Resection 
des  Gelenkes.  Das  Caput  humeri  ist  abgesprengt  und  muss  Behufs  der 
Auslösung  mit  einem  scharfen  Haken  fixirt  werden.  Die  in  den  Schaft 
gehende  Splitterung  macht  die  Abtragung  von  circa  l£  Zoll  des  Knochens 
nothwendig.  Mehre  Incisionen  an  der  infiltrirten  hinteren  Seite  des  Armes. 
Das  reichliche  Wundseeret  bessert  sich  qualitativ  bald  wie  das  Allgemein- 
befinden. Von  Zeit  zu  Zeit  entstehen  indess  Eitersackungen  an  verschie- 
denen Stellen,  welche  Incisionen  erheischen.  Vom  2.  September  ab  ge- 
brauchte M.  eine  vierwöchentliche  Badekur  in  Rehme.  Nach  dem  Be- 
richte des  Herrn  Sanitätsrath  Dr.  Alfter  (Minden  1865)  exfoliirten  sich 
daselbst  unter  reichlicher  Eiterung  wiederholt  Knochenfragmente.  Nach 
der  Rückkehr  in  die  Heimath  musste  der  Operirte  sich  am  21.  October  in 
das  Lazareth  zu  Ragnit  aufnehmen  lassen.  Es  hatte  sich  von  neuem 
eine  Phlegmone  am  Oberarme  entwickelt,  welche  von  Herrn  A.-A.  Dr.  Gy- 
gas  mit  mehren  Incisionen  bekämpft  wurde.  Darauf  trat  erhebliche 
Besserung  ein;  allein  die  Wunden  schlössen  sich  nicht.  Im  August  1865 
wurden  3  nekrotische  Splitter  an  der  Stelle  des  Einschusses  entfernt,  im 
October  1865  noch  einer. 

Am  1.  November  1865  —  circa  20  Monate  nach  der  Operation  — 
hat  Herr  0. -St.-A.  Dr.  v.  Stückradt  folgendes  Resultat  constatirt:  In 
der  Resectionsnarbe  eine  feine  Fistelöffnung  in  der  Höhe  der  Sägefläche 
des  Humerus,  durch  welche  die  Sonde  über  1  Zoll  weit  eindringt,  ohne 
auf  nekrotischen  Knochen  zu  treffen.  Ein  \  Zoll  tiefer  Fistelgang  an  der 
hinteren  Seite  da  wo  die  Kugel  ausgeschnitten  wurde.  Alle  übrigen  Wun- 
den vernarbt.  Acromion  und  Proc.  coracoideus  springen  an  der  abge- 
flachten Schulter  stark  vor.  Das  ganze  Glied  ist  etwas  magerer  als  das 
gesunde.  Differenz  des  Umfanges  in  der  Mitte  des  Oberarmes  1  Zoll. 
Temperaturunterschied  objectiv  nicht  nachweisbar,  obwohl  die  subjective 
Empfindung  von  Kühle  im  operirten  Gliede  wärmere  Umhüllung  desselben 
veranlasst.  Periodisch  ziehende  Schmerzen.  Radialpuls  an  der  linken 
Seite  etwas  weniger  kräftig.  Der  herabhängende  linke  Arm  ist  \\  Zoll 
kürzer  als  der  rechte.  Die  Sägefläche  des  Humerus  ist  dabei  2  Zoll  vom 
Acromion  entfernt.  Osteophytenbildung  nicht  nachweisbar.  Die  verbindende 
Zwischensubstanz  fühlt  sich  sehnenartig  fest  an.  Wird  der  Arm  passiv 
vom  Rumpfe  entfernt,  so  nähert  sich  das  Sägeende  des  Humerus  dem 
Thorax,  ziemlich  scharf  unter  der  Haut  vortretend.  Dieses  Manöver  macht 
Schmerz.  Trotz  der  Schlotterverbindung  kann  der  Ellenbogen  passiv 
nur  4  Zoll  nach  aussen  vom  Rumpfes  bewegt  werden ,  nach  hinten  2  Zoll, 
nach  vorn  3£  Zoll,  nach  vorn  und  innen  so  weit,  dass  der  Oberarm  die 
linke  Brustwarze  berührt.  Activ  kann  der  Ellenbogen  nur  \\  Zoll  vom 
Rumpfe  nach  aussen  entfernt  werden;  die  Bewegung  nach  hinten  ist  gar 
nicht  ausführbar.  Nach  vorn  wird  der  Oberarm  bis  gegen  die  linke  Brust- 
warze hin  bewegt;  der  erhobene  Vorderarm  reicht  dann,  wie  es  der  nach 
einer  Photographie  gefertigte  Holzschnitt  zeigt,  zur  rechten  Schulter  so 


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weit  empor,  dass  der  Daumen  Fig.  15. 

auf  der  vorderen  Brustwand 
1  Zoll  unterhalb  der  rechten 
Articulatio  sterno  -  clavicu- 
laris  liegt  (Fig.  15). 

Die  activen  wie  die  passi- 
ven Bewegungen  in  den  Ellen- 
bogen- und  Handgelenken  sind 
unbehindert;  nur  die  Supina- 
tion  bleibt  links  activ  wie 
passiv  etwas  zurück  hinter 
der  rechten  Hand.  Die  Brauch- 
barkeit des  operirten  Armes 
beschränkt  sich  für  das  täg- 
liche Leben  auf  die  Leistun- 
gen der  Hand,  soweit  dazu 
keine  ausgiebige  Bewegung 
des  Oberarmes  erforderlich 
ist.  Den  Rock  kann  M.  noch 
nicht  ohne  Hülfe  anziehen. 
Die  Beschäftigung  besteht  in 
der  Beaufsichtigung  der  länd- 
lichen Arbeiten  im  elterlichen 
Hause.  Zur  Unterstützung  des 
Gliedes  wird  die  Mitelle  in  der 
Regel  nicht  mehr  getragen. 

Es  leuchtet  ein,  dass  die  Primärresection  in  diesem  Falle  den 
Wund  verlauf  bedeutend  abgekürzt  haben  würde.  Die  Grösse  der 
Knochenverletzung  und  die  Lage  der  Wundöffnung  waren  der  früh- 
zritigen  Diagnose  nicht  ungünstig;  aber  die  Verwundung  datirt  aus 
dem  Beginne  des  Feldzuges  mit  seinem  Mangel  an  Routine  in  der- 
gleichen Untersuchungen.  Ob  durch  die  Primärresection  auch  eine 
grössere  Ausgiebigkeit  und  Activität  des  Oberarmes  zu  erzielen  ge- 
wesen wäre,  mnss  dahingestellt  bleiben. 

Dass  eine  Schlotterverbindung  entsteht,  hängt  weniger  von 
der  Zeit  der  Operation  als  von  der  Länge  des  Stückes  ab,  welches 
dabei  vom  Humerus  abgetragen  wird.    Sie  war  iu  den  folgenden 
Fällen  bedeutender;  in  einem  erreichte  sie  5  Zoll. 
Fall  196  (nam.  Liste  d.  Res.  Nr.  29).    Schussfractur  des  Oberarm- 
kopfes.   Secundäre  Resection  mit  Abtragung  von  2  Zoll  des 
Humerus  -  Schaftes.    Heilung   mit   activ    nicht  beweglicher 
Schlotterverbindung.  —  Füsilier  Heinrich  Alteilges  vom  55.  Inf.- 
Reg.  erhielt  am  22.  Februar  einen  Schuss  durch  die  linke  Schulter.  Die 


296 


Kugel  drang  an  der  Spina  scapulae  ein  und  wurde  unter  dem  Acromial- 

ende  des  Schlüsselbeines  ausgeschnitten.  Nachdem  sich  die  Läsion  des 
Gelenkes  unzweifelhaft  herausgestellt  hatte ,  wurde  am  15.  März  die  Re- 
section  gemacht  und  zwar  mittelst  eines  ungefähr  den  Contouren  des  Delta- 
muskels entsprechenden  Lappens.  Der  Oberarmkopf  fand  sich  fracturirt; 
die  in  den  Schaft  reichende  Splitterung  erforderte  die  Abtragung  eines 
2"  langen  Stückes  Profuse  Eiterung,  Eitersenkungen  längs  des  Ober- 
armes, welche  wiederholt  Incisionen  erforderten,  Decubitus  am  Ellen- 
bogen begleiteten  den  langsamen  Ausheilungsprozess.  Erst  am  7.  No- 
vember konnte  der  Operirte  aus  der  Lazarethpflege  entlassen  werden.  Am 
26.  December  1865  —  21  Monate  nach  der  Resection  —  hat  Herr 
Dr.  Pelizaeus  in  Rietberg  das  folgende  Resultat  constatirt:  Feste  Ver- 
narbung. Die  Muskulatur  des  operirten  Gliedes  erscheint  namentlich  am 
Oberarme  sehr  geschwunden.  Die  Gelenkgegend  sieht  aus  wie  bei  einer 
Verrenkung  nach  unten  an  mageren  Personen.  Die  Hand  ist  kühler.  Der 
Humerus  ist  c.  2  Fingerbreiten  kürzer;  das  Sägeende  ist  nach  hinten  etwas 
aufgetrieben.  Durch  eine  etwa  1"  lange  sehnige  Zwischensubstanz  wird 
eine  Schlotterverbindung  vermittelt.  Eine  active  Bewegung  des  Oberarmes 
ist  kaum  möglich;  passiv  lässt  sich  der  Oberarm  gegen  1  Fuss  vom  Rumpfe 
entfernen.  Ellenbogengelenk  und  Hand  sind  ganz  gebrauchsfähig,  obwohl 
der  Druck  der  Hand  noch  viel  schwächer  ist  als  an  der  gesunden  Seite. 
Ein  Stützapparat  wird  nicht  getragen.  Der  Operirte  lebt  im  Hause  seines 
Bruders  und  hilft  demselben  im  Betriebe  einer  ländlichen  Wirthschaft.  Die 
Stelle  eines  Gerichtsboten  hat  er  aufgeben  müssen,  weil  das  operirte  Glied 
in  Folge  von  Erkältung  von  rheumatischen  Schmerzen  befallen  wurde. 

Dies  ist  der  einzige  Fall,  in  welchem  1864  die  Resection  des 
Schultergelenkes  mittelst  einer  anderen  als  der  gewöhnlichen  Schnitt- 
weise —  vorderer  Längsschnitt  in  der  Richtung  des  Sulcus  inter- 
tubercularis  —  ausgeführt  wurde.  Einen  Vortheil  für  den  Heilpro- 
cess  hat  der  Lappenschnitt  nicht  gewährt;  namentlich  sind  Eiter- 
senkungen durch  ihn  nicht  verhütet  worden  Dass  er  auch  die 
eventuelle  Brauchbarkeit  nicht  gefördert  habe,  geht  aus  dem  mitge- 
getheilten  Resultate  hervor.  Neudörfer  hat  bekanntlich  den  Ty- 
pen für  die  Resection  des  Schultergelenkes  einen  neuen  hinzugefügt 
(1.  c.  pag.  45)  — -  Schnitt  auf  der  Höhe  des  Acromion  mit  Durch- 
sägung des  letzteren.  —  Meines  Wissens  hat  er  selbst  jedoch  nur 
einmal  die  neue  Methode  versucht.  Ich  kenne  nicht  das  definitive 
Resultat.  Nach  dem  Zustande,  in  welchem  ich  das  Glied  bei  einem 
Besuche  des  Lazarethes  zu  Schleswig  Anfangs  Mai  1864  gesehen 
habe,  lässt  sich  kaum  sagen,  dass  der  Verlauf  von  dem  bei  secun- 
dären  Resectionen  gewöhnlichen  sich  unterschieden  habe.  Eiter- 
sackungen  und  bedeutende  Muskelatrophie  fehlten  auch  da  nicht. 


297 


Fall  197  (nam.  L.  Nr.  22).  Schussfractur  des  Oberarmkopfes  mit 
Splitterung  in  den  Schaft.  Secundäre  Resection  des  Schul- 
tergelenkes. Heilung  mit  activ  nicht  beweglicher  Schlotter- 
verbindung. —  Musk.  Christian  Schmidt  vom  64.  Inf. -Reg.  erhielt 
am  29.  Juni  auf  Alsen  einen  Spitzkugelschuss  durch  die  linke  Schulter 
und  wurde  in  Sandberg  (1.  F.-L.  5.  I.-Div.)  aufgenommen.  Einschuss 
dicht  neben  dem  Acromialende  der  Clavicula,  Ausgang  an  der  hinteren 
Grenze  der  Achselhöhle.  Der  Schusskanal  geht  durch  das  Gelenk.  Der 
untersuchende  Finger  trifft  auf  viele  kleine  Splitter;  es  lässt  sich  jedoch 
nicht  sicher  ermitteln,  ob  dieselben  vom  Humerus  oder  von  der  Scapula 
herrühren.  Fixirung  durch  eine  Mitelle;  Eisblase.  Bei  gutem  Allgemein- 
befinden nöthigt  grosse  Schmerzhaftigkeit  der  Wunde  in  den  nächsten  Ta- 
gen wiederholt  zur  Darreichung  von  Morphiumgaben.  Der  Schusskanal 
reinigt  sich  allmählig.  Am  7.  Juli  Schüttelfrost.  Am  folgenden  Tage  zeigt 
sich  vorn  eine  Eitersenkung  am  Oberarm  herab.  Durch  Druck  entleert 
sich  von  da  ein  jauchiges  Secret,  während  der  Eiter  sonst  gut  ist.  Leb- 
hafteres Fieber  vom  12.  Juli  ab.  Da  sich  jetzt  bei  erneuter  Untersuchung 
herausstellt,  dass  der  Kopf  des  Humerus  zertrümmert  ist,  so  wird  am 
14.  Juli  die  Resection  ausgeführt  (Chefarzt  Dr.  Abel).  Der  Proc.  glenoi- 
dalis  scapulae  ist  unverletzt.  Das  Caput  humeri  findet  sich  sternförmig 
gesplittert;  die  Tubercula  mit  den  Muskelansätzen  völlig  zerstört.  Nach 
der  Absägung  zeigt  sich,  dass  eine  Spalte  in  den  Schaft  geht,  anscheinend 
nur  1"  weit.  Dies  Stück  wird  nachträglich 
abgesägt.  Die  beiden  Hälften  lassen  sich 
leicht  von  einander  trennen,  und  an  der 
Sägefläche  sieht  man,  dass  die  Spaltung 
tiefer  dringt.  Weitere  Abtragung  wird  in- 
dess  unterlassen.  Vereinigung  der  Opera- 
tionswunde durch  Nähte.  Schon  folgenden 
Tages  wird  die  untere  entfernt,  um  den  Ab- 
fluss  des  Secretes  zu  sichern.  Der  sehr  an- 
gegriffene Operirte  erholt  sich  allmählig 
unter  Darreichung  von  Wein.  Am  20.  Juli 
Entfernung  aller  Nähte  wegen  bedeutender 
Spannung.  Der  Ausheilungsprocess  ver- 
läuft ohne  wesentliche  Störung  bis  zum 
2  September,  wo  wegen  Auflösung  des 
Lazarethes  die  Evacuation  nach  Apen- 
rade  erfolgt.  Am  14.  September  wird  eine 
Incision  nöthig,  um  eine  Eitersackung  an 
der  Hinterseite  des  Oberarmes  zu  entleeren. 
Anfangs  October  Schluss  der  Wunden.  Der 
Operirte  ist  dann  noch  bis  zum  28.  No- 
vember 1864  im  Lazarethe  zu  Potsdam  gepflegt  und  hat  im  August  1865 
eine  Badekur  in  Landeck  gebraucht.  Am  7.  Decbr.  1865  —  also  17  Mo- 
nate nach  der  Operation  —  hat  Hr.  St.-A.  Dr.  Rüppell  folgendes 


298 


Fig.  17. 


Resultat  constatirt:  Fisteln  nicht  vor- 
handen; die  Operationsnarbe  nässt  stel- 
lenweise und  bedeckt  sich  mit  gelben 
Borken.  Der  Ernährungsunterschied  zwi- 
schen beiden  Armen  ist  nicht  erheblicher 
als  gewöhnlich.  Die  Temperatur  im  linken 
Arme  subjectiv,  aber  nicht  objectiv  ver- 
mindert. Der  linke  Arm  ist  etwa  2  Zoll 
kürzer.  Am  Sägeende  des  Humerus  ist 
eine  osteophytische  Protuberanz  von  \  Zoll 
Höhe  zu  fühlen  (wahrscheinlich  eine  Wu- 
cherung des  den  Knochenspalt  füllenden 
Callus.  Ref.).  Die  Schlotterverbindung  wird 
durch  eine  bandartige  Zwischensubstanz 
von  1  Zoll  Länge  vermittelt.  Active  Be- 
wegung im  Schultergelenke  ist  unmöglich, 
nur  eine  Andeutung  von  Abduction.  Passiv 
lässt  sich  der  Arm  bis  zur  Horizon- 
talen erheben.  Ellenbogen-  und  Hand- 
gelenk normal.  Die  Brauchbarkeit  des 
Gliedes  beschränkt  sich  auf  das  Halten 
leichterer  Gegenstände,  wenn  der  Vorder- 
arm horizontal  an  den  Thorax  gelegt  und  mit  der  rechten  Hand  gestützt 
wird,  wie  der  nach  einer  Photographie  gefertigte  Holzschnitt  es  zeigt. 

Fall  198  (nam.  Liste  d.  Res.  Nr.  20).  Schussfractur  des  Oberarm- 
kopfes mit  Splitterung  in  den  Schaft.  Secundäre  Gelenkre- 
section  mit  Abtragung  eines  Stückes  des  Humerus  von  3£" 
Länge.  Heilung  mit  activ  nicht  beweglicher  Schlotterver- 
bindung. —  Musketier  Theodor  Beckmann  vom  53.  Inf.-Reg.  erhielt 
am  18.  April  einen  Schuss  durch  das  linke  Schultergelenk  von  vorn  nach 
hinten.  Die  heftige  örtliche  Reaction  suchte  man  im  1.  F.  L.  der  13.  Div. 
zu  Wester-Schnabeck  durch  Eisapplication  zu  mässigen.  Die  copiöse 
Eiterung  und  das  Sinken  der  Kräfte  veranlasste  am  28.  April  zur  Resec- 
tion  des  Gelenkes  (Chefarzt  Dr.  Geis ler).  Ausser  dem  zertrümmerten 
Caput  humeri  musste  wegen  der  abwärts  gehenden  Splitterung  ein  Stück 
der  Diaphyse,  im  Ganzen  3§"^Zoll  abgetragen  werden.  Der  weitere  Ver- 
lauf war  günstig,  zumal  da  der  Eiter  auch  aus  der  hinteren  Oeffnung  guten 
Abfluss  hatte.  Anfangs  Juni  entleerten  sich  durch  letztere  kleine  Knochen- 
fragmente. Ende  October  wurde  der  Operirte.  aus  der  Lazarethpflege  in 
Münster  entlassen. 

Am  11.  Februar  1866  —  22  Monate  nach  der  Operation  —  con- 
statirte  Herr  Dr.  V  asm  er  in  Waltrop  folgendes  Resultat:  Definitive  Vernar- 
bung. Die  Form  der  Schulter  gleicht  der  nach  einer  Luxation.  Das  Acro- 
mion  ragt  spitz  vor.  In  der  Einsenkung  darunter  lässt  sich  der  Proc.  co- 
racoideus  und  der  Gelenktheil  der  Scapula  unmittelbar  unter  der  Haut 
durchfühlen.   Der  Deltamuskel  ist  fast  ganz  atrophirt.   In  der  Mitte  ist 


299 


der  Umfang  des  Oberarmes  nicht  viel  kleiner  als  der  des  gesunden.  Tempe- 
ratur und  Puls  zeigen  keine  Differenzen.  Der  Versuch  mit  der  Nadel  er- 
giebt,  dass  die  Sensibilität  in  der  oberen  Hälfte  des  linken  Armes  fehlt, 
in  der  unteren  vermindert,  an  Vorderarm  und  Hand  normal  ist.  Am  Säge- 
ende des  Humerus  finden  sich  unregelmässige  Knochenwucherungen.  Der 
linke  Arm  ist  1|"  kürzer  als  der  rechte.  Eine  strangförmige,  2"  3"'  lange 
Zwischensubstanz  vermittelt  die  Verbindung  zwischen  Humerus  und  Sca- 
pula.  Von  der  Sägefläche  des  ersteren  ragt  eine  spitz  zulaufende  Knochen- 
neubildung bis  zur  Mitte  des  fibrösen  Stranges;  auch  an  der  Insertion  des 
Pectoralis  major  lässt  sich  Knochenbildung  durchfühlen.  Active  Bewegung 
des  Oberarmes  ist  unmöglich.  Bei  der  Aufforderung,  den  Arm  vom  Rumpfe 
zu  entfernen,  erhob  B.  nur  die  Schulter;  der  Arm  blieb  schlaff  hangen. 
Passive  Bewegungen  sind  natürlich  ausgiebig  genug  möglich.  Ellenbogenge- 
lenk, Handgelenk  und  Finger  sind  in  ihren  Bewegungen  nicht  gehemmt.  Zu 
allen  Leistungen,  welche  Mitwirkung  des  Schultergelenks  fordern,  ist  das  Glied 
untauglich.  Zu  Kraftäusserungen  ist  auch  Unterarm  und  Hand  noch  nicht  fähig. 

Der  einzige  Fall  von  intermediärer  Resection  des  Schulterge- 
lenkes, welcher  1864  zur  Heilung  gelangte  (S.  nam.  Liste  d.  Res. 
No.  15)  ist  zugleich  derjenige,  bei  welchem  das  längste  Stück  vom 
Humerus  —  5"  —  abgetragen  wurde.  Herr  0.  St  A.  Dr.  Thal- 
witzer  hat  den  Operirten  7  Monate  nach  der  Resection  in  Hel- 
singör  untersucht.  Wegen  hochgradiger  Atrophie  der  Muskulatur 
prominirte  das  Schultergerüst  sehr  stark.  Am  unteren  Ende  der 
18  Ctm.  langen  Operationsnarbe  war  noch  eine  Fistel  offen.  Knochen- 
neubildung hat  nicht  stattgefunden.  Vom  Acromion  bis  15  Ctm. 
abwärts  bildet  der  Oberarm  eine  weiche  schlaffe  Masse,  durch  welche 
die  Narbensubstanz  als  festerer  Strang  zieht,  und  welche  nach  allen 
Seiten  leicht  zu  knicken  ist.  Activ  ist  jede  Bewegung  in  der 
Schulter  absolut  unmöglich.  Beim  Gehen  wird  der  Arm  unter 
Schmerz  nach  vorn  geschleudert.  Im  Bette  muss  die  Rückenlage 
innegehalten  werden,  da  in  der  Seitenlage  das  Herabfallen  des 
Armes  Schmerz  verursacht.  Ist  der  Vorderarm  nicht  unterstützt, 
so  hat  der  Mann  beständig  Schmerz  im  Oberarm.  Im  Ellenbogen- 
gelenke ist  selbst  bei  Fixirung  des  Oberarmes  nur  eine  ganz  unbe- 
deutende Beugung  activ  ausführbar.  Der  Vorderarm  ist  2%  Ctm. 
dünner  als  am  gesunden  rechten  Arme.  Hand-  und  Fingergelenke 
sind  frei ;  die  Kraft  ist  jedoch  gering.  Der  Operirte  trägt  eine  le- 
derne Kapsel,  welche  das  Schultergelenk  fixirt  und  den  Vorderarm 
in  Beugung  erhält.  Er  kann  so  ganz  leichte  Gegenstände  mit  der 
Hand  halten,  auch  beim  Schreiben,  nachdem  der  Unterarm  mittelst 
der  gesunden  Hand  auf  den  Tisch  gelegt  ist,  das  Papier  fixiren. 


300 


Aus  den  mitgetheilten  Fällen  ergiebt  sich,  dass  die  Brauchbar- 
keit des  conservirten  Gliedes  nach  der  Resection  des  Schulterge- 
lenkes sich  vermindert,  je  länger  das  Stück  ist,  welches  vom  Hu- 
merus  abgetragen  wird.  Active  Bewegung  des  Oberarmes 
ist  nur  in  solchen  Fällen  erhalten,  bei  welchen  der 
Knochendefect  sich  auf  die  Epiphyse  beschränkt.  Wohl 
war  man,  besonders  bei  den  secundären  Resectionen,  bemüht,  sub- 
periostal  zu  operiren;  allein  der  erwartete  Wiederersatz  des 
Knochens  ist,  abgesehen  von  vereinzelten  Calluswucherungen  und 
zerstreuten  Knocheneinlagerungen,  in  keinem  Falle  der  Art  erfolgt, 
dass  dadurch  die  Brauchbarkeit  des  Gliedes  gesteigert  wird.  Der 
einzige  Fall  von  Ankylose  nach  der  Resection  erklärt  sich  durch 
die  von  dem  gleichzeitig  verletzten  Gelenktheile  der  Scapula  aus- 
gehende Callusproduction. 

Die  activ  unbewegliche  Schlotterverbindung  ist  ohne 
Zweifel  an  der  Schulter  weniger  störend  für  den  practischen  Ge- 
brauch des  conservirten  Armes  als  am  Ellenbogen ;  aber  sie  ist  übler 
als  die  Schulter- Ankylose,  weil  letztere  die  Mitbewegung  des 
Oberarmes  mit  der  Scapula  sicherer  stellt  und  eine  grössere  Kraft- 
äusserung  des  Gliedes  ermöglicht.  Je  länger  die  Zwischensubstanz 
ist,  welche  die  Schlotterverbindung  vermittelt,  desto  weniger  wird 
die  conservirte  Brauchbarkeit  des  Unterarmes  und  der  Hand  ver- 
werthbar  für  practische  Zwecke.  Daraus  folgt  die  Regel,  auch  bei 
der  Resection  des  Schultergelenkes  die  Abtragung  des  Humerus 
möglichst  zu  beschränken.  Es  ist  durchaus  unnöthig,  den 
Sägeschnitt  bis  an  das  Ende  der  vom  Kopfe  in  den  Schaft  dringen- 
den Spalten  zu  verlegen.  Besonders  bei  frühzeitiger  Resection  und 
bei  gehöriger  Benutzung  des  Eises  nach  derselben  ist  auf  Füllung 
der  Schaftspalten  durch  Callus  zu  rechnen. 

Ich  schliese  das  Referat  über  die  Schussverletzungen  der  oberen 
Glieder  mit  einem  statistischen  Ueberblicke  der  im  Feldzuge  von 
1864  an  den  Armen  ausgeführten 


301 


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302 


Aus  den  vorstehenden  Zahlen  ergiebt  sich,  dass  die  verstüm- 
melnden Operationen  an  den  Armen  1864  in  39  pCt.  der  Fälle 
das  Leben  nicht  gerettet  haben.  Bei  den  Primär  am pu  tat  ionen 
beträgt  die  Sterblichkeit  nur  30  pCt.  Für  die  einzelnen  Amputationen 
ergeben  sich  folgende  Procentsätze: 

Sterblichkeit : 
im  Ganzen       bei  der  Primär-Operation 
0  pCt.      .      .        0  pCt. 


Exarticulatio  Digitorum 

„  Manus 
Amputatio  Antibrachii 

„  Humeri 
Exarticulatio  Humeri 


0 

16,6 
54,8 
60,0 


0 
0 

47,3 
50,0 


Je  mehr  die  Amputationen  auf  die  schwersten  Verletzungen 
und  auf  solche  Fälle  beschränkt  werden,  in  welchen  die  Conserva- 
tivkur  einen  lebensgefährlichen  Verlauf  nimmt,  desto  höher  muss 
ihr  Sterblichkeits-Proceritsatz  steigen.  In  keinem  früheren  Kriege 
ist  das  Amputationsmesser  verhältnismässig  so  wenig,  namentlich 
so  wenig  primär  gebraucht  worden  wie  1864.  In  den  schleswig- 
holsteinischen Kämpfen  von  1848  bis  1850  wurden  an  den  oberen 
Extremitäten  bei  296  Schüssen  mit  Knochenverletzung  96  =  c. 
32  pCt.  Amputationen  gemacht,  1864  bei  349  nur  61  =  c.  17  pCt. 

Aus  der  Tabelle  XVII.  ergiebt  sich,  dass  die  Exarticulation 
im  Ellenbogengelenke  1864  gar  nicht  gemacht  worden  ist. 


Namentliche  liste 


im  Feldziioe  von  1864 


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